Mein lieber
Ernst! Konstanz, 9.Sept.40.
Heute kam Dein
lieber Brief vom 3. September. Recht herzlichen Dank dafür. Nun bist Du also
wieder umgezogen und nun wohnst Du ganz nobel. Ich glaube Dir gern, daß man
sich in so großen Zimmern nicht recht heimisch fühlen kann. Aber es ist so, wie Du schon schreibst, man
nimmt es so mit hin, denn es ist ja schließlich Krieg.
Wenn Du Auto fahren
lernen willst, so tue es nur. Es kann nie schaden, wenn Du es kannst. Später
hast Du vielleicht nie mehr so gute Gelegenheit, das fahren zu lernen.
Dass Du Dich sehr
ungeschickt anstellen wirst, glaube ich nicht. Es ist ja noch kein Meister vom
Himmel gefallen. Ob Du nun gestern
in Paris warst? Da werde ich ja bald Deinen Bericht
erhalten.
Heute schicke ich
Zeitungen an Dich ab, zwei 1kg-Pakete
und zwei gelbe Umschläge. Da hast Du ja auch wieder etwas zu lesen. Gestern habe ich Dir ja nur einen ganz
kurzen Brief geschrieben, aber ich hatte so einen schweren Kopf. Das muß von
dem schwülen Wetter gekommen sein. Ich konnte gar keinen klaren Gedanken
fassen. Aber schreiben wollte ich doch, damit Du nicht meinst, ich hätte nicht
an Dich gedacht. Im Gegenteil, den ganzen Tag waren meine Gedanken bei Dir.
Wenn meine Gedanken und Wünsche Dich herziehen könnten, da wärst Du gestern
bestimmt gekommen, aber genau so auch heute.
Die Kinder beten
abends auch schon immer „... und laß Vaterle bald mal auf Urlaub kommen.“ Du
siehst, alle sehnen sich nach Dir.
Heute früh hat es
das erste Mal seit längerer Zeit geregnet. Nach der drückenden Hitze bisher tut
das mal wieder ganz gut. Äpfel fallen jetzt immer ziemlich runter, heute wieder
5 Pfund. Es hängen aber noch viel oben. Das schöne ist jetzt, daß die Äpfel
schon groß und süß sind. Da mache ich immer ein bis zwei Schüsseln Apfelmus und
die übrigen essen wir roh oder ich backe Apfelkuchen. Ich habe Frau Nußbaumer
auch schon welche gegeben und habe heute 1 ½ kg Holunderbeeren bekommen. Da
habe ich ein gutes Rezept von einer Holunder-Apfel-Marmelade da, das versuche ich
nun mal. Da gehören 1 kg Holunder, 2 kg Äpfel und 400 g Zucker dazu. Das ist
praktisch. Mal sehen, wie‘s schmeckt.
Voriges Jahr hatten
wir 20 Pfund Falläpfel und dieses Jahr bis jetzt 23 Pfund. Die Kinder essen
auch viele Äpfel roh. Das ist ja gesund. Auch für die Zähne. Dadurch habe ich
schon viel Geld für Obst gespart, denn bei unserer reichen Ernte kaufe ich
nicht viel anderes. Du siehst also, hungern brauchen wir nicht.
Äpfel, Tomaten,
Gurken, Kartoffeln haben wir selber. Jörg ißt am liebsten aufs Brot Tomaten
oder Gurken. Da läßt er alles andere stehen. Durch unsere Ernte brauche ich
nicht einmal alle Fleischmarken und kann Vater davon noch welche abgeben. Der
freut sich jedes Mal sehr.
Ich suche ihm auch
öfter mal ziemlich gute Äpfel raus, die er so essen kann, denn zum Apfelmus
machen kommt er meist nicht. Auch Gurken habe ich ihm schon mitgegeben, nur von
Tomaten will er nichts wissen. Die werden auch so bei uns alle. Die Brombeerranken wachsen schrecklich, aber
ich glaube, jetzt kann ich sie doch noch nicht verschneiden, denn es sind ja
noch Beeren daran. Vielleicht kommst Du inzwischen doch noch einmal auf Urlaub
und kannst mir noch einmal genau zeigen, was ich wegschneiden muß.
Die Briefmarke, die
Du in Deinem heutigen, das heißt, in Deinem Brief vom 3.9. mitgeschickt hast,
hebe ich wieder mit auf.
Herr Kuster fragt
auch, ob Du die 3 Sätze von Elsaß, Lothringen und „hab ich vergessen“ haben
willst. Es sind je 16 Marken und kostet pro Satz 5,90 M. Ich habe gesagt, da
frage ich Dich doch lieber erst. Nun
schließe ich wieder. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt.
Gerade wollte ich
aufhören, da kam Dein lieber Brief vom 4.September. Du hast Besorgnis wegen der
Fliegerangriffe. Inzwischen wirst Du ja meinen Brief mit Zeitungsausschnitten erhalten
haben. In letzter Zeit haben wir wieder vollkommen Ruhe.
Du tust mir direkt
leid, daß Du abends so viel mit Auto fahren, Reden hören, ins Theater und Kino
gehen zu tun hast. Aber einesteils ist es ja gut so, da vergeht Dir die Zeit
doch schneller.
Wenn bei Euch die
Hitze auch so groß war wie bei uns, kann ich mir gut vorstellen, daß Du in der
Uniform nicht über Kälte zu klagen hattest. Wir haben ziemlich geschwitzt.
Die Briefmarken
werde ich Dir abweichen und, soweit ich es verstehe, in die betreffenden Länder
reinlegen. Auf die Päckchen, die Du mir
wieder schicken willst, freue ich mich schon sehr, wenn ich auch immer wieder
betonen will, daß es nicht nötig ist, daß Du mir immer was schickst. Du sollst
auch keinen Mangel leiden, Du lieber, lieber Kerl.
Aber, wie gesagt,
freuen tue ich mich doch schon fest auf die Päckchen.
Jetzt höre ich
gerade im Radio das Wort Luxemburg und da fällt mir ein, daß der 3. Satz der
Briefmarken von Luxemburg ist. Lieber
Ernst, ich danke Dir für den Brief vom 4.9. recht sehr und grüße und küsse Dich
aber wirklich ganz herzlich Deine Annie.
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