Konstanz,
20.3.42
Mein lieber Ernst!
Der heutige Tag hat zwei Überraschungen gebracht, eine gute
und eine weniger gute. Mit der guten will ich beginnen. Heute Morgen traf
Siegfried zu einem kurzen Besuch hier ein. Er ist mit dem Lazarettzug gekommen.
Sie haben hier die letzten Verwundeten ausgeladen. Siegfried hat sich nun bis
Morgen Urlaub geben lassen. Mit dem Schnellzug 9:28 Uhr will er nach Karlsruhe
fahren, wo sein Zug zur Reparatur steht. Wir haben uns schon mancherlei
erzählen können. Ich weiß nun auch wieder, wie alles zuhause steht. Papa und
Erna kommen also gut miteinander aus, was mich sehr freut. Auch über den Streit
zwischen Frau Junghanns und Papa habe ich mich unterrichtet. Da erfuhr ich nun,
dass Papa aus dem Elternverein ausgetreten ist und dass auch Frau Junghanns
ihre Ämter niedergelegt hat. Wahrscheinlich geht auch der ganze Verein flöten.
Der Krach ist zuerst daher gekommen, dass Frau Junghanns zu Papa gesagt hat,
jemand hätte auf dem Heimweg vom Begräbnis von Mama gesagt, nun könne Papa ja
Frau Junghanns heiraten. Papa wollte nun wissen, wer das gewesen sei und Frau
Junghanns hat es ihm nicht gesagt. Da gab es den ersten Krach. Nun gibt es
verschiedene Bewerberinnen, die Papa heiraten möchten, eine geschiedene Frau
Böhler und ein Fräulein aus Papa´s früherem Geschäft. Die Frau Junghanns kennt
die Frau Böhler nur aus Eifersucht, oder was weiß ich, hat sie zu ihr gesagt,
dass Alice das ledige Kind von Mama sei. Das hat natürlich Papa wieder geärgert
und so kam es wieder zum Krach.
Heute Morgen waren die Kinder ja noch in der Schule, als
Siegfried kam. Sie haben sich dann sehr gefreut, als sie heim kamen. Siegfried
hat auch ihre Sparkasse mit einer Mk. bereichert, und außerdem hat er jedem
noch 60 Pfg. für ihre Schulsparkasse gegeben. Zum Essen hat Siegfried auch
Wurst, Käse, ½ Pfund Butter, ein Brot, Bohnenkaffee, 3 Dosen Fisch, eine Dose
Leberwurst und eine Dose Rindfleisch mitgebracht.
Siegfried sagte mir, dass Meiningen sehr schön ist, und dass
er öfter hin kommt. Dabei will er auch Kurt mit besuchen.
Wie Siegfried sagte, muß es in Russland furchtbar sein.
Größer als die Schussverletzungen sind die Erfrierungen, also sie haben mehr an
Füßen und Händen erfrorene, als
tatsächlich Verwundete. Man kann alles gar nicht so schreiben.
Die weniger schöne Überraschung war heute die Ankündigung
einer Verringerung der Lebensmittelrationen. Bei den Kindern bleibt fast alles
gleich, sie bekommen nur 50g Fleisch pro Woche abgezogen, aber bei Erwachsenen
kommen wöchentlich ein halbes Pfund Brot in Wegfall, außerdem kann man
scheinbar kein Mehl mehr auf die Brotkarte bekommen, nur ca. 1 Pfund auf die
Kinderkarte und wie ich hörte, gibt es das Pfund Mehr auf die Nährmittelkarte
auch nicht mehr. Das geht aus dem Zeitungsartikel nicht ganz klar hervor.
Dann bekommen wir statt 400g nur noch 300g Fleisch pro Woche
und 250g Butter im Monat weniger. Der Zucker auf der Marmeladenkarte wird auch
um 100g herunter gesetzt. Das sind ziemlich viele Kürzungen auf einmal. Na, wir
werden uns auch darein finden. Die Hauptsache, dass wir genügend Kartoffeln
bekommen. Da kann man sich immer noch helfen.
Siegfried sitzt gerade mit den Kindern zusammen und spielt
einige Spiele mit ihnen.
Evtl. wollen wir heute Abend noch ins Kino gehen. Es wird
„Himmelhunde“, ein Segelfliegerfilm, gespielt.
Nun laß mich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und
geküsst von Deiner Annie.
Lieber Ernst!
Durch Zufall kam ich her und freue mich, dass ich wenigstens
einen Tag hier bleiben kann. Meine geänderte Adresse lautet wie folgt:
Uffz. S. Michel, Lkp. 2675, Berlin-Reinickendorf, Tegeler
Weg
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