Mein lieber Ernst!
Konstanz, 21. Oktober 40
Es ist jetzt ¾ 10 Uhr abends. Ich habe bis jetzt gestopft
und will nun bald schlafen gehen. Vorher will ich aber noch an Dich schreiben.
Gerade bei der ruhigen Arbeit, wie ich sie heute Abend hatte, komme ich mir
recht einsam und verlassen vor und so will ich noch mir Dir reden. Dabei merke
ich doch, daß ich nicht allein bin, sondern daß ich alles mit Dir besprechen
kann, wenn jetzt auch nur durch den Brief. Ich weiß ja, daß Du mich auch lieb
hast, genau wie ich Dich über alles lieb habe und ich bitte Dich, behalte mich
und unsere Kinder auch ferner hin lieb.
Vorhin habe ich nach dem großen Wagen am Himmel gesehen und
habe an unseren Heimweg von der Fähre gedacht, bei dem wir davon sprachen, daß wir,
wenn wir den großen Wagen sehen, immer an einander denken werden. Meine
Gedanken sind ja sowieso den ganzen Tag bei Dir.
Wie ich Dir ja schon heute im Brief schrieb, wollte ich noch
im Garten schaffen. Ich habe das obere Stück im großen Garten mit Kalk bestreut
und nochmals grob umgegraben. Weiter unten, bei den Erdbeeren, habe ich auch
noch ein Stück umgegraben, aber dann mußte ich aufhören, denn ich bekam so
feste Rückenschmerzen. Man merkt eben doch, wenn man mal längere Zeit
gefaulenzt hat. Aber ich sage mir, Eile mit Weile, es wird alles fertig werden,
wenn ich jeden Tag etwas tue. Jörg hat
mir sogar mit geholfen. Er hat, nachdem er vom Briefwegtragen wieder da war,
Kalk gestreut und zwar da, wo ich umgraben wollte und um den Spinat herum. Wenn
er so mit helfen kann, ist er immer ganz stolz. Um den Salat habe ich auch Kalk
gestreut. Wenn´s jetzt mal wieder feucht ist, werde ich die Sträucher bestreuen
oder spritzen.
Heute war ein interessanter Vortrag im Radio: „Haben wir
1940 nach dem Schlieffen-Plan gehandelt“? Diese Frage wurde mit Nein
beantwortet. Es ist diesmal wesentlich anders gehandelt worden. Vor allem,
soviel ich verstanden habe, auch deshalb: Wir sind diesmal vor allem sofort
nach dem Kanal vorgestoßen, auch in Belgien und Holland, was beim Schlieffen-Plan
nicht vorgesehen war. Bei diesem Plan wäre auch die rechte Armee nach Paris
vorgestoßen, während diesmal die Mitte vorgeschoben wurde. Ich habe mir gleich
nochmals den Schulungsbrief mit der Karte rausgesucht und dabei verglichen. Es ist
noch verschiedenes anderes erklärt worden, aber das kann ich nicht alles
schreiben. Vielleicht hast Du‘s auch selber gehört. Der Vortrag hat mich auch
deshalb ganz besonders interessiert, weil wir doch früher schon mal über den
Schlieffen-Plan gesprochen haben, wie Du Dich vielleicht erinnern kannst. Ich
will mir überhaupt jetzt die Schulungsbriefe ein bißchen vornehmen. Es steht
viel Wissenswertes drin und dümmer wird man dabei bestimmt nicht. Wenn ich auch
sonst nicht dumm bin, in geschichtlichen Sachen hapert´s noch manchmal und da
habe ich ja bei den kommenden Winterabenden die beste Gelegenheit, etwas dazu
zu lernen.
Nun will ich aber wirklich schlafen gehen. Nachdem ich jetzt
wieder mit Dir gesprochen habe, ist es mir bedeutend leichter ums Herz.
Hoffentlich kann ich heute besser schlafen als in den vergangenen Nächten. Da
hatte ich immer richtige Angstträume und war froh, wenn die Nacht vorbei war.
Also gute Nacht, mein lieber Ernst.
Mein lieber, lieber Ernst! Konstanz, 21. Oktober 1940
Vorher habe ich Deinen ersten Brief bekommen. Ich freue mich
ja so. Wenn Du nun nicht mehr hier sein kannst, da ist solch Brief doch ein
lieber Gruß.
Als ich den Brief bekam, heiterte sich zum ersten Mal wieder
der Himmel auf. Es war, als wollte sich
alles mit mir freuen. Du brauchst um
mich keine Angst zu haben. Ich halte den Kopf schon hoch. Wenn es auch manchmal
schwer fällt. Aber ich bin doch Deine Frau und will Dir doch nur Freude machen.
Heute Nachmittag will ich noch im Garten schaffen, da gerade
so gutes Wetter ist.
Beim Zahnarzt war ich heute früh auch schon. Es ist eine
Einlage gemacht worden. Die Plombe muß schon längere Zeit locker gewesen sein,
da hat sich drunter und am Zahn daneben ein neuer Defekt gebildet. Am Mittwoch
muß ich wieder hinkommen.
Von mir wirst Du ja inzwischen auch schon Briefe erhalt en
haben. An die Eltern muß ich auch bald mal schreiben, ebenso an Siegfried, von
dem ich heute eine Karte aus Pößneck, ihrem neuen Abstellort, erhielt. Heute
bringt Jörg ausnahmsweise einmal den Brief nach der Petershauser Post, damit
ich noch schaffen kann. Er ist ganz stolz drauf, daß ich ihm den Brief
anvertraue.
Es ist nicht viel, was ich Dir heute schreibe, aber Du wirst
mir deshalb nicht böse sein. Der Tag ist jetzt doch so schnell vorbei, und da
kann man im Garten gar nicht solange arbeiten.
Ich denke immer an Dich, lieber Ernst, und grüße und küsse
Dich recht herzlich. Deine Annie.
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