Samstag, 18. Juni 2016

Brief 176 vom 17.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                Konstanz, den 17.6.41   

Heute kam Dein lieber Brief vom 14.6. Der hat mir sehr viel Freude gemacht. Ich will ihn erst einmal der Reihe nach beantworten.
Wenn Du meinst, ich soll jetzt nicht so viel schreiben, da wäre ich Dir dankbar, wenn Du Kurt bei Gelegenheit mitteilen würdest, daß sein Päckchen angekommen ist, daß alles Freude gemacht hat, dass ich ihm aber leider seine Phototasche noch nicht schicken kann. Den Grund habe ich Dir ja schon geschrieben. Auch wenn Du wieder dran bist an Legler zu schreiben, sage ihm doch, daß ich jetzt leider an Elsa nicht schreiben kann, da ich krank bin. Ich weiß nicht, ob Du diesen Auftrag gern übernimmst, aber es wäre für mich eine große Erleichterung. Denn wenn ich den Brief an Dich geschrieben habe, bin ich meist nicht mehr in der Lage auch noch weitere Briefe zu schreiben. Da ruhe ich mich hinterher immer aus.
Mit der Gartenarbeit ist es auch verschieden. Ich hatte den Kindern heute aufgegeben, die Bohnen zu häufeln, natürlich mit ihrer kleinen Schaufel, denn sonst können sie es a nicht. Zuerst hat es Helga gemacht. Als ich nach einer Weile einmal rüberschaute, waren schon 2 Reihen gehäufelt. Dann mußte Helga in Religion. Nun bekam Jörg die Arbeit. Ich habe ihm gleich gesagt, spiel aber nicht wieder, mach erst Unkraut raus und dann häufeln. Ich habe mir dann den Garten angesehen, habe auch bei den oberen Erdbeeren das ärgste Unkraut raus gemacht. Leider mußte ich wieder aufhören, da es mir schon wieder zuviel wurde. Als ich nun zu Jörg hin komme, steht er doch wahrhaftig noch am selben Fleck, hat noch nicht ein Unkraut rausgerissen und spielt. Ich habe ihn dann erst wieder zurechtstauchen müssen, was mir jetzt immer am meisten weh tut, denn am besten sollte ich nichts reden. Da hat er sich dann endlich dahintergesetzt und hat geschafft. Ich weiß manchmal nicht, was ich mit dem Buben machen soll. Wenn es mich nur nicht immer so aufregen würde, aber ich bin jedes Mal ganz kaputt. Man kann sich auf ihn gar nicht verlassen. Sage ich, ausziehen, da hält er ellenlange Vorträge und kommt und kommt nicht zum ausziehen. Genau so ist es beim Waschen, Zähneputzen und allem anderen. Ehe er etwas anfaßt, muß darüber auch 50 Mal geredet werden. Was  soll ich bloß mit ihm machen. Hoffentlich ist er in der Schule nicht so.
Helga ißt jetzt wirklich keinen Kuchen mehr gern. Wir hatten doch früher immer Marmeladebrot. Sie hat ja am längsten welche gegessen, weil sie sagte, sie mag kein Eingebrocktes. Nachdem nun keine Marmelade mehr da war, mußte sie auch ran und siehe da, jetzt ißt sie Eingebrocktes so gern, dass sie sogar am Sonntag welches möchte. Sie hat mir schon gesagt, ich brauchte gar keine Marmelade mehr kochen. Einesteils bin ich froh, denn soviel Marmelade, daß wir immer davon essen können, kann ich dieses Jahr doch nicht einkochen. Aber ich meine, Kuchen braucht sie deshalb doch auch nicht verschmähen. Du wirst Dich sicher diesmal nicht ärger brauchen, daß die Pralinen so schnell alle werden, wenn Du nochmals welche schickst, den ich esse jetzt überhaut keine, auch keine Schokolade. Das wird also alles für später gut aufgehoben.
Soll ich Vater wirklich den Tabak und die Zigarren bezahlen lassen? Er hat uns doch auch schon manches gegeben, gerade mir jetzt wieder das große Glas Marmelade. Er gibt doch auch den Kindern manches in die Sparbüchse Ich glaube, wir lassen es. Sollt Dir das Geld nicht reichen, so schicke ich Dir von hier noch etwas. Also war es ganz vergeblich, daß ich am Samstag wegen dem Kameradschaftsabend so an Dich gedacht habe. Mit der militärischen Pünktlichkeit beim Einziehen in Euer neues Heim war es auch nichts. Ich hatte aus Deinem einen Brief herausgelesen, als ob Du an dem Dienstag umgezogen wärst. Na, der Irrtum ist ja zu entschuldigen.
Viel Vergnügen hat mir Deine Schilderung vom Friseur bereitet. Das finde ich direkt lustig, nicht nur die Sache an sich, sondern auch, wie lustig Du es geschildert hast. Das wird mich noch mehrere Tage erheitern. Wenn Du noch so ähnliche Sachen erlebst, so schreibe mir nur davon. Soviel Zeit hat bei uns wirklich niemand.  Wenn ich Ende der Woche zum Arzt fahre, will ich sehen, ob ich so einen Dreibleistift bekommen kann. Ich muß natürlich erst sehen, ob ich`s schaffe oder ob ich schon zu kaputt bin. Rumlaufen und nachfragen könnte ich natürlich überhaupt noch nicht, wenn es in dem Geschäft neben Haisch keinen gibt. Außer wenn ich zum Arzt fahre, komme ich ja jetzt überhaupt nicht in die Stadt, weil ich es hinterher immer büßen muß. Das lohnt sich nicht.
Mit Freude kann ich feststellen, dass sich seit gestern der Appetit wieder ein wenig einstellt. Gestern habe ich schon einen ganzen Eierkuchen und Rhabarber zu Mittag gegessen. Gestern Abend habe ich schon eine ganze Schnitte Brot runter gebracht, sogar mit Butter, die ich bisher gar nicht sehen konnte. In der Nacht kann ich jetzt immer schlafen, ohne dass ich Husten muß. Nur schwitze ich noch jede Nacht. Wenn ich wieder zum Arzt komme, will ich fragen, ob das gut oder schädlich ist.
Jetzt muß ich Dir noch etwas von Jörg erzählen. Die neue Mode ist, dass alle Buben ein „Dragonerfähnle“ haben müssen. (Ein Stück Stoff an einer kleinen Bohnenstange) Jörg hat nun eine gelbe mit einem gemalten D (Deutschland). Als er sie zum ersten Mal mitgenommen hatte, kam er stolz rein und berichtete, daß alle gesagt hätten, das wäre ein richtiger Schläger. „Was ist das?“ frage ich. „Na, ein Schläger, weißt Du nicht einmal, was das ist?“ Als ich zugeben mußte, stellte er sich ganz wichtig neben mich und meinte „Da muß ich es Dir eben einmal erklären. Bei Sachen ist das so, daß ein Schläger ganz besonders schön ist. Wenn ein Bub ein Schläger ist, so ist das einer, der etwas leistet. Weißt Du`s nun?“ So hat er mich also belehrt und Dir möchte ich es auch mitteilen, damit Du Deinen Wortschatz bereichern kannst. Am meisten hat mich ja das „der was leistet“ amüsiert. Das war im Brustton der Überzeugung gesprochen.
Heute ist mal wieder schönes Wetter. Man ist direkt froh  darum Wenn es nicht bald besser wird, gibt es im Garten keine gute Ernte. Weißt Du noch, vor ein paar Jahren bracht Dir Vater zu Deinem Geburtstag die letzten Erdbeeren und dieses Jahr gibt es überhaupt noch keine roten. Es kann höchstens noch sein, sie verfaulen. Ach die anderen Sachen wollen nicht richtig voran. Es fehlt die Wärme. Nun will ich wieder schließen. Es grüßt und küßt Dich recht herzlich Deine Annie.

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