Freitag, 30. Oktober 2015

Brief 81 vom 29.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                            Konstanz, 29.Oktober 40.  

Heute ist es schon ½ 4 Uhr, ehe ich dazu gekommen bin, an Dich zu schreiben.
Ich habe den ganzen Vormittag Kraut eingehobelt. Nachdem ich im Garten noch einige Krautköpfe stehen gelassen habe, für Krautwickel usw., habe ich doch den ganzen Topf voll Kraut eingehobelt. Dabei habe ich noch abgeschnittenes Kraut übrig. Ich glaube, das Sauerkraut langt uns. 
Eben kam der Briefträger und brachte mir zwei Päckchen von Dir, aber keinen Brief. Der letzte Brief von Dir war vom 22.10. In den Päckchen, für die ich Dir herzlich danke, waren Handschuhe, Schokolade, Zucker, Leder, eine Batterie und Kaffee. Ich habe mich sehr über alles gefreut. Die Handschuhe passen fein und sie gefallen mir sehr gut.
Lieber Ernst, sind das die zweiten Päckchen? Denn die Bluse, das Jäckchen und Strümpfe waren nicht drin. Vielleicht kommen diese Päckchen später, wenn auch wieder ein Brief von Dir kommt. 
Ich bin sehr froh, daß ich jetzt wieder eine Batterie habe. Da brauche ich im Keller nicht immer so im Dunklen tappen.  Über das Leder freue ich mich auch sehr. Bei den Schuhen von Jörg tut‘s not, daß ein paar richtige Absätze drauf kommen. Die Gummiabsätze sind ja ganz abgetreten. Du bist halt ein ganz lieber Kerl, Du sogst für alles. Die Schokolade hebe ich noch auf. Ich danke Dir also nochmals für all die schönen Sachen, auch für die schönen Handschuhe. Sind Deine Handschuhe auch braun oder grau? Hast Du Dir eigentlich schon eine Schirmmütze gekauft, oder gibt es dort auch keine? Ich würde mich so freuen, wenn ich wieder einen Brief von Dir bekäme. Ich hoffe ganz fest auf morgen früh. Das kann doch die Post gar nicht verantworten, mich solange warten zu lassen, bist Du nicht auch der Meinung? Deine beiden lieben Päckchen habe ich ja heute erhalten und drum will ich nicht maulen. 
Ich soll Dir auch noch schreiben, daß Jörg mir brav geholfen hat beim Einhobeln. Er hat die Blätter auf den Komposthaufen geschafft, nachdem er mir früh schon das ganze Kraut raufgeholt hat. Auch gestampft hat er ein bißchen mit. War er nicht brav? Die Blätter habe ich vorhin noch richtig auf den Komposthaufen aufgeschichtet, damit alles ein bißchen ordentlich aussieht. 
Das Wetter hat sich heute ein klein wenig gebessert. Es ist zwar noch ganz bedeckt, aber wenigstens nicht naß. Wenn sich‘s  eine Weile hält, kann ich bald den Garten umgraben.  Ich habe jetzt schon manchmal gedacht, wie gut es doch war, daß Du Anfang Oktober hier warst und nicht erst jetzt. Erstens ist es jetzt schon ziemlich kalt und außerdem so unfreundlich.
Von Fahrten nach Immenstaad, Meersburg oder der Mainau hätten wir jetzt gar nichts mehr. Und gerade diese Fahrten und Spaziergänge waren doch so schön und man erinnert sich so gern daran. 
In Deinem Brief vom 22. schreibst Du, daß Ihr zu einer Brandstelle gerufen worden seid. Was müßt Ihr da tun?  Nun wird es wieder Zeit, daß ich den Brief fortbringe. Ich danke Dir noch vielmals für Deine lieben Päckchen und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

 Mein lieber Ernst!                                                     29.10. abends

 Ich bin jetzt gerade mit meinem Tagewerk fertig, es ist 10 Minuten vor 10 Uhr. Jetzt wird im Radio „Der Lügenlord“ gesungen. Das höre ich doch besonders gern. 
Bis ½ 10 Uhr war Vater da. Ich habe bis jetzt gebügelt, da wir morgen Vormittag zur Sparkasse gehen wollen, da komme ich nicht dazu. Vater hat den Kindern je 25 Pfennig gegeben, die sie noch mit sparen sollen. Da war die Freude groß.  Morgen Nachmittag soll ich Vater die Erdbeersetzlinge raus machen. Er holt sie morgen Abend.  Heute Abend habe ich den Kindern wieder vorgelesen. Da solltest Du sehen, wie sie nach dem Abendessen springen, damit noch Zeit zum Vorlesen bleibt.  Eins macht gleich die Fensterläden zu und deckt die Betten auf, das andere räumt die Butter, Brot usw. vom Tisch und holt den Verdunklungsvorhang. Inzwischen habe ich dann abgewaschen. Nun wird noch die Tischlampe geholt, die blendet nicht so, dann werden die Stühle zu mir an die Seite gerückt, damit auf jeder Seite einer sitzt und nun wird vorgelesen. Das Märchen gefällt den Kindern sehr. Immer betteln sie, daß ich noch ein paar Seiten mehr vorlesen soll, bis es dann höchste Zeit zum schlafen gehen ist.  Die letzten Tage hatte ich immer meine alten Handschuhe angezogen, weil mir die neuen von Dir zu schade waren. Da es mir aber immer so durch die Ärmel zog, habe ich heute doch die neuen Handschuhe, die dunkelgrünen, die auch so schöne hohe Stulpen haben, angezogen. Das war schön warm, einfach prima. 
Nun möchte ich Dich noch etwas fragen. Du hast doch eine Skimütze. Du hast sie ja in den letzten Jahren wenig aufgesetzt. Sie paßt nun Jörg gerade, Du weißt ja, er hat einen ziemlich dicken Kopf. Da wollte ich Dich fragen, ob er sie mit aufsetzen darf. 
Ich habe heute Vater nochmals gefragt, was Du ihm besorgen sollst. Vor allen Dingen Kaffee und evtl.  etwas zu rauchen. Aber vor allen Dingen solltest Du uns erst schicken, sagte er, das wäre am wichtigsten. Aber ich glaube, er freut sich auch, wenn Du mit an ihn denkst.  Heute hat er mir wieder 1,30 für‘s waschen gegeben, nachdem er mir vorige Woche schon ½ Pfund Margarine gebracht hat. 
Lieber Ernst, ich schreibe Dir gern abends noch ein paar Zeilen, denn da bin ich mit schaffen fertig und kann ausspannen.  Da kommt es auch auf ein paar Minuten mehr nicht an. Anders bei Tag. Da habe ich meist immer zu tun und bis 5 Uhr sollte ich fortfahren, da es sonst zum Abendbrot zu spät wird.
Denken tue ich ja den ganzen Tag an Dich und ich habe auch immer Dein liebes Bild vor mir, ich brauche nur den Kopf zur Seite zu wenden.  Ich schrieb Dir heute, daß ich gern an die Fahrten nach Meersburg, Immenstaad und Mainau denke. Als ich das schrieb, habe ich mir alles nochmals genau vorgestellt und dabei habe ich gemerkt, daß es besser ist, ich denke daran nur wie an einen schönen Traum. Wenn ich mir alles nochmals genau vorstelle, tritt der Unterschied zwischen den schönen Tagen, als Du hier warst und heute doch zu sehr zu Tage. Es ist besser, man denkt nicht zu viel nach, sondern tut seine tägliche Pflicht. Da vergehen die Tage auch und Dein nächster Urlaub kommt näher. Und darauf will ich mich immer freuen. 
Es ist nun ¾ 11 Uhr. Vielleicht bist Du auch schon im Bett. Ich gehe jetzt auch schlafen. Schlaf Du auch gut, mein lieber Mann.  Wenn es auch besser ist, wenn man nicht so viel nachdenkt, an eins denk ich doch immer, daß Du mich auch lieb hast, wie ich Dich lieb habe. Das ist meine tägliche Freude. 
30.10.     Mein lieber Ernst!
Da wir heute früh in der Stadt waren und spät zum essen gekommen sind, schreibe ich Dir jetzt nur ganz kurz. Heute Abend schreibe ich Dir wieder. Heute früh kam Dein lieber Brief vom 24.10. und heute Nachmittag zwei Päckchen mit Seife und Unterwäsche. Ich habe mich fest gefreut. Die ersten zwei Päckchen sind noch nicht angekommen. Wahrscheinlich sind sie irgendwo liegen geblieben, wie es ja früher schon einmal der Fall war. Ich danke Dir für die Päckchen einstweilen recht herzlich. Deinen lieben Brief beantworte ich heute Abend.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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