Mittwoch, 21. Oktober 2015

Brief 75 vom 21.10.1940


Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 21. Oktober 40 

Es ist jetzt ¾ 10 Uhr abends. Ich habe bis jetzt gestopft und will nun bald schlafen gehen. Vorher will ich aber noch an Dich schreiben. Gerade bei der ruhigen Arbeit, wie ich sie heute Abend hatte, komme ich mir recht einsam und verlassen vor und so will ich noch mir Dir reden. Dabei merke ich doch, daß ich nicht allein bin, sondern daß ich alles mit Dir besprechen kann, wenn jetzt auch nur durch den Brief. Ich weiß ja, daß Du mich auch lieb hast, genau wie ich Dich über alles lieb habe und ich bitte Dich, behalte mich und unsere Kinder auch ferner hin lieb. 
Vorhin habe ich nach dem großen Wagen am Himmel gesehen und habe an unseren Heimweg von der Fähre gedacht, bei dem wir davon sprachen, daß wir, wenn wir den großen Wagen sehen, immer an einander denken werden. Meine Gedanken sind ja sowieso den ganzen Tag bei Dir.
Wie ich Dir ja schon heute im Brief schrieb, wollte ich noch im Garten schaffen. Ich habe das obere Stück im großen Garten mit Kalk bestreut und nochmals grob umgegraben. Weiter unten, bei den Erdbeeren, habe ich auch noch ein Stück umgegraben, aber dann mußte ich aufhören, denn ich bekam so feste Rückenschmerzen. Man merkt eben doch, wenn man mal längere Zeit gefaulenzt hat. Aber ich sage mir, Eile mit Weile, es wird alles fertig werden, wenn ich jeden Tag etwas tue.  Jörg hat mir sogar mit geholfen. Er hat, nachdem er vom Briefwegtragen wieder da war, Kalk gestreut und zwar da, wo ich umgraben wollte und um den Spinat herum. Wenn er so mit helfen kann, ist er immer ganz stolz. Um den Salat habe ich auch Kalk gestreut. Wenn´s jetzt mal wieder feucht ist, werde ich die Sträucher bestreuen oder spritzen.
Heute war ein interessanter Vortrag im Radio: „Haben wir 1940 nach dem Schlieffen-Plan gehandelt“? Diese Frage wurde mit Nein beantwortet. Es ist diesmal wesentlich anders gehandelt worden. Vor allem, soviel ich verstanden habe, auch deshalb: Wir sind diesmal vor allem sofort nach dem Kanal vorgestoßen, auch in Belgien und Holland, was beim Schlieffen-Plan nicht vorgesehen war. Bei diesem Plan wäre auch die rechte Armee nach Paris vorgestoßen, während diesmal die Mitte vorgeschoben wurde. Ich habe mir gleich nochmals den Schulungsbrief mit der Karte rausgesucht und dabei verglichen. Es ist noch verschiedenes anderes erklärt worden, aber das kann ich nicht alles schreiben. Vielleicht hast Du‘s auch selber gehört. Der Vortrag hat mich auch deshalb ganz besonders interessiert, weil wir doch früher schon mal über den Schlieffen-Plan gesprochen haben, wie Du Dich vielleicht erinnern kannst. Ich will mir überhaupt jetzt die Schulungsbriefe ein bißchen vornehmen. Es steht viel Wissenswertes drin und dümmer wird man dabei bestimmt nicht. Wenn ich auch sonst nicht dumm bin, in geschichtlichen Sachen hapert´s noch manchmal und da habe ich ja bei den kommenden Winterabenden die beste Gelegenheit, etwas dazu zu lernen. 
Nun will ich aber wirklich schlafen gehen. Nachdem ich jetzt wieder mit Dir gesprochen habe, ist es mir bedeutend leichter ums Herz. Hoffentlich kann ich heute besser schlafen als in den vergangenen Nächten. Da hatte ich immer richtige Angstträume und war froh, wenn die Nacht vorbei war.
Also gute Nacht, mein lieber Ernst. 


Mein lieber, lieber Ernst!                                    Konstanz, 21. Oktober 1940

Vorher habe ich Deinen ersten Brief bekommen. Ich freue mich ja so. Wenn Du nun nicht mehr hier sein kannst, da ist solch Brief doch ein lieber Gruß.
Als ich den Brief bekam, heiterte sich zum ersten Mal wieder der Himmel auf.  Es war, als wollte sich alles mit mir freuen.  Du brauchst um mich keine Angst zu haben. Ich halte den Kopf schon hoch. Wenn es auch manchmal schwer fällt. Aber ich bin doch Deine Frau und will Dir doch nur Freude machen. 
Heute Nachmittag will ich noch im Garten schaffen, da gerade so gutes Wetter ist. 
Beim Zahnarzt war ich heute früh auch schon. Es ist eine Einlage gemacht worden. Die Plombe muß schon längere Zeit locker gewesen sein, da hat sich drunter und am Zahn daneben ein neuer Defekt gebildet. Am Mittwoch muß ich wieder hinkommen. 
Von mir wirst Du ja inzwischen auch schon Briefe erhalt en haben. An die Eltern muß ich auch bald mal schreiben, ebenso an Siegfried, von dem ich heute eine Karte aus Pößneck, ihrem neuen Abstellort, erhielt. Heute bringt Jörg ausnahmsweise einmal den Brief nach der Petershauser Post, damit ich noch schaffen kann. Er ist ganz stolz drauf, daß ich ihm den Brief anvertraue.
Es ist nicht viel, was ich Dir heute schreibe, aber Du wirst mir deshalb nicht böse sein. Der Tag ist jetzt doch so schnell vorbei, und da kann man im Garten gar nicht solange arbeiten.
Ich denke immer an Dich, lieber Ernst, und grüße und küsse Dich recht herzlich. Deine Annie.

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