Mein
liebster Ernst! Konstanz, 4.11.41
So,
das wäre auch geschafft. Heute habe ich den kleinen Garten umgegraben. Ich habe
Gülle in die Erde getan, wie wir es besprochen hatten. Als einzige Gartenarbeit
bleibt mir nur noch das Umgraben vorm Haus, die schmalen Stücke und das Kalken
der Sträucher. Vorm Haus liegt aber jetzt noch Schnee.
Nun
gehen ja die Kinder wieder zur Schule. Jörg hatte doch erst deutsche Langschrift
gelernt, dann die Normalschrift und jetzt fangen sie doch wieder mit Langschrift
an. Warum wohl? Vielleicht wegen den Lesebüchern, die alle in Sütterlinschrift
gedruckt sind? Oder haben sie vielleicht gesehen, daß sie einen Unsinn gemacht
haben, Auch alle anderen Klassen schreiben wieder deutsch und lernen lateinisch
in der 2. bzw. 3. Klasse.
Da
doch Diphterie dieses Jahr hier ziemlich verbreitet war, werden jetzt
Schutzimpfungen durchgeführt. Ich habe meine Einwilligung gegeben. Das ist doch
recht? Von der Krankenkasse war doch auch schon darüber geschrieben worden und
sie hatte es sehr empfohlen. Die Kinder, die in ein Kinderheim zur Erholung
kommen sollten, wurden doch auch schutzgeimpft. Heute Nachmittag erhielt ich
Deine Zeitungssendung vom 1.11. Ich danke Dir wieder vielmals dafür. Du hast ja
diesmal verschiedene Artikel rot angestrichen. Die werde ich also zuerst lesen.
Jetzt
kommt ja bald eine ruhigere Zeit für mich, wenn ich die Gärten ganz fertig
habe. Ich muß nur noch die große Wäsche bügeln, die ich gestern gewaschen habe,
dann muß ich unbedingt mit Nähen anfangen. Ich freue mich schon ein bißchen
drauf.
An
Vater zahle ich diesmal 50,-. Ich habe diesmal die Miete nicht abgezogen
bekommen. Dafür muß ich aber Kirchensteuer bezahlen und den Rest habe ich mir
für Weihnachten zurückgelegt. Denn wenn es ja irgendetwas gibt, wie Rosinen
usw. muß man Geld da haben, damit man gleich kaufen kann, sonst ist es fort.
Nun
höre ich für heute mit schreiben auf. Sei Du, mein liebster Mann, wieder recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Da
muß ich Dir noch eine kleine Begebenheit erzählen. Ich gab Helga heute früh den
Brief an Papa mit. Sie sollte ihn nach der Schule auf der Post wiegen lassen,
ob er überwiegt. Zu Jörg sagte ich, er könnte ja Helga zur Post entgegen gehen,
da Beide zur gleichen Zeit aus der Schule kamen. Helga wußte aber davon nichts.
Als Helga heim kommt, frage ich sie, ob sie Jörg nicht begegnet ist. Nein. Es
vergeht 1/4, 1/2, 3/4, 1 Stunde. Jörg kommt nicht. Ich hatte ihm aber gesagt,
er solle nicht länger als 10 Minuten warten. Wir wurden schon unruhig und Helga
ging Jörg entgegen. Nach einer ziemlichen Weile kamen Beide. Wo war Jörg
gewesen? Auf der Post in der Stadt. Als er Helga nicht fand, sind ziemlich
Tränen geflossen. An die Petershauser Post hatte er gar nicht gedacht.
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 5.11.41
Dein
lieber Brief vom 1.11. kam heute an. Ich danke Dir sehr dafür.
Viel
besseres Wetter wie wir habt Ihr also dort auch nicht. So einen Regen, daß er
durch die Dächer kommt, haben wir ja nicht gehabt, es rieselt heute nur den
ganzen Tag. Gestern und vorgestern war es einmal wirklich schön. Heller
Sonnenschein und dazu der Schnee. Es war ein wirklich schönes Bild. In den
Gärten liegt auch heute noch Schnee, nur in unserem Garten war er gestern schon
ganz weg. Das kommt vom Baum, dadurch war ich auch in der Lage umzugraben.
Die
Hausschuhe hast Du also auch schon auf den Weg gebracht. Ich freue mich schon
drauf. Auch auf die Käse. Die werden schon bald aufgegessen. Die Kinder sind
vor allen Dingen ganz wild darauf.
Solltest
Du für die Kinder auch noch Filzschuhe bekommen, so würde ich mich schon
freuen. Du müßtest mir dann eben schreiben, was ich Dir noch für Geld schicken
soll. Hier hätte ich sie ja auch zahlen müssen. Wenn Du ein schönes Spielzeug
siehst, so kaufe es nur. Ich habe ja für Weihnachten ein paar Mark zurückgelegt
und könnte Dir auch dafür das Geld schicken.
Hoffentlich
hält die Besserung Deines Rückens an und die Schmerzen gehen noch ganz weg. Es
ist doch so schön, wenn man ganz gesund ist. Mir geht es übrigens auch wieder
ganz gut.
Heute
hat mir Jörg die erste Seite aus seinem Lesebuch vorgelesen. Da er es gut
konnte, habe ich ihn natürlich gelobt und er war ganz glücklich, daß er schon
etwas konnte und daß ich mich freute. Ich soll es Dir auch bestimmt
mitschreiben. Gerade jetzt liest er wieder eifrig. Helga fühlt sich natürlich
schon sehr groß, steht dabei und will sehen, daß er es auch bestimmt richtig
macht.
Helga
wird nächsten Donnerstag gegen Diphterie geimpft. Wenn Jörg dran komm, weiß ich
noch nicht.
Nun
bin ich am Ende meiner Weisheit. (Das ist ein Ausdruck von Dir, den ich mir
angeeignet habe.) Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie.
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 6.11.41
Heute
erhielt ich Deinen lieben Brief vom 1.11. Ich danke Dir recht sehr dafür. Von
Kurt kam ein ganz kurzes Schreiben. Er dankt für das Päckchen, er schreibt, daß
er Mitte des Monats auf Urlaub kommt. Das ist alles.
Wegen
dem Spielzeug für Jörg habe ich Dir ja nun gestern schon geschrieben. Es wird
sicher bei ihm viel Freude auslösen. Was meinst Du eigentlich, was wir sonst so
für die Kinder zu Weihnachten kaufen sollen? Man muß natürlich sehen, was es
überhaupt gibt. Aber vielleicht kannst Du mir irgendeinen Vorschlag machen. Für
Helga ihren Balkon an der Puppenküche möchte ich ein paar Möbel kaufen, wenn
ich sie bekomme. Vielleicht kaufe ich noch etwas zum Anziehen. Was meinst Du
dazu?
Wenn
Du an die Kinder schreibst, werden sie sich sicher freuen. Vielleicht hast Du
inzwischen schon Helga`s Brief bekommen, auf den Du dann gleich antworten
kannst.
Das
glaube ich gern, daß Hasenbraten eine willkommene Abwechslung im Speisezettel
ist. Wenn so viel Hasen durch Wilddieberei wegkommen, wird das wohl auch daran
mit liegen, daß die Fleischzuteilung dort ziemlich knapp ist. Da wird mancher
versuchen, es sich auf andere Weise zu verschaffen oder vielleicht auch mit
Gewinn zu verkaufen.
Ich
möchte heute Nachmittag einmal ins Kino gehen. Helga kommt 1/2 2 aus der
Schule, während Jörg 1/2 2 - 3 Uhr Schule hat. Wenn es heim kommt, wollen sie
zusammen Schulaufgaben machen und dann 3/4 5 fortgehen, um mich abzuholen. Ich
hoffe, daß alles klappt. Ich bin da immer ein bißchen ängstlich. Ich schicke
den Brief auch erst fort, wenn ich aus dem Kino komme und sehe, es ist alles in
Ordnung. Abends möchte ich nicht gern fortgehen, darum will ich es am
Nachmittag versuchen.
Heute
Nacht hat es auch wieder ein bißchen geschneit. Ich habe mit meinem Umgraben
wieder Glück gehabt, denn jetzt könnte ich doch nichts machen.
Jetzt
schreibe ich noch auf der Post den Schluß. Die Kinder haben mich vom Kino
abgeholt. Der Film „Annelie“ war einfach wunderbar. Wenn Du einmal Gelegenheit
hast ihn anzusehen, so tue es unbedingt.
Für
heute nun recht viele Grüße und Küsse von Deiner Anni und Helga und Jörg.
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