Montag, 26. Oktober 2015

Brief 76 vom 22.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                           22.Oktober.

Es ist jetzt schon um 4 Uhr. Bis jetzt habe ich im Garten geschafft. Was ich geschafft habe, erzähle ich Dir heute Abend, wenn ich den nächsten Brief an Dich schreibe. Jetzt bin ich noch so abgespannt, und muß mich erst ein bißchen ausruhen. Ich fahre dann langsam in die Stadt und bringe den Brief noch fort. 
Ein Brief ist heute nicht von Dir gekommen, ich bin aber schon froh, daß ich wenigstens Be scheid habe, daß Du dort gut angekommen bist.  Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 22.Oktober 1940

Nun habe ich unsere zwei Banausen zu Bett gebracht und will jetzt an Dich schreiben. Vorher hat man doch keine Ruhe, wenn zwei solche Quecksilber rumhopsen.
Wenn ich Dir von meiner heutigen Arbeit erzählen will, fange ich am besten vom Morgen an.  Heute Nacht hatte es Nebel, so daß am Morgen die Sträucher feucht waren. Da habe ich gleich Kalk gestreut, d.h. teilweise habe ich ihn mit Kurt seiner alten Zahlbürste aufgestrichen. Die 2 Stachelbeer-Hochstämme konnte ich noch nicht kalken, da noch zuviel Blätter dran sind.  Nachdem ich diese Arbeit getan hatte, habe ich mit umgraben begonnen, wobei ich auch Kalk gestreut habe. Oberhalb der unteren Erdbeerbeete habe ich fertig umgegraben. Später habe ich weiter oben, wo die Bohnen standen, nochmals grob umgegraben. Ich bin da zur Hälfte fertig geworden, da ich gleich noch das Gurkenbeet mit umgegraben habe. Vielleicht grabe ich morgen noch das restliche Stück um.  Nachdem nun in dem kurzen Absatz fünf Mal von umgraben die Rede war, will ich erst mal damit aufhören. 
Bei Tag war heute wieder sonniges Wetter.  Da macht das Schaffen im Garten Freude. Als ich im Garten war, kam Frau Steinmehl.  Nachdem sie vom Essenkochen zu reden begonnen hatte, klagte sie mir dann ihr Leid. Sie hätte es jetzt so gut gehabt, als ihr Mann nicht da war. Da hätten ihr die Kinder gefolgt und hätten auch alles gegessen. Seit er wieder da sei, wär‘s aus. Wenn sie sagte, sie müßten den Teller leer essen, sagte er, wenn sie‘s nicht essen wollten, solle sie‘s wegschütten. Frau Steinmehl hat bald geheult. Sie sagte, sie möchte nie wieder Kinder aufziehen, denn sie hätte immer allein gegen alle Unarten ankämpfen müssen, während ihr Mann immer etwas anderes sagt als sie. Er hätte immer den Kindern geholfen. Da habe ich an Dich denken müssen, was für eine Stütze ich doch da an Dir habe.  Ich habe es auch gesagt, daß es so etwas bei Dir gar nicht gibt. Es ist doch nicht schön wenn man sagen muß, man hat es so gut, wenn der Mann nicht da ist. Das muß und kann ich ja nicht sagen. Ich freue mich ja schon so, wenn Du wieder da bist. Es ist doch viel wert, das gegenseitige Verstehen. Ich bin ja so glücklich, daß Du mein Mann bist.
Jetzt muß ich noch mal vom Garten anfangen. Ich weiß nicht mehr, muß ich auch den Apfelbaum kalken? Muß ich einen Leimring drum machen? Schreib mir das doch bitte noch mal.  Morgen Abend haben wir Luftschutz-Vollübung im Haus 87. Diesmal ist er von keiner untergeordneten Stelle angeordnet worden. An praktischer Betätigung fehlt es uns ja Gott sei Dank bis jetzt. Da müssen wir üben, damit wir nicht alles vergessen. 
½ 10 Uhr  Vorhin ist mir gerade noch eingefallen, daß ich auch einmal an zu hause schreiben sollte. Da habe ich mich gleich noch hingesetzt. Die Durchschläge sende ich Dir mit. Nun kann ich zum Abschluß noch an Dich schreiben.  Viel habe ich ja von Deinem Urlaub nicht an die Eltern geschrieben, aber wie soll ich da auch schreiben. Die wunderschönen Tage, die wir zusammen verbracht haben, kann man doch nicht schildern.  Jetzt werde ich noch einen Moment lesen und nach den Nachrichten geht´s ins Bett.  Nun gute Nacht, mein lieber Ernst.

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