Donnerstag, 23. März 2017

Brief 296 vom 22.03.1942


Mein liebster Ernst !                                                                                      Konstanz, 22.3.42

Am vorigen Sonntag um diese Zeit, es ist nach drei Uhr, haben wir gerade noch mit dir Kaffee getrunken. Bald darauf mussten wir auf die Bahn. Das ist nun eine Woche her, und heute erhielt ich deinen zweiten Brief, seitdem du wieder dort bist. Ich konnte nun daraus lesen, dass doch wahrscheinlich nicht vor dem 1.April dort fort kommst. Das ist zwar auch nur noch eine kurze Zeit. Aber es ist ja nun einmal bestimmt, dass du dort weg kommst. Betteln um einige Tage mehr hat ja keinen Zweck, da hast du schon recht, und es kann dir auch niemand was nachsagen.
Du hast dir also den Film „Ich klage an“ angesehen. Ich glaube gern, dass er sehenswert war. Ich wollte ihn mir ja auch ansehen, bin aber dann nicht dazu gekommen. Die Wochenschau, die ich mit dir sah, habe ich vorgestern mit Siegfried auch nochmals gesehen. Ich habe dabei auch an unseren gemeinsamen Kinobesuch gedacht.
Wie hat dir die Photografie von mir gefallen, die ich dir geschickt habe? Siegfried war so begeistert davon, dass er sich einen Abzug erbeten hat, den ich noch machen lasse.
Heute sind bereits die Programme für den Tag der Wehrmacht verkauft worden. Ich habe eins gekauft, aber für´s Essen habe ich keine Marken genommen. Ich glaube nicht, dass wir dort essen werden. Es ist ja immer so ein Gedränge, und so knapp bin ich mit den Marken ja nicht, dass ich unbedingt einmal markenfrei essen müsste. Außerdem kostet ein Essen 50 Pfg. Die Kinder reden schon von nichts anderem mehr, als vom Besuch der Kaserne. D.h. eins erregt ihre Gemüter noch mehr, das ist, dass man am Samstag mit großen Floßsäcken über den Rhein für 10 Pfg. fahren kann. Jörg hat schon gefragt: „Da fahre ich, und wenn´s regnet und blitzt. Ich habe schon immer mal gedacht, wenn ich nur mal rein sitzen könnte, und nun kann man sogar rüber fahren.“ Auch Taucherübungen kann man für 30 Pfg. auf der Rheinbrücke ansehen. Wir haben ja jetzt schon immer ohne Geld zugeschaut.
Gestern hat sich Herr Leimenstoll vorm Haus mal an die Arbeit gemacht und hat die Wiese richtig abgestochen, die Wege etwas breiter gemacht und das Beet am Zaun umgegraben. Es sieht wieder alles schön aus, wenn es nur so bliebe. Ich bin ja froh, dass diese Arbeit, wenigstens auf unserer Seite, nicht wieder auf mir hängen geblieben ist. Der Mann hat ja manchmal Zeit und außerdem fällt es ihm bestimmt nicht so schwer, wie mir.
Vater hat jetzt 15 Zentner Briketts für sich bestellt. Er bekommt aber einige Zentner mehr. Da hat Herr Dickreiter gesagt, er könnte sie ja uns geben. Nun werde ich sie mir sicher mit den Kindern noch in dieser Woche holen.
Jörg brachte mir gestern einige Veilchen. Davon schicken wir dir heute das erste, das aufgegangen ist. Ein erster Frühlingsbote.
Nun laß mich schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.

Liebes Vaterle, auch von mir viele Grüße und Küsse Deine Helga.
Viele Grüße und Küsse von deinem Jörg.

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