Mittwoch, 9. September 2015

Brief61 vom 9.9.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 9.Sept.40.

Heute kam Dein lieber Brief vom 3. September. Recht herzlichen Dank dafür. Nun bist Du also wieder umgezogen und nun wohnst Du ganz nobel. Ich glaube Dir gern, daß man sich in so großen Zimmern nicht recht heimisch fühlen kann.  Aber es ist so, wie Du schon schreibst, man nimmt es so mit hin, denn es ist ja schließlich Krieg.
Wenn Du Auto fahren lernen willst, so tue es nur. Es kann nie schaden, wenn Du es kannst. Später hast Du vielleicht nie mehr so gute Gelegenheit, das fahren zu lernen.
Dass Du Dich sehr ungeschickt anstellen wirst, glaube ich nicht. Es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen.  Ob Du nun gestern in  Paris warst?  Da werde ich ja bald Deinen Bericht erhalten. 
Heute schicke ich Zeitungen an Dich ab, zwei  1kg-Pakete und zwei gelbe Umschläge. Da hast Du ja auch wieder etwas zu lesen.  Gestern habe ich Dir ja nur einen ganz kurzen Brief geschrieben, aber ich hatte so einen schweren Kopf. Das muß von dem schwülen Wetter gekommen sein. Ich konnte gar keinen klaren Gedanken fassen. Aber schreiben wollte ich doch, damit Du nicht meinst, ich hätte nicht an Dich gedacht. Im Gegenteil, den ganzen Tag waren meine Gedanken bei Dir. Wenn meine Gedanken und Wünsche Dich herziehen könnten, da wärst Du gestern bestimmt gekommen, aber genau so auch heute.
Die Kinder beten abends auch schon immer „... und laß Vaterle bald mal auf Urlaub kommen.“ Du siehst, alle sehnen sich nach Dir. 
Heute früh hat es das erste Mal seit längerer Zeit geregnet. Nach der drückenden Hitze bisher tut das mal wieder ganz gut. Äpfel fallen jetzt immer ziemlich runter, heute wieder 5 Pfund. Es hängen aber noch viel oben. Das schöne ist jetzt, daß die Äpfel schon groß und süß sind. Da mache ich immer ein bis zwei Schüsseln Apfelmus und die übrigen essen wir roh oder ich backe Apfelkuchen. Ich habe Frau Nußbaumer auch schon welche gegeben und habe heute 1 ½ kg Holunderbeeren bekommen. Da habe ich ein gutes Rezept von einer Holunder-Apfel-Marmelade da, das versuche ich nun mal. Da gehören 1 kg Holunder, 2 kg Äpfel und 400 g Zucker dazu. Das ist praktisch. Mal sehen, wie‘s schmeckt.
Voriges Jahr hatten wir 20 Pfund Falläpfel und dieses Jahr bis jetzt 23 Pfund. Die Kinder essen auch viele Äpfel roh. Das ist ja gesund. Auch für die Zähne. Dadurch habe ich schon viel Geld für Obst gespart, denn bei unserer reichen Ernte kaufe ich nicht viel anderes. Du siehst also, hungern brauchen wir nicht.
Äpfel, Tomaten, Gurken, Kartoffeln haben wir selber. Jörg ißt am liebsten aufs Brot Tomaten oder Gurken. Da läßt er alles andere stehen. Durch unsere Ernte brauche ich nicht einmal alle Fleischmarken und kann Vater davon noch welche abgeben. Der freut sich jedes Mal sehr.
Ich suche ihm auch öfter mal ziemlich gute Äpfel raus, die er so essen kann, denn zum Apfelmus machen kommt er meist nicht. Auch Gurken habe ich ihm schon mitgegeben, nur von Tomaten will er nichts wissen. Die werden auch so bei uns alle.  Die Brombeerranken wachsen schrecklich, aber ich glaube, jetzt kann ich sie doch noch nicht verschneiden, denn es sind ja noch Beeren daran. Vielleicht kommst Du inzwischen doch noch einmal auf Urlaub und kannst mir noch einmal genau zeigen, was ich wegschneiden muß. 
Die Briefmarke, die Du in Deinem heutigen, das heißt, in Deinem Brief vom 3.9. mitgeschickt hast, hebe ich wieder mit auf.
Herr Kuster fragt auch, ob Du die 3 Sätze von Elsaß, Lothringen und „hab ich vergessen“ haben willst. Es sind je 16 Marken und kostet pro Satz 5,90 M. Ich habe gesagt, da frage ich Dich doch lieber erst.  Nun schließe ich wieder. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt.
Gerade wollte ich aufhören, da kam Dein lieber Brief vom 4.September. Du hast Besorgnis wegen der Fliegerangriffe. Inzwischen wirst Du ja meinen Brief mit Zeitungsausschnitten erhalten haben. In letzter Zeit haben wir wieder vollkommen Ruhe.
Du tust mir direkt leid, daß Du abends so viel mit Auto fahren, Reden hören, ins Theater und Kino gehen zu tun hast. Aber einesteils ist es ja gut so, da vergeht Dir die Zeit doch schneller. 
Wenn bei Euch die Hitze auch so groß war wie bei uns, kann ich mir gut vorstellen, daß Du in der Uniform nicht über Kälte zu klagen hattest. Wir haben ziemlich geschwitzt. 
Die Briefmarken werde ich Dir abweichen und, soweit ich es verstehe, in die betreffenden Länder reinlegen.  Auf die Päckchen, die Du mir wieder schicken willst, freue ich mich schon sehr, wenn ich auch immer wieder betonen will, daß es nicht nötig ist, daß Du mir immer was schickst. Du sollst auch keinen Mangel leiden, Du lieber, lieber Kerl.
Aber, wie gesagt, freuen tue ich mich doch schon fest auf die Päckchen.
Jetzt höre ich gerade im Radio das Wort Luxemburg und da fällt mir ein, daß der 3. Satz der Briefmarken von Luxemburg ist.  Lieber Ernst, ich danke Dir für den Brief vom 4.9. recht sehr und grüße und küsse Dich aber wirklich ganz herzlich Deine Annie.


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