Dienstag, 28. Juni 2016

Brief 181 vom 28./29.6.1941


Mein lieber Schatz!                                                                                   28.6.         

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief 22./23./24.6., der hat mich fest gefreut. Vor allen Dingen ist die Sorge, daß Du böse sein würdest wenn wir verreisen, von mir genommen Ich habe direkt aufgeatmet. Sehr freuen tue ich mich über den Brief von der Stadt. Es ist doch wenigstens einmal ein Fortschritt. Man sieht doch einmal, daß sie nicht ganz bockbeinig gewesen sind und Deine viele Mühe beim lernen wird doch wenigstens belohnt.
Nun will ich den Brief erst einmal der Reihe nach beantworten. Ich muß Dir offen sagen, daß ich sehr ungern ein Pflichtjahrmädel nehmen würde. Du weißt, ich bin sehr gern allein und es würde mich quälen, dauernd einen fremden Menschen um mich zu haben. Wegen Dora, das überlege ich mir noch. Zuerst wollen wir einmal verreisen. Du meintest nun, wir sollten uns mit den Eltern im Urlaub treffen. Das geht nicht gut, denn sie bleiben ja nicht an einem Ort. Außerdem ist es mir lieber, wir fahren direkt nach Leipzig. Da könnte ich mich doch auch einmal ausruhen, wenn es mir zu viel wird. Unterwegs könnte ich das nicht. Außerdem möchte ich gern, daß die Kinder Leipzig ein bißchen kennen lernen. In den Zoo und zum Völkerschlachtdenkmal möchte ich mit ihnen gehen. Also, wenn Du nichts dagegen hast, fahren wir nach Leipzig.
Mein Aussehen ist jetzt nicht mehr so schlecht. Da habe ich schon ziemlich aufgeholt. Auch so geht es mir ganz gut. Nur darf ich noch nicht so viel schaffen oder mich aufregen, sonst tut es mir das Rückgrad runter noch ziemlich weh. Das ist die Schwäche.
Bei Jörg werde ich es also nicht so tragisch nehmen, wenn er noch so verspielt ist. Wenn es, wie Du schreibst, in Eurer Art liegt, daß Ihr ein wenig länger braucht, bis Ihr Euch reingefunden habt, so mache ich mir keine Sorgen mehr, denn Du bist ja auch ein so lieber und rechter Kerl geworden. Aufmuntern tu ich ihn ja immer wieder, denn das kann nichts schaden.
Wie ist das jetzt mit dem Gehalt? Ausbezahlt werden 255,68. Dazu kommen 2 x 20 Mk = 295,68. Bis jetzt war der Grundgehalt (nachdem die % wieder dazugekommen sind) 281,58. Das wären ca. 14,-Mk mehr. Wieso kommen nun die Beiträge zur Zusatzversorgung, Arbeitslosenversicherung und Angestelltenversicherung in Fortfall? Müssen wir da etwas anderes zahlen? Wenn Du später ja wieder als Angestellter gerechnet würdest, würde da die Angestelltenversicherung, die wir bis jetzt bezahlt haben, mit angerechnet? In derselben Krankenkasse können wir doch bleiben, nicht wahr?
Vielleicht sind einige dumme Fragen dabei, aber ich möchte gern über alles Bescheid wissen.
Mit dem Einkochen der Marmelade mache ich mir diesmal nicht so viel Arbeit, ich muß mich nach dem Zucker richten.
Auch so im Allgemeinen tu ich jetzt nur das, was notwendig ist. Es hat ja keinen Zweck, daß ich mich überanstrenge und dann liege ich wieder fest.
Wir müssen jetzt auch die Kartoffelfelder nachsehen, denn auf der Reichenau haben sie Kartoffelkäfer gefunden.  Die Viecher sind doch überall.
Die Bilder, die Du mir geschickt hast, sind prima. Ich kann Dich darauf gar nicht oft genug ansehen. Fein siehst Du darauf aus. Wie immer.
Heute Mittag ist nu die Küche fertig geworden. Man erkennt sie gar nicht wieder. Alle Türen sind weiß gestrichen. Du wirst staunen, wenn Du einmal auf Urlaub kommst.
Vorhin habe ich im Radio gehört, daß die Postsperre, wenigstens für Briefe, aufgehoben ist. Bei Päckchen ist es ja nicht sicher, ob sie angenommen werden.
Ich möchte Dir deshalb vor allen Dingen wenigstens mit Brief alles Gute zum Geburtstag wünschen. Bleib immer gesund und komm uns wieder. Das ist eigentlich jetzt das wichtigste. Verlebe auch Deinen Geburtstag so froh wie möglich. Wir werden in Gedanken immer bei Dir sein. Ein kleines Päckchen schicke ich am Montag an Dich ab. Ich werde ja sehen, ob es mir abgenommen wird.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Ich bin so froh, daß ich wieder an Dich schreiben kann.

Lieber Vater! Auch wir wünschen Dir viel Glück und Freude, daß Du Dein Geburtstag recht gut erlebst. Viele Grüße und Millionen Küsse von Deiner Helga und Jörg.

Gerade erhielt ich Deinen Brief, da ich in die Stadt will, beantworte ich ihn morgen


Mein liebster Ernst!                                                                                               29.6.

Heute komme ich erst am Abend dazu, an Dich zu schreiben und Dir auf Deinen lieben Brief vom 25.6. zu antworten. Wir waren nämlich auf dem Flugplatz. Es war ein Flugwerbetag. Zu sehen war ein Bomber, ein Zerstörer, noch einige kleinere Flugzeuge, bei denen ich mich nicht so auskenne. Auch einige Segelflugzeuge waren da. Jörg wäre am liebsten schon heute Morgen gegangen, so war er auf die Flugzeuge gespannt. Wir haben aber erst Mittag gegessen und dann habe ich noch 3/4 Stunde geschlafen, da ich sehr kaputt war. das Schlafen hat mir gut getan. Hinterher war ich ganz frisch. Gegen 3 Uhr sind wir fort. Es war interessant. Der Bomber, der Zerstörer, der Doppeldecker und noch ein Flieger haben Flüge ausgeführt. Wenn der Zerstörer im Tiefflug über den Platz gerast ist, hat man richtig den Kopf eingezogen.
Gestern ist leider beim fliegen ein Unglück passiert. Ein Segelflieger ist beim Gottmannplatz abgestürzt. Soviel ich gehört habe, soll es ihm ein Bein weggerissen haben. Vielleicht steht morgen davon etwas in der Zeitung.
Heute haben wir Erbsen aus unserem Garten gegessen. Das schmeckt gleich noch einmal so gut. Auch 2 Pfund Erdbeeren haben wir wieder geerntet. Die Johannisbeeren werden schon rot. Da wird es bis zur Ernte auch nicht mehr solange dauern. Nur fallen welche so ab. Herr Steinmehl fragte mich schon einmal, ob es bei uns auch so sei, bei ihm fielen auch welche ab, die seien erfroren. Ich weiß ja nicht, ob es der Fall ist.
Du hattest mir doch vor ein paar Tagen Dein Gewicht mit 66,5 kg geschrieben. Da habe ich mich nun gestern auch gewogen und habe feststellen müssen, daß ich mit Kleidern weniger wiege als Du ohne Kleider, nämlich 65,5 kg. Im März habe ich noch 139 Pfund gewogen. 8 Pfund habe ich während meiner Krankheit verloren. Da schadet es, glaub ich, nicht, wenn ich wieder ein bißchen aufhole.
Du wirst sicher heute auch die verschiedenen Sondermeldungen gehört haben. Was haben unsere Soldaten da wieder für Leistungen vollbracht. Wenn die Russen zu uns ins Land gekommen wären, hätten wir ja etwas erleben können. Wir können dem Führer und den Soldaten gar nicht dankbar genug sein, daß wir das nicht durchmachen müssen.
Nun zu Deinem Brief. Ich war auch froh, daß ich Dir vor der Postsperre noch mitteilen konnte, daß es mir besser geht. So mußtest Du Dich nicht so lange sorgen.
Ich wollte ja morgen zum Geburtstag ein Päckchen an Dich abschicken. Jetzt werde ich aber doch lieber morgen auf der Post erst fragen, ob sie Päckchen annehmen. Sonst  werde ich es, soweit möglich, aufteilen. Du wirst sicher nicht böse sein, wenn das Päckchen einen Tag später ankommt. Rechtzeitig kommt es doch nicht mehr hin.
Übrigens, diesen Monat habe ich den Gehaltszettel noch gar nicht bekommen. Ich habe das Fräulein gestern angerufen, ob er noch bei ihr ist. Ja, der sei noch da, ob sie ihn mir zuschicken sollte. Ich sagte, das sei mir schon recht.
Ich will das nämlich nicht einführen, daß ich ihn jedes Mal hole.
Nun schließe ich wieder für heute. Es ist 9 Uhr. Die Kinder gehen gerade ins Bett und ich will es nachher auch gleich tun. Vorher schaffe ich nur noch den Brief fort. Da wird er gleich morgen früh abgeholt.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Sollte dieser Brief zu Deinem Geburtstag ankommen, so wünsche ich Dir nochmals, daß Du Deinen Geburtstag froh verlebst.

Samstag, 25. Juni 2016

Brief 180 vom 25./26./27.6.1941


                                                                                                                      25.6.    

Ach Ernst, ich bin in ziemlichen Schwierigkeiten. Meine Eltern hatten doch geschrieben, wir sollten sie besuchen. Ich hatte ja darauf geantwortet, daß es nicht ginge. Nun hatte ich aber erwähnt, daß es im August eher gegangen wäre, daß sie ja da aber verreisen. Heute erhalte ich nun von meiner Mutter eine Karte, daß wir doch dann im August kommen sollen, sie würden dann nicht fortfahren. Das ist ja schon ein ziemliches Opfer, das sie da bringen. Ich habe niemals daran gedacht, daß sie wegen uns die Reise aufgeben würden. Wenn ich Dich nur da hätte, daß ich Dich um Rat fragen könnte. Einesteils würde ich mit den Kindern ganz gern hinfahren, nachdem ich sehe, daß ihnen soviel daran liegt. Andernteils weiß ich nun gar nicht, ob es Dir auch recht ist, denn es kostet doch ziemlich viel. Das Geld hätte ich ja zusammen, ohne daß ich von der Kasse etwas holen brauchte. Ich würde ja vor allen Dingen meine Mutter ganz gern einmal sehen, denn sie ist auch schon älter und man weiß nicht, wie lange man sie noch hat. Meine Eltern möchten nun gleich Bescheid, damit sie ihre Reise absagen. Ich möchte nun schreiben, daß wir am 26.7. hier fortfahren und auf 14 Tage hinkommen würden. Wenn ich nur wüßte, ob Du mir nicht böse bist. Ich habe richtige Angst davor. Ach, lieber Ernst, sei bitte nicht böse, daß ich so selbständig handle, aber ich habe jetzt einfach keine Möglichkeit, mich mit Dir zu beraten. Und nun besteht auch noch die Postsperre. Da kannst Du mir noch viel später Bescheid geben, ob Du mit allem einverstanden bist. Ich war auch ein Esel, daß ich geschrieben habe, daß es im August besser gepaßt hätte, aber ich weiß jetzt wirklich nicht, was ich als Ausrede schreiben sollte. Ach Ernst, die größte Sorge macht mir, was Du dazu sagst, daß wir so einfach fortfahren  und Dein Geld dabei so einfach ausgeben. Hoffentlich kommst Du nicht gerade während dieser 14 Tage auf Urlaub, denn ich möchte alle Urlaubstage mit Dir verbringen und es würde mich ewig reuen, wenn ich einen davon versäumen würde. Wenn ich nur schon Bescheid von Dir hätte. Das quält mich jetzt sehr. Wenn ich nur eine Möglichkeit sehen würde, daß ich mit Dir reden könnte, ehe ich an die Eltern schreibe. Aber es geht einfach nicht. Was wirst du wohl von mir denken, daß ich so einfach verreisen will. Meine Gedanken gehen wie ein Mühlrad im Kopf herum. Am begeistertsten sind die Kinder. Die würden am liebsten schon morgen fahren. Ehe ich nicht weiß, wie Du zu der Angelegenheit stehst, kann ich mich noch gar nicht darauf freuen. Ich verstehe natürlich, daß die Eltern gern wieder einmal die Kinder sehen möchten, sie haben ja bisher nicht viel von ihnen gehabt. Aber wenn ich wüßte, Dir wäre es nicht recht, würde ich nicht fahren. Ich bitte Dich, lieber Ernst, sei mir bitte nicht so sehr böse. Ich werde schon zusehen, daß ich das Geld wieder herein bekomme. Es ist mir schrecklich, daß ich es jetzt selber entscheiden muß, daß wir fahren. Aber wenn die Postsperre auch nur eine Woche dauern würde, könntest Du mir doch erst kurz vor der Reise Bescheid geben und dann ist es für die Eltern schon zu spät.
Weißt Du, ich habe direkt ein bißchen Angst, fortzufahren. Hier in unserer Wohnung ist mir alles so vertraut und so vieles erinnert an Dich. Das werde ich alles sehr vermissen.  

                                                                                                                      26.6.
Heute erhielt ich gleich 2 Briefe von Dir. Das war eine Freude. Sie sind vom 18. und 21.6.
Mit den Schuhen für mich hast Du viel Lauferei. Bei den Kindern hat es so schön geklappt. Dir wird dadurch bald das ganze kaufen verleidet sein.
Du wirst sicher nicht böse sein, wenn Du früh nicht mit antreten mußt.
Ich habe mich jetzt schon oft daran erinnert, wie wir miteinander so weit geschwommen sind. Das war immer so schön. Ich kann es ja dieses Jahr auch nicht. Mit ist schon der Weg zu weit und mit dem schwimmen würde ich sicher nicht weit kommen. Ich habe es aber doch insoweit gut, daß ich keine dicke Uniform anhaben muß. Ich kann es mir doch leicht machen. Die Soldaten, die jetzt in Rußland kämpfen müssen, haben es ja am schwersten. Man glaubt gar nicht, daß das ein Mensch aushalten kann, bei dieser Hitze marschieren und kämpfen.

                                                                                                                     27.6.
Gestern kam auf einmal der Maler und sagte, daß heute Morgen die Küche gestrichen wird. Ich hatte schon längst nicht mehr damit gerechnet. Das hat nun gestern eine Räumerei gegeben. Den Schrank habe ich ja in der Küche gelassen. Heute Morgen ging es nun los. Das sieht schön aus. Den ganzen Tag habe ich aufputzen müssen. Jetzt, am Mittag, ist 3/4 der Küche abgewaschen und abgeschabt. Bis heute Abend wird wahrscheinlich die Küche geweißt sein. Ich bin ja froh, wenn die Malerei vorbei ist. Bei der vielen Putzerei und Räumerei merke ich wieder, daß ich noch nicht ganz gesund bin. Ich bin ganz müd.
Heute haben wir beim Holen der Lebensmittelkarten einen Schein mitbekommen, da müssen wir ausfüllen, wie viele Räder man hat und zu was man sie braucht. Soviel ich gehört habe, muß man evtl. die Räder oder die Bereifung abgeben.
Es ist nun Abend geworden, Gott sei Dank. Das Schlimmste ist nun vorbei. Die Decke ist geweißt, der Sockel und die Türen sind zum ersten Mal gestrichen. Bis morgen Mittag soll alles fertig sein. Schön wird ja die Küche, das sieht man schon jetzt.
Bei uns war es die letzten Tage sehr heiß. Da hat es vorgestern  Abend und gestern Nachmittag Gewitter gegeben. Dabei hat es ausgiebig geregnet. Das ist eine  große Erleichterung, da brauche ich nicht jeden Tag gießen. Ich habe die Gelegenheit auch benutzt, um Kohlrabi, Weißkraut und Rotkraut zu setzen. Einen Teil hatten mir ja vorher schon Leimenstolls gesetzt. Die Tomaten wachsen jetzt auch gut, ebenso die anderen Sachen. In den nächsten Tagen kann ich im Garten  schon Erbsen holen. Heute sind bei den Brombeeren die allerersten Blüten aufgegangen.
Bis jetzt haben wir ca. 8 Pfund Erdbeeren geerntet. Wir haben die letzten Tage abends Erdbeeren mit Milch gegessen. Das schmeckt!
Dein Geburtstag kommt immer näher und wir können Dir einfach nichts schicken, solange die Postsperre besteht. So mußt Du Deinen Geburtstag sicher ohne einen Gruß aus der Heimat verbringen.

Dienstag, 21. Juni 2016

Brief 179 vom 22./23./24.6.1941


Mein liebster Ernst!                                                                Konstanz, 22.6.41   

Das war heute wieder eine Sonntagsüberraschung, Krieg mit Rußland. Will denn dieser Krieg nie ein Ende nehmen. Immer wieder kommen neue dazu. Zu was schließt man denn Verträge, wenn sie nie gehalten werden. Du hast doch sicher den Aufruf des Führers auch gehört. Das sind doch anmaßende Fragen die der Molotow da gestellt hat. Wenn man das schon hört, sie fühlen sich von Finnland bedroht.
Wenn ich die Karten für den Zirkus nicht schon hätte, ginge ich sicher nicht. Mir ist alle Lust vergangen. Wie viele Soldaten heute schon wieder sterben werden. Aber die Kinder verstehen ja das alles noch nicht so und sie sollen ihre Freude haben. Sie freuen sich ja schon so.
Siegfried wird sicher auch an der russischen Grenze sein, denn er hat doch seinen 3tätigen Urlaub auch abbrechen müssen, da sein Zug einsatzbereit sein mußte.
Die Kinder haben sich der neuen Lage schnell angepaßt. Sie spielen schon Deutsche und Russen. Gerade hörte ich, wie sie unten sagten: “Wir sind Russen, wir ergeben uns nachher.“ Bei denen geht es schnell.

                                                                                                        23.6.
Mein lieber Ernst! Nun ist es so, daß ich augenblicklich gar nicht schreiben kann, weil Postsperre ist. Aber ich schreibe Dir inzwischen doch alles auf und schicke es weg, wenn die Sperre aufgehoben ist.
Gestern Morgen war ich ziemlich niedergedrückt und hatte gar keine Lust zum Zirkus, aber dann war es doch ganz schön und man konnte einmal über 2 Stunden alle Sorgen vergessen. Die Leistungen waren wirklich gut, aber sie verlangen ja auch gutes, bzw. ziemlich viel Geld. Ich habe für uns drei 5,- Mk. bezahlt. Dafür könnten wir mehrere Male ins Kino gehen. Aber es war eben wieder einmal etwas anderes. Den Kindern hat es so gefallen, daß sie am liebsten heute nochmals gegangen wären.
Bei mir geht es jetzt gesundheitlich schnell vorwärts, besonders was die Kräfte anbelangt. Der Hals ist noch nicht ganz gut. Es löst sich immer noch Schleim und das ganze tiefe Atmen tut mir weh. Aber das fällt kaum mehr ins Gewicht, womit nicht gesagt sein soll, daß ich ihm keine Beachtung schenke. Ich gebe nicht eher nach, bis es ganz ausgeheilt ist. Aber sonst geht es mir soweit gut. Ich liege bei Tag kaum mehr auf dem Liegestuhl, aber abends gehe ich ziemlich zeitig schlafen, denn überanstrengen möchte ich mich nicht.
Jetzt kümmere ich mich auch schon wieder ein bißchen um den Garten. Heute habe ich die Roten Rüben auseinander gesetzt. Morgen möchte ich evtl. Kohlrabi und noch etwas Kraut setzen. Ich teile es mir eben so ein, daß es mir nicht zu viel wird. In den letzten Tagen haben wir zusammen ca. 2 Pfund Erdbeeren geerntet. Wir haben sie so aufgegessen, denn es waren immer nicht viel. Ich habe ja auch nicht so viel Zucker. Den hebe ich für die Stachelbeeren auf.
Die Kinder baden doch immer im Hof. Da hatten sie nie richtiges Badezeug. Das konnte ich heute nicht mehr mit ansehen. Ich habe Jörg aus dem guten Stück meines schwarzen Turnanzugs eine Badehose gemacht. Aus dem Verdunklungsbehang der Kinderzimmerlampe, den wir nicht mehr  brauchen, da wir ja blaue Glühbirnen haben, habe ich ihm noch eine Sporthose genäht. Es ist schwarzer Satin, wie bei Deiner Sporthose. Für Helga habe ich aus meinem alten blauen Badeanzug einen für sie genäht. Ich wollte das alles schon früher machen, aber dann kam meine Krankheit dazwischen.  

                                                                                                           24.6.
Heute erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 19. und 20.6. Ich danke Dir sehr dafür.
Das neueste für mich war ja, daß Du Bier trinkst. Aber Du mußt Dich jetzt eben dort anpassen. Das geht ja nicht zu ändern. Gaz ohne etwas tu trinken kann man das Abendbrot auch nicht essen.
Wenn der Krieg vorbei sein wird, wird  sich sicher mancher Unterschied in der Lebensweise herausstellen, der durch das lange Getrenntsein entstanden ist. Aber wir sind ja noch keine alten Leute und das wird sich sicher wieder ausgleichen lassen. Aber darüber wollen wir uns jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen, denn bei dem Krieg läßt sich ja das Ende noch gar nicht absehen, das kann noch lange dauern.
Die Krankheit hatte mich wirklich ziemlich gepackt, aber jetzt ist es ja schon viel, viel besser geworden. Ich freue mich, daß ich Dir das auch noch in einem Brief mitteilen konnte, ehe die Postsperre kam. Sonst hättest Du Dir solange Sorgenmachen müßen.
Der Frau Nußbaumer kann ich für das Treppeputzen nicht gut etwas geben, das würde sie beleidigen. Im umgekehrten Falle ginge es mir genau so. Die Hausarbeiten kann ich jetzt wieder gut machen. Dazu brauche ich also keine Hilfe nehmen.
Nun hast Du schon das größere Zimmer bekommen. Fühlst Du Dich jetzt wohler?
Ich habe diesmal ganz vergessen an Dora zum Geburtstag zu schreiben. Ich werde es in nächster Zeit tun und sagen, daß ich krank war und deshalb nicht schreiben konnte.
Als ich mich heute Nachmittag etwas ausruhen wollte, klingelte es und Nanni erschien. Wir haben uns ca. 2 Stunden ganz gut unterhalten. Sie war erstaunt, wie groß die Kinder geworden sind. Sie brachte eine Tüte Bonbons, für Jörg eine Mundharmonika und eine Pfeife, für Helga ein Armband mit. Ich habe Nanni die Bilder von den Kindern übergeben. Sie sagte, daß sie schon noch einmal herkommen würde, vielleicht könnten wir auch einmal zusammen einen Spaziergang machen. Mal sehen, ob etwas daraus wird.
Beim Erzählen kamen wir auch darauf zu sprechen, daß Jörg manchmal so hohl hustet. Nanni sagte, daß das sicher ein Erbstück von Deinem Großvater sei. Der habe auch beim geringsten Husten so hohl gebellt, daß man gemeint hat, er sein todkrank, dabei sei er kerngesund gewesen.
Nun muß ich für heute schließen, es ist bereits 10 Uhr vorbei und ich bin sehr müd.

Brief 178 vom 20./21.06.1941


Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, den 20.6.41    

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 16.6., in dem Du mich auf meine Stilblüte aufmerksam machst. Als ich den Satz von dem Mist jetzt wieder gelesen habe, mußte ich tatsächlich selber lachen. Du bist doch ein Kerl, natürlich bezieht sich der Mist auf den, der im Garten liegt. Die Krankheit ist zwar auch nicht viel besseres, aber die kann ich ja nicht mit Erde zudecken.
Aus Deinem Brief klingt ja nicht viel Begeisterung über Dein neues Zimmer. Sehr schön muß es also nicht sein. Es darf einem eben nicht zu wohl werden. Das war ja eine reine Verzweiflungstat, wie Du Deinen Umzug gefeiert hast.
Heute Morgen war ich nun beim Arzt. Erst bin  ich mit Jörg in die Stadt gefahren, dann sind wir zur Post gegangen und haben den gestrigen Brief weggeschafft. Hinterher war ich beim Haisch wegen einem 5farbigen Stift. Sie hatten nur 4farbige und auch nur noch 2 Stück. Der war mir aber zu teuer, er kostete 7,75 Mk. Dabei waren die Farben noch außen zu drehen, wie kleine Zahnräder. Das reißt doch die Jackentasche mit der Zeit auf. Ich bin dann noch in 3 Geschäfte gegangen. Bei allen waren nur 4farbige Stifte zu haben. Es gab auch davon überall nur einzelne Stücke, weil sie nur den Bestand verkaufen können und keine neuen Lieferungen bekommen. In einem Geschäft hatten sie einen zu 4,20. Der hätte mir ganz gut gefallen, aber da funktionierte die blaue Farbe  nicht richtig, sie blieb immer hängen. Das nützte mir natürlich nichts. Ich habe nun einen gekauft, der, soviel ich mich erinnern kann, der Art, wie Du ihn hast am nächsten kommt. Es sind aber auch nur 4 Farben und kostet 5,75. Ich weiß nun nicht, ob er Dir recht ist. Unter diesem Preis war nichts zu haben. Ich schicke ihn Dir nun zu. Solltest Du ihn nicht brauchen, so bringst Du ihn später wieder mit, ich kann mir denken, daß Kurt oder Siegfried über so ein Geschenk sicher erfreut wären.
Nachdem wir so umeinander gelaufen waren, sind wir zum Doktor gegangen. Er war mit der Besserung meines Gesundheitszustandes zufrieden. Ich habe ihn nun gefragt, ob das Schwitzen gut sei. Er sagt, das sei eben eine Reaktion des Körpers, aber jetzt sollte es bald aufhören. Ich habe ihn auch gefragt, ob ich etwas am Herzen habe. Er sagte aber, dass das nicht der Fall sei, es sei nur durch das husten angestrengt gewesen. Ich habe dann gleich wegen Jörg mit gefragt, weil er doch auch oft nachts so schwitzt und auch öfter hustet. Er hat ihn auch gleich mit abgehorcht, konnte aber nichts finden. Er meinte, ich solle ihm ruhig einmal mit von dem Hustensaft geben. Er denkt, dass sich der Hals jett bald bessern wird und wenn ich soweit wieder hergestellt bin, soll ich mit Jörg noch einmal hinkommen, da will er uns zu meiner Beruhigung einmal durchleuchten, damit man sieht, dass nichts zurückgeblieben ist. Ich merke auch, daß es besser wird, denn ich bin heute, trotz des Herumlaufens wohl müde aber doch nicht elend wie voriges Mal nach hause gekommen. Zu diesem guten Fortschritt trägt auch viel das gute Wetter bei.
Vorhin habe ich den Kindern Wasser herausgesellt. Da können sie nachher noch ein bißchen drin herumplanschen. Jeden Tag kann ich ja noch kein Wasser herausstellen, denn es ist doch eine ziemliche Schlepperei. Unsere Beiden haben es sich heute wieder leicht gemacht. Sie haben nur ihre Badehose an. Jörg ist gerade beim baden. Gerade, als ich geschrieben habe, daß sie nachher herumplanschen können, ist er ins Wasser gestiegen. Dazu hat er sich ein kleines Schiffchen geholt zum spielen. Helga badet nachher, sie spielt gerade noch mit anderen Kindern. Jetzt tun auch die großen Sonnenhüte gute Dienste, da bekommen die Kinder wenigstens keinen Sonnenbrand auf den Schultern.  Die Sonnenhüte haben wir jetzt eigentlich auch schon lange. Die haben schon manche Fahrt mitgemacht. Als Jörg noch ganz klein war, haben wir ihn doch einmal mit dem Hut photografiert, wo er so schrecklich heult. Wir haben uns das Bild gerade vor kurzem wieder angesehen. Und jetzt ist er schon ein so großer Kerl.
Lieber Ernst, es wird Dir doch sicher nicht ausmachen, wenn ich Dir morgen den Farbenstift zuschicke. Es ist heute sehr heiß und ich möchte die Kinder, die doch beim baden und spielen sind, nicht gern noch bis zur Petershauser Post schicken. Morgen müssen wir sowieso einkaufen, da geht es dann in einem.
Du hattest an die Eltern wegen eines Taschennotizkalenders geschrieben. Sie konnten Dir ja keinen besorgen. Ich bin heute Morgen auch noch einmal in allen Geschäften gewesen (Stadler hat vorübergehend zu) und habe keinen bekommen können. Es sind ihnen so wenig angeliefert worden, dass sie gleich in den ersten Tagen des Jahres weg waren.
Nun möchte ich Dich doch bitten, mit einmal zu schreiben, was Du Dir zum Geburtstag wünschst. Sollte Deine Antwort nicht mehr rechtzeitig eintreffen, da Ihr ja jetzt so langsam Post erhaltet, so würde ich es Dir eben nachträglich kaufen. Ich schließe jetzt für heute. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst on Deiner Annie.

Mein lieber Ernst                                                                                  Konstanz, 21.6.4

Ich bekam heute Deinen lieben Brief vom 17.6. Du machst mir darin den Vorschlag, doch zu einem Arzt zu gehen. Das habe ich ja inzwischen getan. Ich kann mit Freude feststellen, daß es jetzt schneller mit meinen Kräften aufwärts geht. Das kommt auch daher, daß ich jetzt wieder essen und schlafen kann.
Von heute an ist für ei paar Tage der Zirkus Hagenbeck hier. Da ich mich soweit wohl fühle, habe ich den Kindern versprochen, mit ihnen hinzugehen. Ich habe heute die Karten besorgt. Wir wollen morgen Nachmittag gehen. Ich bin heute gleich mit einkaufen gegangen und bin von der Stadt aus bis zur Wilhelmstraße  gelaufen, da ich da verschiedenes zu besorgen hatte. Dann war allerdings meine Kraft zu Ende und ich habe bis heim noch mit dem Omnibus fahren müssen. Aber ich bin doch schon ein ganzes Stück gelaufen, nicht wahr?
Es ist ein schönes Gefühl, wenn man merkt, man wird wieder gesund. Der Hals ist zwar noch nicht gut, aber so sehr schlimm ist es auch nicht mehr und ich bin sehr vorsichtig, daß ich mich nicht von neuem erkälte. Es wird wohl noch ein Weilchen dauern, bis ich ganz gesund bin, aber ich bin doch nicht mehr ganz so hinfällig. Vielleicht wirst Du Dich über meine Schrift wundern, aber die Hand will immer noch nicht so, wie ich will.
Ich freue mich schon auf meine Schuhe. Hoffentlich passen sie mir. Ich würde sie ungern verkaufen. Ich möchte doch auch etwas Schönes haben.
Inzwischen wirst Du sicher die 30,- bekommen haben, so daß Dein Geldbeutel wieder etwas aufgefüllt wird.
Der Gefreite, von dem Du schreibst, hat ja wirklich ein ziemlich großes Maul gehabt. Der Hauptmann muß schon Spaß verstehen, daß er das hat durchgehen lassen.
Wir haben heute wieder ganz schwüles, gewittriges Wetter. Es hat gestern schon ringsherum gedonnert und geblitzt und wir haben auch ein wenig Regen abbekommen, aber abgekühlt hat es nicht. Trotzdem das Fenster ganz auf steht, sind 23 Grad Wärme im Zimmer. Und dabei will ich nachher noch backen.
Wir haben gestern und heute die ersten Erdbeeren von uns gegessen. Es waren ca. 15 Stück. Viel gibt es ja dieses Mal nicht, die werden wir wohl alle so essen können.
Den Farbenstift habe ich heute früh an Dich abgeschickt. Ich habe ihn in einer Dattelschachtel verpackt.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni. 

Samstag, 18. Juni 2016

Brief 177 vom 18./19.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                         Konstanz, den 18.6.41    

Heute kam einmal kein Brief von Dir. Von den Eltern habe ich ein Schreiben erhalten. Auch eine Abschrift des Briefes an Dich. Unter anderem schreiben die Eltern, ich solle doch im Juli auf 14 Tage zu ihnen kommen. Das wär an und für sich nicht schlecht, aber es läßt sich nicht machen. Erstens bin ich ja noch nicht ganz gesund und weiß nicht, wie lange sich die Sache noch hinzieht. Zweitens ist es so, Vater kann den Garten nicht machen, und vor allen Dingen kommt dann gerade die Stachelbeer- und Johannisbeerernte. Das ist das einzige, was ich einkochen kann, das möchte ich nun nicht umkommen lassen. Vielleicht hätte es im August für 14 Tage besser gepaßt, aber da verreisen wieder die Eltern. Außerdem ist es ja ziemlich viel Geld, was ich da verbrauchen würde, ich werde absagen.
Gestern und heute haben wir wunderbar sonniges Wetter. Das habe ich gestern gleich ausgenutzt, habe den Liegestuhl ans Fenster gerückt und ein Sonnenbad genommen. Im Hof könnte ich ja nur das Gesicht bescheinen lassen, aber oben kann ich alles, was mir vom husten weh tut, bis herunter zur Brust, bescheinen lassen. Das hat mir gestern sehr gut getan. Ich hatte sogar gestern Abend ein bißchen rote Backen. Nachher will ich mich wieder hinlegen, denn die Sonnentage sind bis jetzt so rar gewesen, daß man jeden ausnutzt.
Gestern sagte mir Frau Leimenstoll, sie hätte heute Morgen Zeit und könnte mir verschiedenes setzen. Ich sollte nur mit in den Garten kommen um zu zeigen, wo es hin soll. Heute Morgen hat mir Herr Leimenstoll das Spinatbeet umgegraben und Frau Leimenstoll hat mir Weißkraut, Rotkraut und Wirsing gesetzt. Einstweilen einmal im großen Garten. Sie hat mir von ihren Setzlingen gegeben, weil unsere noch nicht so groß sind. Unsere sind dann gerade recht, wenn ich das Erbsenbeet abernten kann. Da kommt dann auch Kraut hin. Ich habe insoweit mitgeholfen, als ich die Setzlinge angegossen habe. Leider konnte in die Arbeit nicht bis zuletzt durchhalten, weil ich einfach nicht mehr stehen konnte. Ich war dann so kaputt, daß ich bis zum Mittagessenkochen schlafen mußte. Jetzt bin ich aber wieder wohlauf. Überhaupt geht es mir in den letzten Tagen ziemlich gut. Appetit habe ich auch schon wieder mehr. Heute Mittag habe ich einen ganzen Teller Spätzle gegessen. Ich denke, dass es jetzt schon nach und nach gut wird. Du siehst aber, was ich für eine Luxusfrau bin. Ich fühle mich nur wohl, wenn ich nicht viel schaffen muß. Wenn es mir morgen wieder gut geht, will ich aber doch zusehen, daß ich die Tomaten anbinde, trotz meiner Luxusrolle, die ich jetzt spiele. Die Tomaten sind eigentlich noch nicht so gewachsen, wie man es wünschen möchte, aber daran ist das trübe, kühle Wetter schuld. Sie sind doch schon einen ganze Weile in der Erde und jetzt muß ich sie erst zum zweiten Mal anbinden.
Ich habe mich für die Arbeit bei Leimenstolls bedankt, aber sie sagte, ich hätte ihnen schon manchen Gefallen getan, ohne daß ich etwas dafür angenommen hätte so daß es selbstverständlich ist, wenn sie mich jetzt ein bißchen unterstützen. Mir ist es ja schon eine große Hilfe.
Vater wollte doch erst nicht, daß Herr Steinmehl mir die Kartoffeln hackt. Er wollte es machen. Ebenso die Setzlinge setzen. Ich habe ihm dann gesagt, daß die Leute  beleidigt wären, wenn sie es mir angeboten haben und ich lehne es ab. Es ist doch so, Vater ist ein guter Kerl, aber wenn ich mit den Gartenarbeiten auf ihn warten müßte, käme ich überhaupt mit nichts zurecht. Da habe ich mich lieber auf fremde Hilfe verlassen.
Nun schließe ich heute schon. Mein Sonnenplatz der lockt. Ich will nun mein Sonnenbad halten. - Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz, den 19. Juni 1941

Auch heute ist kein Brief von Dir gekommen. Ich glaube, die Post will mich jetzt kurz halten, nachdem sie mich ein paar Tage verwöhnt hat.
Wir haben heute wieder schönes sonniges Wetter. Man ist das noch gar nicht gewöhnt.
Gestern Abend hat mir Jörg mitgeholfen, die Setzklinge zu gießen. Heute Morgen standen sie ganz schön da. Auch heute Morgen hat mir Jörg die Setzlinge wieder gegossen. Er macht es ganz gern, nur muß ich dabei sein, damit er mit der Arbeit nicht allein ist. Heute Morgen habe ich auch die Tomaten angebunden. Bei den Gurken habe ich in den letzten Tagen noch einige Kerne nachgelegt, weil nicht alle gekommen waren. Ich denke, dass sie schon noch kommen werden. Die Erbsen haben auch angesetzt, nur sind die Kerne noch ganz klein.
Es ist schade, daß ich jetzt, wo es so schön warm ist, nicht mit den Kindern baden gehen kann. Ich glaube, ich werde wohl fast den ganzen Sommer darauf verzichten müssen. Für die Kinder will ich sehen, daß ich ihnen wieder Wasser in den Hof stelle, daß sie wenigstens ein bißchen etwas haben. Wenn mir nur das Wasser tragen nicht so viel Mühe machen würde. Es ist mir noch sehr schwer.
Morgen gehe ich auch wieder zum Doktor. Ich habe Dir, glaub ich, noch garnicht geschrieben, daß ich bei Dr. Deeg bin. Das ist doch der Vertreter von Dr. Bundschuh. Mal sehen, was er sagt. Gegen die vergangenen Wochen ist es ja schon viel besser, aber ganz gut ist es eben noch nicht. Husten muß ich jetzt meist nur am morgen, wo sich alles löst, was sich in der Nacht festgesetzt hat. Das Atmen geht auch wieder soweit, nur beim ganz tiefen Atmen holen tut es noch weh, als wenn es inwendig wund wär. Die Schwäche läßt auch langsam nach, aber eben langsam. In der Wohnung kann ich jetzt soweit wieder alles schaffen, natürlich mit Ausruhpausen. Abends gehe ich natürlich immer zeitig schlafen, denn am Abend habe ich dann genug. Mit dem essen geht es auch wieder besser. Man merkt doch, dass eine Besserung eintritt. Jetzt heißt es acht geben, daß kein Rückschlag eintritt. Manchmal will es mich entmutigen, wenn ich etwas länger schaffen möchte und es geht einfach nicht mehr. Aber ich sage mir, man kann einfach nichts übers Knie brechen. Es braucht Zeit, bis man wieder bei vollen Kräften ist.
Es ist gut, daß Helga schon so groß ist, daß sie mir immer einkaufen gehen kann. Sie weiß jetzt schon Bescheid mit dem Geld. Ich habe ihr, wenn sie in verschiedenen Geschäften einkaufen mußte, schon manchmal 10,-Mk mitgegeben und sie hat jedes Mal auf den Pfennig genau abrechnen können. So brauche ich doch dazu keine fremden Leute zu bemühen.
Ich bin heute ein bißchen spät zum Schreiben gekommen und wahrscheinlich wird der Brief erst morgen wegkommen. Ich will nachher noch an die Eltern schreiben, damit sie Bescheid wissen, daß wir nicht hinkommen können. Ich glaube, meiner Mutter wird es nicht so unrecht sein, denn sie hätte doch, kurz wenn sie wegreisen, viel Arbeit mit uns gehabt. Außerdem wahrscheinlich viel Rennerei mit der Lebensmitteversorgung. Mein Vater versteht das doch nicht so. Den Durchschlag des Briefes lege ich bei.
ch schließe nun für heute. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 


Brief 176 vom 17.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                Konstanz, den 17.6.41   

Heute kam Dein lieber Brief vom 14.6. Der hat mir sehr viel Freude gemacht. Ich will ihn erst einmal der Reihe nach beantworten.
Wenn Du meinst, ich soll jetzt nicht so viel schreiben, da wäre ich Dir dankbar, wenn Du Kurt bei Gelegenheit mitteilen würdest, daß sein Päckchen angekommen ist, daß alles Freude gemacht hat, dass ich ihm aber leider seine Phototasche noch nicht schicken kann. Den Grund habe ich Dir ja schon geschrieben. Auch wenn Du wieder dran bist an Legler zu schreiben, sage ihm doch, daß ich jetzt leider an Elsa nicht schreiben kann, da ich krank bin. Ich weiß nicht, ob Du diesen Auftrag gern übernimmst, aber es wäre für mich eine große Erleichterung. Denn wenn ich den Brief an Dich geschrieben habe, bin ich meist nicht mehr in der Lage auch noch weitere Briefe zu schreiben. Da ruhe ich mich hinterher immer aus.
Mit der Gartenarbeit ist es auch verschieden. Ich hatte den Kindern heute aufgegeben, die Bohnen zu häufeln, natürlich mit ihrer kleinen Schaufel, denn sonst können sie es a nicht. Zuerst hat es Helga gemacht. Als ich nach einer Weile einmal rüberschaute, waren schon 2 Reihen gehäufelt. Dann mußte Helga in Religion. Nun bekam Jörg die Arbeit. Ich habe ihm gleich gesagt, spiel aber nicht wieder, mach erst Unkraut raus und dann häufeln. Ich habe mir dann den Garten angesehen, habe auch bei den oberen Erdbeeren das ärgste Unkraut raus gemacht. Leider mußte ich wieder aufhören, da es mir schon wieder zuviel wurde. Als ich nun zu Jörg hin komme, steht er doch wahrhaftig noch am selben Fleck, hat noch nicht ein Unkraut rausgerissen und spielt. Ich habe ihn dann erst wieder zurechtstauchen müssen, was mir jetzt immer am meisten weh tut, denn am besten sollte ich nichts reden. Da hat er sich dann endlich dahintergesetzt und hat geschafft. Ich weiß manchmal nicht, was ich mit dem Buben machen soll. Wenn es mich nur nicht immer so aufregen würde, aber ich bin jedes Mal ganz kaputt. Man kann sich auf ihn gar nicht verlassen. Sage ich, ausziehen, da hält er ellenlange Vorträge und kommt und kommt nicht zum ausziehen. Genau so ist es beim Waschen, Zähneputzen und allem anderen. Ehe er etwas anfaßt, muß darüber auch 50 Mal geredet werden. Was  soll ich bloß mit ihm machen. Hoffentlich ist er in der Schule nicht so.
Helga ißt jetzt wirklich keinen Kuchen mehr gern. Wir hatten doch früher immer Marmeladebrot. Sie hat ja am längsten welche gegessen, weil sie sagte, sie mag kein Eingebrocktes. Nachdem nun keine Marmelade mehr da war, mußte sie auch ran und siehe da, jetzt ißt sie Eingebrocktes so gern, dass sie sogar am Sonntag welches möchte. Sie hat mir schon gesagt, ich brauchte gar keine Marmelade mehr kochen. Einesteils bin ich froh, denn soviel Marmelade, daß wir immer davon essen können, kann ich dieses Jahr doch nicht einkochen. Aber ich meine, Kuchen braucht sie deshalb doch auch nicht verschmähen. Du wirst Dich sicher diesmal nicht ärger brauchen, daß die Pralinen so schnell alle werden, wenn Du nochmals welche schickst, den ich esse jetzt überhaut keine, auch keine Schokolade. Das wird also alles für später gut aufgehoben.
Soll ich Vater wirklich den Tabak und die Zigarren bezahlen lassen? Er hat uns doch auch schon manches gegeben, gerade mir jetzt wieder das große Glas Marmelade. Er gibt doch auch den Kindern manches in die Sparbüchse Ich glaube, wir lassen es. Sollt Dir das Geld nicht reichen, so schicke ich Dir von hier noch etwas. Also war es ganz vergeblich, daß ich am Samstag wegen dem Kameradschaftsabend so an Dich gedacht habe. Mit der militärischen Pünktlichkeit beim Einziehen in Euer neues Heim war es auch nichts. Ich hatte aus Deinem einen Brief herausgelesen, als ob Du an dem Dienstag umgezogen wärst. Na, der Irrtum ist ja zu entschuldigen.
Viel Vergnügen hat mir Deine Schilderung vom Friseur bereitet. Das finde ich direkt lustig, nicht nur die Sache an sich, sondern auch, wie lustig Du es geschildert hast. Das wird mich noch mehrere Tage erheitern. Wenn Du noch so ähnliche Sachen erlebst, so schreibe mir nur davon. Soviel Zeit hat bei uns wirklich niemand.  Wenn ich Ende der Woche zum Arzt fahre, will ich sehen, ob ich so einen Dreibleistift bekommen kann. Ich muß natürlich erst sehen, ob ich`s schaffe oder ob ich schon zu kaputt bin. Rumlaufen und nachfragen könnte ich natürlich überhaupt noch nicht, wenn es in dem Geschäft neben Haisch keinen gibt. Außer wenn ich zum Arzt fahre, komme ich ja jetzt überhaupt nicht in die Stadt, weil ich es hinterher immer büßen muß. Das lohnt sich nicht.
Mit Freude kann ich feststellen, dass sich seit gestern der Appetit wieder ein wenig einstellt. Gestern habe ich schon einen ganzen Eierkuchen und Rhabarber zu Mittag gegessen. Gestern Abend habe ich schon eine ganze Schnitte Brot runter gebracht, sogar mit Butter, die ich bisher gar nicht sehen konnte. In der Nacht kann ich jetzt immer schlafen, ohne dass ich Husten muß. Nur schwitze ich noch jede Nacht. Wenn ich wieder zum Arzt komme, will ich fragen, ob das gut oder schädlich ist.
Jetzt muß ich Dir noch etwas von Jörg erzählen. Die neue Mode ist, dass alle Buben ein „Dragonerfähnle“ haben müssen. (Ein Stück Stoff an einer kleinen Bohnenstange) Jörg hat nun eine gelbe mit einem gemalten D (Deutschland). Als er sie zum ersten Mal mitgenommen hatte, kam er stolz rein und berichtete, daß alle gesagt hätten, das wäre ein richtiger Schläger. „Was ist das?“ frage ich. „Na, ein Schläger, weißt Du nicht einmal, was das ist?“ Als ich zugeben mußte, stellte er sich ganz wichtig neben mich und meinte „Da muß ich es Dir eben einmal erklären. Bei Sachen ist das so, daß ein Schläger ganz besonders schön ist. Wenn ein Bub ein Schläger ist, so ist das einer, der etwas leistet. Weißt Du`s nun?“ So hat er mich also belehrt und Dir möchte ich es auch mitteilen, damit Du Deinen Wortschatz bereichern kannst. Am meisten hat mich ja das „der was leistet“ amüsiert. Das war im Brustton der Überzeugung gesprochen.
Heute ist mal wieder schönes Wetter. Man ist direkt froh  darum Wenn es nicht bald besser wird, gibt es im Garten keine gute Ernte. Weißt Du noch, vor ein paar Jahren bracht Dir Vater zu Deinem Geburtstag die letzten Erdbeeren und dieses Jahr gibt es überhaupt noch keine roten. Es kann höchstens noch sein, sie verfaulen. Ach die anderen Sachen wollen nicht richtig voran. Es fehlt die Wärme. Nun will ich wieder schließen. Es grüßt und küßt Dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 175 vom 15./16.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                       Konstanz, den 15.6.41   

Ich erhielt heute Deien lieben Brief vom 11.6. Vielen Dank. Leider habe ich auch daraus wieder ersehen müssen, daß Du mit Post ganz schlecht versorgt wirst.
Gestern Abend habe ich immer an Dich gedacht, wie wohl der Kameradschaftsabend verlaufen ist. Vater war auch da und ich habe ihm Deinen Dank ausgesprochen, daß er zu Pfingsten extra rauf gekommen ist. Er hat natürlich jeden Dank abgelehnt. Ich habe ihn gebeten, mir eine Flasche Rotwein mitzubringen, denn das soll doch gut zur Kräftigung sein. Ich habe auch gestern und heute Morgen ein Glas getrunken, aber jetzt macht sich leider schon ein kleines bißchen die Niere bemerkbar. Da ich das nicht auch noch dazu haben möchte, muß ich das Weintrinken also wieder aufstecken, denn bei der Niere soll man überhaut keinen Alkohol trinken. Ich verlege mich also wieder aufs Tee trinken und zwar trinke ich Lindenblütentee, der den Wasserabgang fördert. Man muß immer noch von sich aus etwas tun, denn bei den Ärzten geht es jetzt im Kriege husch husch. Wie ich es selbst gesehen habe und auch schon hörte, nehmen sie sich gar nicht die Zeit, einen richtig zu untersuchen. Sie fragen, wo tut es weh. Da horchen sie und fragen gar nicht, ob es vielleicht mit etwas anderem zusammenhängen könnte.
Von meinen Eltern habe ich heute eine Karte bekommen. Sie wollen in den nächsten Tagen Brief schreiben. Sie hoffen auch, daß ich wieder gesund bin, aber ich glaube, da werden sie sich wahrscheinlich schon noch 3 - 4 Wochen gedulden müssen.
Es ist heute gar kein schönes Wetter. Erst  war es nun bewölkt und nun regnet es sogar ab und zu. Also gar kein Sonntagswetter. Es ist nur gut, dass wir Radio haben, da habe ich doch ein bißchen Abwechslung. Gestern Abend war ja ein sehr schönes Programm. Ein Stück habe ich gehört, aber dann bin ich leider dabei eingeschlafen, denn schlafen kann ich jetzt viel. Das tut mir gut.
Du wirst vielleicht jetzt manchmal denken, immer schreibt sie nur von ihrer Krankheit. Aber weißt Du, es ist so, ich bin den ganzen Tag im Zimmer und erlebte jetzt wirklich nichts. Sollte es Dir aber über sein, so schreibe mir`s bitte. Ich würde dann nur aller paar Tage schreiben.
Herr Steinmehl hat gestern bereits die Kartoffeln gehäufelt. Ich habe mich bedankt und habe ihn gefragt, was ich ihm dafür geben darf. Er will natürlich nichts dafür nehmen. Vielleicht kann ich ihm später, wenn ich wieder selber einkaufen kann, Zigarren oder Zigaretten mitbringen.
Sonst wüßte ich eigentlich heute nichts zu schreiben. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                               16.6.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 13.6. Ich habe mich recht darüber gefreut.
Du hättest wegen den Büchern von Busch nicht so rennen müssen. So eilig ist das nicht. Ich hatte nur gemeint, wenn Du 25% Ermäßigung bekommst, kann man das mitnehmen. Also so sehr wichtig ist es nicht.
Bei der Angelegenheit mit Nanni werde ich es natürlich so machen, daß ich ihr in jeder Weise höflich entgegenkomme. Nur, wie gesagt, viel Wert lege ich auf die ganze Angelegenheit nicht mehr, denn ich bin eben der Meinung, wenn sie gern mit dem Du sagen einverstanden wäre, hätte sie das im ersten Antwortbrief  mit ein paar freundlichen Worten zum Ausdruck bringen können. Ein monatelanges Überlegen wär da nicht nötig gewesen. Du sagst ja schließlich zu Dora, Alice und Paul auch Du. Das ist doch eigentlich ganz selbstverständlich innerhalb der Familie. Na, lassen wir das. Das regt mich sonst wieder auf und das kann ich jetzt nicht brauchen. Jörg bastelt die ganze Zeit. Alles Mögliche wird da gemacht. Mit anderen Kindern zusammen baut er im Hof auch Unterstände und Bunker. Mich wundert nur, daß ihnen noch nicht mehr auf den Kopf gefallen ist. Ein paar Mal hat es ja schon Beulen gegeben. Leider ist es aber immer noch so, daß er über dem Spielen das Arbeiten vergißt. Wenn er etwas wegräumen soll, da faßt er das erste Stück an und ist damit schon wieder ins Spielen vertieft. Erst nach einem kräftigen Anranzer geht es dann weiter.
Gestern hatte ich  keinen guten Tag. Das wirst Du wahrscheinlich schon am Brief gemerkt haben. Erstens macht da das Wetter etwas aus und zweitens hatte ich auch so Ärger. Es ist doch so, wenn man krank ist, sollte man am besten mit niemand zusammenkommen. Am Samstag ließ sich das ja nicht ganz vermeiden. Da hat es denn auch so viel Bedauern geregnet, daß ich den ganzen Sonntag damit zu tun hatte, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen. „Ach sehen sie aber schlecht aus, sehen sie sich nur vor, sonst sind Ihre Kinder eines Tages ganz allein.“ „Was haben sie denn, sie haben ja ganz blaue Lippen, das ist sicher Herzasthma. Das kann lange Zeit dauern.“ (Die blauen Lippen hatte ich, weil ich schrecklich gefroren habe.) Am schlimmsten war Frau Bolz „Man könnte direkt weinen, so elend sehen sie aus.“ Ich kann Dir sagen, am liebsten hätte ich ihr eine gelangt. Ich bin doch schließlich noch nicht gestorben, daß man um mich weinen müßte. Und außerdem, wenn man fast 3 Wochen nichts gegessen, d.h. drei Wochen fast nichts gegessen und kaum geschlafen hat, da kann man doch schließlich nicht gut aussehen. Wo ich außerdem noch den Husten habe. Das gute Aussehen muß doch mit der Zeit wieder kommen. Ich muß doch schließlich am besten merken, ob es besser wird. Am Samstag hat mir das Gerede eigentlich noch gar nicht so viel ausgemacht, aber als ich gestern mehr liegen mußte, kamen mir die Worte immer wieder ins Gedächtnis. Ich habe alle Energie aufbieten müssen, um nicht selber zu glauben, ich sei ein halber Todeskandidat. Man kommt bald dazu, sich selber zu bemitleiden und das ist doch der größte Kohl. Ich nehme mich sonst immer zusammen und sehe zu, daß es immer ein bißchen besser wird, aber solche alte Tangen können einem alles verderben. Jetzt bin ich ja wieder darüber hinaus. Das gute ist, daß Vater nicht in diese Trauergesänge einstimmt, sonder er ist auch um jede Besserung froh.
Nachdem Helga hingefallen war, hat es Jörg keine Ruhe gelassen und so ist er gestern auch hingesegelt. Er hat sich das Knie aufgestoßen. Nun sind wenigstens beide verpflastert.
Die Amaryllis macht mir wirklich Freude, vor allen Dingen, weil sie jetzt so gut wächst. So treibt die große Pflanze schon das 5te und die kleine, die noch ganz winzig ist, das 2te Blatt. Wir haben alle unsere Freude daran. 
Dieses Mal habe ich 96,- ausbezahlt bekommen. Am Samstag habe ich 30,- an Dich weggeschickt. Helga hat es auf die Post geschafft. Ich habe mir dieses Mal das Haushaltungsgeld etwas reichlicher zugemessen, denn wenn man nicht selber einkaufen geht, kommt mache Aufgabe, mit der man nicht gerechnet hat. Auch für Medizin muß man manche Mark ausgeben. Den Gehaltszettel habe ich übrigens noch nicht erhalten, der wird sicher an einem der nächsten Tage eintrudeln.
Ich wollte eigentlich dieses Mal Brikett bestellen, aber es hat ja keinen Zweck, da ich sie noch nicht schichten kann. Ich denke, dass es auch noch nächsten Monat Zeit haben wird, denn es ist doch immer noch Sommer.
Ich habe heute Helga wegen  dem Fleck auf ihrem Kopf, den sie doch schon länger hat, zu Dr. Baumgärtner geschickt. Es handelt sich um einen rosa Fleck, auf dem sich immer ein ganzer Schuppenberg, oder was das für Zeug ist, bildet. Ich hatte es mit öfterem Waschen versucht. Beim Waschen geht das Zeug wohl runter, aber am nächsten Abend ist es schon wieder da. Dann dachte ich, vielleicht ist die Kopfhaut zu trocken und habe den Fleck eingeölt. Da dauerte die Schuppenbildung länger, aber weg ging es doch nicht. Helga hat nun eine Salbe verschrieben bekommen. Ich muß ihr heute den Kopf waschen, damit die Kruste auf dem Fleck weggeht. Dann direkt auf die Haut Salbe einreiben. Nach 10 Tagen wahrscheinlich zum nochmals waschen und dann neue Salbe einreiben. Nach 14 Tagen muß sie wieder hinkommen. Wir werden ja sehen, wie der Erfolg ist.
Helga erregt überall Aufsehen mit ihren neuen Schuhen von Dir. Alle fragen sie, wo man die kaufen könnte und ob sie auf Bezugschein 1 oder 2 gehen. Helga sagt dann immer, das weiß sie nicht, sie hat die Schuhe von mir geschenkt bekommen. Helga sieht in den Schuhen aber auch wirklich sehr gut aus.
Mir geht es heute soweit gut. Ich bin schon fast den ganzen Vormittag auf, ohne dass es mir viel ausmacht. Nur schnell bewegen darf ich mich noch nicht, sonst wird mir noch der Atem zu kurz. Aber es ist doch schon ganz gut, wenn ich mich nicht ganz schwach fühle, nicht wahr?
 Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Dienstag, 14. Juni 2016

Brief 174 vom 13./14.6.1941


Mein lieber Ernst                                                                          Konstanz, den 13.6.41    

Gerade, als ich den gestrigen Brief an Dich zugeklebt hatte, kam der Briefträger. Er brachte mir Deinen lieben Brief vom 7.6. Heute früh erhielt ich noch dazu Deine lieben Briefe vom 8. und 9.6. Ich danke Dir für alle recht sehr.
Deine Vermutung, daß es mich diesmal richtig gepackt hat, ist richtig. Das siehst du ja schon daran, dass ich jetzt noch nicht ganz auf der Höhe bin. Ich wäre vielleicht schon eher gesund geworden, aber dazu hätte ich Ruhe gebraucht und die hat mir, wie Du Dir denken kannst, vollkommen gefehlt. Die Kinder sind immer noch nicht verständig genug, um zu verstehen, was es heißt, krank sein. Die ersten 2 Tage kann man ja etwas still sein, aber dann wird es langweilig. Die notwendigsten Arbeiten habe ich ja sowieso machen müssen. Dazu haben dann die Kinder täglich hunderte von Fragen. Dann wird rumgetobt, dann händeln sie sich auch einmal, so daß man dazwischen fahren muß. Zum runtergehen haben sie sich ja jetzt immer einen Schlüssel mitgenommen, damit sie nicht immer klingeln müssen. Das hat den Vorteil, daß ich nicht immer aufstehen muß. Aber Du weißt ja, wie es ist. Alle 5 Minuten haben sie etwas anderes. Da wird die Türe zugeschmissen, daß man in die Höhe fährt, wenn man gerade ein bißchen beim einschlafen ist. Sagt man ihnen dann etwas, dann fangen sie an zu heulen vor lauter Reue und nach einigen Minuten habe sie es schon wieder vergessen. Sie tun es auch bestimmt nicht aus Bosheit, sondern sie sind noch zu dumm. Wenn Vater da ist, hat er sie schon ein paar Mal gründlich runtergeputzt und gesagt, daß sie doch Rücksicht auf mich nehmen sollen. Es hat ja alles nicht viel Zweck. Na, das Schlimmste ist ja vorbei und ich will mich beeilen, daß ich bald gesund bin.
Hoffentlich ist Dein Zahn nun tatsächlich in Ordnung; Es wäre ja zu wünschen.
Die mit gesandten Bilder hebe ich auf. Du bist doch gar nicht so schlecht getroffen, daß Du mir erst eine genaue Beschreibung von Dir geben mußt. Ich habe Dich jedenfalls auf jedem Bild erkannt.
Wenn alles so gekommen ist, wie Du schreibst, bist du ja nun schon 1 /2 halbe Woche in Deinem neuen Zimmer. Hoffentlich gefällt es Dir dort auch.
Die Beschreibung Deiner verschiedenen Arbeiten hat mich sehr interessiert. Ich habe daraus entnommen, dass sie Dich auch befriedigt. Da macht man ja alles noch einmal so gern.
Die Briefe an Kurt, Nanni und Legler sind gut. Es ist mir nur ein bißchen peinlich, daß Du nun doch an Legler geschrieben hast, daß Du einen Kurs mitgemacht hast, während wir doch ausgemacht hatten, nichts davon zu erwähnen und ich daraufhin doch an Elsa nur von einem 3 tägigen Urlaub geschrieben habe. Aber es ist ja jetzt gleich.
Wenn Du Gardinen besorgen kannst, ist es mir schon recht. Ich könnte drei Paar brauchen. Zwei oder ein Paar tun es auch. Es wäre für das Schlafzimmer, das Kinderzimmer und die Küche. Für Vorhänge zum zuziehen wäre nötig je 4 mtr80 cm breit(das ist am günstigsten) oder 2 mtr.140 bzw. 150cm breit. Solltest Du aber Scheibengardinen bekommen können, so müßten sie je Scheibe 135 cm lang und 50 cm breit sein. (Also je Fenster, wenn es sich um Stückware handelt, wie es bei uns ist, 270 cm) Stores sind ja auch sehr schön, aber da müßte ich erst eine ganze Zugeinrichtung dazu kaufen und die werde ich jetzt kaum bekommen.
Die Socken von vorigem Jahr, die Du den Kindern geschickt hattest, tragen sie jetzt noch. Sie sind sehr gut. Nur werden sie ihnen bald zu klein. Die Größe war von der Ferse bis zu Spitze 23 cm.
Die Photographie von den zwei Männern hebe ich auf.(Wie die Namen geschrieben werden, weiß ich nicht mehr genau, drum schreibe  ich sie gar nicht erst) Der Dicke gefällt uns allen nicht so gut.
An Alice habe ich noch nicht wieder geschrieben. Ich habe ja an meine Eltern geschrieben, daß ich krank bin und daß sich Alice noch etwas gedulden soll. Wegen Geld für Jörg werde ich nichts schreiben, vielleicht kommen sie selber drauf, daß sie da etwas geben können. Wenn Du so verwundert feststellst, daß die Pralinen schon aufgegessen sind, komme ich mir wahrhaft wie ein Freßsack vor. Wir haben sie doch nicht in einem Tag gegessen, daß wir hätten Leibweh bekommen können. Außerdem waren wir ja zu dritt. Ich kann Dir aber sagen, daß dafür fast noch alle Schokolade da ist und daß ich sie auch gut aufheben werde. Hat es Dich geärgert, daß wir die Pralinen schon aufgegessen haben?
Die 5,- von den Eltern hebe ich auf. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich mich zu einem größeren Ausflug entschließen werde, aber Geld wird ja nicht schlecht.
Nun will ich wieder schließen. Die Kinder fahren nachher in die Stadt zum einkaufen und nehmen den Brief gleich mit. Es ist heute ganz schlechtes Wetter. Den ganzen Tag regnet es.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                            Konstanz, 14.6.41

Zuerst möchte ich Dir heute von mir erzählen. In der letzten Zeit ist es mir ganz verschieden gegangen. Einmal war es sehr gut, ein andermal ging es wieder schlechter. Das hing mir bald zum Halse heraus. Das Atmen ging ja schon ganz gut, d.h. wenn ich nicht viel schaffte. Die letzten Nächte habe ich auch sogar schon durchschlafen können. Aber das richtige war es doch nicht. Da hab ich mir vorgenommen, wenn ich heute Geld holen ging, (denn wen sollte ich sonst schicken) da gehe ich gleich mit zum Doktor. So habe ich es auch gemacht. Es ist ja nicht viel dabei herausgekommen, nur weiß ich jetzt, daß es eine Art Asthma ist. Der Arzt hat mir etwas verschrieben, das den Schleim lösen soll(so etwas habe ich mir auch schon selbst gekauft gehabt) und dann noch Herztropfen. Vielleicht schafft mir das etwas Erleichterung, denn das Herz muß ja schlimm schaffen. Ich habe ihm gleich gesagt, daß ich mich nicht die ganze Zeit hinlegen kann, sondern daß ich das notwendigste schaffen muß. Ich habe ihm auch gesagt, daß ich die Grippe gehabt habe. Also, außer den Herztropfen bleibt alles beim Alten. Ich schaffe das nötigste und lege mich die andere Zeit hin. Wenn ich auf dem Liegestuhl liege, habe ich es jetzt öfter so gemacht, daß ich das Fenster geöffnet habe und tief einatme. Das  ist mir ganz gut bekommen. Es tut ja etwas weh, aber das nehme ich schon mit in Kauf. Viel schaffen kann ich aber noch nicht. Das habe ich heute früh gesehen. Ich bin kaum mehr heimgekommen, trotzdem ich doch mit dem Omnibus gefahren bin. Ich hatte mich angezogen, wie im tiefsten Winter und trotzdem habe ich schrecklich gefroren. Ich habe mich dann gleich hingelegt, habe heißen Tee getrunken und eine heiße Suppe gegessen, das hat mich wieder auf die Beine gebracht. Ich habe dem Arzt auch gesagt, daß ich vollkommen kaputt bin. Er hat mir dann gesagt, er gibt mir erst einmal die Herztropfen zur Erleichterung und Ende der Woche soll ich wieder hinkommen, da werden wir weitersehen.
Um das Kartoffelhäufeln brauche ich mich nicht mehr sorgen. Wahrscheinlich macht es Herr Steinmehl und sonst hat Herr und Frau Leimenstoll gesagt, dass sie es machen wollen. Sie wollen mir auch die notwendigsten Gartenarbeiten machen. Um die Treppe brauche ich mich auch nicht kümmern. Frau Nußbaumer macht sie bis ich wieder gesund bin. Du siehst also, dass ich schon unterstützt werde. Ich werde mir wahrscheinlich nächstes Mal auch von Frau Nußbaumer waschen lassen. Ich muß eben etwas Geld ausgeben, aber meine Gesundheit ist mir lieber.
Doch nun genug davon. Jetzt zu Deinem lieben Brief vom  10.6., den ich vorfand, als ich heimkam. Du wirst also scheinbar nicht so gut mit Post versorgt wie ich augenblicklich. Ich will es nicht beschreien.
Heute steigt also Euer Kameradschaftsabend. Hoffentlich klappt alles. Ich wünsche es Dir von ganzem Herzen und werde mit meinen Gedanken bei Dir sein.
Ihr seid also ganz mit militärischer Pünktlichkeit umgezogen. Ich werde ja bald hören, wie es Dir jetzt gefällt.
Ich schrieb Dir doch gestern, daß es die Kinder noch gar nicht verstehen, was es heißt, krank zu sei. Da kann ich Dir heute ein Beispiel davon geben. Mir ging es gestern ziemlich gut, so daß ich eigentlich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder etwas gelacht habe. Sofort kam Helga und sagte: „Mutterle, weißt Du, was mich freuen würde, wenn Du mit uns Blindekuh spielen würdest.“ Ich sagte zu ihr „Ja Kind, ich bin doch nicht gesund, daß ich so etwas mitmachen könnte.“ Da sagte sie “Ich dachte Du bist wieder gesund, weil Du doch gelacht hast.“
Als ich heute aus dem Omnibus stieg, wurde mir auch eine Überraschung zuteil. Da steht Helga davor mit verbundener Hand und Knie. Ich kann Dir sagen, nachdem es mir schon nicht gut war, habe ich einen Schreck bekommen. Ich dachte sonst was, was passiert ist. Wie es sich dann herausstellte, ist sie heute, als sie in die Schule ging, einem Mädel nachgerannt und ist über den Schirm, den sie dabei hatte, trotzdem ich es nicht gern sehe, geflogen. Da hat sie sich die Finger und das Knie aufgeschlagen. Da es gerade vor dem Hause der Frau Meßmer passiert ist, hat sie sie reingeholt und verbunden. Das war ja nett von der Frau. Helga läuft ja jetzt direkt mit einem Stolz mit ihrem Verband herum. Vor allen Dingen macht es sie ganz stolz, daß alle Leute fragen, was sie denn gemacht hat.
Gestern hatte ich doch die Kinder zum einkaufen geschickt. Sie wußten nun, daß ich gern Zitronen gehabt hatte, dass es aber nicht überall welche gibt. Da haben sie doch welche gesehen, Riesendinger, die nach Pfund abgewogen werden und brachten mir doch 2 Pfund (5 Stück) zu 90 Pfg. Das waren wirklich teure Zitronen, aber ich habe natürlich nicht geschimpft, denn sie haben ganz gestrahlt, weil sie mich damit überraschen konnten. Für`s nächste Mal habe ich natürlich gesagt, sie sollen mich erst fragen.
Gestern hatte ich die Kinder zum Schnittlauch holen geschickt. Als sie wieder rauf kamen, brachten sie mir noch einen ganzen Strauß Schnittlauchblumen mit, weil „die doch auch so schön sind“. Sie stehen nun auch in einer Vase, denn beide wären schwer beleidigt gewesen, wenn ich die Blumen weggeworfen hätte.
Gestern Abend war Vater da. Er hatte mir auch Zitronen besorgen wollen und brachte auch 2 Stück mit, zu je 8 Pfg. Er hatte nicht mehr gebracht, weil sie ihm zu teuer waren. (Siehe den obigen Kauf)Als die Kinder ihr Bärle mit ins Bett nehmen wollten, sagte er zu ihnen, daß doch so große Kinder keinen Bär mehr mit ins Bett nehmen. Da waren aber beide beleidigt. Sogar Tränen hat es gegeben. Die Bärle sind ihnen eben doch sehr ans Herz gewachsen und ich finde auch gar nichts dabei. Ein Bärle heißt Heidemarie. Davon wurde gestern ein Lied im Radio gesungen, von Soldaten. Hinterher meinte er dann „Es war doch gut, daß wir es Heidemarie genannt haben. So gibt es wenigstens ein Lied von ihm.“ Helga hat doch auch schöne Puppen, aber den Bär sticht keine aus.
Ich will nachher noch einen Kuchen backen. Du siehst also, mir geht es jetzt wieder gut. Ich darf eben nur nicht viel schaffen, dann geht es schon. Auch das Atmen geht ganz gut. Ich muß mich  also schon noch eine Weile dem Faulenzertum hingeben, aber ich denke, das werde ich später, wenn ich ganz gesund bin, schon wieder aufholen.
Kurt muß sich mit seiner Phototasche schon noch gedulden, die ich ihm schicken sollte. Sie  ist wahrscheinlich doch oben in der Kiste und es ist eine ziemliche Arbeit, die ganzen Schrauben aufzumachen. Das kann ich jetzt noch nicht. Ich werde es ihm in den nächsten Tagen auch schreiben.
Von meinen Eltern habe ich seit dem Paket auch nichts wieder gehört, trotzdem ich ihnen doch zwei mal geschrieben habe. Na ja, man hat ja auch nicht immer Lust zum schreiben.
Nun will ich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt  und geküßt von Deiner Annie.