Mein lieber Ernst!
Konstanz, 22.Sept. 1940
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 18.9. in dem Du
mir nun leider mitteilst, daß es mit Deinem Urlaub wieder nichts wird. Die
Enttäuschung war doch wieder groß, wenn ich mir auch vorgenommen hatte, mich
nicht vorher zu freuen. Aber auch bei Dir wird die Enttäuschung groß gewesen
sein. Vorläufig werde ich also die Hoffnung auf Urlaub einmal begraben, denn
wer weiß, was im Oktober ist. Euer Chef
wird schon solange zögern, bis einmal Urlaubssperre eintritt. Nach 19 Wochen
hätten sie Dir schon Urlaub geben können, denn sogar der Pfluger, der doch nach
Dir zum Militär gekommen ist, hat schon Urlaub bekommen. Wenn Du ja einmal
Urlaub haben solltest, wie viele Tage bekämst Du da bestimmt? Schreib mir‘s
doch bitte mal.
Die Äpfel werde ich also jetzt runter nehmen müssen, denn
heute Nacht sind ganze 25 Pfund runter gefallen und gestern 15 Pfund. Sie sind
eben reif. Der größere Junge im Haus will auf den Baum rauf klettern. Es ist
doch schade, wenn so viele Äpfel abfallen, denn man kann sie doch nicht lange
aufheben.
5 Uhr nachmittags.
Da es sich noch aufgeklärt hat, habe ich gleich noch mit Äpfel abnehmen
angefangen. Ich habe unten rum mit dem Apfelpflücker abgepflückt und zwar 83
Pfund. Meinst Du, man sieht, daß welche abgepflückt sind? Keine Ahnung. Der Baum hängt noch dick voll.
Wir haben bis jetzt 2 Ztr. Falläpfel gehabt und die 85 Pfund, die ich heute
abgepflückt habe. Auf dem Baum hängen noch ein paar Zentner. Ich weiß gar nicht,
wo ich die Äpfel alle hin tun soll. Aber Freude macht so eine Ernte doch. Durch das Schaffen bin ich jetzt auch etwas
über die Enttäuschung weggekommen.
Heute früh habe ich erst heulen müssen. Jetzt bin ich aber
wieder tapfer und ich werde mit Geduld warten, bis Du einmal heimkommst. Jetzt
war es doch gut, daß ich Dir noch den Kuchen geschickt habe. Erst dachte ich,
er erreicht Dich dort vielleicht gar nicht mehr. Hat er geschmeckt? Hoffentlich ist er nicht ganz zerbrochen
angekommen.
Es freut mich wirklich, daß Ihr dort so gut betreut werdet bzg.
der Unterhaltung, denn wenn man fremd ist, wird es einem viel eher langweilig
als daheim. Die Brüsseler Zeitung mit
dem Stück Frankfurter Zeitung habe ich heute auch erhalten. Der Artikel „So
fiel die Maginot Linie“ hat mich sehr interessiert. Den Artikel von Gent habe
ich auch gelesen. Da war es mir besonders interessant, daß ich noch ein Bild
von Dir von der Burg Gravenstein da hatte. Das habe ich mir jetzt schon öfter
angesehen. Zum Ansehen muß die Burg ja schön sein, nur für die armen Opfer von
früher nicht. Ist der Eindruck der Burg gewaltig? Oder nur sehr düster? In
Deutschland sind ja dank der Franzosen die Burgen nur noch Ruinen.
Mein lieber, lieber Ernst! Wir wollen hoffen, daß es mit
Deinem Urlaub doch noch einmal etwas wird. So lange wir noch gesund sind,
wollen wir nicht unzufrieden sein.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst!
Konstanz, 23.Sept.40.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 14.9., nachdem ich
gestern schon den vom 18.9 erhalten habe. Recht vielen Dank dafür. Seit Gestern ernte ich nun den Baum ab, d.h.
ich mache es eigentlich nicht allein. Der Emil von Leimenstolls ist heute bis
in die Spitze des Baumes geklettert und hat ganz oben abgepflückt und zwar
etwas über 1 Ztr. Du kannst dir denken, wie es jetzt bei uns aussieht. Äpfel, wohin Du auch guckst. Im Keller, auf
Schränken, auf der Truhe und dem Regal im Korridor, in Kartons unterm Bett. 30
Pfund habe ich an Steinmehls verkauft und 10 Pfund an Frau Nußbaumer. Du wirst
sicher nichts dagegen haben. Heute Abend will der Emil nochmals. Ich weiß nun
gar nicht mehr wohin mit allen Äpfeln. Aber ich verstaue sie, wohin es geht.
Ich habe sie natürlich alle gut sortiert. Im Winter werden wir um jeden Apfel
froh sein. Fallobst hat es heute Nacht wieder 12 Pfund gegeben. Ich werde auch
noch Apfelringe trocknen und evtl. noch Apfelmus einkochen. Aber augenblicklich
kann ich nicht, denn ich bin vom sortieren, versorgen und gestern vom pflücken
ziemlich müd. Weißt Du übrigens, was
jetzt manchmal meine Abenderholung ist? Deine Briefmarken abweichen und
einsortieren. Wenn ich abends zu müd zum schaffen oder lesen bin, hole ich mir
die Briefmarken vor. Da habe ich jetzt direkt Freude dran. Wenn ich auch
vielleicht nicht alles richtig einsortiere, aber das Vergleichen und Suchen, wo
die Marken hingehören, ist mir Erholung und das ist ja die Hauptsache, na, und
dass ich Dir nichts verderbe, weißt Du ja.
Übrigens habe ich mit der Jacke, die Du mir geschenkt hast,
ungeahnte Erfolge. Im Haus werde ich bewundert, bei Tengelmanns auch und sogar von Soldaten. Was sagst Du nun? Frau
Nußbaumer sagt: Wunderschön ist die Jacke, die kleidet sie vortrefflich, ganz
jung sehen sie darin aus. Bei Tengelmanns: Die Jacke ist aber schön und wie gut
sie sie kleidet. Die Soldaten, ca. 34 Stück, als ich vorbeifuhr: „Oho, oho“ und
schauen hinterher. Na, wenn ich nun nicht eitel werde. Und wem verdanke ich
das? Dir lieben, lieben Kerl, Dir, mein lieber Ernst.
Mir selber gefällt die Jacke auch wunderschön und ganz
schlank sehe ich darin aus. Du mußt nun keine Angst haben, daß ich wirklich
eitel werde, aber schön ist es doch, wenn man mal was Nettes anzuziehen hat.
Jetzt will ich mich beeilen, daß ich noch in die Stadt komme. Ich weiß nicht,
wann der Emil aus der Schule kommt. Beim pflücken möchte ich doch dabei sein.
Wie schon früher einmal gesagt, ich hätte Dir nur gewünscht, daß Du den vollen
Baum einmal gesehen hättest, es war eine Pracht. Nun, lieber Ernst, will ich wieder schließen. Ich habe Dich ja so
lieb und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Die Hauptsache habe ich natürlich vergessen. Ich habe heute
Dein liebes Päckchen mit der Wolle bekommen. Die blaue Wolle gefällt mir wieder
sehr gut. Ich bin überhaupt schon lange zu der Überzeugung gekommen, daß man
Deinem guten Geschmack jederzeit vertrauen darf.
Lieber Ernst, ich danke Dir auch für dieses Päckchen wieder
ganz herzlich.
Mein lieber
Mann! Konstanz, 24.Sept.40
Heute bekam ich
Deine beiden lieben Briefe vom 19. und 20. Sept., über die ich mich sehr
gefreut habe. Bezüglich der Päckchensendungen bist Du doch ein böser,
bitterböser Spötter. Wenn auch kein Geburtstag mehr ist, so mußt Du doch
einsehen, daß ich auch ausnahmsweise einmal ein Päckchen senden kann, Ausnahmen
müssen doch auch einmal gemacht werden. Das siehst Du doch hoffentlich ein, Du
lieber Kerl?
Wegen der Luftschutzübung hat es sowieso Ärger gegeben, aber
das erzähle ich Dir in Deinem Urlaub. Übrigens ist der feindliche Fliegerbesuch
bei uns sehr selten. Seit ich es Dir geschrieben habe, haben wir keinen mehr
gehabt. Inzwischen habe ich Dir ja mitgeteilt, daß ich den Apfelbaum schon
abnehmen lasse. Dieses Jahr sind die Äpfel schon eher reif gewesen. Der Junge
hat gestern Nachmittag nochmals über 1 Ztr. abgenommen. Heute wollte er wieder
auf den Baum, aber heute Nacht hat es ein Gewitter gegeben und heute regnet es
den ganzen Tag. Da geht es nicht. Über 10 Pfund Falläpfel haben auch heute früh
wieder unten gelegen. Beim Pflücken sind auch ca. 6 Pfund runtergefallen, denn wenn man an manche Äste nur dran
kommt, fallen die Äpfel schon. Schmecken tun die Äpfel wieder prima. Ich habe
in der Küche schon zwei große Schnüre mit Apfelringen hängen. Es hat mir doch
keine ruhe gelassen, denn es soll doch nichts umkommen. Im Ganzen haben wir bis
jetzt geerntet: 3 Ztr. gepflückte Äpfel 230 Pfund Falläpfel. Es sind aber noch
ziemlich Äpfel auf dem Baum. Wegen dem Garten brauchst Du Dir keine Sorge zu machen.
Der große Garten ist schon fertig umgegraben, bis auf die Beete mit Kraut, das
Gurkenbeet und 6 Reihen Stangenbohnen. Die übrigen Stangenbohnen, die schon
dürr waren, habe ich abgemacht und auch entkernt, ebenso die Busch und
halbhohen Bohnen. Neben dem Gurkenbeet hatten wir im Frühjahr Erbsen und dann
haben sich die Gurken drüber gerankt. Die sind aber jetzt im Absterben, so daß
das Beet wieder frei liegt. Da die Erde doch da noch nicht ausgesaugt ist, habe
ich dort noch Spinat gesät und bei den Tomaten noch Ackersalat. Die Erdbeerbeete sind auch ausgeputzt und
umgegraben. Der Garten wäre also in Ordnung. Im kleinen Garten konnte ich die
Kartoffeln noch nicht raus machen, da das Kraut noch grün ist. Acht Pfirsiche
haben wir auch geerntet. Die waren auch schon überreif, so daß wir Dir gar
keinen aufheben können.
Unseren beiden Stromern geht es wieder soweit gut. An das
Spielen im Zimmer hat sich Jörg schon wieder gewöhnt. Da muß ich Dir auch noch was von Helga erzählen. Heute früh
unterhielten sich die Kinder, ich weiß nicht, über was. Ich habe nur noch den
Schluß gehört. Da sagt Jörg zu Helga: ....das machst Du dann so wie ich es Dir
sage.“ „Nein“, sagt Helga, „das mache ich wie ich will, ich habe auch meinen
Willen.“ Was sagst Du nun? Dann noch etwas. Helga setzt sich so gern bei mir
auf den Schoß und hat es überhaupt gern, wenn ich ein bißchen lieb zu ihr bin.
So auch heute wieder. Sie fing dann an zu heulen und sagte: “Jetzt muß ich nun
in die Schule und ich habe Dich doch so lieb, daß ich gar nicht von Dir fort
will. Ich will immer bei Dir bleiben.“ Ich sagte zu ihr: „Weißt Du, Du kannst
doch nicht immer bei mir sein, warte nur, wenn Du mal heiratest, dann gehst Du
auch fort.“ Weißt Du, was sie darauf sagt: „Weißt Du, Mutterle, ich warte
einfach mit dem Heiraten bis ich dreißig bin.“ Da habe ich doch grad loslachen
müssen.
Die gewünschten M 15, lasse ich Dir wieder in drei Briefen
zugehen. Heute schicke ich die ersten
5.-Mk. Wie Du es mit dem 2.Anzug machen willst ist es ganz recht. Ob meine Eltern über Deinen Brief beleidigt
sind, wirst Du ja sehen. Wie Du schon schreibst, ändern könnte man es
nicht.
Du schreibst, es ist recht, daß ich mich nicht eher über
Dein Kommen freue, bevor Du da bist. Du hast ja nun aus meinem anderen Brief
ersehen, was aus diesem Vorsatz geworden ist. Ich habe Dich halt zu lieb, um
mich nicht doch zu freuen, wenn ich höre, daß Du Urlaub bekommst.
Die Briefmarken vom Elsaß hebe ich Dir auf. Auch die anderen
Marken werde ich wieder versorgen. Jetzt bin ich ein paar Abende nicht dazu
gekommen, aber ich habe Dir ja auch wegen den Briefmarken schon
geschrieben. Siegfried hat mir von
Neustadt eine Karte geschrieben. Von einer Dienstfahrt ist er mit nach Neustadt
gefahren. Sein Dienst ist ja jetzt schon auszuhalten. Nun, lieber Ernst, bin ich am Schluß meines Briefes angelangt.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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