Dienstag, 8. September 2015

Brief 60 vom 7./8.9.1940


Mein lieber Ernst!                                                Konstanz, 7.Sept. 40.

Nachdem ich gestern Deinen lieben Brief vom 2. September erhielt, kam heute der vom 31. August. Recht vielen Dank dafür. 
Du schreibst, ob ich, nachdem ich Dir die M 40.- geschickt habe, noch Geld habe, wenn Du einmal auf Urlaub kommst. Ich weiß ja nicht, wann Du kommst. Am 15. bekomme ich ja wieder Geld, außerdem habe ich doch für alle Fälle ein paar Mark auf der Sparkasse. Im Übrigen kämst Du ja, wie Du schreibst, auch nicht ganz mittellos. Wenn Du nur heute schon kämst, das wäre mir schon recht. 
Du schreibst von den französischen Kriegsgefangenen, daß sie so schlampig aussehen. Das ist bei den Gefangenen, die hier sind, genau so. Die Franzosen sind scheinbar überhaupt nicht sehr ordentlich. 
Ihr habt ja schöne Umstände mit dem Wasser in Eurer Wohnung gehabt. Das macht Freude, wenn einem schon das Wasser an der Haustür entgegen läuft. Es darf Euch eben nicht zu wohl werden. Recht hast Du gehabt, als Du schreibst, daß Du mich schon lachen siehst.  Lachen habe ich schon müssen, vor allen Dingen, wenn ich mir Deinen Sprung in die Küche vorgestellt habe und wie Ihr Euch an die Aufräumungsarbeiten gemacht habt. Das wird Euch ja besondere Freude gemacht haben. 
Das mit Eurem Wirt ist ja wieder interessant. Die Franzosen wollen uns doch immer wieder betrügen. Es wird ihnen nur nicht gelingen. 
Heute erhielt ich von den Eltern Zeitungen und einen Brief mit 8,-Mk., 5,- für mich und 3,-  für Helga.
Dann kam eine Karte von Alice und ein Brief von Irma Seifert. Der Alfred ist seit 24.6. auf der „Insel Borkum“ bei der Marine-Artillerie. In der Nacht von Sonntag auf Montag, als wir Alarm hatten, sind über Lindenberg auch englische Flieger gewesen. Irma schreibt, sie hätten immer so viel zu tun gehabt, sie hätten uns aber nicht vergessen, wenn sie auch nicht geschrieben haben.
Nun will ich Dir noch vom Geburtstag erzählen. Gestern Abend haben die Kinder noch was für mich gekauft, was sie mir aber nicht gesagt haben. Dann haben sie in der Stube den Geburtstagstisch aufgebaut und ich durfte nicht mehr ´nüber. Heute früh haben sie mir nun gratuliert. Helga sagte, sie gratuliert mir zum Geburtstag, daß ich immer gesund bleibe und daß ich immer an Dich schreibe und an Dich denke. Jörg hat mir auch Gesundheit gewünscht und daß ich mich über alles freue, was sie mir geschenkt haben.  Dann sind wir in die Stube. Da hatten sie alles geordnet. Die Bügel hatten sie hingelegt und die Wolle von Dir. In das geschenkte Netz hatten sie ein Pfund Äpfel getan und auf einen Teller Eierpflaumen. Ich hatte mir selbst eine Schachtel Pralinen gekauft. Die haben sie dazugestellt, auch die Datteln, die ich noch bekommen konnte bei Tengelmanns.  Ganz vorn hatten sie die kleinen Holzfiguren von WHW hingestellt, die Schornsteinfeger, Bergleute usw. Ich habe mich sehr gefreut.
Heute schicken wir Dir eine kleine Kostprobe von unseren Geburtstagen. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht freust Du Dich doch ein wenig. In den nächsten Tagen schicke ich Dir auch wieder Zeitungen mit. Ich lese die, die Dich am meisten interessieren, nur noch schnell durch.  Übrigens über die Zigarren, die Du für Vater gekauft hast, wird er sich sicher freuen. Er raucht jetzt öfter mal eine. 
Kurt hat immer noch nicht geschrieben. Ich bin gespannt, ob er an meinen Geburtstag gedacht hat und ob wenigstens eine Karte kommt. Wir wissen ja noch nicht einmal seine Adresse. 
Nun lieber Ernst, schließe ich für heute wieder.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Geburtstagskind Annie.

 Lieber Ernst! 7.September 40.                                                   
Das ist ein kleiner Gruß von unseren Geburtstagen.
Laß Dir alles gut schmecken. Viele Grüße und Küsse von Annie, Helga und Jörg.

Mein lieber, lieber Ernst!                                             Konstanz, 8.Sept. 40                                                                  
 Nun ist mein Geburtstag auch vorbei. Gefeiert haben wir ihn ja nicht, aber ich habe immer an Dich gedacht. Wenn Du nur bald einmal Urlaub bekämst.  Ich meine immer, in der nächsten Minute klingelt es und Du bist da. Du, mein lieber Mann. 
Gestern Abend kam Vater kurz rauf und schenkte mir 3,-Mk. zum Geburtstag.
Von Siegfried kam heute ein Brief. Er schickte acht solche Karten mit, wie ich Dir heute schreibe. Drei Stück mit dem Völkerschlachtdenkmal, drei mit dem Dresdner Zwinger , eine mit Burg Kriebstein und eine mit der Albrechtsburg und dem Dom in Meißen. Sie sehen ganz nett aus. Siegfried schrieb, ich könnte sie sicher für Dich verwenden.
Offene Karten schreibe ich an Dich ja nicht gern, denn es braucht ja nicht jeder zu lesen, was ich Dir schreibe. 
Heute sind wir einmal nicht fortgegangen, sondern ich habe mich einmal ausgeruht. Es war heute wieder ziemlich heiß und jetzt steht ein Gewitter am Himmel. 
Du wirst sicher wieder viel Flugzeuge gesehen haben, nachdem jetzt die großen Angriffe auf London stattfinden.
Wir haben jetzt die ganze Zeit Ruhe gehabt.  Wo wirst Du heute sein? Ob Ihr wieder fortgefahren seid? 
Die Augen von Helga und Jörg sind schon etwas besser geworden. Die Kinder springen heute auch wieder fest draußen herum. Sie sind bei Steinmehls drüben und spielen Mutterles. 
Nun mein lieber, guter Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie, die immer an Dich denkt.

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