Freitag, 2. Oktober 2015

Brief 70 vom 01./02.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                Konstanz, 1.Okt.40. 

 Heute bekam ich Deine beiden lieben Briefe vom 24. und 25.Sept. Das war wieder schön. Da ist der Tag gleich noch Mal so schön.  Bei uns ist es sehr kalt geworden. Das macht der Wind.
Ich bin wirklich sehr froh, daß die Äpfel vom Baum sind. Aus Deinem Brief sehe ich, daß du gegen den Verkauf von Äpfeln, wie ich es gemacht habe, nichts einzuwenden hast. 
Heute Abend gehe ich nun ins Kino. Vater war gestern Abend noch da. Er will heute bei den Kindern bleiben. Ich schreibe Dir morgen, ob mir‘s gefallen hat. 
Für den Militär-Regenumhang habe ich auf jeden Fall Verwendung. Da brauchst Du keine Sorge haben. Du weißt ja, für so etwas bin ich immer Abnehmer.
Wie Du ja nun inzwischen gelesen hast bzw. haben wirst, (manchmal ist es ja mit den Briefen verdreht) ist die Apfelernte ohne Unfall verlaufen ist, Gott sei dank, denn das hätte sich noch gelohnt. Ich hatte auch deshalb Bedenken, aber die Mutter des Jungen sagte, er wäre schon öfter bei der Ernte auf den Bäumen gewesen. 
Es hat mich recht gefreut, daß Dir der Kuchen geschmeckt hat. Also wirst Du über das Ausnahmepäckchen nicht mehr böse sein. Eigentlich bist Du‘s ja auch nicht gewesen. Nur ein bißchen spotten hast Du müssen, Du lieber Kerl. 
Der Helga kann ich jetzt mal keinen Kuß geben. Sie hat vom Schnupfen einen Ausschlag an der Nase und um den Mund rum bekommen Es wird aber schon etwas besser. Lieblich sieht sie ja aus.
Ich habe heute meine Wäsche hinter mir. Da bin ich auch froh. Die Arbeit von letzter Woche an hat mich doch etwas kaputt gemacht. Jetzt muß ich erst mal ein paar faule Tage einschieben. Da kann ich dann vielleicht gleich den 2.  Filzschuh für Jörg fertig machen, denn die alten Schuhe sind futsch. Ich muß mir nächstens auch einen Bezugschein für ein paar Filzschuhe holen. 
Ab heute braucht man doch am Rad noch einen neuen Rückstrahler, der am Dynamo angeschlossen wird. Ich wollte gestern zwei Stück kaufen, aber es kommen erst am Freitag welche. Sie sind ja ziemlich teuer. Im Laden sagten sie, daß ein Rückstrahler ca. 2,-M kosten wird. 
Gestern habe ich mich einmal gewogen. Ich wiege 136 Pfund. 
Heute Nachmittag ist Helga wieder in der Schule und Jörg spielt draußen. Er geht jetzt immer mächtig gerüstet hinaus, denn meist spielen sie doch Soldaten. Da nimmt er seine zwei Gewehre, seinen Holzsäbel, die Botanisiertrommel und meist noch seine große Schaufel mit.
Helga ist ein kleiner Leseratz. Immer hat sie ihre Märchenbücher beim Wickel. Es ist direkt ein Wunder, daß sie noch zum spielen an die Luft geht. 
Ich lege Dir zwei kleine Zeitungsausschnitte bei, die Dich sicher interessieren werden. Da ist es doch schön, daß wir diesmal eigene Äpfel haben.  Nun, mein lieber Mann, will ich wieder schließen.  Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Mann!                                               Konstanz, 2.Okt. 40.

 Heute habe ich keine Post von Dir erhalten. Scheinbar wird die Post wieder mal bummelig. Aber ich weiß ja, daß Du immer schreibst. 
Um 7 Uhr ist heute früh Kurt in Konstanz angekommen. Er hat 10 Tage Urlaub. Bis einschließlich Freitag über 8 Tage ist Kurt hier. Er hätte sich sehr gefreut, wenn Du auch da gewesen wärst. Ich soll Dir ausrichten, Du sollst sofort Urlaub nehmen, daß Ihr Euch noch sehen könnt.  Soeben ist Kurt dabei, auf seiner Schreibmaschine zu üben. Wie er sagt, gehts‘s fast nicht mehr. 
Gestern Abend war ich nun im Film. Es hat mir sehr gut gefallen.  So näher erzählen kann ich es im Brief ja nicht. Nach hause bin ich mit dem Postomnibus gefahren.
Heute Vormittag haben wir gebadet. Das war wieder eine Erholung.  Jetzt, wo es kälter ist, tut ein warmes Bad ganz gut.  Ich komme gar nicht recht zum schreiben heute. Gerade eben habe ich Kurt die Photografien von Dir gezeigt. Er hat sich auch dafür interessiert. 
Mein lieber Ernst! Nun mußt Du auch unbedingt einmal auf Urlaub kommen. Das geht doch einfach nicht, daß immer andere auf Besuch kommen, nur Du nicht. Du schreibst ja in einem Brief, daß Du auch das Heimweh kennengelernt hast. Da verstehst Du ja auch, daß ich mich auf ein Wiedersehen riesig freue und daß ich Sehnsucht nach Dir habe. 
Manchmal muß man doch bei den Kindern über ihre Aussprüche lachen. Ich habe Jörg ein Papierschiff gemacht. Da stellte er sich heute davor, beschaute es mit wichtiger Miene und meinte: „Mutterle, das Schiff ist wirklich schön, ich könnte nicht sagen, daß es nicht schön wär.“ Dazu sein Lausbubengesicht, na, Du kennst es ja. 
Lieber Ernst! Laß mich für heute schließen. Wenn am Tisch die Schreibmaschine klappert, kann ich einfach nicht die Gedanken zusammenhalten.  Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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