Mein
lieber Ernst! Konstanz, den 24.11.41
Gleich
2 Briefe habe ich heute von Dir bekommen. Beide vom 19.11. Ich habe mich wieder
sehr gefreut, trotzdem ich eigentlich schimpfen müßte, daß Du keinen
Weihnachtswunsch geäußert hast. Wenn Du nicht bestimmt weißt, ob Du zu
Weihnachten kommen kannst, möchte ich Dir doch in nächster Zeit ein
Weihnachtspäckchen zuschicken.
Ich
freue mich immer wieder mit Dir, wenn Ihr ein bißchen Abwechslung im
Speisezettel habt. Wie hat denn der Entenbraten geschmeckt?
Der
Stoff für den Mantel gefällt mir wirklich sehr gut.
Ich
hatte mir schon gedacht, daß Du Dora einen Preisaufschlag machen würdest. Davon
hatten wir ja im Urlaub gesprochen. Ihr fällt es ja nicht so schwer. Wegen dem
Stoff für Jörg habe ich Dir ja inzwischen geschrieben, daß wir einen Anzug
machen lassen wollen.
Für
ein Winterkleid für Helga wäre mir Schottenkaro sehr recht. Ich wollte ihr erst
hier auch so ein Kleid kaufen, bekam aber in ihrer Größe nichts. So etwas hat
sie fast noch nie gehabt, aber es trägt sich so praktisch. Es ist auch nicht so
heikel. Außerdem sieht es meist sehr frisch aus.
Es
ist mir recht, wenn Du mir wegen des Spielzeugs für Jörg rechtzeitig Bescheid
gibst. Hier werden Weihnachtssachen erst ab 1.12. verkauft und ich glaube
sicher, daß man sich da dazuhalten muß. Sollte ja nichts zu bekommen sein, dann
ist es auch nicht so schlimm. Dann werde ich mich nach einem Buch umsehen.
Jörg
gibt sich in der Schule sehr viel Mühe. Heute hat er Dir sogar ganz allein
einen Brief geschrieben, in dem er Dir alles aufgeschrieben hat, was er schon
gelernt hat. Die Adresse habe ich ihm vorschreiben müssen, denn er wollte sie
unbedingt allein schreiben. Einen Teil der Buchstaben kennt er ja schon selber.
Es
freut mich, daß Du meine verschiedenen Schreiben nicht durcheinander gekommen
bist. Mit dem Geld sind wir uns ja auch einig. Anfang des nächsten Monats
schicke ich es ab.
Es
kaufen dort also noch mehr Leute Radioapparate. Ich bin gespannt, ob Du einen
gefunden hast, der Dir gefallen könnte. Meinst Du, man könnte ihn gut
transportieren?
Ja,
es ist wahr, ich bin ganz froh um die Pullover und die Jacke aus den Sachen von
Mama. Jörg vor allen Dingen ist ja ein wilder Kerl, da muß man immer aufpassen,
daß er nicht alles kaputt macht. Aber bei älteren Sachen ärgert man sich dann
nicht so sehr.
Mit
dem Mädel aus Singen war es bei Kurt ja nichts. Er kennt aber ein Mädel im
Geschäft, mit der er sich gut vertragen würde. Sie schickt ihm auch öfter was
und schreibt ihm auch. Aber Kurt war ganz erschrocken, als er wieder her kam,
wie häßlich sie ist. Ich kenne sie ja nicht, aber sein Ausdruck war „wie ein
Schrecken im Nachthemd“. Er sagte in den letzten Tagen immer wieder, „schade,
daß sie so wenig ansprechend ist, ich könnte mich gut mit ihr vertragen.“
Wenn
Du keinen Pullover für Vater bekommen kannst, so blieben wohl nur noch ein paar
Zigarren als Geschenk übrig. Ich würde dann zusehen, daß ich vielleicht noch
eine Kleinigkeit dazu tun könnte, evtl. etwas Butter oder sonst eine
Kleinigkeit. Bekommst Du eigentlich noch Zigarren dort?
Von
den Scheuertüchern würde ich mir evtl. ein paar nehmen. Ich weiß ja nicht, wie
viele es sind. Vielleicht könnte ich die anderen auch Vater mit zu Weihnachten
geben.
Den
Cognac werde ich aufheben. Im Allgemeinen war Siegfried ja mit Alkohol immer
gut versorgt. Es könnte höchstens sein, daß es jetzt anders geworden ist,
nachdem er nicht mehr nach Frankreich hinein kommt. Wenn Du meinst, kannst Du
ihm ja eine Flasche schicken.
Helga
geht es heute wieder ein wenig besser. Sie lacht heute wieder und hat auch
schon ein bißchen gegessen, was sie die letzten 2 Tage nicht getan hat. Gestern
hatte sie beim Husten Schmerzen. Ich habe ihr daraufhin immer
Prießnitzumschläge gemacht, die ihr sehr gut getan haben. Der Husten ist auch
lockerer geworden. Ich habe heute wieder 2 Flaschen Hustensaft geholt, damit
ich ihnen regelmäßig eingeben kann. Eine Flasche ist gestern alle geworden.
Jörg hat ja auch Husten und Schnupfen, aber dabei ist er ganz munter. Ich habe
ihn aber heute zur Vorsicht auch einmal nicht in die Schule gehen lassen, damit
er nicht auch noch richtig krank ist. Er ist ja immer so nebliges, feuchtes
Wetter.
Ich
war nun heute bei Helga`s und Jörg`s Lehrerin und habe sie entschuldigt. Dabei
habe ich auch einmal die Lehrerin von Helga kennen gelernt. Ich muß sagen, mir
gefällt sie nicht besonders. Sie ist kleiner wie ich, etwas rundlich,
erblondet, onduliert und trägt eine Brille. Alt ist sie ja noch nicht. Ich habe
gleich einmal gefragt, wie Helga sich macht und bin auch auf die lateinische
Schrift zu sprechen gekommen. Ich sagte, daß Helga sich viel Mühe gibt, dass es
aber noch nicht recht gelingen will. Die Lehrerin sagte, das sei wahr, Helga
würde sich viel Mühe geben und man könnte nicht verlangen, daß die Kinder schon
so schön schreiben würden, weil ja das lernen ziemlich schnell vor sich
gegangen sei. Die Hauptsache sei erst einmal, daß sie die Buchstaben kennen
würden. Das andere würde sich mit der Zeit alles noch geben.
Kurt
ist nun heute Nachmittag wieder weggefahren. Heute Mittag haben sich Vater und
Kurt noch einmal bei uns getroffen. Vater hatte 2 Kuchen mitgebracht und auch
Äpfel. Kurt konnte die Sachen aber nicht mitnehmen, da er von Paula auch schon
einen Kuchen mit hatte und auch Äpfel bekommen hat. Da gab es erst eine Viertelstunde
lang eine Debatte. „Du nimmst es mit“ „Ich kann es nicht mehr mitnehmen“ „Du
kannst es wohl“ „Nein“ usw. Da sagte
ich nachher, ob es nicht das Gescheiteste wäre, wenn Vater die Kuchen
hinschicken würde, damit Kurt sich nicht damit abschleppen muß. Damit waren
dann beide Parteien einverstanden und so habe ich heute Nachmittag die Päckchen
gepackt und bringe sie morgen weg. Auf den Bahnhof konnte ich natürlich nicht
mit gehen, wenn die Kinder allein zuhause sitzen. So haben Jörg und ich am
Fenster mit 2 Handtüchern gewinkt. Wir hatten es ihm vorher gesagt, damit er
raufschauen sollte. Kurt sagte auch, daß der Urlaub zu kurz sei. Er hätte ihn
zwar gut genutzt, aber jetzt, wo er das Wichtigste soweit erledigt hätte und
etwas Ruhe gehabt hätte, müßte er wieder fort. Aber es ist ja immer so, wenn
man sich etwas eingelebt hat, ist der Urlaub zu Ende. Kurt meinte, daß er
wahrscheinlich noch im Laufe dieses Winters nach Rußland kommen würde. Er hätte
es läuten hören. Wenn sie dort bleiben, wo sie sind, hofft er im Februar wieder
auf Urlaub kommen zu können.
Von
Siegfried erhielt ich heute auch einen Brief. An dem gleichen Tage hat er ja
auch an Dich geschrieben. U.a. schreibt er „Ich habe mich, seitdem ich das
letzte Mal bei Euch in Konstanz war, sehr geändert. Aber das kommt im Wesentlichen
davon, daß ich erst einmal gesehen habe, was Erna eigentlich für mich ist. Ich
mußte ja nun auch einmal daran denken zu heiraten, denn ich habe durch die
Heirat erst einmal den richtigen Sinn bekommen, daß ich für Jemanden lebe und
dadurch ein Ziel vor Augen habe.“ Vorher schreibt er, daß er sich freut, wenn
er einmal nach hause fahren kann und wenn es nur für einen Tag ist. Hoffentlich
hält diese Änderung auch an. Man ist da ein bißchen mißtrauisch, wenigstens
ich.
Nun
will ich wieder schließen. Es ist bereits 1/2 10 und ich will nicht gar so
späte den Brief noch fortbringen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt
von Deiner Anni.
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