Mein lieber Ernst! Konstanz,
den 17.6.41
Heute kam Dein lieber Brief vom 14.6. Der
hat mir sehr viel Freude gemacht. Ich will ihn erst einmal der Reihe nach
beantworten.
Wenn Du meinst, ich soll jetzt nicht so
viel schreiben, da wäre ich Dir dankbar, wenn Du Kurt bei Gelegenheit mitteilen
würdest, daß sein Päckchen angekommen ist, daß alles Freude gemacht hat, dass
ich ihm aber leider seine Phototasche noch nicht schicken kann. Den Grund habe
ich Dir ja schon geschrieben. Auch wenn Du wieder dran bist an Legler zu
schreiben, sage ihm doch, daß ich jetzt leider an Elsa nicht schreiben kann, da
ich krank bin. Ich weiß nicht, ob Du diesen Auftrag gern übernimmst, aber es
wäre für mich eine große Erleichterung. Denn wenn ich den Brief an Dich geschrieben
habe, bin ich meist nicht mehr in der Lage auch noch weitere Briefe zu
schreiben. Da ruhe ich mich hinterher immer aus.
Mit der Gartenarbeit ist es auch
verschieden. Ich hatte den Kindern heute aufgegeben, die Bohnen zu häufeln,
natürlich mit ihrer kleinen Schaufel, denn sonst können sie es a nicht. Zuerst
hat es Helga gemacht. Als ich nach einer Weile einmal rüberschaute, waren schon
2 Reihen gehäufelt. Dann mußte Helga in Religion. Nun bekam Jörg die Arbeit.
Ich habe ihm gleich gesagt, spiel aber nicht wieder, mach erst Unkraut raus und
dann häufeln. Ich habe mir dann den Garten angesehen, habe auch bei den oberen
Erdbeeren das ärgste Unkraut raus gemacht. Leider mußte ich wieder aufhören, da
es mir schon wieder zuviel wurde. Als ich nun zu Jörg hin komme, steht er doch
wahrhaftig noch am selben Fleck, hat noch nicht ein Unkraut rausgerissen und
spielt. Ich habe ihn dann erst wieder zurechtstauchen müssen, was mir jetzt
immer am meisten weh tut, denn am besten sollte ich nichts reden. Da hat er sich
dann endlich dahintergesetzt und hat geschafft. Ich weiß manchmal nicht, was
ich mit dem Buben machen soll. Wenn es mich nur nicht immer so aufregen würde,
aber ich bin jedes Mal ganz kaputt. Man kann sich auf ihn gar nicht verlassen.
Sage ich, ausziehen, da hält er ellenlange Vorträge und kommt und kommt nicht
zum ausziehen. Genau so ist es beim Waschen, Zähneputzen und allem anderen. Ehe
er etwas anfaßt, muß darüber auch 50 Mal geredet werden. Was soll ich bloß mit ihm machen. Hoffentlich
ist er in der Schule nicht so.
Helga ißt jetzt wirklich keinen Kuchen
mehr gern. Wir hatten doch früher immer Marmeladebrot. Sie hat ja am längsten
welche gegessen, weil sie sagte, sie mag kein Eingebrocktes. Nachdem nun keine
Marmelade mehr da war, mußte sie auch ran und siehe da, jetzt ißt sie
Eingebrocktes so gern, dass sie sogar am Sonntag welches möchte. Sie hat mir
schon gesagt, ich brauchte gar keine Marmelade mehr kochen. Einesteils bin ich
froh, denn soviel Marmelade, daß wir immer davon essen können, kann ich dieses
Jahr doch nicht einkochen. Aber ich meine, Kuchen braucht sie deshalb doch auch
nicht verschmähen. Du wirst Dich sicher diesmal nicht ärger brauchen, daß die
Pralinen so schnell alle werden, wenn Du nochmals welche schickst, den ich esse
jetzt überhaut keine, auch keine Schokolade. Das wird also alles für später gut
aufgehoben.
Soll ich Vater wirklich den Tabak und die
Zigarren bezahlen lassen? Er hat uns doch auch schon manches gegeben, gerade
mir jetzt wieder das große Glas Marmelade. Er gibt doch auch den Kindern
manches in die Sparbüchse Ich glaube, wir lassen es. Sollt Dir das Geld nicht
reichen, so schicke ich Dir von hier noch etwas. Also war es ganz vergeblich,
daß ich am Samstag wegen dem Kameradschaftsabend so an Dich gedacht habe. Mit der
militärischen Pünktlichkeit beim Einziehen in Euer neues Heim war es auch
nichts. Ich hatte aus Deinem einen Brief herausgelesen, als ob Du an dem
Dienstag umgezogen wärst. Na, der Irrtum ist ja zu entschuldigen.
Viel Vergnügen hat mir Deine Schilderung
vom Friseur bereitet. Das finde ich direkt lustig, nicht nur die Sache an sich,
sondern auch, wie lustig Du es geschildert hast. Das wird mich noch mehrere
Tage erheitern. Wenn Du noch so ähnliche Sachen erlebst, so schreibe mir nur
davon. Soviel Zeit hat bei uns wirklich niemand. Wenn ich Ende der Woche zum Arzt fahre, will ich sehen, ob ich so
einen Dreibleistift bekommen kann. Ich muß natürlich erst sehen, ob ich`s
schaffe oder ob ich schon zu kaputt bin. Rumlaufen und nachfragen könnte ich
natürlich überhaupt noch nicht, wenn es in dem Geschäft neben Haisch keinen
gibt. Außer wenn ich zum Arzt fahre, komme ich ja jetzt überhaupt nicht in die
Stadt, weil ich es hinterher immer büßen muß. Das lohnt sich nicht.
Mit Freude kann ich feststellen, dass sich
seit gestern der Appetit wieder ein wenig einstellt. Gestern habe ich schon
einen ganzen Eierkuchen und Rhabarber zu Mittag gegessen. Gestern Abend habe
ich schon eine ganze Schnitte Brot runter gebracht, sogar mit Butter, die ich
bisher gar nicht sehen konnte. In der Nacht kann ich jetzt immer schlafen, ohne
dass ich Husten muß. Nur schwitze ich noch jede Nacht. Wenn ich wieder zum Arzt
komme, will ich fragen, ob das gut oder schädlich ist.
Jetzt muß ich Dir noch etwas von Jörg
erzählen. Die neue Mode ist, dass alle Buben ein „Dragonerfähnle“ haben müssen.
(Ein Stück Stoff an einer kleinen Bohnenstange) Jörg hat nun eine gelbe mit
einem gemalten D (Deutschland). Als er sie zum ersten Mal mitgenommen hatte,
kam er stolz rein und berichtete, daß alle gesagt hätten, das wäre ein
richtiger Schläger. „Was ist das?“ frage ich. „Na, ein Schläger, weißt Du nicht
einmal, was das ist?“ Als ich zugeben mußte, stellte er sich ganz wichtig neben
mich und meinte „Da muß ich es Dir eben einmal erklären. Bei Sachen ist das so,
daß ein Schläger ganz besonders schön ist. Wenn ein Bub ein Schläger ist, so
ist das einer, der etwas leistet. Weißt Du`s nun?“ So hat er mich also belehrt
und Dir möchte ich es auch mitteilen, damit Du Deinen Wortschatz bereichern
kannst. Am meisten hat mich ja das „der was leistet“ amüsiert. Das war im
Brustton der Überzeugung gesprochen.
Heute ist mal wieder schönes Wetter. Man
ist direkt froh darum Wenn es nicht
bald besser wird, gibt es im Garten keine gute Ernte. Weißt Du noch, vor ein
paar Jahren bracht Dir Vater zu Deinem Geburtstag die letzten Erdbeeren und
dieses Jahr gibt es überhaupt noch keine roten. Es kann höchstens noch sein,
sie verfaulen. Ach die anderen Sachen wollen nicht richtig voran. Es fehlt die
Wärme. Nun will ich wieder schließen. Es grüßt und küßt Dich recht herzlich
Deine Annie.
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