Freitag, 4. November 2016

Brief 233 vom 4./5./6.11.1941


Mein liebster Ernst!                                                                         Konstanz, 4.11.41      

So, das wäre auch geschafft. Heute habe ich den kleinen Garten umgegraben. Ich habe Gülle in die Erde getan, wie wir es besprochen hatten. Als einzige Gartenarbeit bleibt mir nur noch das Umgraben vorm Haus, die schmalen Stücke und das Kalken der Sträucher. Vorm Haus liegt aber jetzt noch Schnee.
Nun gehen ja die Kinder wieder zur Schule. Jörg hatte doch erst deutsche Langschrift gelernt, dann die Normalschrift und jetzt fangen sie doch wieder mit Langschrift an. Warum wohl? Vielleicht wegen den Lesebüchern, die alle in Sütterlinschrift gedruckt sind? Oder haben sie vielleicht gesehen, daß sie einen Unsinn gemacht haben, Auch alle anderen Klassen schreiben wieder deutsch und lernen lateinisch in der 2. bzw. 3. Klasse.
Da doch Diphterie dieses Jahr hier ziemlich verbreitet war, werden jetzt Schutzimpfungen durchgeführt. Ich habe meine Einwilligung gegeben. Das ist doch recht? Von der Krankenkasse war doch auch schon darüber geschrieben worden und sie hatte es sehr empfohlen. Die Kinder, die in ein Kinderheim zur Erholung kommen sollten, wurden doch auch schutzgeimpft. Heute Nachmittag erhielt ich Deine Zeitungssendung vom 1.11. Ich danke Dir wieder vielmals dafür. Du hast ja diesmal verschiedene Artikel rot angestrichen. Die werde ich also zuerst lesen.
Jetzt kommt ja bald eine ruhigere Zeit für mich, wenn ich die Gärten ganz fertig habe. Ich muß nur noch die große Wäsche bügeln, die ich gestern gewaschen habe, dann muß ich unbedingt mit Nähen anfangen. Ich freue mich schon ein bißchen drauf.
An Vater zahle ich diesmal 50,-. Ich habe diesmal die Miete nicht abgezogen bekommen. Dafür muß ich aber Kirchensteuer bezahlen und den Rest habe ich mir für Weihnachten zurückgelegt. Denn wenn es ja irgendetwas gibt, wie Rosinen usw. muß man Geld da haben, damit man gleich kaufen kann, sonst ist es fort.
Nun höre ich für heute mit schreiben auf. Sei Du, mein liebster Mann, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Da muß ich Dir noch eine kleine Begebenheit erzählen. Ich gab Helga heute früh den Brief an Papa mit. Sie sollte ihn nach der Schule auf der Post wiegen lassen, ob er überwiegt. Zu Jörg sagte ich, er könnte ja Helga zur Post entgegen gehen, da Beide zur gleichen Zeit aus der Schule kamen. Helga wußte aber davon nichts. Als Helga heim kommt, frage ich sie, ob sie Jörg nicht begegnet ist. Nein. Es vergeht 1/4, 1/2, 3/4, 1 Stunde. Jörg kommt nicht. Ich hatte ihm aber gesagt, er solle nicht länger als 10 Minuten warten. Wir wurden schon unruhig und Helga ging Jörg entgegen. Nach einer ziemlichen Weile kamen Beide. Wo war Jörg gewesen? Auf der Post in der Stadt. Als er Helga nicht fand, sind ziemlich Tränen geflossen. An die Petershauser Post hatte er gar nicht gedacht.

Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz, 5.11.41

Dein lieber Brief vom 1.11. kam heute an. Ich danke Dir sehr dafür.
Viel besseres Wetter wie wir habt Ihr also dort auch nicht. So einen Regen, daß er durch die Dächer kommt, haben wir ja nicht gehabt, es rieselt heute nur den ganzen Tag. Gestern und vorgestern war es einmal wirklich schön. Heller Sonnenschein und dazu der Schnee. Es war ein wirklich schönes Bild. In den Gärten liegt auch heute noch Schnee, nur in unserem Garten war er gestern schon ganz weg. Das kommt vom Baum, dadurch war ich auch in der Lage umzugraben.
Die Hausschuhe hast Du also auch schon auf den Weg gebracht. Ich freue mich schon drauf. Auch auf die Käse. Die werden schon bald aufgegessen. Die Kinder sind vor allen Dingen ganz wild darauf.
Solltest Du für die Kinder auch noch Filzschuhe bekommen, so würde ich mich schon freuen. Du müßtest mir dann eben schreiben, was ich Dir noch für Geld schicken soll. Hier hätte ich sie ja auch zahlen müssen. Wenn Du ein schönes Spielzeug siehst, so kaufe es nur. Ich habe ja für Weihnachten ein paar Mark zurückgelegt und könnte Dir auch dafür das Geld schicken.
Hoffentlich hält die Besserung Deines Rückens an und die Schmerzen gehen noch ganz weg. Es ist doch so schön, wenn man ganz gesund ist. Mir geht es übrigens auch wieder ganz gut.
Heute hat mir Jörg die erste Seite aus seinem Lesebuch vorgelesen. Da er es gut konnte, habe ich ihn natürlich gelobt und er war ganz glücklich, daß er schon etwas konnte und daß ich mich freute. Ich soll es Dir auch bestimmt mitschreiben. Gerade jetzt liest er wieder eifrig. Helga fühlt sich natürlich schon sehr groß, steht dabei und will sehen, daß er es auch bestimmt richtig macht.
Helga wird nächsten Donnerstag gegen Diphterie geimpft. Wenn Jörg dran komm, weiß ich noch nicht.
Nun bin ich am Ende meiner Weisheit. (Das ist ein Ausdruck von Dir, den ich mir angeeignet habe.) Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                         Konstanz, 6.11.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 1.11. Ich danke Dir recht sehr dafür. Von Kurt kam ein ganz kurzes Schreiben. Er dankt für das Päckchen, er schreibt, daß er Mitte des Monats auf Urlaub kommt. Das ist alles.
Wegen dem Spielzeug für Jörg habe ich Dir ja nun gestern schon geschrieben. Es wird sicher bei ihm viel Freude auslösen. Was meinst Du eigentlich, was wir sonst so für die Kinder zu Weihnachten kaufen sollen? Man muß natürlich sehen, was es überhaupt gibt. Aber vielleicht kannst Du mir irgendeinen Vorschlag machen. Für Helga ihren Balkon an der Puppenküche möchte ich ein paar Möbel kaufen, wenn ich sie bekomme. Vielleicht kaufe ich noch etwas zum Anziehen. Was meinst Du dazu?
Wenn Du an die Kinder schreibst, werden sie sich sicher freuen. Vielleicht hast Du inzwischen schon Helga`s Brief bekommen, auf den Du dann gleich antworten kannst.
Das glaube ich gern, daß Hasenbraten eine willkommene Abwechslung im Speisezettel ist. Wenn so viel Hasen durch Wilddieberei wegkommen, wird das wohl auch daran mit liegen, daß die Fleischzuteilung dort ziemlich knapp ist. Da wird mancher versuchen, es sich auf andere Weise zu verschaffen oder vielleicht auch mit Gewinn zu verkaufen.
Ich möchte heute Nachmittag einmal ins Kino gehen. Helga kommt 1/2 2 aus der Schule, während Jörg 1/2 2 - 3 Uhr Schule hat. Wenn es heim kommt, wollen sie zusammen Schulaufgaben machen und dann 3/4 5 fortgehen, um mich abzuholen. Ich hoffe, daß alles klappt. Ich bin da immer ein bißchen ängstlich. Ich schicke den Brief auch erst fort, wenn ich aus dem Kino komme und sehe, es ist alles in Ordnung. Abends möchte ich nicht gern fortgehen, darum will ich es am Nachmittag versuchen.
Heute Nacht hat es auch wieder ein bißchen geschneit. Ich habe mit meinem Umgraben wieder Glück gehabt, denn jetzt könnte ich doch nichts machen.
Jetzt schreibe ich noch auf der Post den Schluß. Die Kinder haben mich vom Kino abgeholt. Der Film „Annelie“ war einfach wunderbar. Wenn Du einmal Gelegenheit hast ihn anzusehen, so tue es unbedingt.
Für heute nun recht viele Grüße und Küsse von Deiner Anni und Helga und Jörg.

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