Sonntag, 13. September 2015

Brief 63 vom 12./13.9.1940


Mein liebster Ernst!                                              Konstanz, 12.Sept. 40

Nachdem ich gestern 2 Päckchen von Dir bekommen habe, dachte ich, ich würde heute die zwei anderen bekommen, da Du sie ja miteinander weggeschickt hast. Es war aber nicht der Fall. Einen Brief habe ich auch nicht bekommen, so daß ich also nichts beantworten kann. 
Ich bin augenblicklich am nähen und habe schon ziemlich schaffen können. Das Ausbessern ist das wichtigste dabei und natürlich die Puppenkleider, das ist das allerwichtigste. Diese Wünsche habe ich auch befriedigt. Morgen früh müssen wir ja wieder zum Augenarzt, da ist ja der Tag wieder futsch. Da komme ich nicht mehr viel zum nähen. Aber ein bißchen bin ich wieder vorwärts gekommen. 
Nun habe ich noch eine große Neuigkeit. Denke Dir, unser Keller wird jetzt abgestützt, damit es ein bißchen luftschutzmäßig ist. Es sind schon pro Haus 3 Pfähle bzw. Stämme angeliefert worden und eine neue Fensterfüllung, wahrscheinlich für den Vorraum. Wenn alles eingerichtet ist, werde ich Dir getreulich Bericht erstatten. Wir waren alle direkt sprachlos über diese Anstrengung der Stadt. 
Gestern erhielt ich von Elsa Legler einen Brief. Sie schreibt am 8.9., daß Gerhard 7 Tage Urlaub hatte. Am kommenden Sonntag, also am 15. bekäme er wieder Sonntagsurlaub. Sie wünscht uns, daß Du uns auch einmal längere Zeit besuchst. Gell. lieber Ernst, das wird auch noch werden. Da freuen wir uns ja alle schon drauf.  Heute hat sich bei uns das Wetter wieder etwas aufgeheitert. Nur kühl ist es noch.  Das ist doch auch eigenartig. Wenn es recht heiß ist, oder wenn es Nebel hat, fallen viele Äpfel vom Baum.  Wenn es aber regnet, ist es auffallend wenig, was runter fällt. 
Gestern hieß es im Radio, daß in Nordfrankreich Bomben geworfen worden sind. War das bei Euch auch? Man macht sich doch immer gleich Sorge. 
Lieber Ernst, Du mußt es nicht so auffassen, als wenn ich jammern wollte, aber glaubst Du, ich habe schon wieder große Sehnsucht nach einem Brief von Dir. Wenn ich auch nur zwei Tage keinen bekommen habe. Du siehst, ich bin eben auch in dieser Beziehung verwöhnt. Aber wenn ein Brief kommt, so ist es immer, als würdest Du gerade mit mir reden. 
Im Übrigen, lieber Ernst, das geht einfach nicht mehr so weiter. Du schickst mir immer so viele schöne Sachen. Und wie kann ich Dir danken? Ich kann nur immer schreiben, daß ich mich sehr freue. Das ist doch aber keine Art. Ich sollte Dich wenigstens einmal fest abdrücken können und Dir recht viele Küsse geben. Was ist da zu machen? Urlaub mußt Du einfach bekommen, das ist doch klar. Wenn ich was zu bestimmen hätte, da hättest Du schon lange welchen. Glaubst Du mir das?
Ich freue mich schon drauf, wenn Du mal schreibst, am soundsovielsten komme ich heim.  Nun ist der Nachmittag auch schon wieder rum.  Die Tage vergehen doch schnell. Ich habe heute früh gerade im Kalender festgestellt, daß Du gestern nun 17 Wochen fort bist.  Jetzt will ich eilen, daß ich noch in die Stadt komme, sonst kann Helga nicht mehr die Augen wärmen, da wird es zu spät.
Lieber Mann! Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Mann!                                     Konstanz, 13. Sept. 40

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief, vom 6.September , in dem Du dieses Tages vor 9 Jahren gedenkst. Du hast mir durch Deine Worte alles wieder recht vor Augen geführt. Ja, wir waren damals sehr glücklich über alles, was wir uns angeschafft hatten und glaubst Du, ich freue mich auch jetzt noch fest, wenn ich mir so alles ansehe. Genügsam waren wir ja die ganze Zeit und das war gut so. Dadurch haben wir eine schöne Zeit durchlebt auch ohne viel Luxus. Daß Du auch alles getan hast, was Du konntest, das ist wirklich wahr. Und wie genügsam warst Du immer. Lange Zeit hattest Du ja nicht einen Pfennig eigenes Geld. So mancher Mann wäre dadurch verärgert und mürrisch geworden, was bei Dir alles nicht der Fall war. Du hast nicht geraucht und bist in keine Wirtschaft gesessen und sonntags sind wir meist in den Wald, da brauchten wir kein Geld und hatten doch unser Vergnügen.
Die Kinder reden auch immer noch begeistert von unseren Waldspaziergängen, so hat es ihnen gefallen. Wenn es Dir in geldlicher Beziehung jetzt einmal ein wenig besser geht, so ist Dir das nur zu gönnen, denn eine kleine Belohnung mußt Du ja auch mal haben. Im Übrigen gibst Du ja das meiste wieder für uns und hauptsächlich für mich aus, so daß Dir auch nicht viel für Dich übrig bleiben wird. 
In letzter Zeit hatten wir keinen Fliegeralarm mehr. Aber das kann ja noch kommen. Daß ich vorsichtig bin, darauf kannst Du Dich verlassen. Wir sind meist die ersten im Keller. Die drei Pfähle sind jetzt im Vorraum aufgestellt worden. Sie sollen den Ausgang stützen, wenn mal was zusammenfällt. Viel ist ja nun auch nicht gemacht, aber man sieht den guten Willen. 
Wenn Du für die Kinder halblange Strümpfe besorgen kannst, sowie Umhänge, so ist es mir sehr recht. Helga‘s Fußlänge bzw. Strumpflänge (ich habe es an  Strümpfen abgemessen) ist 24cm. 1 cm länger macht natürlich nichts aus. Da kann sie sie noch nächstes Frühjahr tragen. Die Länge von Jörg ist 22/23 cm.
Die Länge eines Regenumhangs müßte sein bei Helga 90 cm, bei Jörg 80 cm. Sie gehen dann bis an die Wade. Man muß rechnen, daß die Kinder den Schulranzen drunter tun, da verliert der Umhang gleich an Länge. Für Helga hätte ich jetzt sowieso einen kaufen müssen, denn der, den ich ihr gemacht habe, ist ihr schon fast zu kurz. Jörg könnte ihn ja schon noch tragen.  Wenn die Umhänge nicht gar so teuer sind, kannst Du aber ruhig für jeden einen besorgen. Wie viel Geld soll ich Dir dazu schicken? Schreibe es mir ruhig, denn, wie gesagt, Du sollst es auch nicht zu knapp haben. 
Wir waren heute beim Augenarzt. Zwei Wochen lang muß ich noch Salbe einschmieren. Wenn es dann gut ist, brauche ich nicht mehr mit den Kindern hinkommen. Bei Jörg muß man evtl. im Dezember nochmal ein bißchen schneiden.
Du fragst mich wegen dem Anzug. Ob Du ihn hier machen lassen solltest? Ja, wo kommst Du billiger weg? Was kannst Du besser transportieren? Den Stoff oder den Anzug? Ändern tut sich ja die Herrenmode nicht so sehr, in der Beziehung wäre es gleich. Das eine wäre es nur: Du hättest jetzt wieder eine große Ausgabe und ich könnte Dir im Oktober, November und Dezember nicht viel Geld schicken, erstens wegen der Kohlen (ich bekomme wahrscheinlich doch noch welche) und dann wegen Weihnachten. Vielleicht läßt Du ihn besser später hier machen. Nur würde ich Dir raten, Dir noch Futterstoff zum Anzug zu besorgen, wenn es welchen gibt.
Zwar, die 20 Punkte würden wir auch noch aufbringen. Du siehst, eine klare Antwort habe ich Dir nun auch nicht gegeben. Es hat dabei viele wenn und aber. 
Die Eltern werden über Deinen Brief ja schon etwas verärgert sein, aber das kann man nicht ändern. Es wäre ja etwas anderes, wenn sie noch nie Kaffee bekommen hätten, aber Siegfried hat ihnen ja auch schon welchen gebracht. 
Da wird Vater froh sein, wenn ich ihm sage, daß Du schon Nachricht von Kurt hat. Er hat gestern erst wieder gefragt. Uns hat Kurt noch nicht geschrieben.  Das blau von der Wolle, von der Du mir ein Muster geschickt hast, gefällt mir wieder sehr gut. Die andere Wolle, die Du mir schon geschickt hast, reicht gut. Du machst schon immer alles richtig.  Denke Dir, soeben war ein Mann da, der macht hier oben an allen städtischen Häusern Verdunklungspapier an der Haustür und am Flurfenster.  Bei Tag wird es aufgerollt. Werden wir nicht nobel?
Es geht also doch  wenn man muß. Polizei war nämlich bei Herr Genahl und hat gesagt, daß die Hausgänge ungenügend verdunkelt sind. Herr Döbele hat es gestern gesagt, als er hier war und alles abgemessen hat. Du erkennst unser Haus sicher gar nicht wieder, wenn Du mal auf Urlaub kommst.  Nun bin ich am Schluß meiner Weisheit (dieser Ausspruch ist von Dir geborgt) und will aufhören mit schreiben.  Sei Du mein lieber Schatz (darf ich das schon schreiben?) recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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