Samstag, 19. November 2016

Brief 239 vom 16./17.11.1941


Mein liebster Ernst!         Konstanz, 16.11.41                                                

Ich sitze jetzt, es ist 3 Uhr, allein zuhause. Kurt ist mit Helga und Jörg ein bißchen in den Wald spazieren gegangen. 3/4 2 sind sie fort und um 4 Uhr wollen sie wieder da sein. Kurt will nämlich 1/2 6 schon wieder mit dem anderen Kurt ins Kino gehen. Wenn alle, also Kurt, Helga und Jörg, nachher heimkommen, trinken wir Kaffee. Ich habe Kurt dazu eingeladen. Ich habe noch Kuchen da.
Mit dem Mädel, mit dem sich Kurt gestern traf, ist es schon wieder aus. Sie ist katholisch und im kath. Kirchenchor. Das ist natürlich nichts für Kurt.
Ich schrieb Dir doch schon, daß die Frau Frick an Kurt 2 Brote geschickt hatte, die er Vater  gab. Dann hatte er auch noch eins so schon mitgebracht. Auch für Vater. Das hat mir Vater gestern Abend  gebracht. Er wollte mir unbedingt etwas abgeben. Er sagte, daß ich vielleicht Kurt einmal eine Schnitte davon abgeben sollte, wenn er Hunger hat. Das mache ich natürlich schon. Das Brot ist von den Leuten selber gebacken. Er ist fast wie Kuchen, auch ein ganz kleines bißchen süß und wiegt 4 Pfund. Ich habe mich sehr gefreut, denn von Brot hat man ja nie zuviel.
Ich habe gestern noch die Strickjacke für Helga genäht. Sie sieht fast wie neu aus. Helga hat sich gefreut. Ich auch, daß es mir gelungen ist.
Kurt hat ein Buch zum Aufheben mitgebracht. „Ballade am Strom“. Das werde ich nächstens einmal lesen. In meinem Frauenschaftsheft sind immer Fortsetzungen davon. Aber ich habe den Anfang nicht gelesen, da ich das Heft doch noch nicht so lange habe. Ich meine die Frauenwarte. Im Buch läßt es sich auch besser lesen, weil man da hintereinander lesen kann. Das Buch handelt von Schicksalen am Rhein. Von ganz früher, dann von den Separatisten und dann nach der Befreiung.
Du Ernst, jetzt wüßte ich gern Deinen Weihnachtswunsch. Ich werde es Dir ja wohl schicken müssen, denn Du wirst sicher noch nicht wissen, ob Du zu Weihnachten heimkommen kannst. Aber bitte, nicht nur schreiben, Du weißt nicht, was Du Dir wünschen sollst. Strenge Deine Gedanken mal ganz fest an.
Was wollen wir Vater schenken? Brauchen könnte er noch einen Pullover, aber den wirst Du wohl kaum  noch bekommen können und ich kann ohne Kleiderkarte keinen kaufen. Die Kleiderkarte rückt Vater auch nicht heraus, wenn er weiß, ich will ihm was kaufen.
Bei uns war das Wetter heute Morgen so dunstig, halb neblig. Jetzt hat es sich ein bißchen aufgeklärt, aber lange hält es bestimmt nicht an. Nach dem Rhein zu hängt der Dunst immer noch.
Es ist inzwischen 3/4 4 Uhr geworden. Ich will gleich den Kaffee kochen, damit alles fertig ist, wenn die 3 heimkommen. Helga und Jörg bringen nachher gleich noch den Brief zum Briefkasten. Da kommt er heute noch fort.
Ich grüße und küsse Dich für heute wieder recht herzlich, Du lieber Ernst, Deine Anni.

Mein liebster Ernst!       Konstanz, den 17.11.41

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 12/13.11. Der war wieder lang und ich habe mich herzlich darüber gefreut.
Päckchen habe ich bis jetzt noch nicht wieder erhalten, aber die gehen ja immer etwas länger als Briefe. Ich hoffe auch, daß alles gut ankommt.
Wenn Du die Hosen für Jörg dort machen lassen kannst, so ist es mir auch recht. Die Länge an der Seitennaht müßte 48-50 cm sein. Das ist also größer, als er sie jetzt braucht, aber sie sollen ja auch für nächstes und evtl. übernächstes Jahr sein. Ein Schneider weiß ja schon, wie weit der obere Bund dazu sein muß. Bei den von mir gekauften Hosen ist die Weite jetzt, wenn die Hose vorn zugeknöpft ist, 66 cm. Genügen Dir diese Maßangaben?
Die Aktion, an der Du teilgenommen hast, wird sicher sehr interessant gewesen sein. Ich glaube gern, daß Du ziemlich viel dabei gelernt hast. Auch hast Du wahrscheinlich mehr Vertrauen zu Deinen Sprachkenntnissen bekommen. Hat es dich nicht ein bißchen stolz gemacht, daß Du schon in dem Maße mit den Leuten reden kannst?
Für Bekleidung für die Kinder ist jetzt gesorgt. Ich bin sehr froh darüber, denn ich möchte doch nicht allein richtig angezogen sein. Nachdem Du so lieb gewesen bist und in jeder Beziehung für Bekleidung für mich gesorgt hast, brauche ich ja nichts mehr zu kaufen.
Nun wegen braunen Stiefeln für mich. Du, ich weiß wirklich nicht, bei wem ich mir dazu Maß nehmen lassen soll. Ich kann höchstens bei mir selber abmessen, ob aber diese Maße dann zur Anfertigung der Stiefel ausreichen ist mehr als fraglich. Zu einem Schuhmacher kann ich ja nicht gehen, die würden mich rausschmeißen. Die nehmen kaum noch Reparaturen an. Vielleicht können wir es ja auch mit den Stiefeln sein lassen, nachdem ich doch nun ziemlich viele Schuhe habe und Du kaufst lieber für Dich noch ein Paar, denn Du hast ja noch nicht zu viel. Ein einziges Paar Gute hast Du hier zuhause. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Du mit Schuhen gut versorgt wärst. Ich komme ja doch nicht so viel fort und wenn, dann meist mit dem Rad.
Wegen des eisernen Sparens warten wir vielleicht, bis Du wieder einmal auf Urlaub kommst. Mit der Steuertabelle weiß ich nämlich nicht Bescheid. Es ist ja auch nicht so eilig. Man kann ja mit dem Sparen anfangen, wenn man will. Es muß ja nicht der Januar sein.
Es ist doch nicht schlimm, daß Du den Empfang meiner Päckchen nicht bestätigt hast. Ich konnte mir schon denken, daß Du es nur vergessen hast, aber ich wollte doch gerne wissen, ob sie angekommen sind. Von krumm kann doch da gar keine Rede sein. Das wäre gerade ein Grund, Du lieber, dummer Kerl.
Ich konnte mir schon denken, daß Du an dem Schreiben meines Vaters nicht viel Freude haben würdest. Mir war der Brief auch nicht einerlei. Ich habe ja darum auch gleich wieder an Vater geschrieben. Ich danke Dir, daß Du so lieb warst und ihm darauf nicht wieder geschrieben hast. Es ist so, wie Du schreibst, wir wollen keinen Streit vom Zaune brechen. Er ist jetzt sehr allein und darauf wollen wir Rücksicht nehmen. Recht hast Du ja, wenn du schreibst, Siegfried würde sich das nicht gefallen lassen. In dem Zusammenhange lege ich Dir heute den Brief von Papa bei, den ich heute bekommen habe. Er sieht zwar darin auch sein Unrecht, das er Dir getan hat, nicht richtig ein. Aber wir wollen die Angelegenheit begraben.
Aus dem Brief ersiehst Du aber, daß Papa`s Verhältnis zu Siegfried auch nicht ganz zufriedenstellend ist. Mama`s Vermittlung fehlt eben überall. Wenn Siegfried wieder einmal ganz zu hause ist, bin ich gespannt, ob sie zusammen auskommen werden. Sie sind beide Hitzköpfe und Jeder wird sich als Herr in der Wohnung fühlen. Na, das wollen wir alles abwarten.
Wenn Papa so den Hecht als Muster herausstellt, so nehme ich ihm das gar nicht mehr übel. Du weißt ja, das bin ich von früher her so gewöhnt und ich rege mich gar nicht mehr darüber auf. Wenn Papa den Hecht länger bei sich hätte, würde er sehr bald Fehler an ihm entdecken und sich einen neuen Musterknaben suchen.
Schreibe Dir nur ruhig Ärger vom Herzen. Es ist mir lieber, als wenn Du ihn in Dich hineinfrisst. Du sollst Dir durch solche Sachen nicht das Leben noch schwerer machen.
Ich will nachher noch ein paar Briefe schreiben, von denen ich Dir dann die Durchschläge mitschicke.
Von den Inspiroltabletten besorge ich Dir wieder welche. 2 Schachteln habe ich schon da. Die schicke ich Dir dann gelegentlich wieder mit. Laß mich nun wieder schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Gerade als ich den Brief an Papa schrieb, kamen die Päckchen 15, 16, 17, 18 an. Die Filzschuhe und auch die 2 Paar anderen Schuhe passen mir gut. Die blauen Schuhe sind am allerbequemsten. Die drücken schon jetzt kein bißchen. Gefallen tun sie mir ausgezeichnet. Da hast Du wirklich etwas ganz Feines gekauft. Am liebsten würde ich Dich ganz fest abküssen und drücken, was ja leider jetzt nicht geht. So sage ich Dir einstweilen recht, recht vielen Dank. Ich habe mich riesig gefreut. Auch über die Mandeln und die anderen Sachen. Die Nägel sind auch richtig.
Du schreibst in Deinem Brief, daß Du 4 Päckchen abgeschickt hast. Das sind doch sicher die, die angekommen sind. Dann schreibst Du noch von einem Käsepäckchen Nr. 20. Was hast Du dann noch für ein Päckchen 19 weggeschickt? Aber das war jetzt eigentlich eine dumme Frage, bis Du mir antworten kannst, habe ich es ja sicher schon erhalten.
Heute hat mir Papa noch die Todesanzeige von Herrn Nitzsche mitgeschickt.
Der Schuhmacher Schlumberger, bei dem wir früher die Schuhe machen ließen, ist auch gestorben.

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