Mittwoch, 21. Oktober 2015

Brief 73 vom 18.10.1940


Mein lieber Mann!                                             18.Oktober 1940

 Nun wirst Du also in Lille sein. Ich weiß nicht, ob Du wirklich ½ 8 Uhr angekommen bist. Etwas ruhiger bin ich gestern Abend eigentlich erst gegen 10 Uhr geworden. Vielleicht bist Du da endgültig in Deiner Wohnung gewesen oder bist schlafen gegangen. Ich freue mich schon jetzt auf Deine Nachricht, daß Du richtig angekommen bist, wenn ich Dich auch viel lieber bei uns hätte. 
Bei Jörg heilt der Finger jetzt endgültig. Der Eiter ist ganz weg. Jörg sagte heute früh: „Vielleicht kommt Vaterle bald wieder auf Urlaub. Drum will der Finger schnell ganz gut werden.“ Du siehst also, sogar der Finger richtet sich nach Dir. 
Gestern Nachmittag war ich nochmals im Amt und wollte den Brief abgeben, aber Frl. A. hat jeden Nachmittag Urlaub, da fahre ich nachher gleich hin, da wird sie hoffentlich da sein. Ich war gestern auch an der Wohnung von Frl. A., aber es war niemand daheim.  Ich fahre auch nachher noch zum Photografen und werde mir die zwei Bilder von Dir vergrößern lassen. Ich kann gar nicht genug Bilder von Dir haben. 
Das Geldstück, das Du mir zum Abschied gegeben hast, und welches Du Dir wieder holen wirst, wenn Du heim kommst, trage ich an einem silbernen Kettchen um den Hals, natürlich so, daß es niemand sieht. Für mich ist es ja kein Geldstück, sondern etwas, das Du Dir wieder holen willst. Darum muß ich auch gut darauf achten.
Als wir Helga mal abholten, haben wir doch gesehen, wie sie an dem einen Gebäude Pfähle eingeschlagen haben. Da ist jetzt Stacheldraht dran gemacht worden. Es sind zwei Reihen Pfähle, damit niemand mit den Leuten in Verbindung treten kann. Die Pfähle gehen um das ganze Gebäude. 
Nun will ich mit Jörg in die Stadt fahren und will deshalb schließen. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie.


Mein lieber Ernst!                                     Konstanz, 18.Oktober 40.

 Heute früh habe ich schon einen Brief an Dich abgeschickt, aber ich muß doch noch heute Abend ein bißchen mit Dir reden. Ich will Dir unseren Tageslauf berichten. Vorher möchte ich Dir sagen, daß sich die Briefangelegenheit nach der Schweiz erledigt hat. Wie, schreibe ich Dir weiter hinten im Brief.  
Also, heute früh bin ich mit Jörg in die Stadt gefahren und haben den Brief an Dich weggeschafft. Dann bin ich ins Amt gegangen und habe Frl. A. getroffen. Da stellte es sich heraus, daß Du ja nicht mit ihr gesprochen und ihr das Geld gegeben hast, sondern Frl.  Beurer. Ich habe ihr dann den Brief übergeben. Sie sagte, sie wollte sehen, ob Herr Kreßner ihn besorgen kann.  Ich bin dann mit Jörg wieder heim gefahren.
Da Elegast keinen Düngerkalk hatte, bin ich noch zu Gassner-Knöpfle gefahren. Da habe ich dann einen Sack zu M 1,50 gekauft. Die Kinder haben ihn dann mit dem Wagen geholt. Ich wollte ihnen entgegen gehen, aber sie waren schon vorher wieder da.  Nachmittags habe ich gebügelt. Dabei habe ich mir die Sache mit dem Schweizerbrief nochmals überlegt und bin zu der Meinung gekommen, vielleicht meinen sie im Geschäft, sie sollen den Brief heimlich über die Grenze bringen. Winkelzüge wollen wir ja nicht machen und so habe ich mich noch mal aufs Rad geschwungen und bin nochmals ins Amt gefahren. Da war gerade Frl. Weber bei Frl. B. und sie empfingen mich gleich mit dem Ruf, daß Herr K. den Brief nicht besorgen könne, da er nur Dienstsachen über die Grenze bringen kann. Ich erwiderte, daß ich gerade wegen des Briefes gekommen sei. Ich hätte mich erst nochmals genau beim Zoll erkundigen wollen, ob das Rübernehmen erlaubt sei, damit Herr K. keine Schwierigkeiten hat. Frl. W. sagte, sie hätte den Brief schon an mich zurückgeschickt, bzw. sie hätte ihn mit aufs Rathaus gegeben, damit er mir gebracht wird. Bei der Gelegenheit habe ich mich gleich nach dem Gehaltszettel erkundigt. Er lag noch bei Frl. W.  Ich bin dann also ohne Brief zum Zoll gefahren und habe dort die Sachlage geklärt. Man hat mir geantwortet, daß die Beförderung möglich wäre. Ich solle mit dem offenen Brief zur Post gehen, meinen Absender draufschreiben, ich müsse 25 Pfennig zahlen und dann wird der Brief befördert.  Zunächst bin ich mal aufs Rathaus gefahren und habe in der Registratur gefragt, wo die Briefe immer hingebracht werden. Ein älterer Mann ist dann mit mir zum Kreßner gegangen. Da lag der Brief noch. Nun hatte ich ihn endlich wieder. Da bin ich zur Post gefahren, der Brief ist vom Postbeamten geschlossen worden, ich habe 25 Pfennig bezahlt. Nun denke ich, daß er endlich sein Ziel erreicht. 
Gleich nach dem Mittagessen, nachdem sie ihre Aufgaben gemacht hatte, hat Helga einen Brief an Dich geschrieben. Sie hat ihn eigentlich zwei Mal geschrieben, denn zuerst war er nicht gut genug für Dich geworden. Als ich wieder von der Stadt kam, hat sie ihn mir ganz stolz gezeigt.  Nun liegen die Kinder schon eine Weile im Bett und ich will mich noch an den Berg Strümpfe machen, der vor mir liegt.
Es ist gleich 9 Uhr. Vater ist vorhin gekommen. Er liest die Zeitung. 
Du Lieber! Wie schön waren doch die Tage, als Du hier warst, jetzt, wo Du fort bist, ist es wieder sehr einsam. Aber Du wirst ja wieder kommen. Ich glaube es ganz fest.  Nun habe ich wieder einen ganzen Teil geschafft und es ist jetzt Zeit, daß ich schlafen gehe, es ist 11 Uhr. ¼ 11 Uhr ist Vater heim gegangen. Ob Du jetzt auch schon schlafen gegangen bist? Bei uns scheint heute hell der Mond, wenn es auch etwas wolkig ist. Ich habe vorhin gerade daran gedacht, daß auch bei Dir dort der Mond sicher scheint. Vielleicht hast Du auch an uns gedacht, als Du ihn gesehen hast.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht, mein lieber Schatz.

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