Montag, 26. Oktober 2015

Brief 79 vom 26.10.1940


Mein lieber Ernst!                                               Konstanz, 26.Oktober 40 

Heute habe ich wieder die Freude gehabt, einen Brief von Dir zu bekommen vom 22.10. Deine Briefe sind immer so schön geschrieben, daß ich mich schon vorher jedes Mal freue. 
Es freut mich, daß Dir die Bilder auch gefallen haben. Sie sind doch eine Erinnerung an Deinen Urlaub.  Wenn Du Fett bekommen hast und es mir schicken willst, bin ich Dir sehr dankbar. Die fettdichten Honigbehälter sende ich am Montag weg, da mir heute die Zeit etwas zu knapp dazu ist. 
Gestern habe ich mich an das Auftrennen des Mantels von Kurt gemacht, denn ich will jetzt mit nähen anfangen. Die Maschine habe ich mir heute schon rausgeholt. Zuerst kommt nur noch das Kraut einhobeln dran. 
Gestern wollte doch die Spielschar zu den Verwundeten gehen. Nun wollen sie erst morgen gehen. Damit aber die Blumen nicht verwelken, es sind unsere letzten Dahlien, habe ich die Kinder mit den Äpfeln noch dazu, heute hingeschickt. Jörg ist ganz glücklich, daß er nun mit durfte. Die Frau Synkovis hatte die Blumen und Äpfel gestern mit heim genommen. Helga sollte sie am Sonntag wieder bekommen. Da mir das nicht recht war, habe ich sie wieder geholt. Ich habe gesagt, daß es um die Blumen schade ist. Wenn sie schon abgeschnitten sind, sollen sie auch Freude machen. Als ich hin kam, lagen sie noch ohne Wasser da und waren teilweise schon angewelkt. Ich habe auch die Äpfel geholt, da die Kinder ja schließlich nicht nur mit den Blumen losgehen können.
Die Frau Synkovis fragte, ob denn Helga am Sonntag dann nicht mit käme, Frl. Maibrunn käme von der Presse und photografiert würden sie für die Zeitung auch. Ich antwortete drauf, das wüßte ich noch nicht.  Das Photografieren wäre ja schließlich nicht die Hauptsache bei einem Besuch der Verwundeten, sondern muß man ihnen eine Freude macht. (Aus den Reden hatte ich gemerkt, daß ihr die Presse und das Photografieren die Hauptsache ist. Da hat sie sich ziemlich gefuchst und sie sagte, als ich wegging: „Auf die Blumen käme es ja schließlich nicht an, sie hätten so viel Blumen bestellt, daß jedes Kind welche bekäme und Äpfel hätten sie einen ganzen Wagen bestellt“. Darauf habe ich gesagt: „Na, sehen sie, da ist es ja besser, ich hole sie ab, so machen sie wenigstens eine kleine Freude.“ Ich habe mich ja heimlich gefreut. Mir ist die Frau nicht sympathisch. Kennst Du sie? 
Wir haben seit ein paar Tagen sehr regnerisches Wetter, so daß ich noch nicht zum Umgraben des Gartens hinterm Haus gekommen bin. Da ich ja nun im Haus sein muß, kann ich ja die Hausarbeiten bei Tag alle machen, da bin ich gegen Abend fertig und lese den Kindern von 6  bis 7 ungefähr etwas vor und zwar aus “Nils Holgerson´s Reise mit den Wildgänsen“ immer ein Stück. Was noch für die Kinder unverständlich geschrieben ist, erzähle ich einfach. Helga und Jörg sind ganz begeistert. 
Kurt hat an Vater und mich geschrieben, daß er das Notizbuch bekommen hat und daß er jetzt ganz erleichtert dadurch ist.  Heute habe ich mal alle Bohnen versorgt, die überall herumstanden. Die Äpfel, die Du noch abgenommen hast, sind auch ziemlich zusammengeschrumpft, so daß auf einmal wieder ziemlich Platz im Schlafzimmer ist.  Nun schließe ich. Es ist gleich 5 Uhr und ich muß noch einkaufen. 
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber, lieber Ernst!                                    Konstanz, 26.Oktober 40. 

Heute Abend will ich Dir nur noch ein paar Zeilen schreiben, ehe ich schlafen gehe. Ich freue mich immer, wenn ich noch mit Dir brieflich wenigstens reden kann. 
Nachmittags waren die Kinder doch bei den Verwundeten. Sie kamen ganz begeistert heim. Die Soldaten hätten sich so gefreut und hätten so Spaß mit ihnen gemacht. Einen haben sie auch wieder getroffen, den sie schon einmal besucht haben. Erst sind sie in ein kleines Zimmer gegangen und haben dem Soldaten die Blumen und etliche Äpfel gegeben. Dann sind sie in einen größeren Saal gekommen, da sind ungefähr 12 drin gelegen. Da haben sie jedem einen Apfel gegeben und haben sich unterhalten. Die Soldaten haben dann gesagt, sie soll mit ihrem Zeugnis nur mal hinkommen. Aber ich lasse sie nicht gehen. Gegen ¼ 6 Uhr sind sie dann dagewesen. Kurz danach bin ich vom Einkaufen auch heimgekommen. Wir haben dann gegessen und dann haben sie gleich ihre Stühle geholt und haben gewartet, daß ich vorlese. Da es schon ½ 7 Uhr war, wollte ich sie auf morgen vertrösten, aber sie haben so gebettelt, da konnte ich nicht hartherzig sein. Bis ¼ 8 Uhr habe ich dann gelesen, dann mußten sie sich aber ausziehen.  Ich habe sie noch fest abgeschrubbt, da ja heute Samstag ist und endlich ¼ 9 Uhr waren sie im Bett. Es ist jetzt um 9 Uhr und ich gehe auch gleich schlafen. Ich bin heute richtig müd.
Ich habe mich so gefreut, daß Du immer an uns denkst und sogar schon wieder Päckchen schickst, nachdem Du uns und besonders mich doch gerade erst so verwöhnt hast. Du bist ein ganz lieber Kerl, weißt Du das?  Ich habe es damals, als Du fort gefahren bist, doch gespürt, daß Du noch nicht um ½ 8 Uhr dort warst, denn erst gegen 1o Uhr ist es mir doch etwas leichter geworden, wie ich Dir schon schrieb.
Ich habe mich hinterher, als ich gelesen habe, daß Du wirklich ca. 2 Stunden später angekommen bist, gefreut, daß ich in Gedanken so mit Dir verbunden bin, daß ich das gefühlt habe. Ich denke ja auch den ganzen Tag an Dich und bis jetzt habe ich jede Nacht von Dir geträumt.  Nun will ich aber schlafen gehen, sonst wird es wieder so spät. Gute Nacht, mein lieber Schatz!

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