Donnerstag, 23. März 2017

Brief 289 vom 16.03.1942


                                                                                                Konstanz, 16.3.42           
Mein lieber, lieber Ernst !

Dieser Tag geht nun auch bald zu Ende, und heute empfinde ich noch mehr als gestern, wie sehr du mir fehlst. Gestern kamen wir spät heim und sind bald ins Bett gegangen, aber heute bin ich den ganzen Abend allein. Das ist sehr einsam. Sonst warst Du in der Stube, lagst auf dem Sofa und ich konnte mich nach meiner Arbeit zu Dir setzen. Das geht nun vorläufig nicht mehr. Aber sehr schön war´s, dass Du auf Urlaub da warst und wir ein paar schöne Tage zusammen verleben konnten. Diese Tage sind immer Lichtblicke im Alltag.
Nun wirst Du ja wieder an deinem Bestimmungsort sein. Hoffentlich ist die Fahrt soweit gut verlaufen. Um 6 haben wir daran gedacht, dass du dort sein wirst. Es fragt sich natürlich, ob der Zug pünktlich war.
Heute Nachmittag waren wir beim Arzt. Er ist mit dem Fortschritt zufrieden und meinte, es sei aus dem Stadium heraus, wo es vereitert. Wir müssen weiter einreiben. Auf dem Heimweg sagte Helga: “Das habe ich Dir zu verdanken, dass es nicht geeitert hat, weil du gleich mit mir zum Doktor gegangen bist. Aber wenn Du mal in Gefahr bist, dann helfe ich dir auch.“ Ist das nicht ein kleiner Lauser? Ich hoffe ja, dass die harte Knolle bald ganz weg geht. Es wäre mir eine Beruhigung. Die Sache war also doch nicht so einfach.
Du sagtest ja, ich könnte mir ein Buch oder irgendetwas zum Lesen kaufen. Ich habe mir nun heute drei kleine Reklambücher gekauft. Wenn ich die gelesen habe, schicke ich sie dir mal mit, wenn es mit dem Gewicht langt.
Den Film habe ich heute weggeschafft. Auch von den anderen Filmen, von dir dort, lasse ich die Abzüge mit machen.
Ich habe auch noch einen andren Film gekauft, denn sie sehen einen doch ein bisschen scheel an, wenn man immer nur französische entwickeln lässt. Du kannst aber ruhig noch ein paar Filme besorgen, man weiß ja nicht, wie lange man wieder welche bekommt. Übermorgen bekomme ich die Abzüge.
Vorhin waren die Kinder noch am Briefkasten und haben nachgesehen, ob wieder regelmäßig geleert wird. Das ist nun der Fall und so schaffe ich nachher noch den Brief weg, da kommt er morgen frühgleich ¼ 7 Uhr fort.
Die Helga hat von jetzt an jeden Morgen um 8 Uhr Schule. Da müssen wir nun immer zeitig aufstehen. Bei Jörg gilt noch der alte Stundenplan.
Heute Morgen hatten wir wieder trübes nebliges Wetter, es hat sogar ein wenig geregnet. Am Nachmittag schien aber die Sonne und es war ganz schön warm. Man konnte sich richtig durchwärmen lassen. Aber gegen Abend wurde es wieder kühl, so wie an dem Abend, als wir in St. Kathrinen waren. Das war doch auch ein schöner Tag, nicht wahr? Es ist eben immer so schön, wenn Du da bist, du lieber guter Ernst. Von den Erinnerungen an diesen Urlaub zehren wir ja wieder lange Zeit. Die Urlaubstage sind ja immer glückliche Tage.
Nun schließe ich wieder und hoffe, dass es dir nicht gar so schwer ist. Bleib mir recht gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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