Mein liebster Ernst ! Konstanz,
26.3.42
Von dir erhielt ich heute keinen Brief, auch ein Päckchen
kam noch nicht an. Dafür erhielt ich einen Brief von Papa, der mich wenig
erfreut hat und eine Karte von Erna und Siegfried. Siegfried ist noch in Karlsruhe
und hat Erna hinkommen lassen. Wie Papa schreibt, kann es sein, dass sie uns
noch mit besuchen.
Den Brief von Papa schicke ich dir am besten mit, da kannst
Du ihn selbst lesen. Wie ich es herauslese, wird es wohl nicht mehr lange
dauern, bis Papa wieder heiratet. Mir soll alles gleich sein. Manchmal möchte
ich von dem ganzen Kram am liebsten nichts mehr hören. Es ist eben so, wenn die
Mutter nicht mehr da ist, fällt die ganze Familie auseinander. Heimfahren würde
ich ja nicht mehr, und eine fremde Frau brauchte Papa auch nicht mit
herzubringen. So bald nach Mama´s Tod würde mir das zu weh tun.
Gerade in der Sache mit den Reisen von Erna, hat jeder Recht
und Unrecht. Papa sagt, sie ist dazu hier, um die Wirtschaft zu machen. Da geht
es nicht, dass sie verreist. Das ist ganz recht und gut. Sie ist aber
schließlich kein Dienstmädchen, die Siegfried nur so nebenbei geheiratet hat,
damit Papa nicht allein ist. Es freut mich einesteils, dass Siegfried an Erna
denkt und sich nicht mit anderen abgibt, wie ich ja manchmal befürchtet habe.
Sie sind ja so kurz verheiratet und sehen sich wenig. Wenn sie nun in der
glücklichen Lage sind, dass Erna öfter mal zu seinem vorübergehenden Standort
kommen kann, vor allem, wenn sie geldlich dazu in der Lage sind, so kann ich es
von ihrem Standpunkt aus schon verstehen, wenn sie die Gelegenheit nützen. Ich
soll mich ja nun einmischen, aber ich muss sagen, ich tue es ungern. Denn
glaube mir, das endet alles Mal mit einem großen Krach.
Gestern Nachmittag sind wir in der Stadt gewesen und haben
Papier, Lumpen, Knochen und Silberpapier fortgeschafft. 92 Pfg. haben wir dafür
bekommen. Hinterher sind wir auf dem Heimweg gleich noch Kohlen holen gegangen.
Drei Zentner haben wir gleich mitgenommen und die restlichen zwei Zentner haben
wir heute Morgen geholt. Das hätten wir auch geschafft.
Ich bin jetzt ein bisschen bei der Frühjahrsputzerei.
Gestern habe ich die Fußböden frisch gefärbt, heute die Gardinen gewaschen. So
kommt eins nach dem anderen dran.
Ich hatte mir die Tage überlegt, wie ich die drei Truhen
stellen kann, ohne dass es gequetscht aussieht, und dass ich auch die
Nähmaschine in die Schlafstube bringe. Ich habe es nun so gemacht, dass ich die
Maschine an ihren alten Platz und die große Truhe vor´s Bett gestellt habe. Die
Truhe von Mama habe ich auf den Korridor transportiert und das Werkzeugkästchen
in die Küche getan. So ist alles untergebracht.
Am Samstag bekommen die Kinder Zeugnisse. Die Lehrerin von
Helga hat schon gesagt, dass bei Lehrerinnenwechsel immer etwas schlechtere
Zeugnisse kämen, da ja die Lehrerin die Kinder noch nicht richtig kennen würde.
Ich bin nur gespannt, was Helga für eine Zensur im Schreiben mitbringt. Unter
einer 4 wird es wohl kaum sein.
Heute haben wir, wie gestern Nachmittag, ein sonniges Frühjahrswetter.
Es ist so warm, dass man die Fenster offen lassen kann. Aber morgens, wenn noch
keine Sonne da ist, ist es sehr kühl.
Nun laß mich schließen. Es grüßt und küsst Dich recht
herzlich Deine Annie.
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