Dienstag, 1. September 2015

Brief 57 vom 1./2.9.1940


Lieber Ernst!                                                                                      1.September.

 Nun ist unser 9. Hochzeitstag da. Du wirst heute sicher auch besonders an mich denken, wie ich dies ja auch tue. Diese 9 Jahre sind doch so schnell herumgegangen und es waren schöne Jahre. Was wirst Du heute tun?  Heute früh kam Dein lieber Brief vom 26.8. mit der Beschreibung Eurer Autofahrt. Solche Berichte interessieren mich immer sehr und ich freue mich, daß Du Gelegenheit hast, so viel zu sehen.
Ich glaube gern, daß unsere Stuka-Angriffe furchtbar sind, denn umsonst haben unsere Feinde auch nicht solche Furcht davor.  Das ist eigenartig, daß es in Belgien so viel sauberer ist als in Frankreich. Ich hatte gemeint, da wäre gar kein Unterschied. 
Gleichzeitig kam heute Dein Geburtstagsbrief an mich an. Das ist wieder ein so lieber Brief, den werde ich mir jeden Abend durchlesen und dann kommt er auf den Geburtstagstisch. Ich danke Dir für Deine guten Wünsche, die ja auch die meinen sind, daß wir gesund bleiben und daß wir uns bald einmal wieder sehen. Gleichzeitig danke ich Dir auch für das Lob, das Du mir wieder gespendet hast. Ich werde es immer wieder zu rechtfertigen suchen. 
Daß Du nicht gleich für immer heim kommen kannst, sehe ich vollkommen ein, denn dazu ist die Zeit noch nicht gekommen. Aber über einen Urlaub würde ich mich sehr freuen, wenn auch der Abschied dann wieder sehr schwer wär. Wir könnten uns dann doch auch wieder einmal richtig aussprechen. 
Dein Geburtstagsgeschenk für mich ist ja, wie ich schon schrieb, angekommen und ich habe mich sehr darüber gefreut. Wie ich aus Deinem Brief ersehe, hast Du ja schon wieder weitere Sachen für mich gekauft. Du denkst immer an mich, vergiß Dich nur selber darüber nicht. Du sollst auch keinen Mangel leiden.
Wenn Du mir noch zwei Blusen und zwei Schürzen schenkst, so freue ich mich sehr darüber. Ich hatte nämlich vorgehabt, mir noch ein paar Schürzen zu kaufen, nur muß ich erst auf die neue Kleiderkarte warten.
Die kupferrote Wolle gefällt mir ebenfalls. Es ist ja nicht unbedingt nötig, daß es blaue ist. Kupferrot macht wahrscheinlich sogar noch ein frischeres Aussehen. 
An meinem Geburtstag werden wir auch noch besonders an Dich denken, denn an diesem Tag sind ja Deine Gedanken auch bei uns. 
Heute Nachmittag gehen wir mit Vater auf die Messe. Wir holen ihn um 4 Uhr ab. Da staunst Du, nicht wahr? Ja, ich bezahle sogar morgen für ihn die Miete beim Fischer. Da braucht er nicht in die Stadt laufen und kann dafür im Garten schaffen. Du siehst aber sicher auch daraus, daß wir ganz gut miteinander auskommen. Das wird Dir doch sicher nur recht sein. Wenn Vater manchmal rauf kommt, lese ich ihm die Briefe von Dir vor, natürlich nur, was ihn auch angeht.
Z.B. von unserem Hochzeitstag oder den Geburtstagsbrief, den lese ich nicht vor, denn das ist ja nur für mich bestimmt.  Aber Deine Fahrtenbriefe die hört er auch gern.  Übrigens hat Kurt noch gar nicht geschrieben, seit er von seinem Urlaub zurückgefahren ist. Wir haben nicht einmal seine Adresse. Vater fragt auch immer danach.   Jetzt muß ich Dir noch etwas von Helga erzählen, woran man sieht, wie sie so langsam groß wird. Sie muß doch wieder in die Schule. Da freut sie sich doch gar nicht auf die Handarbeitsstunde und so erzählte sie mir gestern wieder: „Weißt Du Mutterle, Fräulein Meinecke tobt immer so rum.  Da hat sie auch gesagt: Wenn ich doch fort wäre von Euch, ihr seid so dumm. Weißt Du, Mutterle, da habe ich mir so leise gedacht, wenn sie nur schon fort wäre, das wäre mir gerade recht, wegen mir braucht sie nicht dazubleiben.“ Man sieht doch, Helga hat auch schon ihre eigenen Meinungen.  Jetzt leeren die Kinder gerade die Sparbüchse. Für einen Teil des Geldes wollen sie mir zum Geburtstag was kaufen und ein paar Pfennige möchten sie mit auf die Messe nehmen. Das übrige kommt wieder in die Sparbüchse.
Lieber Ernst! In Deinem Geburtstagsbrief schreibst Du noch, daß Du keine Stunde einen Zweifel gehabt hast, daß ich Dir die Treue halte. Da brauchst Du auch keinen Zweifel zu haben, darauf kannst Du Dich ganz fest verlassen.  Nun will ich schließen. Sei recht recht herzlich gegrüßt und geküßt an unserem Hochzeitstag von Deiner Annie.


Mein lieber Mann!                                                                  Konstanz, 2.Sept.40. 

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 27.8. Der hat mich auch wieder fest gefreut.
Es ist recht, daß Du nicht schimpfst, daß ich Dir mehr Geld geschickt habe. Daß Du es zweckmäßig verwenden wirst, das weiß ich. Daß die beiden Schals teuer gewesen sind, glaube ich gern, sie sind auch sehr schön. Umgetan habe ich noch keinen. Du weißt ja, daß ich alles aufhebe, außer den Blusen, die werde ich schon mit anziehen. Du musst nun nicht etwa denken, daß ich das als selbstverständlich erwarte, daß Du immer etwas schickst. Ich bitte Dich, denke auch an Dich. Gefreut habe ich mich über die Geschenke von Dir aber sehr, denn Du hast mir wirklich immer schöne Sachen geschenkt. 
Den Mist für die Erdbeeren werde ich nun also nicht besorgen, wenn Du denkst, vor Eintritt des Winters noch Urlaub zu bekommen. 
Wegen den Briefmarken gehe ich einmal zu Kusters und werde fragen, ob er dafür Interesse hat.  Es freut mich, daß es recht war, daß ich das Geld gleich in Wehrmachtsgeld umgewechselt habe. So hast Du doch keine Umstände damit gehabt und ich habe Dir eine Freude machen können.   
Daß unsere beiden Kinder sehr an Dir hängen, kannst Du wirklich glauben. Sie reden ja immer von Dir und möchten Dir auch immer eine Freude machen.
Heute Vormittag habe ich Wäsche gehabt. Es ist strahlender Sonnenschein. Vorhin habe ich gleich noch gebadet. Wenn es so schön warm ist, kann man ja hinterher gut wieder ins Freie. Die Kinder kommen dran, wenn Helga von der Schule wieder da ist. 
Die vergangene Nacht waren wir von ¾ 1 bis  ¾ 2 Uhr im Keller. Ich bin munter geworden, weil ich einen Flieger brummen hörte. Da habe ich am Fenster geguckt, da war es ganz hell von Scheinwerfern und in dem Moment fing die Sirene an zu heulen. Später, als wir im Keller waren, hörte man erst gar nichts mehr, auf einmal fing es in der Ferne an zu schießen. Frau Nußbaumer ging in den Vorraum und rief mich dann. Da habe ich doch ein wunderbares Bild gesehen. Von der anderen Seeseite waren ganze Scheinwerferbündel am Himmel und dazwischen schoß die Flak lauter silberne Sterne. Als die Scheinwerfer mehr nach uns fingerten, sind wir aber gleich wieder in den Keller. Gar nicht lange darauf war Entwarnung. Ob sie den Flieger wohl abgeschossen haben? 
Heute wird der Brief einmal kürzer, denn ich möchte nicht so spät heimkommen, damit ich die Kinder baden kann. Das Päckchen mit Gebäck nehme ich heute mit auf die Post. 
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt, lieber Ernst, von Deiner Annie.

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