Donnerstag, 3. September 2015

Brief 58 vom 3./4.9.1940


Mein lieber Ernst!                                                                        Konstanz, 3.9.40

Heute früh erhielt ich Dein Wollpäckchen mit dem Kaffee und nachmittags Deinen lieben Brief vom 29.8. Ich habe mich über beides recht sehr gefreut. Die Wolle gefällt mir sehr gut, dafür noch meinen besonderen Dank.  Nun hast Du ja Deinen Anzug bezahlt. Das ist ja gut so, denn ich weiß, Du hast auch nicht gern Schulden. Da kannst Du dann doch über das Geld, das Du bekommst, frei verfügen. Einen Anzug hast Du schon gebraucht, denn wenn man immer nur auf einen angewiesen ist, das ist auch nicht das Richtige. 
Nun ziehst Du also wahrscheinlich wieder um. Das kommt mir als Laien direkt komisch vor, daß man Euer Haus einfach gewaltsam geöffnet hat, aber Du schreibst ja, daß im Krieg anderes Gesetze gelten.  Die Urkunde, die Du mir mitgeschickt hast, lege ich zu den anderen Akten. 
Heute Nacht haben wir dem Keller wieder auf eine Stunde unseren Besuch abgestattet. Die englischen Flieger kommen immer über die Schweiz. Vorgestern sind sie über St. Gallen gekommen. Wer weiß, ob die Schweizer nicht damit einverstanden sind, denen ist alles zuzutrauen. Habe ich schon geschrieben, daß der kleine Grenzverkehr nach der Schweiz wieder eröffnet ist?
Gestern haben wir die meisten Falläpfel bisher aufgelesen. 8 Pfund. Ob das von dem Nebel früh morgens kommt?  Helga kann ihren Geburtstag schon gar nicht mehr erwarten. Sie geht ja seit gestern wieder in die Schule. Sie hat sich schon wieder ganz schön reingefunden.  Gestern habe ich übrigens wieder 4 Pfund und heute 1 Pfund Tomaten geerntet. Die Gurken wachsen jetzt nicht mehr so schnell. Das ist mir aber ganz recht. So kann ich nach und nach eine zum Rohessen holen, denn ich habe jetzt 2 Töpfe Senfgurken eingemacht, das langt mir über den Winter. 
Da Du schon geschrieben hast, daß Du noch vor dem Winter evtl. in Urlaub kommen kannst, da will ich Dich gleich auf etwas vorbereiten, damit Du Dich nicht gleich ärgerst. Den Garten habe ich ja soweit in Ordnung, ich bilde es mir jedenfalls ein, aber, aber, mit dem Komposthaufen werde ich nicht fertig, der ist bestimmt nicht so, wie er sein soll. Bist Du da sehr böse deshalb? Der bedarf Deiner ordnenden Hand. Du siehst also, ein richtiger Gärtner bin ich doch nicht, denn der legt doch großen Wert auf einen richtigen Komposthaufen. 
Nun will ich für heute wieder Schluß machen. Helga ist gerade aus der Schule gekommen und ich fahre noch schnell in die Stadt.  Ich danke Dir nochmals recht sehr für die schöne Wolle, die Du mir geschickt hast und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie. 


Mein lieber Mann!                                                                  Konstanz, 4.Sept.40. 

Heute kam Dein lieber Brief vom 31.8. an, für den ich Dir recht herzlich danke. Ich habe daraus ersehen, daß Du nun das Geld vollständig erhalten hast.  Die geschenkte Bluse paßt gut zu dem Kostüm. Zu Dunkelblau paßt eigentlich alles. Ein Paket Wolle habe ich ja schon erhalten. Wie Du heute schreibst, schickst Du noch ein weiteres Wollpaket ab. Es ist schon richtig, wenn Du die Wolle schickst und nicht später mitbringst, denn wenn Du auf Urlaub nur 20 Pfund frei mitnehmen darfst, kannst Du evtl. lieber den Anzug mitbringen. Es freut mich, daß Dir dieser so gut paßt.
Inzwischen hast Du ja wieder eine Sonntagsfahrt hinter Dir. Den Bericht davon schickst Du mir ja auch wieder.  Heute haben wir schon Vorbereitungen zum Geburtstag getroffen. Ich habe einen Pflaumen- und einen Apfelkuchen gebacken. Wenn morgen von dem Apfelkuchen etwas übrig bleibt, heben wir es bis zu meinem Geburtstag auf.  Helga hat mir auch geholfen, sie hat die Pflaumen ausgesteint.
In der Schule hat man gesagt, wenn die Kinder um 8 Uhr Schule haben und es war in der Nacht Fliegeralarm, so brauchen sie erst um 9 Uhr kommen. Jetzt wünscht Helga ganz fest, daß Alarm wäre, damit sie an ihrem Geburtstag früh mehr Zeit hätte.  Überhaupt geht Jörg sehr gern in den Keller. Vorgestern hättest Du ihn mal hören sollen, als Entwarnung war. „Ich gehe nicht nauf, wir müssen sicher doch wieder runter. Grade wo‘s so schön ist, müssen wir wieder rauf.“ Er hätte bald geheult. Kinder verstehen halt den Ernst eines Alarms noch nicht und das Ungewohnte macht ihnen Freude. Gestern Nacht haben wir durchschlafen können. 
Helga bekommt morgen zwei Bücher, davon ist eins ein Märchenbuch und eins eine Kindergeschichte. Dann ein Nähkörbchen (das braucht sie für die Schule) und eine Puppenbadewanne. Dazu noch ein paar Pralinen und Bonbon. Den Stoff von Dir habe ich natürlich auch auf den Tisch gelegt und Deinen lieben Brief ebenfalls. 
Ich habe mir auch einen Geburtstagstisch aufgebaut und zwar auf der Maschine, damit, wenn jemand kommen sollte, nicht jeder alles sieht, denn da liegen alle die Sachen drauf, die Du mir geschenkt hast. Da ist die Maschine gleich voll. Dein lieber Geburtstagsbrief liegt auch dabei.
Gestern habe ich für Dich 3 Päckchen Rasierklingen gekauft. Eins will Vater zahlen, eins die Kinder und eins ich. Jeder möchte Dir gern eine Freude machen und da Du sonst nichts benötigst, haben wir uns in diese Kleinigkeit geteilt. 
Ich habe bis jetzt 18  ¾-ltr.-Gläser  4 1/2ltr.Gläser  9Eein-Pfund Honiggläser und 3 ¼ ltr. Geleegläser voll Marmelade gekocht. In die ¾ ltr.-Gläser geht ca. 1 ½ Pfund Marmelade. Nachdem wir nicht so viel Zucker haben, ist das doch ganz schön.  Nun will ich schließen.
Lieber Ernst, behalte uns drei recht lieb und sei recht oft gegrüßt und ganz fest geküßt von Deiner Annie.

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