Freitag, 25. November 2016

Brief 244 vom 25./26.11.1941


Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz, 25.11.41                  

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 22.11. mit den Zeitungen. Ich danke Dir dafür. Du hast also doch Urlaub nach Lille bekommen. Hoffentlich hat es Dir gefallen.
Von uns ist heute nicht viel zu berichten. Gerade vorhin habe ich Helga erlaubt, ein bißchen aufzustehen. Es geht ihr mit jedem Tag besser. Der Husten ist ja noch nicht ganz weg, aber heiser ist sie fast gar nicht mehr.
Jörg hat die ganze Stube belegt. Da hat er seine ganze Eisenbahn aufgebaut, dazu den Bahnhof mit Garten und seinen ganzen Hof mit allen Tieren. Es ist gut, daß es noch nicht so kalt ist, da kann man die Stube noch mit erheizen. In einer Beziehung ist es mir lieber, wenn er in der Stube spielt, da kann man nicht immer über seine Sachen fallen. Er braucht doch immer den ganzen Platz.
Nachher muß ich noch in die Stadt fahren und die Päckchen von Vater für Kurt wegschaffen. Im Allgemeinen habe ich heute nicht viel getan, sondern einen etwas ruhigeren Tag eingelegt, nachdem es am Sonntag mit dem Ausruhen nichts geworden ist.
Das Wetter ist bei uns jetzt fast immer das gleiche, neblig oder trüb, naßkalt. Jedenfalls sehr ungesund. Ich habe nun auch wieder Husten und Schnupfen bekommen. Jetzt hat ihn wenigstens die ganze Familie.
Auch ich muß Dich heute bitten, mit diesem kurzen Brief vorlieb zu nehmen. Ich weiß gar nichts mehr zu schreiben.
Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Viele Grüße und 1000000000 Küsse von Deiner Helga und Jörg.

Mein liebster Ernst!                                                                    Konstanz, 26.11.41

 Nachdem gestern Dein Brief vom 22. mit den Zeitungen kam, erhielt ich heute Deinen lieben Brief vom 20.11. Das ist wieder ein langer Brief, für den ich Dir herzlich danke.
Ich würde mich freuen, wenn es klappte, daß Du für die Kinder ein paar Filzschuhe bekommst. Ihre jetzigen können sie nicht mehr so sehr lange tragen.
Ich glaube, den Cognac wirst Du noch unangebrochen vorfinden, wenn Du wieder mal auf Urlaub kommst. Da brauche ich schon Deine Gesellschaft dazu.
Beim Kauf der Hosen für Jörg habe ich nur die Länge der Seitennaht angeben brauchen. Die Schrittweite ist bei Jörg`s Hosen 34 - 36 cm. Wenn die neuen Hosen etwas größer sein sollen, muß eben evtl. 1 - 2 cm zugegeben werden.
Ich bin froh, daß Du Dich nicht mehr so über den Brief von meinem Vater ärgerst. Ich weiß, daß Du nicht unversöhnlich bist und das macht mir alles ein bißchen leichter. Du weißt ja, daß ich meinen Vater nicht im Stich lassen kann, vor allem jetzt, wo meine Mutter gestorben ist. Du weißt ja auch, daß er schon früher ein Hitzkopf war, früher noch mehr als jetzt, und daß ich ziemlich darunter gelitten habe. Es läßt sich ja jetzt alles nicht mehr ändern oder ungeschehen machen. Das Beste ist, daß man so wenig als möglich daran denkt. Papa ist ja nun auch älter geworden und ich denke, daß es ihm ein Trost ist, wenn ich ihm öfter schreibe. Erna ist ihm eben doch noch fremd, wenn er sie auch gern hat. Es wird sicher noch eine Weile dauern, bis sie sich richtig aneinander gewöhnt haben. Vielleicht ist das öftere Schreiben später nicht mehr so nötig, aber vorläufig will ich`s mal beibehalten. Sonst war es bei Papa ja immer so, daß der Schmerz ihm heftig zum Ausdruck kam, daß er aber auch schnell überwunden hat. Ich weiß ja nicht, wie es nun bei Mama`s Tod ist. Ob auch sein Ausspruch, daß wir die Vertrauten sind, von langer Dauer ist, weiß ich nicht. Es kann auch sein, daß er das aus dem ersten Schmerz heraus gesagt hat. Du weißt ja, ich bin da immer etwas mißtrauisch. Ganz richtig nahe werden wir uns ja mit Papa nicht kommen, wir sind zu verschieden. Das ist ja auch nicht so wichtig, wenn wir uns nur verstehen, nicht wahr?
Wegen der Sache, was Erna in die Ehe mitbringt ist es so, daß ich mich da nicht gern hineine mischen will. Ich möchte ihn da nicht etwa, auch ohne meine Absicht, aufhetzten. Gut wäre es natürlich, wenn sie etwas mitbringen würde. Schon deshalb, damit ihr Siegfried nie Vorwürfe machen könnte. Siegfried ist in vieler Beziehung wie Papa und von Papa weiß ich, in wie vielen Sachen er Mama Vorwürfe gemacht hat, wenn es da auch nicht wegen Möbeln war, die ja Mama fast alle mitgebracht hatte. Wenn er es hinterher auch immer wieder bereut hat, so ist doch immer ein Stachel zurückgeblieben, wie Du weißt ja auch leider bei mir.
Papa redet ja immer voller Stolz davon, daß wir uns allein hoch geschafft haben, da müßte er auch bei Siegfried damit zufrieden sein. Freilich, Siegfried ist nicht wie Du und ob es dann, wenn sie sich einschränken müssen, so friedlich zugeht wie bei uns, möchte ich fast bezweifeln. Aber wie gesagt, das hätten sie sich vorher überlegen müssen und ich will mit der Sache nichts zu tun haben. Ich wollte es Papa erst auch mitschreiben, daß Du ja auch nicht gefragt hast, was ich mitbringe. Aber siehst Du, ich bin ein komischer Kerl, ich möchte ihm jetzt nicht noch weh tun. So habe ich es eben gelassen.
Von den Tabletten hast Du ja wohl einstweilen genug, wenn Du erst eine Schachtel verbraucht hast und ich Dir vor ein paar Tagen nochmals 3 Schachteln geschickt. Wenn Du sie mal bald aufgebraucht hast, schreibst Du mir rechtzeitig, denn immer bekommt man keine.
Der Entenbraten war also gut. Das freut mich. So etwas Gutes tut dem Magen auch mal ganz gut. Wenn Du dazu noch eine Flasche  geerbt hast, so war das ja ein ganz guter Tag.
Helga ist heute den ganzen Nachmittag auf. Auch das Essen geht schon wieder etwas besser. Schmerzen hat sie keine mehr. Ich denke, daß sie nächste Woche wieder in die Schule kann.
Laß mich nun wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von  Deiner Anni.

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