Mein lieber Ernst! 22.Oktober.
Es ist jetzt schon um 4 Uhr. Bis jetzt habe ich im Garten
geschafft. Was ich geschafft habe, erzähle ich Dir heute Abend, wenn ich den
nächsten Brief an Dich schreibe. Jetzt bin ich noch so abgespannt, und muß mich
erst ein bißchen ausruhen. Ich fahre dann langsam in die Stadt und bringe den
Brief noch fort.
Ein Brief ist heute nicht von Dir gekommen, ich bin aber schon
froh, daß ich wenigstens Be scheid habe, daß Du dort gut angekommen bist. Sei nun für heute herzlich gegrüßt und
geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst!
Konstanz, 22.Oktober 1940
Nun habe ich unsere zwei Banausen zu Bett gebracht und will
jetzt an Dich schreiben. Vorher hat man doch keine Ruhe, wenn zwei solche
Quecksilber rumhopsen.
Wenn ich Dir von meiner heutigen Arbeit erzählen will, fange
ich am besten vom Morgen an. Heute
Nacht hatte es Nebel, so daß am Morgen die Sträucher feucht waren. Da habe ich
gleich Kalk gestreut, d.h. teilweise habe ich ihn mit Kurt seiner alten
Zahlbürste aufgestrichen. Die 2 Stachelbeer-Hochstämme konnte ich noch nicht
kalken, da noch zuviel Blätter dran sind.
Nachdem ich diese Arbeit getan hatte, habe ich mit umgraben begonnen,
wobei ich auch Kalk gestreut habe. Oberhalb der unteren Erdbeerbeete habe ich
fertig umgegraben. Später habe ich weiter oben, wo die Bohnen standen, nochmals
grob umgegraben. Ich bin da zur Hälfte fertig geworden, da ich gleich noch das
Gurkenbeet mit umgegraben habe. Vielleicht grabe ich morgen noch das restliche
Stück um. Nachdem nun in dem kurzen
Absatz fünf Mal von umgraben die Rede war, will ich erst mal damit
aufhören.
Bei Tag war heute wieder sonniges Wetter. Da macht das Schaffen im Garten Freude. Als
ich im Garten war, kam Frau Steinmehl.
Nachdem sie vom Essenkochen zu reden begonnen hatte, klagte sie mir dann
ihr Leid. Sie hätte es jetzt so gut gehabt, als ihr Mann nicht da war. Da
hätten ihr die Kinder gefolgt und hätten auch alles gegessen. Seit er wieder da
sei, wär‘s aus. Wenn sie sagte, sie müßten den Teller leer essen, sagte er,
wenn sie‘s nicht essen wollten, solle sie‘s wegschütten. Frau Steinmehl hat
bald geheult. Sie sagte, sie möchte nie wieder Kinder aufziehen, denn sie hätte
immer allein gegen alle Unarten ankämpfen müssen, während ihr Mann immer etwas
anderes sagt als sie. Er hätte immer den Kindern geholfen. Da habe ich an Dich
denken müssen, was für eine Stütze ich doch da an Dir habe. Ich habe es auch gesagt, daß es so etwas bei
Dir gar nicht gibt. Es ist doch nicht schön wenn man sagen muß, man hat es so
gut, wenn der Mann nicht da ist. Das muß und kann ich ja nicht sagen. Ich freue
mich ja schon so, wenn Du wieder da bist. Es ist doch viel wert, das
gegenseitige Verstehen. Ich bin ja so glücklich, daß Du mein Mann bist.
Jetzt muß ich noch mal vom Garten anfangen. Ich weiß nicht
mehr, muß ich auch den Apfelbaum kalken? Muß ich einen Leimring drum machen?
Schreib mir das doch bitte noch mal.
Morgen Abend haben wir Luftschutz-Vollübung im Haus 87. Diesmal ist er
von keiner untergeordneten Stelle angeordnet worden. An praktischer Betätigung
fehlt es uns ja Gott sei Dank bis jetzt. Da müssen wir üben, damit wir nicht
alles vergessen.
½ 10 Uhr Vorhin ist
mir gerade noch eingefallen, daß ich auch einmal an zu hause schreiben sollte.
Da habe ich mich gleich noch hingesetzt. Die Durchschläge sende ich Dir mit.
Nun kann ich zum Abschluß noch an Dich schreiben. Viel habe ich ja von Deinem Urlaub nicht an die Eltern
geschrieben, aber wie soll ich da auch schreiben. Die wunderschönen Tage, die
wir zusammen verbracht haben, kann man doch nicht schildern. Jetzt werde ich noch einen Moment lesen und
nach den Nachrichten geht´s ins Bett.
Nun gute Nacht, mein lieber Ernst.
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