Dienstag, 29. September 2015

Brief 69 vom 28./30.9.1940


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 28.Sept. 40.

Kaum war es eine kleine Weile schön, schon ist es wieder vorbei.  Jetzt regnet es schon wieder den ganzen Nachmittag. Ich bin so froh, daß die Äpfel runter sind. Ich hatte Dir gestern geschrieben, daß ich noch 30 Pfund abgenommen habe und die anderen drauf lassen werde. Nun kam gestern ½ 6 Uhr noch der Bob von Leimenstolls, oder war es um 6 Uhr. Also, jedenfalls gerade als ich mit dem Rad fortfahren wollte. Er wollte nochmals auf den Baum. Er ist dann ganz außen rumgeklettert und später hat er die Leiter noch auf den Baum raufgezogen und hat sie auf den Stamm gestellt, wo die Zweige anfangen und hat sie ganz oben an der Spitze fast, aufgehängt. Das hat ganz gefährlich ausgesehen. Er hat mir aber dadurch noch 50 Pfund Äpfel abgenommen und 10 Pfund sind runtergefallen. Wir haben jetzt gerade 5 Ztr.  Äpfel (gepflückte) und 3 Ztr. Falläpfel geerntet.
Ich sage Dir, überall liegen jetzt Äpfel. Im Keller, auf den Schränken, auf den Nachttischchen, auf dem Speiseschränkchen, auf dem Nähtisch, in zwei Kartons unterm Bett, auf Tellern, im Korridor und noch die Zinkwanne voll mit solchen, die schadhaft sind. Außerdem liegt im Ausguß alles voll Falläpfeln und 1 Sack mit 20 Pfund Falläpfel steht auch noch da. Ich kann Dir sagen, das war eine Arbeit, das Auslesen und Versorgen. Ich bin jetzt abends immer schrecklich müde gewesen. Ich bin aber doch sehr froh, daß jetzt das meiste geschafft ist. Heute Abend muß ich noch backen, natürlich wieder Apfelkuchen. Morgen bleiben wir daheim, da mache ich wieder Apfelringe zum Trocknen fertig. 
Lieber Ernst!  Heute wird der Brief einmal kürzer und ich habe Dir eigentlich nur von Äpfeln erzählt.  Aber das wird Dir sicher einmal nichts ausmachen. Ich muß nämlich jetzt fortfahren, denn es ist schon 5 Uhr und wenn ich noch backen will, wird es heute doch spät.  Einen Brief habe ich heute nicht erhalten. 
Mein lieber Mann! Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                              Konstanz 30.Sept.40.

 Gestern, am Sonntag, habe ich gar nicht an Dich geschrieben. Ich habe auch gestern sehr viel zu tun gehabt, denn die Äpfel warten einfach nicht, bis man Lust hat, sondern werden gleich faulig. Später haben wir die Bohnen noch ausgekernt. Es war gut, daß ich sie abgemacht habe, denn von dem vielen Regen werden sie ganz matschig, und einzelne Bohnen hatten schon neue Keime. Vorige Woche ist mir die Arbeit bald über den Kopf gewachsen und hätte ich gestern nicht geschafft, so hätte ich heute mächtig viel zu tun gehabt und das wollte ich nicht, weil morgen Waschtag ist. Da wollte ich mich heute noch ein bißchen ausruhen.
Also weißt Du, die Gartenarbeit ist direkt ein Erholungsurlaub gegen eine Apfelernte. Vater will mir noch ein kleineres Gestell zusammenbauen, auf dem ich noch Äpfel unterbringen kann, damit nicht zu viel in der Wohnung herumliegt. Du bist mir doch sicher nicht böse, daß ich gestern nicht geschrieben habe, nachdem ich Dir die Gründe dafür dargelegt habe.
Von Dir habe ich seit Freitag keine Post mehr erhalten. Ob heute Nachmittag noch was kommt, kann ich noch nicht sagen. Es ist allerdings bereits ½ 4 Uhr.  Bei uns ist heute wieder stürmisches Wetter. Gestern Vormittag hat es auch geregnet, nachdem es schon am Samstag gegossen hat. An Regen fehlt es also nicht. Wir haben infolge dieses schönen Wetters alle drei Husten und Schnupfen. 
Soeben ist der Briefträger vorbei gefahren und hat wieder nichts für uns. Gedulden wir uns also bis morgen.  Vielleicht nehme ich mir heute Abend wieder einmal die Briefmarken vor. Die letzten Tage bin ich nicht dazu gekommen.
Evtl. gehe ich diese Woche einmal ins Kino. Es wird der Film „Achtung, der Feind hört mit“ gespielt. Genau weiß ich es aber noch nicht. Es wäre das erste Mal, daß ich abends allein fortgehe, der Weg ist eben ziemlich weit. Als ich sagte, daß ich einmal fortgehen wollte, hieß es: „Oooch, das ist so schön, wenn Du da bist.“ Sogar ein bißchen heulen wollten sie. 
Nachdem im Garten hinterm Haus der ganze Spinat von den Regenwürmern in die Erde gezogen worden ist, werde ich nochmals im großen Garten welchen säen, nachdem die ersten zwei Reihen bis jetzt ganz gut rausgekommen sind. Es regnet einfach zu viel. Die kleinen Salatsetzlinge, die ich ausgesät hatte, sind ganz an den Boden hingeklatscht.  Nun fängt morgen der Oktober an. Ob in diesem Monat der Urlaub einmal Wirklichkeit wird? Wir wollen es hoffen. Nun, lieber Ernst, sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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