Mein lieber Ernst!
Konstanz, 14.September 40.
Deinen lieben Brief vom 9.September habe ich heute erhalten,
dagegen kam Dein Brief vom 7., den Du erwähnst, noch nicht an. Auch die
restlichen zwei Päckchen habe ich noch nicht erhalten. Ich habe schon beim
Briefträger danach gefragt, der sagte, die würden schon noch kommen, denn wenn
sie auch zusammen aufgegeben wurden, brauchen sie doch nicht zusammen
transportiert zu werden. Also warte ich noch.
Nun zu Deinem lieben Brief. Es freut mich sehr, wenn ich
wieder von Dir höre, daß man versucht, Euch das Leben dort so angenehm als
möglich zu machen. Es ist auch recht, daß Du die Gelegenheiten zum Kino und
Theaterbesuch ausnützt. Später werden wir doch sicher nicht viel dazu kommen.
Auch, daß Du die Fahrten überall hin mit machst, ist recht, denn man kann nicht
genug sehen. Wenn ich mir die Bilder von Paris ansehe, so kommt mir der
Gedanke, als wenn Paris auf Kosten aller anderen Städte in Frankreich so schön
gebaut worden sei. Es kommt mir so vor, als verkörperte das Land den Charakter
der Franzosen. Oben viel Putz und drunter nix gescheites, ich meine also, Paris
ist das Aushängschild und auf das übrige kommt es nicht so an. Indem man auf
Paris weist, sagt man: Seht, sind wir nicht eine Kulturnation, haben wir hier
nicht die Zivilisation für uns gepachtet? Auch im Benehmen sind die Franzosen
doch so, gerade auch Euch gegenüber, ins Gesicht höflich und zuvorkommend,
hinten herum voll finsterer Gedanken. Ich weiß ja nicht, ob es richtig ist, wie
ich es mir so vorstelle, denn ich kenne ja das Land nicht persönlich. Ich würde
mich aber freuen, wenn Du Dich einmal dazu äußern würdest.
Ich muß feststellen, daß Du das Wecken durch Radio
vortrefflich organisiert hattest. Ist denn Dein Kamerad, der im gleichen Hause
wohnt, nicht mitgefahren? Über das Bild von Dir habe ich mich auch sehr
gefreut. Gegen das Bild, welches von Dir in Köln gemacht wurde, bist Du im
Gesicht voller geworden. Wenn ich wieder so ein Bild von Dir sehe, möchte ich
Dich am liebsten gleich herholen.
Für mein Geburtstagsgeld habe ich mir heute eine
Gummischürze gekauft. Eine viel festere , als das erste Mal. Sie kostet aber
natürlich auch entsprechend mehr, 5.10 M. Aber ich habe es gemerkt, man schont
doch die guten Schürzen, wenn man eine Gummischürze hat. Dann habe ich mir noch
ein paar Kniestrümpfe gekauft. Mit langen Strümpfen bin ich ja schon durch Dich
versorgt worden. Die Kniestrümpfe gab es ohne Punkte, als eine Sonderzuteilung
und meine Kniestrümpfe sind, bis auf 1 Paar, nichts mehr viel gewesen.
Heute Nacht fing es an zu stürmen und zu regnen, heute Mittag
hatte es ein Gewitter mit Sturm, etwas Hagel und viel Regen. Da sind heute 7
Pfund Äpfel runtergeplumpst. Da habe ich gleich einen Apfelkuchen für morgen
gebacken. Schade, daß ich Dir davon keinen schicken kann. Es freut mich auch
sehr, daß Dir das Gebäck schmeckt, das wir Dir geschickt haben. Das soll es ja
auch, sonst wäre es ja kein Vergnügen für Dich, wenn Du welches bekommst.
Lieber Ernst, da ich keinen Apfelkuchen schicken kann, habe
ich Dir einen anderen gebacken. Der wird Dir hoffentlich auch schmecken. Ich
kann ihn aber erst am Montag wegschicken, denn jetzt ist er noch warm. Da würde
er zusammenfallen. Jetzt habe ich noch
eine neue Seite angefangen, wenn ich auch nichts mehr zu schreiben habe, aber
ich kann doch die Grüße an Dich nicht in eine Ecke quetschen, das siehst Du
doch sicher ein. Also, mein lieber
Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 15.Sept. 1940
Das war heute wieder eine Überraschung. Es kamen Deine
restlichen zwei Päckchen an, sowie Dein lieber Brief vom 7.September und die
Zeitungen. Ernst, Du bist ein
großartiger Kerl, ein Prachtkerl, ein lieber Kerl. Ach, was soll ich noch schreiben,
ich habe mich so riesig gefreut, als ich die Päckchen öffnete. Erstens mal der
schöne Stoff und dann die schöne weiße Bluse und das Jäckchen. Also, das hat
mir am allermeisten gefallen. So etwas habe ich noch nie gehabt. Und kleiden
tut es mich einfach prima. Du wirst es ja selbst einmal sehen, wenn Du auf
Urlaub kommst. Und dann noch der wirklich wunderschöne Unterrock und die
schönen Höschen. Alles ist einfach
schön, wunderschön, prima. Ich freue mich riesig. Jetzt mußt Du aber bestimmt
auf Urlaub kommen, damit ich Dir einmal richtig danken kann. Einstweilen danke
ich Dir wieder schriftlich recht herzlich für all die schönen Sachen, die Du
mir geschickt hast. Nun schreibst Du
auch noch, daß Du vielleicht auf Urlaub kommst. Da wäre ja mein Glück vollkommen.
Aber ich getraue mich noch gar nicht zu freuen. Wenn es dann wieder eine Enttäuschung gibt? Bloß ganz heimlich
freue ich mich schon ein wenig.
Wo wirst Du heute am Sonntag sein? Wir sitzen zu hause, denn
es gießt heute wieder wie mit Kannen. Wenn es etwas aufhört, bringe ich den
Brief noch fort.
¾ 4 Uhr. Es hat sich jetzt etwas aufgeklärt und sofort sind
auch die Kinder runter gesprungen. Sie müssen sich erst langsam an das in der
Stube sitzen gewöhnen. Bis jetzt gefällt es ihnen nicht so sehr. Unten ist es
eben doch schöner. Es ist schade, daß
es jetzt so viel regnet. Die meisten Tomaten platzen. Wir haben ja nicht mehr
so viel dran, aber es ist um jede schade.
Wenn Du ja so Urlaub bekämst, wie Du schreibst, dann könnten wir
vielleicht die Äpfel abnehmen, wenn Du kommst. Da brauchte ich gar nicht fremde
Leute zu bitten. Bei uns hier waren jetzt acht gefangene Franzosen abgerückt,
die hatten bei einem Bauern geschafft und bei der Heimfahrt mit einem
Erntewagen, bei dem sie hinterher liefen, waren sie auf einmal verschwunden.
Drei Tage hat man sie im Wald gesucht, bis man sie gefunden hat. Die Gefangenen
sind doch im „Schauinsland-Saal“ untergebracht. Lieber Ernst! Nun möchte ich für heute schließen, denn sonst
regnet es erst wieder fest. Ich danke Dir nochmals für alles und grüße und
küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Wunderst Du Dich nicht, daß ich aller paar Wochen andere Briefumschläge
verwende? Ich bekomme immer auf einmal 25 Stück und wenn ich wieder welche
kaufe, haben sie die anderen nicht mehr.
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