Samstag, 26. September 2015

Brief 68 vom 25./26./27/9.1940


Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 25.Sept. 40. 

Heute regnet es nun schon den zweiten Tag und ich kann die Apfelernte nicht fortsetzen. Es sind die Nacht über wieder 15 Pfund runtergefallen.  Glücklicherweise sind davon nicht alle Äpfel fest aufgesprungen, da der Boden aufgeweicht ist, so daß ich sie noch einige Tage aufheben kann. Ich bin direkt froh, daß schon die 3 Ztr. abgenommen worden sind, vor allen Dingen auch die schönsten, die ganz oben gehangen haben. An manche, die ganz außen hängen, kommt man überhaupt nicht hin.  Ich will mal sehen, ob ich noch eine größere Stange an den Apfelpflücker machen kann. Es kommt drauf an, ob ich dann genug Kraft in den Armen habe, um die Stange zu stemmen.
Gestern Abend habe ich mich wieder hinter die Briefmarken gesetzt. Es macht mir immer große Freude, wenn ich wieder eine ins Album tun kann, die Du noch nicht hast, oder wie gestern, wo Du die eine Marke schon hattest, aber es fehlten zwei Zacken und die neue Marke ist einwandfrei. Aber weißt Du, was ich einfach nicht finde, Jugoslawien. Ist das nicht drin? Heute Abend werde ich wahrscheinlich weiter machen. 
Heute tagsüber habe ich mal mit dem nähen von Jörg‘s Hausschuhen angefangen. Dazu sind Regentage wieder gut, aber lieber wär mir‘s, es käme bald wieder die Sonne, schon wegen der Äpfel. Wie Du Dir denken kannst, essen wir jetzt ziemlich viele Äpfel, natürlich nur Falläpfel. Von den gepflückten Äpfeln sind sehr wenige madig und auch die in letzter Zeit gefallenen Äpfel haben fast nie Maden. Bei den früher gefallenen war das natürlich anders.
Ich schicke Dir heute die zweiten 5,-.  Morgen folgen die dritten. Solltest Du noch mehr Geld brauchen, so könnte ich Dir evtl. noch das Geld schicken, welches ich für die Äpfel bekommen habe. Es sind dies 8,-Mk für 50 Pfund. (Frau N. hat noch 10 Pfund genommen, die man nicht so lange aufheben kann). Weiteres verfügbares Geld habe ich diesen Monat nicht, weil ich M 35, für Kartoffeln weggelegt habe. Höchstens könnte ich von der Sparkasse was holen, das ginge auch. Du schreibst mir‘s bitte, ob Du noch was brauchst. Die 15,- habe ich aber gut übrig gehabt. 
Post habe ich heute keine von Dir bekommen, aber das ist auch gar nicht zu verlangen, denn ich habe ja gestern gleich zwei Briefe bekommen.  Nun schließe ich wieder für heute, mein lieber Ernst.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 26.Sept. 40. abends 9 Uhr

Denk Dir, ich habe heute nicht einmal an Dich geschrieben. Du wirst es aber sicher entschuldigen, denn ich habe den ganzen Nachmittag Äpfel gepflückt. Mir will die Hand beim schreiben scheinbar gar nicht parieren, denn sie ist mir ziemlich schwer, da ich den ganzen Nachmittag den Obstpflücker in der Hand gehabt habe. Ich habe oben auf der Leiter gestanden und habe mit dem Pflücker die Äpfel an  d e n  Zweigen gepflückt, die ziemlich weit außen sind. Anders kommt man an diese Äpfel nicht ran. Ich habe 120 Pfund gepflückt und 25 Pfund Falläpfel hat es gegeben. In der Nacht sind auch wieder 15 Pfund runtergefallen. Wenn es morgen wieder trocken sein sollte, werde ich weiter pflücken.
Heute früh sah es ganz trüb aus und der Baum war ganz patschnaß. Ich dachte schon, daß es gleich wieder regnen würde. Dann hat sich aber ein Wind aufgemacht und hat alles getrocknet. Da dachte ich, die Gelegenheit nehme ich gleich wahr, wer weiß, wie morgen das Wetter wieder ist. Wir haben nun über 4 Ztr. gepflückte und rund 3 Ztr. Falläpfel geerntet. 50 Pfund hat Vater haben wollen. Er will sie mir aber bezahlen. Es ist doch fein, daß wir einmal eine so reiche Ernte haben, nicht wahr? 
Du hast Dich also einmal daraufhin angesehen, ob Du dicker geworden bist. Das macht ja nichts aus, wenn Du zugenommen hast, das wirst Du Dir schon wieder abarbeiten, wenn Du wieder hier bist später. Ich habe sicher nicht zugenommen, höchstens etwas abgenommen, aber ich fühle mich sehr wohl dabei. Jetzt beantworte ich Dir schon Deinen Brief und derweil habe ich Dir noch gar nicht geschrieben, daß ich heute Deinen lieben Brief vom 21.September bekommen habe. Der hat mich wieder sehr gefreut. 
Daß Dir Deine Frau fehlt, die Dich immer so ärgert, das glaube ich Dir gleich. Also mußt Du einfach mal auf Urlaub kommen, da kannst Du den Ärger gleich haben, Du lieber Kerl.  Mich hat es gefreut, daß Du den Kuchen gerade am Samstag erhalten hast. Vielleicht hast Du Dir was für den Sonntag aufheben können. War er noch ziemlich ganz? 
Gestern habe ich wieder die Briefmarken vorgeholt und viele einsortiert. Ich hatte eigentlich vor, heute weiter zu machen.  Aber nun habe ich lieber an Dich, mein lieber Ernst, noch geschrieben. Die Briefmarken laufen mir ja nicht davon und ich bin einfach mit dem Tag nicht zufrieden, wenn ich Dir nicht geschrieben habe.
Nun will ich aber doch Schluß machen, es ist gerade um 10 Uhr. Ich schicke Dir im Brief die dritten 5,-M mit. Gute Nacht, mein lieber Ernst. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Lieber Ernst! Da ich heute Abend gerade hier bin, schreibe ich Dir einige Zeilen dazu, was schon lange meine Absicht war. Zuerst noch meinen besten Dank für Gratulation zum Geburtstag und Zigarren. Es war mir leider nicht möglich, Dir zu Deinem Geburtstage zu gratulieren, da wir nicht wußte, wie lange Du in C. noch verbleiben würdest.
Wir haben aber Deiner gedacht hier zusammen an dem Tage und wünsche noch nachträglich alles Gute und vor allen Dingen, daß wir alle gesund bleiben.  Hier in Konstanz sind auch verschiedentlich Gefangene gekommen, auch bei St. Meinen Urlaub habe ich auch noch zu gut und werde denselben in nächster Zeit noch machen. Im Allgemeinen ist alles das gleiche. Bei dem letzten Fliegerangriff hier, wo Kurt gerade hier war, ist ein Blindgänger am Gottlieberweg herunter, denselben weißt Du ja, es war eine zeitlang gesperrt. Hoffentlich kommst Du bald mal auf Urlaub. Herzliche Grüße von Deinem Vater.


 Mein lieber Ernst!                                                   Konstanz, 27.9.40

 Auch heute komme ich erst um 5 Uhr dazu, an Dich zu schreiben.  Früh war ich erst in der Stadt, heute Nachmittag habe ich erst 30 Pfund Äpfel abgenommen und dann noch ein Stück umgegraben, denn ich habe die restlichen Bohnenstangen raus nehmen können. Äpfel werde ich entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch ein paar abnehmen. Sie hängen nämlich so weit außen und so zwischen kleinen Ästen, daß man einfach nicht dazu kommt. Den Hals brechen möchte ich mir nun auch nicht gerade dabei. Schütteln will ich sie jetzt auch noch nicht, denn ich habe noch ziemlich Falläpfel da. Sonst werden mir nur zuviel schlecht. Wenn nach und nach welche runter fallen, ist es auch ganz recht. Ich lese sie ja immer sorgfältig auf. Umkommen tun sie auf keinen Fall. Ernst, das war eine feine Ernte, das hat mir gefallen. Glaubst Du das? 
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 23. September. Ich danke Dir recht sehr dafür. Ich sehe aus dem Brief, daß Du keine Angst hast, ich könnte Dir an den Briefmarken etwas verderben und daß Du es auch verstehst, wenn ich vielleicht nicht alles richtig einsortiere. Die größte Mühe gebe ich mir jedenfalls, daß ich es soweit als möglich richtig mache. Bei den belgischen Marken waren verschiedene, die dünne Stellen hatten, während das bei den anderen nur vereinzelt vorgekommen ist. 
Wenn Du Dich noch nicht so nach meinem Befinden erkundigt hast, so bist Du deswegen nicht selbstsüchtig. Ich habe Dir ja immer geschrieben, was ich so tue und schaffe und Du wirst Dir sicher auch gedacht haben, wenn ich nicht auf der Höhe wäre, könnte ich im Garten auch nicht so schaffen. Also, mir geht es gut. Augenblicklich bin ich mal stark heiser, aber das hat nichts zu sagen. Die Kinder haben auch Schnupfen. Das kommt vom Wetter. Heute erhielt ich von den Eltern die Mitteilung, daß Hans Krall aus Rosenberg von einem Feindflug nicht zurückgekehrt ist. Kralls haben gleich Nachforschungen anstellen lassen, aber sie haben nicht viel Hoffnung. Für meine Tante ist es auch schlimm. Vor ein paar Jahren Maria und jetzt evtl. Hans. Dem Vater wird es sicher nicht so nahe gehen, denn für ihn war ja Hans immer der Prügelknabe. 
Von Kurt habe ich gestern auch einen Brief erhalten. Er wird in nächster Zeit einen 10tägigen Urlaub bekommen. Er hat, soviel ich aus dem Brief lese, auch Dir davon geschrieben. 
Es ist jetzt ¾ 6 Uhr und ich will Schluß machen, sonst kommen die Kinder zu spät ins Bett, denn ich will den Brief noch wegschaffen. 
Nun, mein lieber, lieber Ernst, sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

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