Mittwoch, 23. September 2015

Brief 67 vom 22./23./24.9.1940


Mein lieber Ernst!                                          Konstanz, 22.Sept. 1940   

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 18.9. in dem Du mir nun leider mitteilst, daß es mit Deinem Urlaub wieder nichts wird. Die Enttäuschung war doch wieder groß, wenn ich mir auch vorgenommen hatte, mich nicht vorher zu freuen. Aber auch bei Dir wird die Enttäuschung groß gewesen sein. Vorläufig werde ich also die Hoffnung auf Urlaub einmal begraben, denn wer weiß, was im Oktober ist.  Euer Chef wird schon solange zögern, bis einmal Urlaubssperre eintritt. Nach 19 Wochen hätten sie Dir schon Urlaub geben können, denn sogar der Pfluger, der doch nach Dir zum Militär gekommen ist, hat schon Urlaub bekommen. Wenn Du ja einmal Urlaub haben solltest, wie viele Tage bekämst Du da bestimmt? Schreib mir‘s doch bitte mal. 
Die Äpfel werde ich also jetzt runter nehmen müssen, denn heute Nacht sind ganze 25 Pfund runter gefallen und gestern 15 Pfund. Sie sind eben reif. Der größere Junge im Haus will auf den Baum rauf klettern. Es ist doch schade, wenn so viele Äpfel abfallen, denn man kann sie doch nicht lange aufheben.
5 Uhr nachmittags.   Da es sich noch aufgeklärt hat, habe ich gleich noch mit Äpfel abnehmen angefangen. Ich habe unten rum mit dem Apfelpflücker abgepflückt und zwar 83 Pfund. Meinst Du, man sieht, daß welche abgepflückt sind?  Keine Ahnung. Der Baum hängt noch dick voll. Wir haben bis jetzt 2 Ztr. Falläpfel gehabt und die 85 Pfund, die ich heute abgepflückt habe. Auf dem Baum hängen noch ein paar Zentner. Ich weiß gar nicht, wo ich die Äpfel alle hin tun soll. Aber Freude macht so eine Ernte doch.  Durch das Schaffen bin ich jetzt auch etwas über die Enttäuschung weggekommen.
Heute früh habe ich erst heulen müssen. Jetzt bin ich aber wieder tapfer und ich werde mit Geduld warten, bis Du einmal heimkommst. Jetzt war es doch gut, daß ich Dir noch den Kuchen geschickt habe. Erst dachte ich, er erreicht Dich dort vielleicht gar nicht mehr. Hat er geschmeckt?  Hoffentlich ist er nicht ganz zerbrochen angekommen. 
Es freut mich wirklich, daß Ihr dort so gut betreut werdet bzg. der Unterhaltung, denn wenn man fremd ist, wird es einem viel eher langweilig als daheim.  Die Brüsseler Zeitung mit dem Stück Frankfurter Zeitung habe ich heute auch erhalten. Der Artikel „So fiel die Maginot Linie“ hat mich sehr interessiert. Den Artikel von Gent habe ich auch gelesen. Da war es mir besonders interessant, daß ich noch ein Bild von Dir von der Burg Gravenstein da hatte. Das habe ich mir jetzt schon öfter angesehen. Zum Ansehen muß die Burg ja schön sein, nur für die armen Opfer von früher nicht. Ist der Eindruck der Burg gewaltig? Oder nur sehr düster? In Deutschland sind ja dank der Franzosen die Burgen nur noch Ruinen. 
Mein lieber, lieber Ernst! Wir wollen hoffen, daß es mit Deinem Urlaub doch noch einmal etwas wird. So lange wir noch gesund sind, wollen wir nicht unzufrieden sein. 
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 23.Sept.40. 

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 14.9., nachdem ich gestern schon den vom 18.9 erhalten habe. Recht vielen Dank dafür.  Seit Gestern ernte ich nun den Baum ab, d.h. ich mache es eigentlich nicht allein. Der Emil von Leimenstolls ist heute bis in die Spitze des Baumes geklettert und hat ganz oben abgepflückt und zwar etwas über 1 Ztr. Du kannst dir denken, wie es jetzt bei uns aussieht.  Äpfel, wohin Du auch guckst. Im Keller, auf Schränken, auf der Truhe und dem Regal im Korridor, in Kartons unterm Bett. 30 Pfund habe ich an Steinmehls verkauft und 10 Pfund an Frau Nußbaumer. Du wirst sicher nichts dagegen haben. Heute Abend will der Emil nochmals. Ich weiß nun gar nicht mehr wohin mit allen Äpfeln. Aber ich verstaue sie, wohin es geht. Ich habe sie natürlich alle gut sortiert. Im Winter werden wir um jeden Apfel froh sein. Fallobst hat es heute Nacht wieder 12 Pfund gegeben. Ich werde auch noch Apfelringe trocknen und evtl. noch Apfelmus einkochen. Aber augenblicklich kann ich nicht, denn ich bin vom sortieren, versorgen und gestern vom pflücken ziemlich müd.  Weißt Du übrigens, was jetzt manchmal meine Abenderholung ist? Deine Briefmarken abweichen und einsortieren. Wenn ich abends zu müd zum schaffen oder lesen bin, hole ich mir die Briefmarken vor. Da habe ich jetzt direkt Freude dran. Wenn ich auch vielleicht nicht alles richtig einsortiere, aber das Vergleichen und Suchen, wo die Marken hingehören, ist mir Erholung und das ist ja die Hauptsache, na, und dass ich Dir nichts verderbe, weißt Du ja. 
Übrigens habe ich mit der Jacke, die Du mir geschenkt hast, ungeahnte Erfolge. Im Haus werde ich bewundert, bei Tengelmanns auch und  sogar von Soldaten. Was sagst Du nun? Frau Nußbaumer sagt: Wunderschön ist die Jacke, die kleidet sie vortrefflich, ganz jung sehen sie darin aus. Bei Tengelmanns: Die Jacke ist aber schön und wie gut sie sie kleidet. Die Soldaten, ca. 34 Stück, als ich vorbeifuhr: „Oho, oho“ und schauen hinterher. Na, wenn ich nun nicht eitel werde. Und wem verdanke ich das? Dir lieben, lieben Kerl, Dir, mein lieber Ernst.
Mir selber gefällt die Jacke auch wunderschön und ganz schlank sehe ich darin aus. Du mußt nun keine Angst haben, daß ich wirklich eitel werde, aber schön ist es doch, wenn man mal was Nettes anzuziehen hat. Jetzt will ich mich beeilen, daß ich noch in die Stadt komme. Ich weiß nicht, wann der Emil aus der Schule kommt. Beim pflücken möchte ich doch dabei sein. Wie schon früher einmal gesagt, ich hätte Dir nur gewünscht, daß Du den vollen Baum einmal gesehen hättest, es war eine Pracht.  Nun, lieber Ernst, will ich wieder schließen. Ich habe Dich ja so lieb und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Die Hauptsache habe ich natürlich vergessen. Ich habe heute Dein liebes Päckchen mit der Wolle bekommen. Die blaue Wolle gefällt mir wieder sehr gut. Ich bin überhaupt schon lange zu der Überzeugung gekommen, daß man Deinem guten Geschmack jederzeit vertrauen darf.
Lieber Ernst, ich danke Dir auch für dieses Päckchen wieder ganz herzlich.


 Mein lieber Mann!                                             Konstanz, 24.Sept.40

 Heute bekam ich Deine beiden lieben Briefe vom 19. und 20. Sept., über die ich mich sehr gefreut habe. Bezüglich der Päckchensendungen bist Du doch ein böser, bitterböser Spötter. Wenn auch kein Geburtstag mehr ist, so mußt Du doch einsehen, daß ich auch ausnahmsweise einmal ein Päckchen senden kann, Ausnahmen müssen doch auch einmal gemacht werden. Das siehst Du doch hoffentlich ein, Du lieber Kerl?
Wegen der Luftschutzübung hat es sowieso Ärger gegeben, aber das erzähle ich Dir in Deinem Urlaub. Übrigens ist der feindliche Fliegerbesuch bei uns sehr selten. Seit ich es Dir geschrieben habe, haben wir keinen mehr gehabt. Inzwischen habe ich Dir ja mitgeteilt, daß ich den Apfelbaum schon abnehmen lasse. Dieses Jahr sind die Äpfel schon eher reif gewesen. Der Junge hat gestern Nachmittag nochmals über 1 Ztr. abgenommen. Heute wollte er wieder auf den Baum, aber heute Nacht hat es ein Gewitter gegeben und heute regnet es den ganzen Tag. Da geht es nicht. Über 10 Pfund Falläpfel haben auch heute früh wieder unten gelegen. Beim Pflücken sind auch ca.  6 Pfund runtergefallen, denn wenn man an manche Äste nur dran kommt, fallen die Äpfel schon. Schmecken tun die Äpfel wieder prima. Ich habe in der Küche schon zwei große Schnüre mit Apfelringen hängen. Es hat mir doch keine ruhe gelassen, denn es soll doch nichts umkommen. Im Ganzen haben wir bis jetzt geerntet: 3 Ztr. gepflückte Äpfel 230 Pfund Falläpfel. Es sind aber noch ziemlich Äpfel auf dem Baum. Wegen dem Garten brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Der große Garten ist schon fertig umgegraben, bis auf die Beete mit Kraut, das Gurkenbeet und 6 Reihen Stangenbohnen. Die übrigen Stangenbohnen, die schon dürr waren, habe ich abgemacht und auch entkernt, ebenso die Busch und halbhohen Bohnen. Neben dem Gurkenbeet hatten wir im Frühjahr Erbsen und dann haben sich die Gurken drüber gerankt. Die sind aber jetzt im Absterben, so daß das Beet wieder frei liegt. Da die Erde doch da noch nicht ausgesaugt ist, habe ich dort noch Spinat gesät und bei den Tomaten noch Ackersalat.  Die Erdbeerbeete sind auch ausgeputzt und umgegraben. Der Garten wäre also in Ordnung. Im kleinen Garten konnte ich die Kartoffeln noch nicht raus machen, da das Kraut noch grün ist. Acht Pfirsiche haben wir auch geerntet. Die waren auch schon überreif, so daß wir Dir gar keinen aufheben können. 
Unseren beiden Stromern geht es wieder soweit gut. An das Spielen im Zimmer hat sich Jörg schon wieder gewöhnt.  Da muß ich Dir auch noch was von Helga erzählen. Heute früh unterhielten sich die Kinder, ich weiß nicht, über was. Ich habe nur noch den Schluß gehört. Da sagt Jörg zu Helga: ....das machst Du dann so wie ich es Dir sage.“ „Nein“, sagt Helga, „das mache ich wie ich will, ich habe auch meinen Willen.“ Was sagst Du nun? Dann noch etwas. Helga setzt sich so gern bei mir auf den Schoß und hat es überhaupt gern, wenn ich ein bißchen lieb zu ihr bin. So auch heute wieder. Sie fing dann an zu heulen und sagte: “Jetzt muß ich nun in die Schule und ich habe Dich doch so lieb, daß ich gar nicht von Dir fort will. Ich will immer bei Dir bleiben.“ Ich sagte zu ihr: „Weißt Du, Du kannst doch nicht immer bei mir sein, warte nur, wenn Du mal heiratest, dann gehst Du auch fort.“ Weißt Du, was sie darauf sagt: „Weißt Du, Mutterle, ich warte einfach mit dem Heiraten bis ich dreißig bin.“ Da habe ich doch grad loslachen müssen. 
Die gewünschten M 15, lasse ich Dir wieder in drei Briefen zugehen.  Heute schicke ich die ersten 5.-Mk. Wie Du es mit dem 2.Anzug machen willst ist es ganz recht.  Ob meine Eltern über Deinen Brief beleidigt sind, wirst Du ja sehen. Wie Du schon schreibst, ändern könnte man es nicht. 
Du schreibst, es ist recht, daß ich mich nicht eher über Dein Kommen freue, bevor Du da bist. Du hast ja nun aus meinem anderen Brief ersehen, was aus diesem Vorsatz geworden ist. Ich habe Dich halt zu lieb, um mich nicht doch zu freuen, wenn ich höre, daß Du Urlaub bekommst. 
Die Briefmarken vom Elsaß hebe ich Dir auf. Auch die anderen Marken werde ich wieder versorgen. Jetzt bin ich ein paar Abende nicht dazu gekommen, aber ich habe Dir ja auch wegen den Briefmarken schon geschrieben.  Siegfried hat mir von Neustadt eine Karte geschrieben. Von einer Dienstfahrt ist er mit nach Neustadt gefahren. Sein Dienst ist ja jetzt schon auszuhalten.  Nun, lieber Ernst, bin ich am Schluß meines Briefes angelangt. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


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