Mein lieber
Ernst! Konstanz, 5.Sept. 40.
Heute ist nun Helga‘s Geburtstag. Sie hat an
ihren Geschenken große Freude. Von Siegfried ist eine Karte und RM 2,-
gekommen, von Vater hat sie 2,50 erhalten und die Eltern haben geschrieben, daß
sie am 3.9. ein Zeitungspaket weggeschickt haben und daß darin auch etwas für
Helga ist.
Ganz glücklich ist
der Tag nicht verlaufen, denn Helga hat heute früh ein mächtig entzündetes Auge
gehabt, so daß ich sie nicht in die Schule gelassen habe. Auch Jörg‘s Auge ist
wieder entzündet und beide müssen jetzt fest Kamillenumschläge machen. Ich
glaube, das kommt daher, weil sie dauernd in dem zugigen Hausflur rein und raus
rennen. Aber Du weißt ja, da kann man reden was man will, immer müssen sie mal
das, mal jenes Spielzeug holen. Na, wir werden schon sehen, daß wir‘s so bald
als möglich wieder weg bekommen.
Die Geburtstagfreude
selbst ist ja bei Helga nicht getrübt, im Gegenteil, da sie nun nicht in die
Schule muß, kann sie den ganzen Tag bei ihren Sachen sein.
Lieber Ernst! Heute
ist Dein zweites Päckchen mit Wolle gekommen. Die ist aber schön, die gefällt
mir auch ausgezeichnet. Recht vielen, vielen Dank. Ich habe mich sehr darüber
gefreut. Einen Brief habe ich heute nicht erhalten, aber am Sonntag, als Du in
Gent warst, wirst Du ja keinen geschrieben haben und den Brief vom 31.8. habe
ich ja gestern erhalten.
Die Kinder haben mir
auch schon etwas zum Geburtstag gekauft. Ich habe mir etwas wünschen dürfen.
Sie haben mir nun von ihrem Geld ein Einkaufsnetz und vier Bügel gekauft. Das
Netz habe ich gut brauchen können, nachdem ich ja das andere schon seit langer
Zeit nur für Kartoffeln verwende und die Bügel habe ich benötigt, da ich ja
jetzt ziemlich viele neue Sachen habe. Die Kinder wollen mir am Samstag selber
einen Geburtstagstisch aufbauen. Ich freue mich sehr über ihren Eifer.
Es ist heute wieder
sehr heiß und nachdem ich gebügelt habe, ist in der Küche eine große Hitze,
direkt ungemütlich.
Gestern habe ich
noch die 6 oberen Reihen Erdbeeren umgegraben. Der gesäte Spinat und Salat
kommt schon raus. Es ist ja auch noch warmes Wetter. 5 Pfund Äpfel haben wir
wieder aufgelesen.
Vater hat wieder
jeden Tag nach Mottenmaden gesucht und hat schon ein paar Tausend hingemacht.
Gestern hat er mal das eine Unterbettkissen im Bett von Kurt aufgemacht, (denn
in dem Bett sind die Maden alle gewesen) da hat es direkt drin gewimmelt. Jetzt
hat er das ganze Kissen genommen und hat‘s überbrüht. Vielleicht bekommt er
jetzt Ruhe.
Nachdem es schon
wieder ¾ 5 Uhr ist will ich schließen.
Sei für heute wieder
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Mann
! Konstanz, 6.Sept. 40.
Heute erhielt ich
Deinen lieben Brief vom 2.Sept. über den ich mich wieder sehr gefreut habe.
Daß Du Dir Deinen
Ärger über Deine Kollegen von der Seele geschrieben hast, schadet gar nicht.
Ich habe mich damals auch sehr geärgert z.B.
wenn der M. erzählt, die Soldaten hätten vielmals gar nicht kämpfen
brauchen, die Franzosen wären mit erhobenen Händen angesprungen gekommen, dadurch hätten viele Kompanien gar keine
Verluste. Meines Erachtens rühren unsere verhältnismäßig geringen Verluste von
unserer neuen Kampfesweise her und von unseren vorzüglichen Waffen.
Ach weißt Du, die
haben noch viel so Blödsinn erzählt. Man ärgert sich ganz unnötig, solche
Kaffern sind doch nicht zu belehren. Ja, weißt Du, wenn man noch die saudummen
Gesichter dazu sieht. Jedenfalls haben unsere Soldaten Großartiges geleistet
und die haben inzwischen zu hause gesessen. Das wäre ja nicht schlimm, wenn sie
dann ihren Mund halten würden. Na, Schluß damit. Wegen mir brauchst Du Dir
keine Sorge zu machen, ich lasse mich durch dummes Geschwätz nicht
beeinflussen. Daß ich Dir Vertrauen entgegenbringe, ist doch
selbstverständlich, denn Du bist doch mein Mann und ich habe Dich lieb. Was die
Leute da reden ist mir gleich. Ich weiß ja, daß Du nie lügst und wenn Du uns
nicht lieb hättest, würdest Du mir auch nicht so liebe Briefe schreiben. Dein Bericht hat mich wieder sehr gefreut.
Da hast Du doch unseren Hochzeitstag gut verbracht, denn Du schreibst ja, daß
dies einer Deiner schönsten Nachmittage dort war.
Gestern abend war
Vater da. Ich habe ihm Deine Briefe vorgelesen. Da sind wir dann auch an die
Stelle gekommen, wo mein Vater geschrieben hat, Du solltest ihm Kaffee
schicken. Da haben wir uns dann von meinen Eltern unterhalten und wie wir hier
her gekommen sind usw. Da hat Vater dann zu mir gesagt: “Nicht, das hättest Du
früher auch mal nicht gedacht, daß wir uns noch so gut verstehen würden?“ Dann
hat er sich gewissermaßen entschuldigt, daß er erst nicht ganz mit mir
einverstanden war.
Ich muß sagen,
Ernst, ich habe mich sehr darüber gefreut, daß ich jetzt doch sehe, daß er
nichts mehr gegen mich hat und daß ich richtig zur Familie gerechnet werde. Ich
muß übrigens sagen, daß Vater wirklich alles tut, was in seinen Kräften steht.
Er kommt öfter mal rauf und unterhält sich mit mir, damit ich nicht ganz allein
sein soll. Ich hatte jetzt oben am Rücken, wo die Schulterblätter anfangen,
gerade am Rückgrat ein Geschwür. Das war sehr schmerzhaft und ich habe gar nichts
machen können, weil ich es nur durch den Spiegel sehen konnte. Da hat er sich
auch erboten, es aufzumachen, trotzdem das ja gerade nichts Schönes ist.
Vorgestern hat er
mich ziemlich quälen müssen. Etwas Eiter war noch drin, da haben wir noch ein
Zugpflaster drauf gemacht und gestern Abend hat er alles raus gebracht. Das war
ein ziemliches Loch. Er hat die Wunde nie so mit den Händen berührt, sondern
immer nur mit Mulläppchen.
Heute war ich auch
mit den Kindern bei Dr. Plocher wegen den Augen. Bei Helga gibt es wieder ein
Gerstenkorn. Sie hat Salbe verschrieben bekommen und Abends muß sie eine Stunde
warme Umschläge machen. Bei Jörg hat man das wilde Fleisch rausgeschnitten. Da
muß ich abends auch Salbe mit einem Glasspachtel einschmieren. Der Doktor sagt,
es kann sein, daß man´s nochmals wegschneiden muß, wenn es wieder nachwächst.
Nun muß ich Dir auch
noch schreiben, wie wir gelobt worden sind. Dr. Plocher hat gesagt, er müßte
mir zu meinen Kindern gratulieren, so verständig und brav seien sie, sie hätten
nicht geschrien und der Bub hätte nicht einmal gezuckt, als er geschnitten
wurde. (Das Auge war örtlich betäubt, aber trotzdem stellen sich Kinder
manchmal schlimm an). Den Kindern wäre aber auch zu ihrer Mutter zu
gratulieren, denn ich hätte überall zugesehen, es gäbe viele Frauen, wenn er zu
denen sagte, sie sollten die Kinder auf den Schoß nehmen und zusehen, wenn sie
geschnitten werden, so wehrten sie sich und sagte, so etwas können sie nicht
sehen. (Gegen damals, als Helga genäht wurde, war es aber gar nicht schlimm
anzusehen.)
Ich bin aber der
Meinung, man soll auch Dingen, die nicht so ganz leicht sind, nicht feige aus
dem Weg gehen, sondern sehen, ob man´s nicht schaffen kann. Eigentlich ist es
ja nicht ganz recht, daß ich Dir das Lob über mich auch mitgeschrieben habe.
Heute haben Helga
und ich zum Geburtstag eine Glückwunschkarte von Erna bekommen. Ich soll Dich
auch grüßen.
Früh morgens haben
wir schon öfter dicken Nebel. Tagsüber hellt es sich dann aber meist auf und es
wird sehr warm. Ich muß jetzt jeden Tag auf Raupenjagd gehen, sonst fressen
einen die Viecher kahl. Aber schöne Köpfe Weißkraut hat es schon. Prima. Das gibt Sauerkraut. Nun habe ich heute aber viel geschrieben,
nicht wahr? Nun ist aber auch Schluß.
Sei Du, mein lieber
Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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