Freitag, 30. Oktober 2015

Brief 82 vom 30./31.10.1940


Mein lieber Mann!                                           Konstanz, 30.10.40 abends 

 Heute ist es erst ½ 9 Uhr und ich habe schon Feierabend. Die Kinder sind im Bett und jetzt kommt für mich die schönste Stunde des Tages, wo ich an Dich schreiben kann. 
Da ich Dir über den heutigen Tag berichten will, fange ich am besten am Morgen an. Als ich heute früh aufstand und die Verdunklung abnahm, kam gleich die erste Überraschung. Es hatte geschneit und alles sah weiß aus. Auf der Straße taute es ja, aber im Garten liegt der Schnee heute Abend noch. Da konnte ich natürlich die Erdbeersetzlinge für Vater nicht abmachen. Es war früh ½ Grad Wärme.
Am Vormittag wollten wir ja in die Stadt. Vorher habe ich die Kinder noch ausgeschickt, nach dem Briefträger zu sehen. Sie brachten mir dann auch Deinen lieben Brief vom 24.10. Ich habe ihn natürlich gleich noch gelesen und will ihn jetzt erst gleich beantworten. Mit der Gemäldegalerie hast du bald recht. Vier Bilder hängen von Dir jetzt in der Küche. Zwei große und zwei kleine. In der Stube hängt eins, im Schlafzimmer eins und bei den Kindern zwei. Aber es ist so, in jedem Zimmer möchte ich ein Bild von Dir haben und die Kinder in ihrem Zimmer natürlich auch. Und in der Küche, wo ich ja immer bin, habe ich die zwei Bilder vom Urlaub hängen, damit ich Dich immer so sehen kann, wie ich Dich zuletzt gesehen habe. 
Nun zu der Bemerkung von Deinen Kollegen, daß man sich wunder müßte, daß ich Dich überhaupt gewollt hätte. Ich glaube, Du weißt ja, wie lieb ich Dich habe. Für mich hast du das allerliebste Gesicht und bist der beste Mann. Du weißt ja, wie ich alles an Dir liebe und was wissen die anderen überhaupt, wie gut Du bist und wie wie lieb Du mich hast. Überhaupt sollen die reden, was sie wollen, wir wissen ja, was wir aneinander haben und wie wir uns verstehen. Schreib mir bitte, ob Du Dich über die Bemerkung sehr geärgert hast.  Jetzt tust Du‘s doch nicht mehr, nicht wahr?
Wenn ich Dich nur hier hätte, daß ich Deine lieben Augen lachen sähe und in Deinen Haaren zausen könnte, die mir doch so gut gefallen.  Das einzige, was mich gefreut hat ist, daß ich aus den Bemerkungen über mich gemerkt habe, daß Du Dich nicht mit mir zu schämen brauchst. Ich möchte doch gern, daß ich Dir gefalle und daß Du auf mich stolz sein kannst, so wie ich es auf Dich bin. Denn daß ich auf Dich stolz bin, das weißt Du ja. Das wirst Du in den neun Jahren, die wir verheiratet sind, ja gemerkt habe, Du lieber, lieber Kerl. 
Das Buch, welches Du mitgebracht hast, hat mich wirklich interessiert und ich werde es noch öfter durchlesen. Bezüglich des Mistes habe ich heute noch mal bei Steinmehls nachgefragt. Der Sohn war schon bei der NSV, hat aber Herrn Gaßner, der früher auf dem Hof war, nicht getroffen. Der hat die Ausgabe der Scheine jetzt scheinbar unter sich. Bei Gelegenheit geht er nochmals vorbei. Als Herr Steinmehl damals sagte, daß er einen Wagen voll nehmen will, hatte ich darauf entgegnet, daß ich das evtl. auch tun würde, aber ich wüßte nicht, ob ich das schaffen könnte, worauf er sagte, das sei doch ganz klar, daß sie mir helfen würden, wenn´s mir zu viel würde. Jetzt wollen wir mal sehen. Bis jetzt haben wir ihn ja noch nicht. 
Die warme Unterwäsche, die Du mir mitgebracht hast, leistet mir jetzt wirklich gute Dienste. Ich bin sehr froh darum. Mit dem Mantel für mich gibst Du Dir ja außerordentliche Mühe. Ich glaube, Du verläufst Dir Deine ganze freie Zeit. Es ist ja immer so, je größer die Auswahl ist, desto schwerer kann man sich zum Kauf entschließen. 
Den Kindern habe ich die Küsse von Dir gegeben. Sie haben sich sehr gefreut, daß Du auch immer mit Küssen an sie denkst. Helga hat gesagt, daß sie schon gern noch auf den Brief von Dir wartet.  Ich soll Dir von den Kindern auch noch das kleine Liederbuch zum angucken schicken. Jörg hat es heute auch auf der Sparkasse bekommen. 
Nun will ich Dir von unserem Tageslauf weiter berichten.  Mit Deinem Brief bekam ich heute früh auch den Bezugschein für Hausschuhe und zwar einen gelben, also für teurere Hausschuhe. Ich hatte mir schon 4,-Mk dafür zurückgelegt. Die habe ich nun gleich mit in die Stadt genommen.  Wir sind zuerst zur Sparkasse gegangen und wollten doch 1,75 einzahlen. Wie wir in die Sparbücher sahen, war doch noch je 1,- drin, die Du reingelegt hattest, als Du auf Urlaub da warst. Daran hatten wir gar nicht mehr gedacht, desto größer war heute die Freude, als nun jeder 2,75 einzahlen konnte. Jedes Kind hat von der Kasse einen Kalender, ein Heft, einen Federhalter und einen Bleistifthalter bekommen. Jörg außerdem noch das Liederheft. Für die Kinder war extra ein Sparschalter eingerichtet. Darüber war ein großes Schild angebracht mit der Aufschrift „Kindersparschalter“ in Sütterlinschrift.  Alles schön bunt, wie es Kindern doch gefällt. Im Übrigen war ja die ganze Sparkasse geschmückt. 
Als wir mit Einzahlen fertig waren, sind wir zu Küll und Co gegangen. Ich habe mir ein Paar Filzschuhe gekauft, die besten, die es gab, zu 2,75. Nun sind sie mir aber für den ganzen Tag zum Arbeiten zu schade. Ich habe dann nach bezugscheinfreien Hausschuhen gefragt. Da hatten sie welche aus schwarzem Segeltuch zu 1,20. Die Sohlen sind ja nicht viel. Meist Pappe und ganz, ganz dünn Leder. Nur wie ein Hauch. Ich habe sie dann aber noch mitgenommen. Das Fräulein sagte, daß das viele Leute machen, da es eben doch nur ein Paar gute Filzschuhe gibt. Ich habe mir eine gute Stroheinlegesohle zu 30 Pfennig gekauft, zu hause habe ich mir gleich überall, also auf Sohle und Absatz, Gummi draufgenagelt und ich glaube, die Schuhe halten mir gut über den Winter. Warme Füße habe ich heute auch drin gehabt. Die guten Filzschuhe ziehe ich mir an, wenn ich abends ruhig dasitze. Die Absätze an den Schuhen von Jörg habe ich heute auch fertig gemacht. Um nicht gleich zu viel Leder zu verbrauchen, habe ich den Gummiabsatz drauf gelassen und nur die abgetretenen Ecken abgeschnitten und durch Lederecken ersetzt. Darauf habe ich dann die runden Absatzeisen genagelt.  Sonst sind ja die Absätze gleich wieder schief. 
Heute Nachmittag kamen dann 2 Päckchen von Dir an. Ich dachte erst, es seien die, die Du zuerst weggeschickt hast. Es war aber nicht der Fall. Für die Seife danke ich Dir sehr. Da bin ich ja nicht mehr knapp dran. Du wirst doch sicher nicht dagegen haben, wenn ich Vater zwei Stück davon gebe?  Auch das Paket Lux kann ich sehr gut brauchen, gerade für so schöne Unterwäsche, wie Du sie mir heute wieder geschickt hast. Die ist wieder fein und es freut mich, daß die Höschen wieder diesen praktischen Gummizug hinten herum haben. Da haben sie so einen guten Sitz. Ich danke Dir auch für die Wäsche wieder ganz besonders. 
Ich habe übrigens Jörg an den Federhalter, den er heute bekommen hat, eine Feder machen müssen und der Federhalter ist jetzt nur dazu da, daß er an Dich schreiben kann. Er will mit dem Federhalter nur an Dich schreiben, sonst darf er nicht benutzt werden.  Beim Schuheinkauf haben Beide außer einem Heft noch eine Trillerpfeife bekommen. Da haben sie wenigstens etwas, womit sie Krach machen können, sie sind ja sonst immer so still. Meinst Du nicht auch? 
Ohne daß ich es gemerkt habe, ist es jetzt schon 10 Uhr geworden und beinahe hätte ich die Nachrichten verpaßt. Es ist doch schön, daß ich an Dich schreiben kann. Da bin ich doch nicht so einsam.  Nach den Nachrichten werde ich auch gleich schlafen gehen. Nur das Apfelmus muß ich noch durchstampfen. Schlaf auch Du gut, mein lieber Mann! Mein lieber Ernst!
Es ist jetzt 5 Uhr und ich bin gerade vom Garten gekommen. Nimm deshalb bitte mit einem kurzen Gruß vorlieb. Ich schreibe heute Abend wieder. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Post habe ich heute von Dir nicht bekommen.


Mein lieber Ernst!                                                 Konstanz, 31.10.40

Heute ist es spät geworden, ehe ich zum schreiben gekommen bin, bereits 11 Uhr. Vater war bis jetzt da und hat fast den ganzen Abend erzählt. Er ist eben auch froh, wenn er jemand hat, der zuhört. Meine Freude, Dir zu schreiben, will ich mir aber nicht nehmen lassen. 
Heute Nacht hatten wir den ersten Frost, 2 Grad Kälte. Da haben unsere Dahlien die Köpfe hängen lassen. Ich will sie morgen abschneiden. Am Vormittag war es noch ziemlich kalt. Da habe ich Helga‘s Mantel ausgebessert. Als es mittags aber wärmer wurde, da die Sonne schien, hielt es mich nicht länger und ich habe meinen Plan ausgeführt, endlich den Garten hinterm Haus umzugraben. Dabei haben mich ziemlich die Brombeeren gestört, die überall herumhingen. Als ich sie mir näher besah, bemerkte ich, daß da viele braune, verdorrte Zweige bzw. Ranken da waren. Da habe ich mich entschlossen, doch noch ein bißchen Ordnung in diese Wildnis zu bringen. Ich habe die braunen Ranken entfernt und die neuen Triebe richtig gelegt und einige festgebunden. Jetzt sieht es wieder ganz gut aus. Daß sich die Brombeeren aber an mir gerächt haben, könntest Du an meinen Händen und Armen sehen.
Froh bin ich aber doch, daß ich´s fertiggebracht und mich nicht so dumm angestellt habe. Nach dieser Arbeit habe ich den Garten fertig umgegraben. Als Arbeit für morgen, vorausgesetzt natürlich, daß es nicht wieder geschneit hat, habe ich mir vorgenommen, die Möhren raus zu machen und einzukellern. Ich kann das nur nachmittags machen, da ich vormittags Wäsche habe. Kraut ist ja nicht so empfindlich, da kann ich noch ein paar Tage warten, ehe ich es zusammen setze. Das Kraut und die roten Rüben setze ich aber hinter der Brombeerhecke ein, da ist es ziemlich geschützt. Man hatte gar nicht damit gerechnet, daß es so bald Winter werden würde.  Ich habe Vater heute noch ein paar Äpfel mitgegeben von solchem, die man bald essen muß. Im Gespräch hatte ich rausgehört, daß er sich seine Äpfel sehr einteilt, damit sie eine Weile reichen. Als ich ihm welche mitgeben wollte, hat er sich gar nicht dagegen gewehrt, sonder er hat sich sehr gefreut, ebenso über die zwei Stück Seife, die ich ihm mitgegeben habe. Da habe ich mich dann auch gefreut.
Du weißt ja, ich mag das gar nicht, wenn man vorher erst so ein Theater macht.  Wie froh bin ich jetzt, wo es so schnell kalt geworden ist, daß Du mir noch die Doppelfenster rein gemacht hast. Es zieht doch nicht so durch.  Ich habe jetzt schon ein paar Mal von unseren Hauspänen verbrannt. Da habe ich jedes Mal an unsere Spaziergänge denken müssen. Das waren auch schöne Tage, als wir die Hauspäne zusammen gesucht haben. Kannst Du Dich noch an das eine Mal erinnern, wo ich mir die Jacke ganz voll Harz geschmiert hatte? Jetzt tut uns das Holz gute Dienste, denn es gibt viel Wärme.
Was sagst Du eigentlich dazu, daß sich die Griechen noch in den Krieg haben hineinziehen lassen. Daß die nichts gelernt haben. Man kann es kaum glauben, daß es noch ein Volk gibt, das aus den vielen Niederlagen der Engländer bzw. deren Verrat an kleinen Völkern, nicht den Schluß zieht, sich allem fern zu halten. Aber an unserem lieben Nachbarn, der Schweiz, haben wir ja ein wahres Musterbeispiel davon, daß die Dummen nicht alle werden. Ich glaube, jetzt wird es aber Zeit für mich, daß ich schlafen gehe, es ist ¾ 12 Uhr.
Gute Nacht, mein lieber, lieber Schatz, mein lieber Ernst!

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