Donnerstag, 23. März 2017

Brief 297 vom 23.03.1942


Mein liebster Ernst !                                                                                                                  Konstanz, 23.3.42

Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 18.3. Es steht also immer noch nicht genau fest, wann du dort wegfahren musst. Vielleicht zieht es sich doch noch einige Tage hin.
Du hast ja manche Einkäufe getätigt. Es ist sehr schön, dass Du den Vorschaltwiderstand gleich bekommen hast. 2 Röhren hast Du auch gleich noch bestellt. Diese Sachen laufen eben gleich in´s Geld. Sonst wäre es ja nicht schlimm, aber wenn du jetzt dort fort kommst, ist die Geldfrage doch etwas schwierig. Mit der Absendung von Geld im nächsten Monat warte ich also, bis du mir Bescheid gibst.
Hoffentlich kommt der Widerstand gut hier an. Dann kann ich ja bald den neuen Apparat ausprobieren. Über den Zwieback freue ich mich sehr und für die Besorgung von Butter bin ich dir bestimmt nicht böse. Diese Sachen kann man ja sehr gut gebrauchen. Ich danke dir für deine viele Mühe, die du wieder gehabt hast.
Von Papa bekam ich heute einen Brief mit dem Durchschlag des Briefes an dich. Also Papa hat gar nicht daran gedacht, dass du dich drücken sollst. Das haben wir mal wieder falsch verstanden.
Schaden tut es aber nichts, wenn er unsere Meinung weiß.
Wie ist es nun mit dem Mantelstoff für Erna, von dem Papa schreibt? Was machen wir da?
Die Briefmarken vom Heldengedenktag hebe ich dir wieder im Album auf. Es freut mich, dass Papa da an dich gedacht hat. Mit dem russischen Wörterbuch hat er ja auch gleich für dich gesorgt. Jetzt kannst Du nicht mehr in Verlegenheit kommen, nicht wahr?
Papa meint, der Drehbleistift sei so lange unterwegs, dass du ihn noch nicht erhalten hast. So ist es ja nicht ganz.
Der Brief, den wir an Kurt nach Allenstein geschrieben haben, kam heute zurück. Er ist ja nun überholt. Nachricht habe ich von Kurt noch keine erhalten.
Erinnerst du dich, wie Papa mal schrieb, dass Siegfried sich noch mit der Magda schreibe und dass Siegfried an Erna geschrieben habe, Papa habe da nichts dreinzureden? Als Siegfried hier war, brachte er die Rede auf diese Sache. Da stellt sich´s nun anders dar. Erna hat in Gegenwart von Papa ihm Vorwürfe gemacht. Siegfried sagte, er habe sich bei dem schreiben nichts gedacht. Er habe dann eingesehen, dass es Erna nicht recht sein würde und habe es gelassen. Als er mit Erna in ihrem Zimmer war, habe er ihr aber Vorwürfe gemacht und gesagt, dass er das nicht will, dass sie vor Papa redet. Sie seien miteinander verheiratet und hätten das zusammen auszumachen. Das finde ich ja nun auch wieder richtig. Wie Siegfried sagte, verständen sich Erna und Papa gut aber wenn er heim kommt, gäbe es meist Reibereien. Erna sollte sich nach Papa richten, was Siegfried wieder nicht recht ist. Als Siegfried wieder das letzte Mal heim war, habe Papa auch gesagt, sie sollten jetzt Feierabend machen, er wolle in´s Bett. Siegfried hat darauf gesagt, dass er doch wohl mit seiner Frau noch eine Weile beim Radio zusammensitzen dürfe, Papa könnte ja ruhig schlafen gehen. Da hat es wieder Krach gegeben. Man merkt eben, dass Mama fehlt. Siegfried hat evtl. vor, später zu Alice und Paul zu ziehen, die ja bauen wollen, vor allen Dingen, wenn Papa ja wieder heiraten sollte. Für diesen Fall hat er Papa schon angekündigt, dass er dann nur noch ab und zu einmal einen Anstandsbesuch bei ihm machen würde. An die Frau Böhler, die eine Bewerberin, von der ich dir schon schrieb, hat Papa vor kurzem geschrieben, er habe ein Magenleiden. Sollte der Arzt sagen, es ei unheilbar, so würde er Schluß machen. Das hat die Frau nun Siegfried mitgeteilt, und dieser hat bei Papa angefragt, was daran wahr sei. Papa will die Frau scheinbar los sein und Siegfried glaubt, dass er das nur zur Abschreckung geschrieben hat. Er will mir dann Bescheid geben. So liegen die Sachen also zuhause.
Siegfried erzählte dann von dem vielen Ungeziefer in Russland. Kaum fahren sie hinein, haben sie schon Läuse. Sie bekämen schon richtig Übung im finden. Am schlimmsten seien die Verwundeten mit verbundenen Händen dran. Die würden bald verrückt, denn dann würden die Läuse direkt die Haut durchfressen und sie könnten sich nicht helfen. Da habe ich an den Braatz (oder wie der heißt) denken müssen, von dem du bei deinem Hiersein erzähltest. Der ist doch durch Wanzen bald kaputt gegangen, nicht wahr? Von denen gibt es dort nach Siegfrieds Schilderung auch noch genug. Daß diese Russen da leben können, da denke ich gerade dran.
Mit dem Ruf: „Kauft Kämme, es kommen lausige Zeiten“ überreichte mir Siegfried bei seinem Hiersein noch zwei Kämme. Er hat gleich mal 12 Stück gekauft und verschenkt nun ein paar davon. Ich freue mich darüber, denn man bekommt ja jetzt so schnell keine. Einstweilen hebe ich sie noch auf.
Heute Vormittag habe ich Helgas halbe Schuhe besohlt. Sie hat sie ja schon ein Jahr, ohne dass sie bisher kaputt waren. Ich habe dazu von dem dünneren Leder genommen.
Wir haben ziemlich frühlingshaftes Wetter. Die Kinder gehen schon mit Kniestrümpfen und mittags brauchen sie auch meist keine Jacken. Eine Zeit lang hatten wir ja auch richtiges Aprilwetter.
Ich will nun noch zum Einkaufen fahren und höre deshalb jetzt mit schreiben auf. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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