Sonntag, 20. September 2015

Brief 65 vom 16./17./18.9.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 16.Sept. 40  

 Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 12. September. Du schreibst, daß Du unser Päckchen mit den Sachen vom Geburtstag erhalten hast. Du brauchst keine Angst zu haben, daß diese Sendungen eine Gewohnheit werden, denn wir haben ja nur vier Geburtstage im Jahr. 
Ich erinnere mich auch noch an das Baden im vorigen Jahr. Dieses Jahr wäre es schon zu kühl.  Ich habe wohl dieses Jahr den Garten ziemlich allein versorgt, aber glaube mir, es ist mir nicht zu viel geworden. Ich habe immer dran gedacht, wie Du Dich freuen wirst, wenn alles in Ordnung ist, da ist mir alles leicht geworden.
Heute bekommst Du einmal einen sehr kurzen Brief, denn die Zeit ist mir sehr knapp. Früh habe ich etwas gewaschen und habe Dein Päckchen weggeschickt und eingekauft. Da ich Kartoffeln brauche, habe ich nachmittags welche raus gemacht. Die muß ich nun nach dem Abtrocknen noch in den Keller tun. Außerdem ist vorhin für um 7 Uhr eine Luftschutzübung angesagt worden. Da muß ich mich ziemlich beeilen.
Du warst ja schon einmal so lieb und hast dich mit einer Karte zufrieden gegeben. Da nehme ich heute Deine Nachsicht nochmals in Anspruch und bitte Dich, mir wegen des kurzen Briefes nicht böse zu sein. 
Lieber Ernst! Ich schließe also für heute. Du sollst aber wenigstens wissen, daß ich immer an Dich denke, wenn ich auch nicht viel schreiben kann.  Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                             Konstanz, 17.Sept. 40

 Heute erhielt ich Deine lieben Briefe vom 10.  und 11. September. Ich danke Dir vielmals dafür.  Du schreibst nochmals, daß ich Dir keine Zeitungen schicken brauche. Inzwischen wirst Du ja nun doch noch die letzten Zeitungen von mir erhalten habe, denn Dein erster Brief kam ja einen Tag später an, als ich die Zeitungen schon weggeschickt hatte. 
Über die Bilder habe ich mich wieder sehr gefreut. Ich werde sie einstweilen mit ins Album legen. Da hast Du ja dort schon allerhand gesehen. Wie ich Dir schon schrieb, freue ich mich auf Dein Kommen  v o r h e r   noch nicht so sehr, damit ich dann nicht so enttäuscht bin, wenn es nicht klappt. Den Kindern habe ich noch gar nichts gesagt. Sonst habe ich vor lauter Fragen überhaupt keine Ruhe mehr und die Beiden wären sonst, wenn Du nicht kommen könntest, auch schrecklich enttäuscht. Du schreibst, ich hätte Dir gar nichts geschrieben, daß Jörg wegen wildem Fleisch geschnitten worden ist. Sollte ich das wirklich vergessen haben? 
Das war doch so. An dem Auge von Jörg sah es immer aus, als wenn er ein Gerstenkorn bekommen sollte. Im Augenlid drin hat es so eine Verdickung gegeben. Als nun Helga das entzündete Auge hatte, dachte ich, da lasse ich gleich beim Buben mal mit nachsehen. Da sagte dann eben der Arzt, daß sich da wildes Fleisch gebildet hätte, das man raus schneiden sollte, was ja dann auch geschehen ist. Es muß aber wahrscheinlich nochmals geschnitten werden. Wenn ich Dir das noch nicht mitgeteilt hatte, so darfst Du mir das nicht übel nehmen. Das habe ich dann glatt vergessen gehabt.
Ich glaube, Ihr werdet Eurer Wohnungen auch nicht froh. Wenn Ihr mal drin seid, kommen immer andere Interessenten. Diesen letzten Angriff habt Ihr ja nochmals abgeschlagen.
Daß die Bedienungen nicht besonders eifrig sind, glaube ich schon. Das sind doch sicher Französinnen, die haben an den Deutschen doch kein Interesse und außerdem sind sie doch sicher nicht so sehr von Ordnung besessen. Jedenfalls habe ich das aus verschiedenen Schilderungen entnommen.  Wie kommt es, daß die Badeöfen immer explodieren.  Sind die so lange nicht gesäubert worden. Sie Dich nur vor, daß Dir dabei mal nichts passiert. 
Heute haben wir mal wieder schönes Wetter. Man glaubt es noch gar nicht richtig. Aber den Säntis sieht man schon wieder ganz deutlich. Da wird es wahrscheinlich nicht sehr lang anhalten. 
Gestern brauchte Vater einen Brief von Kurt mit rauf. So hat er also endlich mal geschrieben. Es wurde Zeit. Eine Weile kann er jetzt aber auch warten.
Von Siegfried und den Eltern habe ich heute auch eine kurze Karte erhalten.  Deine Briefmarken habe ich noch nicht abgeweicht.
Ich möchte vorher wieder Filzschuhe für die Kinder nähen. Es kann schnell einmal kalt werden, da haben sie dann etwas Rechtes zum Anziehen. Ich werde für mich wahrscheinlich später welche kaufen.  Nun will ich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Die Karte von Siegfried ist vom 14.9. Auf der Karte vom 15.9. von den Eltern hat er dann mit drauf geschrieben, daß er in Leipzig ist und ein paar Tage Urlaub macht. Ich habe das erst jetzt entdeckt, weil es auf der Rückseite geschrieben ist.

Mein lieber Mann!                                       Konstanz, 18.9.40

Trotzdem ich mich noch nicht vorher freuen soll, bin ich doch sehr gespannt, ob Du Urlaub bekommst. Das wäre ja wunderschön. Ich kann es mir gar nicht ausdenken, wie schön das wär.  Einen Brief habe ich heute nicht bekommen, aber die Brüsseler Zeitung, die Du mir geschickt hast. Ich werde sie heute noch gründlich durchlesen. 
Ich habe heute früh wieder ein bißchen im Garten geschafft, mal wieder ein bißchen Ordnung gemacht. Es wollte erst regnen, aber nun hat es sich richtig aufgehellt. Regen haben wir jetzt wirklich genug, es dürfte richtig mal wieder eine Weile schön werden.  Ich habe mir nochmals Deinen lieben Brief durchgelesen, in dem Du vom Baden im vorigen Herbst schriebst. Ja, das war wirklich schön damals. Da man immer damit rechnete, daß Du bald fort müßtest, haben wir es doppelt schön empfunden. Dieses Jahr sind wir ja nicht viel zum baden gekommen. Zum laufen ist der Weg doch ziemlich weit. Aber das macht nichts. Du hast ja auch nicht oft im Freien baden können. Vielleicht geht es später wieder. Die Hauptsache ist, daß wir alle gesund sind. 
Jetzt werden unsere Äpfel schon gelb. Sie sind nicht mehr so grasgrün. Sie leuchten jetzt richtig. Unsere Stare sind auch schon längere Zeit wieder da. Ich habe nochmals Spinatsamen kaufen müssen, denn die Hälfte des gesäten und auch aufgegangenen ist wieder verschwunden. Ich glaube, das waren die Regenwürmer. Webers ist es auch so gegangen. Auch ein bißchen Ackersalat werde ich noch säen. Zu Kartoffelsalat schmeckt er ganz gut. Mit den Brombeeren geht es jetzt auch zu Ende. Die paar letzten, die noch dran sind, lasse ich die Kinder gleich vom Busch essen. Da ist bei ihnen auch die Freude groß. Auch mit den Tomaten ist nicht mehr viel. Drei Stöcke habe ich schon raus tun können. Man merkt eben doch, daß es Herbst wird. An unseren Beerensträuchern habe ich nichts gemacht, das kannst Du besser. Davon verstehe ich noch nicht viel. Du siehst also, daß ich immer wieder Arbeit für Dich  übrig habe.   
Lieber Ernst! Ich hoffe so sehr, daß Du wirklich Urlaub erhältst. Das wär so schön. Ich hoffe, daß ich Dir bald wirkliche Küsse geben kann. Inzwischen grüße und küsse ich Dich noch schriftlich recht herzlich Deine Annie.

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