Dienstag, 6. Oktober 2015

Brief 71 vom 3./4.10.1940


Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 3.Okt.40 

Heute Vormittag habe ich wieder keine Post von Dir bekommen. Von den Eltern erhielt ich ein Zeitungspaket. Dir soll ich ja keine Zeitungen mehr schicken und so werde ich sie nach und nach durchlesen. Die Eltern schreiben, daß Siegfried rückwirkend per 1.9. zum Unteroffizier befördert worden ist. 
Heute früh habe ich Spinat gesät und Jörg hat die Bohnenstangen von den Ranken befreit und dann haben wir sie zusammen rüber geschafft. Wenn ich mit dabei bin, schafft er gern, aber wenn er etwas allein machen soll, drückt er sich wo er kann.
Wir gehen am Nachmittag zusammen, alle 3, in die Stadt. Ich will den Kindern einmal die Bomben zeigen.  Es ist da: Eine Petroleumbombe mit Lumpenfüllung, eine Leuchtbombe, eine Brandbombe mit Fallschirm, eine Stahlstabbrandbombe, mehrere Splitter einer Sprengbombe und Brandblättchen. Diese Bomben sind in Gailingen und Umgebung abgeworfen worden. Sie sind natürlich alle mehr oder weniger beschädigt.
Kurt war heute noch nicht da. Er sagte mir gestern, er hätte gern mit dem Urlaub noch gewartet, bis Du welchen hast, aber er hat ganz plötzlich fahren müssen. 
Helga hat doch den Ausschlag. Da hat mich die Lehrerin heute bitten lassen, ich möchte doch bitte mit Helga einmal zum Arzt gehen, damit man weiß, ob‘s ansteckend ist. Ich gehe da heute gleich mal mit, evtl. zu Dr. Nast, da Dr.  Bundschuh eingezogen ist. 
Heute ist das erste Mal wieder richtiger Sonnenschein. Das tut direkt gut. Da haben wir‘s mit dem spazieren gehen gerade gut getroffen. Ich bin doch jetzt längere Zeit nicht bei Kusters gewesen. Da habe ich gerade von Frau Weber gehört, daß Herr Kuster wieder im Krankenhaus war und zum zweiten Mal operiert worden ist. Er ist jetzt wieder daheim. 
Nun, lieber Ernst, schließe ich wieder. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 


Mein lieber Ernst!                                                 Konstanz, 4.Okt. 40

Heute erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 26. und 29.  Sept. Ich danke Dir sehr dafür.  Wegen der Zähne werde ich heute noch zu Herrn Beck gehen und sehen, ob er überhaupt noch da ist. Ich werde dann alles in Deinem Sinne erledigen und gebe Dir dann Bescheid. 
Wenn die Eltern über deinen Brief nicht verschnupft sind, ist es ja recht. Daß Siegfried Unteroffizier geworden ist, habe ich auch gestern erst erfahren.  Daß Du mir das Jäckchen gekauft hast, war schon recht. Ich kann auch mal bewundert werden. Du weißt ja, ich bin nicht so eitel, aber es freut mich doch, wenn ich sehe, ich bin noch nicht so alt und häßlich. Wünsche habe ich eigentlich keine mehr an Dich in Bezug auf Kleidung, denn Du hast mich ja schon so reich beschenkt. Aber ich will mal zusehen, ich ob das Geld dieses Jahr noch zusammen kriege, daß ich mir einen Wintermantel kaufen kann. Wenn dann bald die Hauptarbeit im Garten vorbei ist, will ich mir den Pullover stricken, d.h. fertig stricken. Den Kindern muß ich noch Handschuhe und Socken stricken und außerdem muß ich ihnen noch Mäntel nähen. Da gibt es auch wieder Arbeit. 
Heute haben wir die Kartoffeln im kleinen Garten raus gemacht. Es sind ca. 8o Pfund. Das sind nicht zuviel, aber der Baum hat auch viel Kraft gebraucht. Ich habe jetzt einen Ring um den Baum gegraben, in den ich Gülle füllen werde. Hinterher grabe ich noch den Garten um. Dann wäre eigentlich noch die größte Arbeit, das Sauerkraut einmachen. Die andere Arbeit werde ich Dir überlassen müssen, wie Brombeeren und Sträucher verschneiden und Komposthaufen umgraben. 
Also, ich muß schon sagen, verhungern tust Du bei dem Essen dort auf keinen Fall. Neidisch bin ich Dir aber nicht. Wer weiß, ob ich das alles hätte essen können. Ich esse verhältnismäßig sehr wenig. Wenn ich viel esse, habe ich mörderisches Leibweh. Als ich ein paar Mal so viel zu schaffen hatte während der Apfelernte, habe ich hinterher gerade ein Brot essen können, so abgespannt war ich, und das ist mir nicht ganz gut bekommen.
Als ich es beim 2. Mal doch durchsetzen wollte, mehr zu essen, habe ich alles wieder brechen müssen. Aber wenn ich normal zu schaffen habe, fühle ich mich wohl und munter und ess natürlich auch richtig, nur nicht zu viel, sonst ist mir‘s nicht mehr gemütlich. Äpfel verdrücke ich ja schon ziemlich am Tag. Das ist mal das feine bei den Äpfeln, man kann essen ohne nach dem Preis zu fragen und ob wieder ein Pfund alle ist. 
Gestern war ich mit den Kindern beim Arzt. Jörg hat es nämlich auch ein bißchen bekommen. Es ist ein harmloser aber sehr ansteckender Ausschlag. Helga muß ein paar Tage daheim bleiben.  Morgen müssen wir wieder zum Doktor. Er will sehen, ob wir alles  richtig machen mit dem Einreiben der Salbe. Wir haben erst den Grind abweichen  und abschaben müssen und dann die Salbe auftragen. Am besten sehen ja immer die Bettbezüge aus, vorigen Monat von der Augensalbe und jetzt von der Gesichtssalbe. Na, die Hauptsache, es wird bald gut. Wir sind bei Dr. Baumgartner, Vertretung Dr. Burkhard. Das ist ein Spezialarzt für Hautkrankheiten. Helga ist ganz fidel, daß sie nicht in die Schule muß. Schmerzen hat sie nicht und zum Spielen darf sie in den Hof. Was will sie auch noch mehr?
Wegen dem Autofahren staune ich schon, wie Du mit Fachausdrücken um Dich wirfst. Schaden kann Dir‘s auf jeden Fall nicht, wenn Du auch Auto fahren kannst.  Ich träume die letzten Nächte immer von Dir. Ich kann früh immer nicht mehr sagen was, aber ich bin immer ein bißchen unruhig. Ganz sorglose Träume sind es also nicht. Du kannst natürlich nichts dafür, aber es wäre eben doch schon, wenn ich Dich mal wieder richtig persönlich sehen könnte. So gehen eben nur nachts die Gedanken auf Suche nach Dir. 
Nun will ich wieder schließen. Lieber Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Lieber Ernst! Ich schreibe auf der Post. Ich war eben bei Herrn Beck. Du sollst versuchen, ob Du einen Überweisungsschein bekommst. Im Allgemeinen sind nur Zahnärzte, keine Dentisten beim Militär zugelassen. Außerdem wär es fraglich, ob sie eine Krone bewilligen. In den 10 Urlaubstagen könnte er die Krone gut fertig machen. Wenn Du keinen Schein bekämst, würde er Dir die Krone zum Selbstkostenpreis berechnen.  Gerade als ich zu hause wegfahren wollte, sind wieder 2 Briefe von Dir gekommen. Vom 27. und 30. Sept. Ich beantworte sie Dir morgen.  Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.
=======================================================================

Die nächsten Briefe wurden erst wieder am 16.10.1940 geschrieben, weil Ernst Rosche 14 Tage auf Heimaturlaub war.

=======================================================================

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen