Freitag, 25. November 2016

Brief 243 vom 24.11.1941


Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, den 24.11.41                                       

Gleich 2 Briefe habe ich heute von Dir bekommen. Beide vom 19.11. Ich habe mich wieder sehr gefreut, trotzdem ich eigentlich schimpfen müßte, daß Du keinen Weihnachtswunsch geäußert hast. Wenn Du nicht bestimmt weißt, ob Du zu Weihnachten kommen kannst, möchte ich Dir doch in nächster Zeit ein Weihnachtspäckchen zuschicken.
Ich freue mich immer wieder mit Dir, wenn Ihr ein bißchen Abwechslung im Speisezettel habt. Wie hat denn der Entenbraten geschmeckt?
Der Stoff für den Mantel gefällt mir wirklich sehr gut.
Ich hatte mir schon gedacht, daß Du Dora einen Preisaufschlag machen würdest. Davon hatten wir ja im Urlaub gesprochen. Ihr fällt es ja nicht so schwer. Wegen dem Stoff für Jörg habe ich Dir ja inzwischen geschrieben, daß wir einen Anzug machen lassen wollen.
Für ein Winterkleid für Helga wäre mir Schottenkaro sehr recht. Ich wollte ihr erst hier auch so ein Kleid kaufen, bekam aber in ihrer Größe nichts. So etwas hat sie fast noch nie gehabt, aber es trägt sich so praktisch. Es ist auch nicht so heikel. Außerdem sieht es meist sehr frisch aus.
Es ist mir recht, wenn Du mir wegen des Spielzeugs für Jörg rechtzeitig Bescheid gibst. Hier werden Weihnachtssachen erst ab 1.12. verkauft und ich glaube sicher, daß man sich da dazuhalten muß. Sollte ja nichts zu bekommen sein, dann ist es auch nicht so schlimm. Dann werde ich mich nach einem Buch umsehen.
Jörg gibt sich in der Schule sehr viel Mühe. Heute hat er Dir sogar ganz allein einen Brief geschrieben, in dem er Dir alles aufgeschrieben hat, was er schon gelernt hat. Die Adresse habe ich ihm vorschreiben müssen, denn er wollte sie unbedingt allein schreiben. Einen Teil der Buchstaben kennt er ja schon selber.
Es freut mich, daß Du meine verschiedenen Schreiben nicht durcheinander gekommen bist. Mit dem Geld sind wir uns ja auch einig. Anfang des nächsten Monats schicke ich es ab.
Es kaufen dort also noch mehr Leute Radioapparate. Ich bin gespannt, ob Du einen gefunden hast, der Dir gefallen könnte. Meinst Du, man könnte ihn gut transportieren?
Ja, es ist wahr, ich bin ganz froh um die Pullover und die Jacke aus den Sachen von Mama. Jörg vor allen Dingen ist ja ein wilder Kerl, da muß man immer aufpassen, daß er nicht alles kaputt macht. Aber bei älteren Sachen ärgert man sich dann nicht so sehr.
Mit dem Mädel aus Singen war es bei Kurt ja nichts. Er kennt aber ein Mädel im Geschäft, mit der er sich gut vertragen würde. Sie schickt ihm auch öfter was und schreibt ihm auch. Aber Kurt war ganz erschrocken, als er wieder her kam, wie häßlich sie ist. Ich kenne sie ja nicht, aber sein Ausdruck war „wie ein Schrecken im Nachthemd“. Er sagte in den letzten Tagen immer wieder, „schade, daß sie so wenig ansprechend ist, ich könnte mich gut mit ihr vertragen.“
Wenn Du keinen Pullover für Vater bekommen kannst, so blieben wohl nur noch ein paar Zigarren als Geschenk übrig. Ich würde dann zusehen, daß ich vielleicht noch eine Kleinigkeit dazu tun könnte, evtl. etwas Butter oder sonst eine Kleinigkeit. Bekommst Du eigentlich noch Zigarren dort?
Von den Scheuertüchern würde ich mir evtl. ein paar nehmen. Ich weiß ja nicht, wie viele es sind. Vielleicht könnte ich die anderen auch Vater mit zu Weihnachten geben.
Den Cognac werde ich aufheben. Im Allgemeinen war Siegfried ja mit Alkohol immer gut versorgt. Es könnte höchstens sein, daß es jetzt anders geworden ist, nachdem er nicht mehr nach Frankreich hinein kommt. Wenn Du meinst, kannst Du ihm ja eine Flasche schicken.
Helga geht es heute wieder ein wenig besser. Sie lacht heute wieder und hat auch schon ein bißchen gegessen, was sie die letzten 2 Tage nicht getan hat. Gestern hatte sie beim Husten Schmerzen. Ich habe ihr daraufhin immer Prießnitzumschläge gemacht, die ihr sehr gut getan haben. Der Husten ist auch lockerer geworden. Ich habe heute wieder 2 Flaschen Hustensaft geholt, damit ich ihnen regelmäßig eingeben kann. Eine Flasche ist gestern alle geworden. Jörg hat ja auch Husten und Schnupfen, aber dabei ist er ganz munter. Ich habe ihn aber heute zur Vorsicht auch einmal nicht in die Schule gehen lassen, damit er nicht auch noch richtig krank ist. Er ist ja immer so nebliges, feuchtes Wetter.
Ich war nun heute bei Helga`s und Jörg`s Lehrerin und habe sie entschuldigt. Dabei habe ich auch einmal die Lehrerin von Helga kennen gelernt. Ich muß sagen, mir gefällt sie nicht besonders. Sie ist kleiner wie ich, etwas rundlich, erblondet, onduliert und trägt eine Brille. Alt ist sie ja noch nicht. Ich habe gleich einmal gefragt, wie Helga sich macht und bin auch auf die lateinische Schrift zu sprechen gekommen. Ich sagte, daß Helga sich viel Mühe gibt, dass es aber noch nicht recht gelingen will. Die Lehrerin sagte, das sei wahr, Helga würde sich viel Mühe geben und man könnte nicht verlangen, daß die Kinder schon so schön schreiben würden, weil ja das lernen ziemlich schnell vor sich gegangen sei. Die Hauptsache sei erst einmal, daß sie die Buchstaben kennen würden. Das andere würde sich mit der Zeit alles noch geben.
Kurt ist nun heute Nachmittag wieder weggefahren. Heute Mittag haben sich Vater und Kurt noch einmal bei uns getroffen. Vater hatte 2 Kuchen mitgebracht und auch Äpfel. Kurt konnte die Sachen aber nicht mitnehmen, da er von Paula auch schon einen Kuchen mit hatte und auch Äpfel bekommen hat. Da gab es erst eine Viertelstunde lang eine Debatte. „Du nimmst es mit“ „Ich kann es nicht mehr mitnehmen“ „Du kannst es wohl“ „Nein“  usw. Da sagte ich nachher, ob es nicht das Gescheiteste wäre, wenn Vater die Kuchen hinschicken würde, damit Kurt sich nicht damit abschleppen muß. Damit waren dann beide Parteien einverstanden und so habe ich heute Nachmittag die Päckchen gepackt und bringe sie morgen weg. Auf den Bahnhof konnte ich natürlich nicht mit gehen, wenn die Kinder allein zuhause sitzen. So haben Jörg und ich am Fenster mit 2 Handtüchern gewinkt. Wir hatten es ihm vorher gesagt, damit er raufschauen sollte. Kurt sagte auch, daß der Urlaub zu kurz sei. Er hätte ihn zwar gut genutzt, aber jetzt, wo er das Wichtigste soweit erledigt hätte und etwas Ruhe gehabt hätte, müßte er wieder fort. Aber es ist ja immer so, wenn man sich etwas eingelebt hat, ist der Urlaub zu Ende. Kurt meinte, daß er wahrscheinlich noch im Laufe dieses Winters nach Rußland kommen würde. Er hätte es läuten hören. Wenn sie dort bleiben, wo sie sind, hofft er im Februar wieder auf Urlaub kommen zu können.
Von Siegfried erhielt ich heute auch einen Brief. An dem gleichen Tage hat er ja auch an Dich geschrieben. U.a. schreibt er „Ich habe mich, seitdem ich das letzte Mal bei Euch in Konstanz war, sehr geändert. Aber das kommt im Wesentlichen davon, daß ich erst einmal gesehen habe, was Erna eigentlich für mich ist. Ich mußte ja nun auch einmal daran denken zu heiraten, denn ich habe durch die Heirat erst einmal den richtigen Sinn bekommen, daß ich für Jemanden lebe und dadurch ein Ziel vor Augen habe.“ Vorher schreibt er, daß er sich freut, wenn er einmal nach hause fahren kann und wenn es nur für einen Tag ist. Hoffentlich hält diese Änderung auch an. Man ist da ein bißchen mißtrauisch, wenigstens ich.
Nun will ich wieder schließen. Es ist bereits 1/2 10 und ich will nicht gar so späte den Brief noch fortbringen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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