Sonntag, 26. März 2017

Brief 300 vom 26.3.1942


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 26.3.42    

Von dir erhielt ich heute keinen Brief, auch ein Päckchen kam noch nicht an. Dafür erhielt ich einen Brief von Papa, der mich wenig erfreut hat und eine Karte von Erna und Siegfried. Siegfried ist noch in Karlsruhe und hat Erna hinkommen lassen. Wie Papa schreibt, kann es sein, dass sie uns noch mit besuchen.
Den Brief von Papa schicke ich dir am besten mit, da kannst Du ihn selbst lesen. Wie ich es herauslese, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis Papa wieder heiratet. Mir soll alles gleich sein. Manchmal möchte ich von dem ganzen Kram am liebsten nichts mehr hören. Es ist eben so, wenn die Mutter nicht mehr da ist, fällt die ganze Familie auseinander. Heimfahren würde ich ja nicht mehr, und eine fremde Frau brauchte Papa auch nicht mit herzubringen. So bald nach Mama´s Tod würde mir das zu weh tun.
Gerade in der Sache mit den Reisen von Erna, hat jeder Recht und Unrecht. Papa sagt, sie ist dazu hier, um die Wirtschaft zu machen. Da geht es nicht, dass sie verreist. Das ist ganz recht und gut. Sie ist aber schließlich kein Dienstmädchen, die Siegfried nur so nebenbei geheiratet hat, damit Papa nicht allein ist. Es freut mich einesteils, dass Siegfried an Erna denkt und sich nicht mit anderen abgibt, wie ich ja manchmal befürchtet habe. Sie sind ja so kurz verheiratet und sehen sich wenig. Wenn sie nun in der glücklichen Lage sind, dass Erna öfter mal zu seinem vorübergehenden Standort kommen kann, vor allem, wenn sie geldlich dazu in der Lage sind, so kann ich es von ihrem Standpunkt aus schon verstehen, wenn sie die Gelegenheit nützen. Ich soll mich ja nun einmischen, aber ich muss sagen, ich tue es ungern. Denn glaube mir, das endet alles Mal mit einem großen Krach.
Gestern Nachmittag sind wir in der Stadt gewesen und haben Papier, Lumpen, Knochen und Silberpapier fortgeschafft. 92 Pfg. haben wir dafür bekommen. Hinterher sind wir auf dem Heimweg gleich noch Kohlen holen gegangen. Drei Zentner haben wir gleich mitgenommen und die restlichen zwei Zentner haben wir heute Morgen geholt. Das hätten wir auch geschafft.
Ich bin jetzt ein bisschen bei der Frühjahrsputzerei. Gestern habe ich die Fußböden frisch gefärbt, heute die Gardinen gewaschen. So kommt eins nach dem anderen dran.
Ich hatte mir die Tage überlegt, wie ich die drei Truhen stellen kann, ohne dass es gequetscht aussieht, und dass ich auch die Nähmaschine in die Schlafstube bringe. Ich habe es nun so gemacht, dass ich die Maschine an ihren alten Platz und die große Truhe vor´s Bett gestellt habe. Die Truhe von Mama habe ich auf den Korridor transportiert und das Werkzeugkästchen in die Küche getan. So ist alles untergebracht.
Am Samstag bekommen die Kinder Zeugnisse. Die Lehrerin von Helga hat schon gesagt, dass bei Lehrerinnenwechsel immer etwas schlechtere Zeugnisse kämen, da ja die Lehrerin die Kinder noch nicht richtig kennen würde. Ich bin nur gespannt, was Helga für eine Zensur im Schreiben mitbringt. Unter einer 4 wird es wohl kaum sein.
Heute haben wir, wie gestern Nachmittag, ein sonniges Frühjahrswetter. Es ist so warm, dass man die Fenster offen lassen kann. Aber morgens, wenn noch keine Sonne da ist, ist es sehr kühl.
Nun laß mich schließen. Es grüßt und küsst Dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 299 vom 25.3.1942


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 25.3.42       

Dafür, dass ich gestern keinen Brief erhielt, bin ich heute entschädigt worden. Ich bekam gleich zwei, vom 19. und 20., für die ich dir vielmals danke. Bei dem letzteren hast du es ja so eilig gehabt, dass du den letzten Satz nur zur Hälfte fertig schreiben konntest. Das macht aber nichts aus, ich weiß doch, was du schreiben wolltest.
Es freut mich, dass du so bald den ersten Brief von uns erhalten hast. Es sollte dir doch dort wieder ein Gruß von daheim sein. Wie du gehofft hast, erhielt ich ja am Samstag deinen lieben Brief.
Ich bin gespannt, ob der Vorschaltwiderstand schon eher ankommt, als die anderen Päckchen. Wir werden ja dann sehen, ob wir Glück mit dem Apparat haben, dass er richtig geht. Freuen tun wir uns alle drei schon darauf.
Wenn das Päckchen mit Butter wieder an Dich zurück gekommen ist und du es erst am Dienstag fortschicken konntest, so ist das ja nicht so schlimm. Ich werde sie eben auslassen. Zum essen langt mir ja unsere gut, aber zum kochen und zum braten freut man sich an einem Zuschuß der Ration.
Der Salzmann ist aber plötzlich gestorben. Ich habe eben nochmals in der Zeitung nachgesehen und fand beiliegende Todesanzeige. Das ist er doch sicher. Ich hatte vorher nicht so darauf geachtet. Es geht manchmal doch sehr schnell.
Du wirst ja sicher erstaunt gewesen sein, als du den Brief erhieltst, in dem Siegfried mitgeschrieben hat. Der Besuch kam ja auch ganz überraschend. Siegfried hatte gehofft, dich noch hier anzutreffen. Damit war es ja leider nichts.
Am Samstag/Sonntag warst du also wahrscheinlich beim Tommy. Da du nun bei deinem unvollendeten Satz wahrscheinlich hast schreiben wollen, dass du nicht weißt, wie du da zum schreiben kommen wirst, werde ich mich auf einige Tage warten einrichten. Ich weiß aber so wenigstens, woran ich bin.
Dein Briefmarkenalbum habe ich jetzt gut im Bücherschrank versorgt. Es steht mit auf der untersten Reihe. Da verstaubt es auch nicht so. Ist es so recht?
Heute geht mir die Arbeit wieder gut von der Hand und ich bin schon ganz gut voran gekommen. Gestern war das nicht der Fall. Da hatte ich die Nacht vorher dumm gelegen und gestern Morgen hatte ich einen steifen Hals und wenn ich den Kopf drehen wollte, tat es sehr weh. Da hat man dann gar keine Lust zum schaffen.
Für die gesandten Briefumschlage und Zeitungen möchte ich dir auch noch danken. Es ist doch schön, wenn man nicht wegen jedem Umschlag herumlaufen muß.
Es ist wieder ziemlich kühl geworden und Jörg hat doch lieber lange Strümpfe angezogen, statt der Kniestrümpfe. Es hatte heute Morgen starken Reif. Da konnte man sogar Handschuhe vertragen.
Nun laß mich schließen und sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Lieber ernst, ich hätte dir so gerne ein kleines Osterpäckchen geschickt. Das kann ich ja nun gar nicht, da ich nicht weiß, ob du bis dahin überhaupt noch dort bist. Du wirst also dieses Jahr sicher gar nichts bekommen. Das musst du mir nicht übel nehmen, denn ich kann ja nichts dafür.
Denk dir, ich habe Helga gestern einmal ihre Sommerkleider probieren lassen. Kein einziges passt mehr. Alle sind eine Handbreit zu kurz. Das Mädel wächst doch wirklich sehr.

Brief 298 vom 24.3.1942


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 24.3.42           

Wir sind gerade heimgekommen und ich will dir gleich schreiben. Vorher bin ich nicht dazu gekommen, da wir schon um 2 Uhr fortgegangen sind, erstens um die Lichtrechnung für Vater zu bezahlen und um rechtzeitig zum Arzt zu kommen. Jörg musste ja noch mal zum Nachsehen hinkommen. Es hat sich aber keine Wirkung nach dem Einreiben der Salbe gezeigt, was ja gut ist.
Hinterher haben wir auf dem Heimweg eine Weile den Tauchern zugesehen. Einer hat einen Schuh verloren und kam plötzlich mit dem Schuh in der Hand an die Oberfläche des Wassers geschwommen. Das sah ulkig aus, wie eine Gummipuppe. Wir sind dann noch einkaufen gegangen und auch die Vergrößerungen von meinem Bild wollte ich abholen. Ich bekam sie auch. Aber bei dem Entwickler muß Staub drauf gewesen sein und das Bild war voller Flecken. Ich habe sie darum gar nicht angenommen und sie wollen bis morgen neue machen.
Ich hatte dir doch geschrieben, dass wir wahrscheinlich kein Mehl mehr bekommen. Wie nun gestern in der Zeitung stand, ist es nicht ganz so schlimm. Wenn auch nicht in dem Maße, wie früher, so bekommen wir doch auf einige Brotmarken Mehl, wenn auch Roggenmehr. Einmal im Monat kann man statt 50 g Fleisch, ½ Pfund Mehl bekommen. Die Marke ist mit „M“ gezeichnet. Das ist dann Weizenmehl. Also ganz verlassen sie uns nicht.
Heute erhielt ich den Brief, den Siegfried am 17.3. an dich geschrieben hatte. Ich schicke ihn mit. Da du die neue Adresse ja weißt, habe ich den Umschlag gleich hier behalten.
Einen Brief habe ich heute nicht von Dir erhalten. Ich hoffe aber morgen wieder darauf, denn ich freue mich ja immer auf Nachricht von Dir.
Heute hat es einen Rückschlag in der Witterung gegeben. Nach den sonnigen, warmen Tagen, war es heute so kühl, dass man Handschuhe vertragen konnte. Der Frühling kommt eben doch erst langsam.
Nun laß mich für heute schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Donnerstag, 23. März 2017

Brief 297 vom 23.03.1942


Mein liebster Ernst !                                                                                                                  Konstanz, 23.3.42

Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 18.3. Es steht also immer noch nicht genau fest, wann du dort wegfahren musst. Vielleicht zieht es sich doch noch einige Tage hin.
Du hast ja manche Einkäufe getätigt. Es ist sehr schön, dass Du den Vorschaltwiderstand gleich bekommen hast. 2 Röhren hast Du auch gleich noch bestellt. Diese Sachen laufen eben gleich in´s Geld. Sonst wäre es ja nicht schlimm, aber wenn du jetzt dort fort kommst, ist die Geldfrage doch etwas schwierig. Mit der Absendung von Geld im nächsten Monat warte ich also, bis du mir Bescheid gibst.
Hoffentlich kommt der Widerstand gut hier an. Dann kann ich ja bald den neuen Apparat ausprobieren. Über den Zwieback freue ich mich sehr und für die Besorgung von Butter bin ich dir bestimmt nicht böse. Diese Sachen kann man ja sehr gut gebrauchen. Ich danke dir für deine viele Mühe, die du wieder gehabt hast.
Von Papa bekam ich heute einen Brief mit dem Durchschlag des Briefes an dich. Also Papa hat gar nicht daran gedacht, dass du dich drücken sollst. Das haben wir mal wieder falsch verstanden.
Schaden tut es aber nichts, wenn er unsere Meinung weiß.
Wie ist es nun mit dem Mantelstoff für Erna, von dem Papa schreibt? Was machen wir da?
Die Briefmarken vom Heldengedenktag hebe ich dir wieder im Album auf. Es freut mich, dass Papa da an dich gedacht hat. Mit dem russischen Wörterbuch hat er ja auch gleich für dich gesorgt. Jetzt kannst Du nicht mehr in Verlegenheit kommen, nicht wahr?
Papa meint, der Drehbleistift sei so lange unterwegs, dass du ihn noch nicht erhalten hast. So ist es ja nicht ganz.
Der Brief, den wir an Kurt nach Allenstein geschrieben haben, kam heute zurück. Er ist ja nun überholt. Nachricht habe ich von Kurt noch keine erhalten.
Erinnerst du dich, wie Papa mal schrieb, dass Siegfried sich noch mit der Magda schreibe und dass Siegfried an Erna geschrieben habe, Papa habe da nichts dreinzureden? Als Siegfried hier war, brachte er die Rede auf diese Sache. Da stellt sich´s nun anders dar. Erna hat in Gegenwart von Papa ihm Vorwürfe gemacht. Siegfried sagte, er habe sich bei dem schreiben nichts gedacht. Er habe dann eingesehen, dass es Erna nicht recht sein würde und habe es gelassen. Als er mit Erna in ihrem Zimmer war, habe er ihr aber Vorwürfe gemacht und gesagt, dass er das nicht will, dass sie vor Papa redet. Sie seien miteinander verheiratet und hätten das zusammen auszumachen. Das finde ich ja nun auch wieder richtig. Wie Siegfried sagte, verständen sich Erna und Papa gut aber wenn er heim kommt, gäbe es meist Reibereien. Erna sollte sich nach Papa richten, was Siegfried wieder nicht recht ist. Als Siegfried wieder das letzte Mal heim war, habe Papa auch gesagt, sie sollten jetzt Feierabend machen, er wolle in´s Bett. Siegfried hat darauf gesagt, dass er doch wohl mit seiner Frau noch eine Weile beim Radio zusammensitzen dürfe, Papa könnte ja ruhig schlafen gehen. Da hat es wieder Krach gegeben. Man merkt eben, dass Mama fehlt. Siegfried hat evtl. vor, später zu Alice und Paul zu ziehen, die ja bauen wollen, vor allen Dingen, wenn Papa ja wieder heiraten sollte. Für diesen Fall hat er Papa schon angekündigt, dass er dann nur noch ab und zu einmal einen Anstandsbesuch bei ihm machen würde. An die Frau Böhler, die eine Bewerberin, von der ich dir schon schrieb, hat Papa vor kurzem geschrieben, er habe ein Magenleiden. Sollte der Arzt sagen, es ei unheilbar, so würde er Schluß machen. Das hat die Frau nun Siegfried mitgeteilt, und dieser hat bei Papa angefragt, was daran wahr sei. Papa will die Frau scheinbar los sein und Siegfried glaubt, dass er das nur zur Abschreckung geschrieben hat. Er will mir dann Bescheid geben. So liegen die Sachen also zuhause.
Siegfried erzählte dann von dem vielen Ungeziefer in Russland. Kaum fahren sie hinein, haben sie schon Läuse. Sie bekämen schon richtig Übung im finden. Am schlimmsten seien die Verwundeten mit verbundenen Händen dran. Die würden bald verrückt, denn dann würden die Läuse direkt die Haut durchfressen und sie könnten sich nicht helfen. Da habe ich an den Braatz (oder wie der heißt) denken müssen, von dem du bei deinem Hiersein erzähltest. Der ist doch durch Wanzen bald kaputt gegangen, nicht wahr? Von denen gibt es dort nach Siegfrieds Schilderung auch noch genug. Daß diese Russen da leben können, da denke ich gerade dran.
Mit dem Ruf: „Kauft Kämme, es kommen lausige Zeiten“ überreichte mir Siegfried bei seinem Hiersein noch zwei Kämme. Er hat gleich mal 12 Stück gekauft und verschenkt nun ein paar davon. Ich freue mich darüber, denn man bekommt ja jetzt so schnell keine. Einstweilen hebe ich sie noch auf.
Heute Vormittag habe ich Helgas halbe Schuhe besohlt. Sie hat sie ja schon ein Jahr, ohne dass sie bisher kaputt waren. Ich habe dazu von dem dünneren Leder genommen.
Wir haben ziemlich frühlingshaftes Wetter. Die Kinder gehen schon mit Kniestrümpfen und mittags brauchen sie auch meist keine Jacken. Eine Zeit lang hatten wir ja auch richtiges Aprilwetter.
Ich will nun noch zum Einkaufen fahren und höre deshalb jetzt mit schreiben auf. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 296 vom 22.03.1942


Mein liebster Ernst !                                                                                      Konstanz, 22.3.42

Am vorigen Sonntag um diese Zeit, es ist nach drei Uhr, haben wir gerade noch mit dir Kaffee getrunken. Bald darauf mussten wir auf die Bahn. Das ist nun eine Woche her, und heute erhielt ich deinen zweiten Brief, seitdem du wieder dort bist. Ich konnte nun daraus lesen, dass doch wahrscheinlich nicht vor dem 1.April dort fort kommst. Das ist zwar auch nur noch eine kurze Zeit. Aber es ist ja nun einmal bestimmt, dass du dort weg kommst. Betteln um einige Tage mehr hat ja keinen Zweck, da hast du schon recht, und es kann dir auch niemand was nachsagen.
Du hast dir also den Film „Ich klage an“ angesehen. Ich glaube gern, dass er sehenswert war. Ich wollte ihn mir ja auch ansehen, bin aber dann nicht dazu gekommen. Die Wochenschau, die ich mit dir sah, habe ich vorgestern mit Siegfried auch nochmals gesehen. Ich habe dabei auch an unseren gemeinsamen Kinobesuch gedacht.
Wie hat dir die Photografie von mir gefallen, die ich dir geschickt habe? Siegfried war so begeistert davon, dass er sich einen Abzug erbeten hat, den ich noch machen lasse.
Heute sind bereits die Programme für den Tag der Wehrmacht verkauft worden. Ich habe eins gekauft, aber für´s Essen habe ich keine Marken genommen. Ich glaube nicht, dass wir dort essen werden. Es ist ja immer so ein Gedränge, und so knapp bin ich mit den Marken ja nicht, dass ich unbedingt einmal markenfrei essen müsste. Außerdem kostet ein Essen 50 Pfg. Die Kinder reden schon von nichts anderem mehr, als vom Besuch der Kaserne. D.h. eins erregt ihre Gemüter noch mehr, das ist, dass man am Samstag mit großen Floßsäcken über den Rhein für 10 Pfg. fahren kann. Jörg hat schon gefragt: „Da fahre ich, und wenn´s regnet und blitzt. Ich habe schon immer mal gedacht, wenn ich nur mal rein sitzen könnte, und nun kann man sogar rüber fahren.“ Auch Taucherübungen kann man für 30 Pfg. auf der Rheinbrücke ansehen. Wir haben ja jetzt schon immer ohne Geld zugeschaut.
Gestern hat sich Herr Leimenstoll vorm Haus mal an die Arbeit gemacht und hat die Wiese richtig abgestochen, die Wege etwas breiter gemacht und das Beet am Zaun umgegraben. Es sieht wieder alles schön aus, wenn es nur so bliebe. Ich bin ja froh, dass diese Arbeit, wenigstens auf unserer Seite, nicht wieder auf mir hängen geblieben ist. Der Mann hat ja manchmal Zeit und außerdem fällt es ihm bestimmt nicht so schwer, wie mir.
Vater hat jetzt 15 Zentner Briketts für sich bestellt. Er bekommt aber einige Zentner mehr. Da hat Herr Dickreiter gesagt, er könnte sie ja uns geben. Nun werde ich sie mir sicher mit den Kindern noch in dieser Woche holen.
Jörg brachte mir gestern einige Veilchen. Davon schicken wir dir heute das erste, das aufgegangen ist. Ein erster Frühlingsbote.
Nun laß mich schließen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.

Liebes Vaterle, auch von mir viele Grüße und Küsse Deine Helga.
Viele Grüße und Küsse von deinem Jörg.

Brief 295 vom 21.03.1942


Mein liebster Ernst !                                                                                                                  Konstanz, 21.3.42

Auf Deinen lieben Brief vom 16. habe ich dir ja heute Mittag geschrieben. Ich habe mir nun überlegt, dass es dich doch vielleicht interessieren wird, wie der Besuch von Siegfried so verlaufen ist. Darum will ich Dir noch davon berichten. Von der Ankunft hatte ich dir ja geschrieben, auch davon, dass er verschiedenes mitgebracht hat. Erwähnt hatte ich noch nicht, dass noch Briefpapier mit Umschlägen, eine große Tube Klorodent-Zahnpasta und 9 gute Zigarren für Vater dabei waren. Siegfried sagte auch, dass er zum essen immer noch genug nach hause schickt und dass sie keine Not bisher leiden mussten. Siegfried meinte zu dem Kaffee, den er mitgebracht hat, es ei ja zwar nicht so viel, wie jetzt vielleicht mitgebracht hast, aber er hofft, dass es mich freut. Ich sagte ihm, dass es bei dir keinen mehr geben würde. Siegfried sagte dann, dass sein Kamerad für ein Pfund Kaffee schon 40.-Mk. bekommen habe. Siegfried sagte auch, dass er, wenn er für jemand was besorgt, immer einge Mark aufschlägt, denn die wären ja froh, wenn sie was bekommen.
Ich habe Siegfried von dem Cognac, den ich für Vater immer da habe, angeboten und er war ganz begeistert davon. Er erzählte, dass er sich, als er krank war, mit Cognac und Aspirintabletten geheilt habe.
Gestern Abend nach dem Kino haben wir noch zusammen gesessen und uns von Mama unterhalten. Dann sind wir schlafen gegangen. Die Kinder haben in deinem Bett zusammen geschlafen, so dass Siegfried das Kinderzimmer für sich hatte.
Da heute früh bei Helga Handarbeiten ausfiel, hatte sie erst um 11:00 Uhr Schule. Wir sind dann alle mit meinem Bruder um 8:56 Uhr in die Stadt gefahren, wo der Schnellzug schon bereit stand und er einen schönen Platz bekam. Um 9:28 Uhr fuhr er dann fort und wir sind zum Arzt gegangen, wo wir die ersten waren und um 10:00 gleich dran kamen. Jörg wurde nun untersucht. Der Arzt sagte, Jörg habe wohl eine schwache Rachitis gehabt, denn der Brustkasten sei etwas eng. Ich fragte ihn, ob das nicht Vererbung sein könnte, da du doch eine leichte Rachitis als Kind hattest, die dieselben Merkmale aufweist. Er bejahte dies, meinte aber, das habe nichts zu bedeuten, denn der ganze Organismus sei bei Jörg prachtvoll entwickelt und er sähe sehr gut aus. Länge und Gewicht stimmten auch miteinander, nur sei beides dasjenige eines 9½jährigen. Ich sagte ihn, dass Jörg manchmal so huste. Er meinte, das sei nur ein Hustenreiz, an der Lunge habe er nichts. Ich sagte ihm, dass ich ihn auch habe röntgen lassen. „Aber ohne Ergebnis, nicht war?“ meinte der Arzt, „man hört auc kein Geräusch an der Lunge.“ Er hat ihm aber doch noch eine Salbe eingerieben und am Dienstag müssen wir nochmals hinkommen zum nachsehen.
Nachdem wir beim Arzt waren, sind Helga und Jörg gleich zur Schule gegangen und ich heim, wo ich dann deinen lieben Brief vorfand.
Gestern wollte ich mit den Kindern in die Märchenfilme gehen, die nun gespielt werden. Da Siegfried kam, hatte ich es ihnen für heute versprochen. Als ich nun heute las, dass du schon so bald nach Russland kommen sollst, hatte ich gar keine Freude mehr daran und wäre am liebsten nicht gegangen. Dann dachte ich an dich, was du wohl dazu sagen würdest. Ich meinte dann, du wolltest wohl nicht, dass ihnen ihre große Freude verdorben würde. Ich bin dann also mit ihnen gegangen, und den Kindern hat es so gut gefallen, dass sie laut gejubelt haben. Auch als der Kasper kam, haben sie mitgemacht, wie alle andern Kinder auch. Es wurde „Häwelmann“, “Sterntaler“, “Der süße Brei“ und „Kasper bei den Wilden“ gespielt. Ich muss sagen, dass alles sehr schön gemacht worden war. Nach dem Kino sind wir gleich heim. Ich hatte im Haus und bei Webers Bescheid gegeben, wo wir sind, wenn angerufen würde oder sonst irgendetwas sei. Dabei dachte ich an dich, wenn du ja gestern schon dort fortgefahren wärst und von irgendwoher anrufen oder telegrafieren würdest. Ich war dann auch erst ruhig, als ich daheim war.
Siegfried hat mir viel von Russland erzählt. Erst war doch unsere Front ziemlich ausgebuchtet und wurde dann ausgeglichen. Da hatten manche einen Rückzugsweg von 150 bis 200 Km. Für die war der Rückzug eine Qual. Es war inzwischen schon kalt geworden, da haben viele Erfrierungen davongetragen, die später amputiert werden mussten. Und viel Material haben wir selber vernichtet, denn als die Russen merkten, dass wir zurück gingen, sind sie natürlich sofort nachgestoßen.
Siegfried hat noch viele andere Sachen erzählt, die man aber gar nicht schreiben kann. Nur das eine noch. Von dem Rückmarsch war auch ein Verwundeter bei Siegfried, der konnte es nicht glauben, dass sie tatsächlich in die Heimat kämen. Als Siegfried sagte: “So Kamerad, nun geht es in die Heimat“, meinte der: „Das könne sie mir nicht vormachen. Vielleicht bringt ihr uns noch weiter hinter die Front, aber in die Heimat, nein, das glaub ich nicht. 50.-Mk gebe ich dir, wenn das wahr ist.“ Siegfried sagte ihm, dass er die bestimmt verliert. „Das macht nichts, wenn ich tatsächlich in die Heimat komme, ist mir das gleich.“ Sie haben dann ausgemacht, dass sie´s in eine Kasse zahlen wollen, denn Siegfried wollte sich nicht bereichern. Trotzdem Siegfried den Soldaten aus den Augen verlor, hat dieser sich beim Transportführer gemeldet und 50.-Mk. gezahlt. Da sieht man erst, was den Soldaten die Heimat bedeutet.
Nun wollte ich dir noch etwas schreiben. Ernst, nicht wahr, vergiß nicht, was ich dir schon daheim gesagt habe. Wenn Du nach Osten kommst, und es fehlt dir was, so schreibe es bestimmt. Für dich ist immer etwas da. Ich könnte nicht mehr in Ruhe essen, wenn ich wüsste, u schreibst es nicht, wenn dir was fehlt, sei es nun Brot, Butter, Zucker oder sonst irgendetwas. Wir gehören doch zusammen, und so teilen wir auch zusammen. Nun laß mich schließen. Ich schicke dir noch eine Mark mit, die mir Siegfried gab und die ich ja nicht verwenden kann. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 294 vom 21.03.1942


Konstanz, 21.3.42    
Mein liebster, liebster Ernst !

Gerade komme ich aus der Stadt, wo wir Siegfried auf die Bahn gebracht und dann beim Arzt waren. Hier zu hause fand ich deinen lieben Brief vom 16. vor. Ich habe mich sehr gefreut, wieder Nachricht von dir zu bekommen, aber es hat mir sehr weh getan, zu lesen, dass du nun so bald dort fortkommen sollst. Ich habe heimlich doch immer noch gehofft, es könnte sich noch ein Weilchen hinziehen. Ich weiß, daß es nicht anders geht, aber ich lasse dich so schwer nach dem Osten fahren. Ich habe dich ja so lieb, und würde gern vieles, vieles opfern, um dich von dort zurückhalten zu können. Ich warte mit Ungeduld auf deinen nächsten Brief, in dem du mir vielleicht schreiben kannst, wenn Du wegfahren musst.
Während der Urlaubstage habe ich ja nichts geopfert und du brauchst mir dafür nicht danken. Es war ja ein Geschenk für mich, dich wieder einmal für kurze Zeit umsorgen zu dürfen. Ich hätte es ja gern noch in viel größerem Maße getan. Es ist ja die Erfüllung aller Gedanken während vieler Monate, wenn ich dich wieder einmal bei uns haben kann. Alles, alle Gedanken und Pläne, laufen ja darauf hinaus „wenn Du wieder einmal daheim bist“. Wir haben dich ja alle am meisten lieb, und am fröhlichsten und am sonnigsten ist es bei uns, wenn du da bist. Es ist dann erst das richtige Leben. Ach ernst, ich möchte dich jetzt gern hier haben und möchte dein liebes Gesicht streicheln und möchte dein Lächeln sehen und möchte dir sagen, wie sehr lieb ich dich habe. Ich habe so Heimweh nach dir, du mein lieber, lieber Ernst. Wenn ich dich doch hier festhalten könnte. Ich würde es mit ganzem Herzen tun, du lieber, lieber Ernst. Was sind all die kleinen Kümmernisse gegen die große Sorge um dich.
Bleib mir gesund Ernst, bleib gesund. Ich will auch ganz, ganz tapfer sein, ganz bestimmt. Nur komm mir gesund wieder. Hoffentlich bist du nicht gestern schon fortgekommen. Wir haben ja gestern oft von dir gesprochen, aber dass du schon dort fortfahren könntest, daran habe ich noch nicht gedacht. Wie schäme ich mich, dass ich dir noch im gestrigen Brief großartig wegen der Lebensmittelkürzungen geschrieben habe. Das ist doch alles gar nicht so wichtig. Du hast jetzt ganz andere Sorgen und ich komme mit solchem Kleinkram. Sei mir nicht böse deshalb.
Wenn Du nach dem Osten kommst, so werden meine Gedanken auf immer dich führen und bei dir sein. Ich gehöre ja immer zu dir.
Wenn ich deinen Brief lese, so ist es mir, als stündest du vor mir, als brauchte ich nur meine Hand auszustrecken und könnte dich fassen. Deine Worte sind wie das streicheln meines Herzens, dass es deine Liebe fühlt. Ich fühle mich beschämt durch deinen Dank für meine Liebe, die du durch deine Liebe ja in so reichem Maße vergiltst. Ich bin ja so glücklich darüber, dass du mein Mann bist und dass du mich lieb hast. Was kann es noch schöneres geben? Für mich nichts. Und du weißt ja auch, wie sehr lieb dich die Kinder haben und dass auch ihr größter Wunsch darin gipfelt, dich für immer wieder bei uns zu haben. Vielleicht verschönt dir das Bewusstsein, dass du für uns das liebste auf Erden bist, manche schwere Stunde und auch manche einsame Stunde, die du noch während dieses Krieges erlebst. Ich möchte dir alles gern erleichtern und kann doch nichts tun. Nur das eine kann ich dir sagen, dass du immer auf mich vertrauen kannst und dass ich auch nach dem Kriege gern überall mit dir hingehe, wo du hingehen wirst.
Ich hab dir heute vieles geschrieben, was mir auf dem Herzen lag und das man sich vielmals auszusprechen scheut. Aber ich musste es dir einmal schreiben. Nun küsse ich dich noch vielmals und wünsche, dass es dir nicht zu schwer wird und dass du auch weiterhin gesund bleibst. Deine Annie.

Brief 293 vom 20.03.1942


Konstanz, 20.3.42    
Mein lieber Ernst!

Der heutige Tag hat zwei Überraschungen gebracht, eine gute und eine weniger gute. Mit der guten will ich beginnen. Heute Morgen traf Siegfried zu einem kurzen Besuch hier ein. Er ist mit dem Lazarettzug gekommen. Sie haben hier die letzten Verwundeten ausgeladen. Siegfried hat sich nun bis Morgen Urlaub geben lassen. Mit dem Schnellzug 9:28 Uhr will er nach Karlsruhe fahren, wo sein Zug zur Reparatur steht. Wir haben uns schon mancherlei erzählen können. Ich weiß nun auch wieder, wie alles zuhause steht. Papa und Erna kommen also gut miteinander aus, was mich sehr freut. Auch über den Streit zwischen Frau Junghanns und Papa habe ich mich unterrichtet. Da erfuhr ich nun, dass Papa aus dem Elternverein ausgetreten ist und dass auch Frau Junghanns ihre Ämter niedergelegt hat. Wahrscheinlich geht auch der ganze Verein flöten. Der Krach ist zuerst daher gekommen, dass Frau Junghanns zu Papa gesagt hat, jemand hätte auf dem Heimweg vom Begräbnis von Mama gesagt, nun könne Papa ja Frau Junghanns heiraten. Papa wollte nun wissen, wer das gewesen sei und Frau Junghanns hat es ihm nicht gesagt. Da gab es den ersten Krach. Nun gibt es verschiedene Bewerberinnen, die Papa heiraten möchten, eine geschiedene Frau Böhler und ein Fräulein aus Papa´s früherem Geschäft. Die Frau Junghanns kennt die Frau Böhler nur aus Eifersucht, oder was weiß ich, hat sie zu ihr gesagt, dass Alice das ledige Kind von Mama sei. Das hat natürlich Papa wieder geärgert und so kam es wieder zum Krach.
Heute Morgen waren die Kinder ja noch in der Schule, als Siegfried kam. Sie haben sich dann sehr gefreut, als sie heim kamen. Siegfried hat auch ihre Sparkasse mit einer Mk. bereichert, und außerdem hat er jedem noch 60 Pfg. für ihre Schulsparkasse gegeben. Zum Essen hat Siegfried auch Wurst, Käse, ½ Pfund Butter, ein Brot, Bohnenkaffee, 3 Dosen Fisch, eine Dose Leberwurst und eine Dose Rindfleisch mitgebracht.
Siegfried sagte mir, dass Meiningen sehr schön ist, und dass er öfter hin kommt. Dabei will er auch Kurt mit besuchen.
Wie Siegfried sagte, muß es in Russland furchtbar sein. Größer als die Schussverletzungen sind die Erfrierungen, also sie haben mehr an Füßen und Händen erfrorene, als  tatsächlich Verwundete. Man kann alles gar nicht so schreiben.
Die weniger schöne Überraschung war heute die Ankündigung einer Verringerung der Lebensmittelrationen. Bei den Kindern bleibt fast alles gleich, sie bekommen nur 50g Fleisch pro Woche abgezogen, aber bei Erwachsenen kommen wöchentlich ein halbes Pfund Brot in Wegfall, außerdem kann man scheinbar kein Mehl mehr auf die Brotkarte bekommen, nur ca. 1 Pfund auf die Kinderkarte und wie ich hörte, gibt es das Pfund Mehr auf die Nährmittelkarte auch nicht mehr. Das geht aus dem Zeitungsartikel nicht ganz klar hervor.
Dann bekommen wir statt 400g nur noch 300g Fleisch pro Woche und 250g Butter im Monat weniger. Der Zucker auf der Marmeladenkarte wird auch um 100g herunter gesetzt. Das sind ziemlich viele Kürzungen auf einmal. Na, wir werden uns auch darein finden. Die Hauptsache, dass wir genügend Kartoffeln bekommen. Da kann man sich immer noch helfen.
Siegfried sitzt gerade mit den Kindern zusammen und spielt einige Spiele mit ihnen.
Evtl. wollen wir heute Abend noch ins Kino gehen. Es wird „Himmelhunde“, ein Segelfliegerfilm, gespielt.
Nun laß mich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Lieber Ernst!
Durch Zufall kam ich her und freue mich, dass ich wenigstens einen Tag hier bleiben kann. Meine geänderte Adresse lautet wie folgt:
Uffz. S. Michel, Lkp. 2675, Berlin-Reinickendorf, Tegeler Weg

Brief 292 vom 19.03.1942


Konstanz, 19.3.42               
Mein liebster Ernst !

Heute ist schon bald der Nachmittag vorbei, bis ich zum schreiben komme. Ich habe heute tüchtig geschafft. Am Vormittag habe ich die Wäsche, die ich in den vergangenen Tagen gewaschen habe, gebügelt. Auch die Trainingsanzüge, die ich nun bis zum nächsten Winter versorge. So kalt wird es ja schon nicht mehr werden, dass man sie braucht. Am Nachmittag habe ich mich an die Kinderschuhe gemacht. Die hohen Schuhe von Helga und Jörg habe ich genäht und neue Eisen drauf geschlagen. Bei den halben Schuhen von Jörg, wo die Sohlen durch waren, habe ich Stücke aufgesetzt und bei den älteren hohen Schuhen habe ich eine neue Spitze aufgenagelt. Endlich habe ich die neuen schwarzen Schuhe so hergerichtet, dass er sie nicht mehr so schnell schief treten kann. Das war allerhand Arbeit und mir tut jetzt die rechte Hand ganz weh. Darum geht es jetzt auch mit dem Schreiben nicht ganz recht. Ich bin aber froh, dass nun wieder alles in Ordnung und gebrauchsfertig ist.
Bei uns ist jetzt richtiges Aprilwetter, mal Regen, mal Sonnenschein. Vorhin haben wir sogar das erste Gewitter dieses Jahres gehabt.
Jörg hat heute in der Schule den Film „Der Hase und der Igel“ gesehen. Er kam ganz begeistert heim. Da Helga den Film doch auch schon sah, wurde gleich verglichen, ob es auch bestimmt dasselbe war. Immer neues wurde erzählt, was besonders gefallen hat. Den neuen Stundenplan hat Jörg heute auch gebracht. Er hat Schule:
Mo 11:55-12:45, Di 11-12:45, Mi 9:50-12:45, Do 8:55-12:45, Fr 9:50-12:45, Sa 11-12:45.
Ich will mich jetzt fertig machen, um den Brief noch fortzubringen. Ich fahre noch beim Photografen vorbei und will sehen, ob ich das Bild von mir bekomme. Ich würde es dann mitschicken. Die Filme von deinen Kameraden habe ich dem gestrigen Brief beigefügt.
Nun grüße und küsse ich dich für heute recht herzlich, Deine Annie.

Brief 291 vom 18.03.1942


Konstanz, 18.3.42           
Mein liebster Ernst !

Nun ist gleich eine halbe Woche vorbei, seit Du von uns weggefahren bist. Du fehlst uns, und besonders mir, sehr. Es dauert eben immer eine ganze Zeit, bis man sich wieder daran gewöhnt hat, allein zu sein. Ich habe mich wieder in die Arbeit gestürzt, damit die Tage schneller vergehen.
Gestern Abend bin ich schon um 9 Uhr in´s Bett gegangen, denn ich war sehr müde. Aber heute Morgen war ich doch noch nicht ausgeschlafen, genau wie Helga, die auch noch sehr verschlafen aus dem Bett kam. Das zeitige Aufstehen ist man eben noch nicht gewöhnt. Fast den ganzen Winter über konnten wir ja lange im Bett bleiben. Helga muss ja jetzt immer um 8 Uhr zur Schule, und bei Jörg gilt seit gestern der Stundenplan auch nicht mehr. Heute musste er um 9:50 Uhr und morgen um 8:50 Uhr in die Schule.
Du wolltest noch Samen besorgen. Ich habe nun nachgesehen, was ich noch da habe und was ich bisher bekommen konnte:
Vom vorigen Jahr habe ich             2 Weißkraut, da bräuchte ich noch 2-3 Packungen
                                                1 Wirsing                                                3
                                                1 Rotkraut                                              3
Erhalten konnte ich bisher            4 Spinat                                      keinen mehr
                                                2 lange Gurken
                                                2 kurze Gurken
Ich bräuchte noch                 Kohlrabi                                             2-3 Packungen
                                                Möhren (2 verschiedene Sorten) 3-4
                                                Erbsen   (2 verschiedene Sorten) 2-3
                                                Grünkohl                                             2-3
und vor allem Zwiebelsamen. Auch Rosenkohl könnte ich noch gebrauchen. Das wäre soweit alles. Den Samen von Spinat und Gurken konnte ich heute bei Webers bekommen. Ich habe alle Packungen, die ich brauche, reichlich angegeben, denn vielmals muss man ja nachsäen, wenn einem die Vögel viel wegfressen. Ich weiß nun nicht, ob du das alles besorgen kannst. Schreibst mir deshalb bitte, damit ich mich evtl. noch beim Gaugel umsehe. Bei Wirsing und Erbsen hätte ich gern frühe und späte.
Heute erhielt ich Bescheid vom Dr. Nast, dass ich zu der Untersuchung von der Krankenkasse aus am Samstag mit Jörg hinkommen soll, und zwar um 10 Uhr. Da muss ich sehen, dass Jörg frei bekommt von der Schule.
Unsere Stare lassen sich jetzt den ganzen Nachmittag nicht auf dem Baum blicken. Nur jeden Morgen sitzt eine ganze Versammlung vor dem Häuschen und macht einen ziemlichen Krach. Es sieht aus, als sollte es doch Frühling werden. Heute ist es wieder mal ziemlich warm und die Sonne scheint. Auch weht ein warmer Wind. Frau Leimenstoll meinte, man könnte schon mit der Gartenarbeit beginnen, aber ich glaube, es wird noch mancher kalte Tag kommen. Vor Anfang April, wie wir´s besprochen haben, fange ich nicht an.
Nun laß mich schließen, mein lieber Ernst,und sei herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 290 vom 17.03.1942


Konstanz, 17.3.42         
Mein liebster Ernst !

Heute haben wir hier dasselbe Wetter wie gestern. Den ganzen Vormittag ein ganz dicker Nebel und jetzt am Nachmittag Sonnenschein. Man merkt, dass Frühling und Winter noch im Kampf liegen. Auf den Sonnenschein freut man sich ja immer sehr, denn die Wärme tut wohl.
Helga und Jörg haben vorhin gleich ihre Schulaufgaben gemacht und sind nun hinterm Haus beim spielen. Helga hat in den kleinen Handwagen ihre Puppe gepackt, damit diese auch an die frische Luft kommt.
Am Vormittag habe ich unsere Cognacflaschen wieder mit Wachs verschlossen. Nun können sie ruhen bis zum nächsten Urlaub.
Von Siegfried erhielt ich eine Karte vom 4.3. aus Schwerin (abgestempelt am 15.3. in Berlin), in der er anfragt, ob Du auf Urlaub gewesen seist. Außerdem schreibt er, dass er noch keine Antwort von dir auf seinen Brief erhalten habe. Hatten wir nicht an ihn geschrieben, als du hier warst? Er habe von daheim gehört, dass du versetzt werden solltest. Wir möchten ihm doch bald Bescheid geben, wie sich das verhält.
Vorhin brachte gerade der Bote von der Stadt den Jahresnachweis für den Kinderzuschlag, den man jedes Jahr ausfüllen muß. Nachdem ich das getan habe, werde ich ihn auf´s Rathaus bringen.
Ehe ich den Brief fortbringe, gehe ich noch beim Photografen vorbei, ob die Abzüge vielleicht schon fertig sind. Ich würde sie dir dann mitschicken. Die zwei Filme von deinen Kameraden schickte ich aber erst im nächsten Brief, damit, wenn etwas verloren geht, nicht gleich alles futsch ist.
Heute schaffst Du ja dort auch wieder zum ersten Mal. Ob Du Dich wohl schon eingewöhnt hast? Ich freue mich schon auf Deinen ersten Brief, der ja noch einige Tage auf sich warten lassen wird, aber gar zu lange wird es doch wohl nicht dauern. Es ist doch wieder ein Gruß von dir, auf den ich mich sehr freue, denn du fehlst mir sehr.
Nun will ich aufhören mit schreiben. Ehe ich fortgehe, will ich mich erst noch zum stopfen setzen, denn ein ganzer Berg Strümpfe hat sich wieder angesammelt. Das kann ich nicht liegen lassen.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst, mein lieber Ernst, von Deiner Annie.

Nun kann ich dir doch die Bilder schicken. Sie sind doch ganz schön geworden. Das eine von mir folgt noch. Bei der einen Aufnahme ist mir das Licht der Tischlampe auf´s Gesicht gefallen, die anderen beiden gefallen mir aber gut. Lieber Kerl, du hast deine Sache also sehr gut gemacht. Nun Schluß. Viele, viele Grüße und Küsse deiner Annie.

Brief 289 vom 16.03.1942


                                                                                                Konstanz, 16.3.42           
Mein lieber, lieber Ernst !

Dieser Tag geht nun auch bald zu Ende, und heute empfinde ich noch mehr als gestern, wie sehr du mir fehlst. Gestern kamen wir spät heim und sind bald ins Bett gegangen, aber heute bin ich den ganzen Abend allein. Das ist sehr einsam. Sonst warst Du in der Stube, lagst auf dem Sofa und ich konnte mich nach meiner Arbeit zu Dir setzen. Das geht nun vorläufig nicht mehr. Aber sehr schön war´s, dass Du auf Urlaub da warst und wir ein paar schöne Tage zusammen verleben konnten. Diese Tage sind immer Lichtblicke im Alltag.
Nun wirst Du ja wieder an deinem Bestimmungsort sein. Hoffentlich ist die Fahrt soweit gut verlaufen. Um 6 haben wir daran gedacht, dass du dort sein wirst. Es fragt sich natürlich, ob der Zug pünktlich war.
Heute Nachmittag waren wir beim Arzt. Er ist mit dem Fortschritt zufrieden und meinte, es sei aus dem Stadium heraus, wo es vereitert. Wir müssen weiter einreiben. Auf dem Heimweg sagte Helga: “Das habe ich Dir zu verdanken, dass es nicht geeitert hat, weil du gleich mit mir zum Doktor gegangen bist. Aber wenn Du mal in Gefahr bist, dann helfe ich dir auch.“ Ist das nicht ein kleiner Lauser? Ich hoffe ja, dass die harte Knolle bald ganz weg geht. Es wäre mir eine Beruhigung. Die Sache war also doch nicht so einfach.
Du sagtest ja, ich könnte mir ein Buch oder irgendetwas zum Lesen kaufen. Ich habe mir nun heute drei kleine Reklambücher gekauft. Wenn ich die gelesen habe, schicke ich sie dir mal mit, wenn es mit dem Gewicht langt.
Den Film habe ich heute weggeschafft. Auch von den anderen Filmen, von dir dort, lasse ich die Abzüge mit machen.
Ich habe auch noch einen andren Film gekauft, denn sie sehen einen doch ein bisschen scheel an, wenn man immer nur französische entwickeln lässt. Du kannst aber ruhig noch ein paar Filme besorgen, man weiß ja nicht, wie lange man wieder welche bekommt. Übermorgen bekomme ich die Abzüge.
Vorhin waren die Kinder noch am Briefkasten und haben nachgesehen, ob wieder regelmäßig geleert wird. Das ist nun der Fall und so schaffe ich nachher noch den Brief weg, da kommt er morgen frühgleich ¼ 7 Uhr fort.
Die Helga hat von jetzt an jeden Morgen um 8 Uhr Schule. Da müssen wir nun immer zeitig aufstehen. Bei Jörg gilt noch der alte Stundenplan.
Heute Morgen hatten wir wieder trübes nebliges Wetter, es hat sogar ein wenig geregnet. Am Nachmittag schien aber die Sonne und es war ganz schön warm. Man konnte sich richtig durchwärmen lassen. Aber gegen Abend wurde es wieder kühl, so wie an dem Abend, als wir in St. Kathrinen waren. Das war doch auch ein schöner Tag, nicht wahr? Es ist eben immer so schön, wenn Du da bist, du lieber guter Ernst. Von den Erinnerungen an diesen Urlaub zehren wir ja wieder lange Zeit. Die Urlaubstage sind ja immer glückliche Tage.
Nun schließe ich wieder und hoffe, dass es dir nicht gar so schwer ist. Bleib mir recht gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 288 vom 15.03.1942


Konstanz, 15.3.42
Mein liebster, bester Ernst !

Es ist dies nun wieder der erste Brief, den ich an Dich schreibe. Es ist abends ¾ 10 Uhr. Wir haben vorhin bei Deiner Ankunft und bei Deiner Abfahrt von Stuttgart auf die Uhr gesehen. Unsere Gedanken gehen ja immer zu Dir hin.
Als wir von der Bahn kamen, sind wir mit Vater ins Kino gegangen. Vater hat 2.-Mk. dazu gezahlt. Anders tat er´s nicht. Den Kindern hat der Film viel Freude gemacht. Ich hab diesmal nicht wieder so darüber lachen können. Eine neue Wochenschau war da, in der auch die bombardierten Häuser von Paris gezeigt wurden. Da haben die Bomben schwer gehaust. Vater hat der ganze Film, bzw. die Wochenschau wohl ziemlich beeindruckt, denn er sagte, man müsse nur staunen, wie solche Aufnahmen gemacht werden könnten. Wir sind auf dem Heimweg bis zur  Schneckenburgstraße mitgegangen und sind dann heim. Da war und ist es ja sehr einsam. Helga sagte uns dann unter Tränen, dass sie uns was zeigen müsste. Sie brachte dann aus ihrer Tasche zwei Stückchen Draht zum Vorschein. „Die habe ich noch vom Vaterle, wo ich ihm im Garten bei den Brombeeren geholfen habe. Die hat er noch mit seinen lieben Händen angefasst. Da habe ich sie mir aufgehoben.“ Vorhin haben wir noch Abendbrot gegessen und nun sind die Kinder im Bett. Sie waren sehr müde. Kaum, dass sie sich noch ausziehen konnten. Ich gehe nun auch ins Bett, denn auch ich bin sehr müd. Ich hoffe, dass wir fest schlafen können. Auf ½ 5 Uhr stelle ich mir den Wecker, damit ich bei deiner Ankunft in Köln mit meinen Gedanken bei Dir sein kann. Hoffentlich hast Du einen Platz bekommen, auf dem Du ein bisschen schlafen kannst.
Es waren doch schöne Tage, die wir wieder zusammen verlebt haben. Und die beiden Spaziergänge in den Wald haben uns ja allen gefallen. Die schöne Rangelei im Schnee haben wir ja in einigen Bildern festgehalten. Sie werden immer wieder dazu beitragen, uns diesen Tag zu vergegenwärtigen.
Ich gehe nun ins Bett. Es ist zu einsam und still hier. Wie schön waren doch dagegen die vergangenen Abende, wenn ich mit dir zusammen sitzen konnte. Da hat man erst wieder gemerkt, wie schön ein Feierabend sein kann, und man fühlt dann so recht den Unterschied zu diesem einsam herumsitzen.
Nun gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst. Bleib ganz gesund!
16.3.
Guten Morgen, mein lieber Mann! Wenn du pünktlich angekommen bist, musst Du jetzt in Maastricht sein. Auch heute Morgen von ½ 5 bis um 5 war ich munter und habe an Dich gedacht. Heute mussten wir ja zeitiger aufstehen, da die Kinder zur Schule müssen. Unsere Beiden waren ziemlich verschlafen und Helga wünschte sich, dass sie wieder heimgehen könnten und keinen Unterricht hätten. Damit wird es aber nichts sein.
Gestern Abend sind die Kinder gleich eingeschlafen. Kein einziges Wort haben sie geredet. Das ist doch bestimmt eine Seltenheit.
Es ist mir heute wieder ganz fremd vorgekommen, dass niemand neben mir geatmet hat, als ich heute aufwachte. Es war in den vergangenen Tagen mein erstes, darauf zu hören, und es war so schön, zu wissen, du bist da.
Ich gebe diesen Brief nun Helga mit, damit sie ihn noch zur Post bringt und Du ihn bald erhältst. Ich gebe Dir für heute recht, recht viele Küsse und grüße dich vielmals, Deine Annie.

Sonntag, 12. März 2017

Brief 287 vom 25.02.1942


Konstanz, 25.2.42                                                                   Mein liebster Ernst!

Gleich 2 Briefe erhielt ich heute von Dir., vom 20. und 21.2. Dazu kamen noch die Zeitungen mit den Briefbogen und Umschlägen. Ich danke Dir dafür.
Heute habe ich an Papa, Siegfried, Kurt, Alice und Erna geschrieben. Ich bin froh, dass ich die Briefschulden erledigt habe. Die Durchschläge sende ich nicht erst mit. Wenn Du auf Urlaub kommst, kannst Du sie ja hier lesen. Andernfalls schicke ich sie dir noch hin.
Die Kinder schreiben und rechnen schon öfter, aber jeden Tag pünktlich leider nicht. Aber du musst keine Angst haben, ich passe schon auf, dass sie ihre Kenntnisse nicht vernachlässigen.
Gestern wollte ich ja nähen. Aber leider ist nichts daraus geworden. Die Kinder hatten mir gestern Vormittag erzählt, dass sie mit Wasser beim Vorraum spielen. Ich habe mir da eine größere Pfütze vorgestellt.
Als ich nun ein paar fremde Jungen aus dem Hof hinausschmeißen musste, die die Kinder nicht spielen ließen, sah ich doch, dass fast der ganze Vorraum unter Wasser stand. Die Dachrinne, die an der Stelle vom Dach herunter kommt, ist bis ca. 1 Meter hoch gefroren.