Dienstag, 7. Juni 2016

Brief 170 vom 6./7.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz, den 6.6.41   

Du bist wirklich zu bedauern, dass Du so lange keine Post von mir erhalten hast. Vielleicht hat es aber das Gute, dass Du dann bis Pfingsten nicht erfährst, dass ich krank bin und so froher nach Lille fährst.
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 30.5. Ich muss ja sagen, dass es für mich gerade keine freudige Überraschung ist wenn Nanni uns einmal aufsuchen will. Wenn ich mir auch viel Mühe gegeben habe, so ist doch jetzt, nachdem ich bereits 14 Tage krank bin, manches nicht so wie es sein soll. Und man weiß doch, wie kritisch die lieben Verwandten sind. Bezüglich der Anredeangelegenheit hängt mir alles schon zum Hals heraus. Wenn sie erst Monate braucht, bis sie sich überlegt hat, ob sie mir erlauben kann, Du zu ihr zu sagen, dann soll sie es doch sein lassen. Ich pfeife darauf. Es sind jetzt 10 Jahre vergangen, ohne dass ich in den trauten Kreis der weiteren Verwandtschaft aufgenommen worden bin, da wird es auch weiterhin gehen. Ich dränge mich niemand auf, weiß Gott nicht. Vielleicht wird erst noch Familienrat bei Paula abgehalten, ob ich der großen Gnade teilhaftig werden kann, Du zu sagen. Wie gesagt, sie sollen mich mit der ganzen Angelegenheit  in Frieden lassen, das ist mir das liebste. Hoffentlich bist Du nun nicht mit mir böse, dass wir uns vielleicht noch wegen den Verwandten zanken, aber schließlich haben wir zwei ja immer zusammengehalten, auch gegen meine Eltern, wenn es sein mußte, da wirst Du mich auch verstehen.
Der Brief an meine Eltern ist gut. Da können sie sich wenigstens ein Bild machen, was Du alles zu schaffen hast.
Ich bin wirklich gespannt, was nun noch mit Deinem Zahn wird. Das zieht sich ja ziemlich lang hin.
Wenn Du Dir noch ein paar Schlafanzüge kaufen kannst, so kann das nichts schaden, denn richtige Nachthemden hast du ja auch nicht mehr.
Seit vielen Nächten habe ich die vergangene Nacht zum ersten Mal wieder richtig geschlafen. Ich war gestern Abend todmüde. Ich bin schon um 1/2 7 ins Bett, bin dann noch einmal kurz aufgestanden als die Kinder ins Bett gingen und habe dann bis früh geschlafen. Heute Vormittag habe ich wieder die meiste Zeit im Liegestuhl geschlafen. Ich muß, glaube ich, jetzt alles nachholen, was ich in den 2 Wochen versäumt habe. Ich denke, dass ich dadurch auch wieder etwas zu Kräften komme.
Gestern Nachmittag hat es wirklich noch ein Gewitter gegeben und heute regnet es immer noch. Dazu ist es ziemlich windig. Es hat auch gleich abgekühlt. Da müssen die Kinder oben spielen. Jörg ist gerade dabei, sich ein Segelflugzeug zusammenzunageln. Er hämmert umeinander wie ein Alter. Leider gelingt es noch nicht immer gleich, es soll doch ganz genau werden. Sogar das Steuer hat er angenagelt. Helga liegt inzwischen auf der Matratze und ruht sich aus. Die Matratze ist für unsere Kinder auch unentbehrlich geworden. Da kann man doch immer mal faulenzen.
Wenn Vater wieder einmal rauf kommt, werde ich die Grüße an ihn ausrichten. Er hatte mir schon am Sonntag gesagt, daß er wahrscheinlich diese Woche nicht rauf kommen könnte, weil er so viel im Garten zu tun hat.  Nun will ich wieder schließen. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                           Konstanz, den 7. 6. 41

Heute Morgen erhielt ich Deinen lieben Brief vom 31.5.Ich danke Dir sehr dafür. Jetzt werde ich mich ja sicher einige Tage gedulden müssen, da Du ja erst nach den Pfingstfeiertagen wieder geschrieben hast. Wegen der Schokolade brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Ich bin doch jetzt gut damit versorgt. Du brauchtest du also keine mehr zu kaufen. Du hast also doch wieder einmal Post bekommen und gleich drei Briefe. Da bist Du ja nicht ganz ohne Nachricht von daheim nach Lille gefahren.
Heute habe ich auch wieder einen Brief von Kurt erhalten. Ich will mal sehen, ob ich ihn bald beantworten kann. Denke Dir, er hat jetzt für Jörg eine Griffelschachtel besorgt. Damit wird Jörg ja bald ausstaffiert. Aber es ist so, man hebt eine auf, denn meist halten sie doch nicht die ganzen Jahre.
Du, an dem ganz kleinen Stachelbeerbäumchen sind auch schon ein paar Stachelbeeren dran. Ich will das Bäumchen auch bald ein wenig stützen, damit es nicht umgebrochen wird. Heute Morgen war Jörg ein bißchen im Garten und hat Unkraut raus gemacht, aber er hat nicht lange Geduld dazu, wenn ich nicht dabei bin. Heute Nachmittag geht nun Helga und schafft weiter. Sonst haben wir bald mehr Unkraut als Gemüse im Garten. Mich kränkt es ja schwer, dass ich nicht schaffen kann, wie ich gern wollte. Es geht aber einfach noch nicht. Ich bin ja froh, dass es sich schon viel gebessert hat. Während ich vor ein paar Tagen Tag und Nacht husten mußte, so daß ich überhaupt nicht schlafen konnte, muß ich jetzt meist nur morgens und abends fest husten, während ich nachts Ruhe habe. Das macht ja schon viel aus.  Durch das husten werde ich immer ganz kaputt, sodass es mir früh immer nicht so gut geht, während mittags meine beste Zeit ist. Ich dachte ja nicht, dass ich so lange dafür brauchen würde, aber ich kann es auch nicht ändern. Es ist doch gut, wenn man gute Nachbarn hat. So hat mir Frau Nußbaumer heute gesagt, dass sie das Treppenhaus putzt, nachdem es mir noch etwas schwerfällt. Das ist doch nett, nicht wahr. Sie hat auch schon die Waschwoche mit mir getauscht. Es nützt mir ja jetzt doch nichts. weil ich auch in der kommenden Woche noch keine große Wäsche waschen kann, aber nett ist es doch. Man sieht doch den guten Willen.
Da es mir heute etwas besser geht, werde ich wahrscheinlich noch an die Eltern schreiben.
Ich habe vorhin gerade einen Kuchen gebacken. Diese Woche ging es schon ohne Hilfe. Wenn man krank gewesen ist, freut man sich über jeden Fortschritt, den man verzeichnen kann.
Gerade war ich noch einmal im Garten drüben und habe mir alles angesehen. Herr Steinmehl sagte mir, dass er mir die Kartoffeln häufeln will, wenn ich nächste Woche noch nicht gesund werde. Ich werde ja sehen, daß ich es selber machen kann, aber für alle Fälle würde es doch gemacht werden.
Nun will ich für heute schließen, denn es ist schon etwas spät geworden.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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