Donnerstag, 23. März 2017

Brief 288 vom 15.03.1942


Konstanz, 15.3.42
Mein liebster, bester Ernst !

Es ist dies nun wieder der erste Brief, den ich an Dich schreibe. Es ist abends ¾ 10 Uhr. Wir haben vorhin bei Deiner Ankunft und bei Deiner Abfahrt von Stuttgart auf die Uhr gesehen. Unsere Gedanken gehen ja immer zu Dir hin.
Als wir von der Bahn kamen, sind wir mit Vater ins Kino gegangen. Vater hat 2.-Mk. dazu gezahlt. Anders tat er´s nicht. Den Kindern hat der Film viel Freude gemacht. Ich hab diesmal nicht wieder so darüber lachen können. Eine neue Wochenschau war da, in der auch die bombardierten Häuser von Paris gezeigt wurden. Da haben die Bomben schwer gehaust. Vater hat der ganze Film, bzw. die Wochenschau wohl ziemlich beeindruckt, denn er sagte, man müsse nur staunen, wie solche Aufnahmen gemacht werden könnten. Wir sind auf dem Heimweg bis zur  Schneckenburgstraße mitgegangen und sind dann heim. Da war und ist es ja sehr einsam. Helga sagte uns dann unter Tränen, dass sie uns was zeigen müsste. Sie brachte dann aus ihrer Tasche zwei Stückchen Draht zum Vorschein. „Die habe ich noch vom Vaterle, wo ich ihm im Garten bei den Brombeeren geholfen habe. Die hat er noch mit seinen lieben Händen angefasst. Da habe ich sie mir aufgehoben.“ Vorhin haben wir noch Abendbrot gegessen und nun sind die Kinder im Bett. Sie waren sehr müde. Kaum, dass sie sich noch ausziehen konnten. Ich gehe nun auch ins Bett, denn auch ich bin sehr müd. Ich hoffe, dass wir fest schlafen können. Auf ½ 5 Uhr stelle ich mir den Wecker, damit ich bei deiner Ankunft in Köln mit meinen Gedanken bei Dir sein kann. Hoffentlich hast Du einen Platz bekommen, auf dem Du ein bisschen schlafen kannst.
Es waren doch schöne Tage, die wir wieder zusammen verlebt haben. Und die beiden Spaziergänge in den Wald haben uns ja allen gefallen. Die schöne Rangelei im Schnee haben wir ja in einigen Bildern festgehalten. Sie werden immer wieder dazu beitragen, uns diesen Tag zu vergegenwärtigen.
Ich gehe nun ins Bett. Es ist zu einsam und still hier. Wie schön waren doch dagegen die vergangenen Abende, wenn ich mit dir zusammen sitzen konnte. Da hat man erst wieder gemerkt, wie schön ein Feierabend sein kann, und man fühlt dann so recht den Unterschied zu diesem einsam herumsitzen.
Nun gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst. Bleib ganz gesund!
16.3.
Guten Morgen, mein lieber Mann! Wenn du pünktlich angekommen bist, musst Du jetzt in Maastricht sein. Auch heute Morgen von ½ 5 bis um 5 war ich munter und habe an Dich gedacht. Heute mussten wir ja zeitiger aufstehen, da die Kinder zur Schule müssen. Unsere Beiden waren ziemlich verschlafen und Helga wünschte sich, dass sie wieder heimgehen könnten und keinen Unterricht hätten. Damit wird es aber nichts sein.
Gestern Abend sind die Kinder gleich eingeschlafen. Kein einziges Wort haben sie geredet. Das ist doch bestimmt eine Seltenheit.
Es ist mir heute wieder ganz fremd vorgekommen, dass niemand neben mir geatmet hat, als ich heute aufwachte. Es war in den vergangenen Tagen mein erstes, darauf zu hören, und es war so schön, zu wissen, du bist da.
Ich gebe diesen Brief nun Helga mit, damit sie ihn noch zur Post bringt und Du ihn bald erhältst. Ich gebe Dir für heute recht, recht viele Küsse und grüße dich vielmals, Deine Annie.

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