Samstag, 19. November 2016

Brief 240 vom 18./19.11.1941


Lieber Ernst!                                                         Konstanz, den 18.11.41                                

Ich habe mich wieder sehr gefreut über Deinen lieben Brief vom 15.11. Er kam vorhin, also am Morgen, an und ich beantworte ihn gleich, da ich heute Nachmittag ja mit den Kindern zur Röntgenuntersuchung gehen will. Ich schreibe nun gleich mit der Schreibmaschine, da ich einmal beim schreiben bin. Ich habe vorhin an Elsa und Siegfried geschrieben. Die Durchschläge schicke ich Dir wieder mit.
Es ist lieb von Dir, daß Du in Deinem Antwortschreiben an meinen Vater gar nichts von Deinem Ärger erwähnen willst. Es ist vielleicht am besten so. Wir ändern ihn ja doch nicht mehr.
Wegen des Mantels habe ich Dir ja wieder geschrieben. Wenn Du nun den Stoff nicht abbestellt hast, freue ich mich schon, daß ich ein schönes Stück bekomme. Ich bin gespannt, ob Dora den Mantelstoff nehmen wird. Ich glaube aber schon. Wenn sie ihn nimmt, dann hast du ihr wenigstens einen Gefallen getan und wir haben uns dadurch ein bißchen für ihre Geschenke revanchiert.
Die Jacke, die ich mir gemacht habe, sieht ganz schön aus. Jedenfalls bin ich der Meinung. Ich ziehe sie jetzt noch gar nicht an, sondern erst, wenn Du einmal da warst. Die soll doch eingeweiht werden, wenn Du sie gesehen hast.
Ich werde Helga also jetzt so ziemlich jeden Tag  ein bißchen auf der Tafel üben lassen, damit die Schrift etwas besser wird. Ein bißchen ebenmäßiger schreibt sie seit den letzten Tagen schon. Sie schreibt jedenfalls die kleinen Buchstaben nicht mehr so groß. Das ist ja schon ein kleiner Fortschritt.
Wie ich Dir schon schrieb, bin ich froh, daß Du noch Stoff für Jörg zu Hosen gekauft hast. Wenn Du sie also dort machen lassen kannst, so ist es mir recht. Die Maße habe ich Dir gestern angegeben. Ums Kaputtmachen habe ich bei Jörg wirklich keine Sorge. Er ist ja ein wilder Kerl.
Jetzt sind Helga und Jörg in der Schule. Kurt ist gerade auf einen Sprung heraufgekommen und will sich rasieren. Er will dann für Paula etwas besorgen.
Vor ein paar Tagen habe ich die Gartenpacht mit 7,- wieder bezahlt.
Es hieß vor einiger Zeit einmal im Radio anläßlich einer Sendung für den Luftschutz, daß es günstig wäre, wenn man sich einmal eine Aufstellung seines Besitzes bis zum letzten kleinsten Stück machen würde. Im Falle etwas passierte, bekäme man es bis zum letzten Stück wieder ersetzt. Ich habe mich nun einmal hingesetzt und so eine Aufstellung gemacht. Aber eigentlich nicht nur zum Luftschutz, sondern damit man so ungefähr einen Überblick hat, was eigentlich alles vorhanden ist. Da ich denke, daß es Dich auch interessiert, habe ich gleich einen Durchschlag mit gemacht. Es fehlen zwar schon einige Kleinigkeiten, aber es war mir zu viel, jedes Sieb und jedes winzigste Stück  aufzuführen. Die Hauptsache ist aber beisammen. Das Original habe ich nun zu meinem Luftschutzgepäck gelegt.
Der Brief ist ja heute ein bißchen kurz, aber du wirst es mir hoffentlich nicht übel nehmen. Ich habe nämlich noch ziemlich viel zu tun, damit ich heute Nachmittag fertig bin.
Sei nun wieder recht, recht herzlich gegrüßt und viel, vielmals geküßt von Deiner Anni.
Das mit dem Übelnehmen ist eigentlich eine dumme Rede, denn das weiß ich ja ganz genau, daß Du so etwas überhaupt nicht übelnehmen würdest.

Mein liebster Ernst!                                                      Konstanz, 19.11.41

 Soeben kam Dein lieber Brief vom 15.11. mit den verschiedenen Durchschlägen an. Der Brief an die Kinder kam auch mit und die Freude darüber war sehr groß. Ich glaube, Helga wird Dir bald wieder schreiben.
Der braune Stoff für einen Mantel gefällt mir auch sehr gut. Aber ich glaube, der andere ist fast noch etwas stärker. Ich glaube, ich bleibe bei meinem. Ich glaube auch, daß mich braun noch blasser macht.
Jetzt habe ich nun genug geglaubt, 3 Mal langt ja. Also ich behalte den ersten Stoff.
Das ist eine ganz gute Idee, daß man für Jörg vielleicht einen ganzen Anzug machen läßt. Er wäre dann immer ganz angezogen.
Laß für mich auch den Mantel machen. Ich weiß mit dem Stoff nicht wohin und außerdem kann ich den Mantel dann jederzeit anziehen. Ein loser Mantel wird ja auch nicht gleich unmodern.
Heute Vormittag habe ich für Helga noch einen Pullover genäht. Er kleidet sie sehr gut. Außerdem ist es noch gute Wolle, die ziemlich warm hält.
Ich war heute in der Stadt und habe dabei noch Inspiroltabletten besorgt. 4 Dosen habe ich wieder da. Ich hätte noch 2 mehr, aber die brauche ich für die Kinder, die einen rauen Hals und Schnupfen haben. Den bekommt man ja jetzt bei dem nebligen Wetter schnell. Es ist sehr unfreundlich draußen.
Heute habe ich den Drillichanzug von Kurt gekocht und gewaschen. Der hatte es nötig. Wenn das Zeug nur nicht so störrisch wäre.
Gestern nun waren wir beim Röntgen. Das war ein Betrieb. Ich möchte das nicht machen. Die Ärzte, oder was es sind, müssen ja am Abend vollkommen kaputt sein. Als wir in den Saal am „Schützen“ kamen, hat es uns bald zurückgeschlagen. So warm war es. Der ganze Saal voll Kinder. Ein Gedränge, Geschiebe und Gerede. Die Kinder haben sich mit angestellt und ich habe die Karten besorgt, die mit dem Namen und einer Nummer versehen werden. Die werden dann mit in den Apparat geschoben, damit auf der Platte gleich der Name mit steht. Erst kam man in einen Apparat, wo man tief einatmen muß, wobei gemessen wird. Die Zahl wird mit auf die Karte geschrieben. Dann kommt man zum Röntgen. Man muß bei dem Apparat das Kinn auf einen Rand legen, die Arme zur Seite halten, einatmen, und schon ist die Sache fertig. Als die Kinder fertig waren, kamen die Frauen dran. Alle haben wir gelbe Papierblusen bekommen. Das hat komisch ausgesehen. Als wir wieder heim konnten, war ich herzlich froh. Mir hat der Kopf direkt gebrummt.
Unterwegs trafen wir Kurt, der dann mit zu uns kam und seinen Ahnenpaß weiter schrieb. Heute ist er mit Hagenauers nach Meersburg gefahren.
Nun will ich wieder aufhören, denn es ist Zeit, daß der Brief fortkommt. Es ist schon 1/4 5 und 1/2 5 wird der Kasten geleert.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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