Mein lieber Ernst! Konstanz, den 27.7.41(Leipzig)
Als wir heute aus dem Zoo heimkamen, war
Dein lieber Brief vom 24.7. da. Ich danke Dir vielmals dafür. Als ich Dir
gestern von hier den ersten Brief geschrieben habe, habe ich ganz vergessen Dir
zu sagen, daß ich Deine Briefe vom 21. und 22. hier vorfand als ich ankam und
daß wir gestern Deinen Brief vom 23. mit den Bildern von Dir erhielten. Ich
habe mich über alles sehr gefreut.
Es hat mich auch gefreut, daß Dein neuer
Chef so eine gute Meinung von Dir hat und sich auch dem Tommy gegenüber lobend
geäußert hat. Da hat es doch wenigstens einen Wert, wenn man sich bei der
Arbeit anstrengt.
Schokolade habe ich noch 10 große und 2
kleinere Tafeln. Die reichen ja schon noch eine Weile, aber wenn Du noch welche
kaufen kannst, ist es mir schon recht. Da kann ich ab und zu einmal etwas
essen. Denn schaden kann es mir ja nicht. Nächsten Monat kann ich Dir ja auch
wieder etwas Geld schicken.
Jetzt hast Du also auch noch ein Paar Schuhe
für mich und Sandalen für Helga besorgen können. Das ist fein. Jetzt sind wir
ja versorgt und brauche nicht gleich wieder welche zu kaufen. Wenn Du mir Stiefel
machen lassen kannst, wo wäre das ganz fein. Aber sie müßten dann reichlich
große sein, damit ich ein Paar dickere Strümpfe drunter ziehen könnte. Die
Farbe braun würde mir zusagen.
Heute Morgen waren wir im Zoo. Das war
wirklich fein. Er ist sehr groß ausgebaut worden. Ein ganzes Stück vom Rosental
ist mit dazugenommen worden. Wir sind überall herumgelaufen, von morgens 1/2 9
bis mittags 1/4 1. Dann waren wir ganz müde. Wir sind dann mit der Straßenbahn
nach hause gefahren, haben zu Mittag gegessen und nun habe ich mich zum schreiben
hingesetzt. Gegen 4 Uhr werden Alice und Erna kommen.
Ich habe sie ja gestern Abend noch kennen
gelernt. Es ist ein ganz nettes Mädel. Ich wäre schon fast am Anfang mit einem
Kuß bedacht worden. Dieses Vorhaben ist aber an meinem Widerstand gescheitert.
Ich glaube aber, daß ich ungeküßt nicht zum Abfahren komme. Am Donnerstag
bin ich mit den Kindern von ihr
eingeladen worden. Da will sie gern mit uns ausgehen. An den vorhergehenden
Tagen hat sie noch keine Zeit. Am nächsten Sonntag sind wir zu Alice
eingeladen, alle zusammen, auch die Eltern. Wir gehen gleich am Morgen und
bleiben den ganzen Tag dort. Alice kocht. Morgen will ich zu Elsa gehen. Als Siegfried
gestern noch einmal unverhofft kam, sagte er mir, daß er Gerhard in Dresden
einmal getroffen habe. Er kommt nach der Kanalküste. Er hat ihm gesagt, daß er
heute noch einen Tag in Leipzig sei und wenn ich Zeit hätte, könnte ich
vielleicht einmal nach dem Schrebergarten in Schönefeld kommen. Ich gehe aber
heute nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wo sein Garten ist und renne vielleicht
den ganzen Nachmittag herum. Ich hätte vielleicht so gleich mit Elsa reden
können, aber das hat morgen auch noch Zeit.
Ich habe mir schon die letzten Tage
überlegt, was wohl Vater machen mag. Aber ich hoffe, daß es ihm nicht
schlechter geht. Schreiben will er mir ja nicht. Im Notfalle würde mir sicher
der Doktor Bescheid geben, da Vater ja meine jetzige Adresse hat. Aber als wir
wegfuhren, ging es ihm ja nicht mehr gar so schlimm. Er hatte schon angefangen,
wieder ein paar Bratkartoffeln und Johannisbeeren zu essen. Auch Brot habe ich ihm
besorgen müssen, weil er wieder etwas Appetit hatte. Hoffentlich macht er es
nun auch so und schafft nicht zu viel. Vorgenommen hat er es sich ja.
Vielleicht hat er doch etwas aus seiner Krankheit gelernt.
Heute Nachmittag ist Papa nun nach
Neustadt gefahren. Morgen wird Onkel Richard begraben.
Wie ich Dir schon gestern schrieb, hat
Papa eine neue Stelle angenommen. Er bekommt dort vorerst soviel Gehalt wie
bisher. 250.- brutto. Wenn er sich gut einarbeitet, soll ihm evtl., in einem
Vierteljahr 10% zugelegt werden. Der Vorteil bei seiner neuen Stelle ist der,
daß er nur einen Weg von 10 Min. hat und auch das Straßenbahngeld einsparen
kann. Außerdem ist die Arbeitszeit besser. Ich habe es Dir geschrieben, da ich
denken, daß es Dich interessiert.
Wir erwarten nun bald den Besuch und wir
wollen den Tisch decken. Heute gibt es einen Stachelbeerkuchen von unseren
Stachelbeeren. Kompott davon haben wir heute Mittag auch gehabt.
Eben sind Alice und Erna eingetroffen. Sei
also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, den 28. 7. 41
Heute kam Dein lieber Brief vom 25.7. an.
Hab vielen Dank dafür.
Inzwischen hast Du ja sicher unseren Brief
und die Karte erhalten und siehst, daß es mit der Fahrt geklappt hat und daß
wir nun in Leipzig sind. Es geht uns hier gut und ich habe ziemlich freie Zeit,
was mir im Gegensatz zu daheim wirklich
auffällt.
Wegen der Schokolade habe ich Dir ja
gestern geschrieben. Es ist nun nicht so, daß alles die gleiche Schokolade ist.
Die grüne Packung ist am sahnigsten. Auch die weiße Packung und die kleinere
Tafel sind verschieden. Beide sind aber gleich gut.
Ich hatte Mutter 2 Tafeln von der weißen
Packung mitgenommen. Sie hat sich sehr gefreut und bittere Schokolade darf sie
auch eher essen. Jetzt habe ich mir gedacht, wenn Du Schokolade noch so
gekommen solltest, das heißt, daß Du keine Lauferei und Ärger mit der
Beschaffung hast, könntest Du vielleicht an die Eltern ein paar Tafeln
schicken. Sie würden sie Dir sehr gern bezahlen. Ich habe Mama nicht gesagt,
daß Du angefragt hast, ob Du für uns noch welche besorgen sollst. Ich habe sie
nur gefragt, ob ich einmal bei Dir anfragen soll, ob Du einige Tafeln besorgen
könntest. Sie sagte daraufhin, daß sie sich darüber sehr freuen würde. Du
solltest aber schreiben, wie viel sie kostet, damit sie Dir das Geld gleich
zuschicken können. Sie wären doch sehr froh, wenn sie überhaupt welche bekommen. Du kannst mir ja Bescheid
geben, ob Du welche besorgen kannst. Vielleicht wirst Du jetzt auch denken, na,
Annie denkt, ich brauche sie bloß kaufen und schicken und überlegt gar nicht,
daß das nicht so einfach ist. Aber weißt Du, darüber weiß ich nun nicht
Bescheid und darum mußt Du mir nicht böse sein, wenn ich einfach so eine Anfrage
an dich richte, nicht wahr?
In die Wochenschau bin ich in Konstanz
wirklich nicht mehr gekommen. Auch wenn ich Zeit gehabt hätte, wäre ich
wahrscheinlich nicht gegangen. Denn allein gehe ich sowieso nicht fort und
außerdem stand in der Zeitung, man soll Kinder in diese Wochenschauen nicht
mitnehmen, da diese Bilder von den Morden nichts für sie sind. Ich bin aber nun
für Donnerstag von Erna und Alice eingeladen worden. Ich dachte erst, die
Kinder könnten mitgehen, aber die soll ich bei der Mutter lassen, ich meine
also die Mama, und soll am Donnerstag um 3 mit der Straßenbahn zum
Augustusplatz fahren. Ich treffe dort Erna und Alice und wie sie Mama gesagt
haben, wollen sie mir dann eine kleine Erinnerung kaufen und evtl. noch etwas
für Jörg zum Geburtstag. Hinterher
wollen wir ins Kino gehen und wieder hinterher wollen sie mich zum Eisessen
ausführen. Am Abend werde ich dann wieder zuhause sein.
Gestern, als Alice und Erna kamen, haben
wir Nachmittagskaffee getrunken. Wir haben uns dann unterhalten und haben später
Abendbrot gegessen. Der Besuch hatte sein Abendbrot selber mitgebracht. Wir
sind dann noch bis 1/2 11 zusammengesessen. Es war ein schöner Nachmittag. Erna
habe ich bei dieser Gelegenheit auch ein bißchen näher kennen gelernt. Sie ist
wirklich nett und es wäre von Siegfried gemein gewesen, wenn er sie sitzen
gelassen hätte.
Mit
dem Wellensittich haben wir alle viel Spaß. Er setzt sich jetzt auch
schon bei mir auf die Schulter und auf den Kopf. Wenn ich ihm ein Stück Brot
hinhalte pickt er auch davon. Wir haben uns schon vorgenommen, Deine Zustimmung
natürlich vorausgesetzt, daß wir uns später auch einmal so ein Tier kaufen
wollen. Jetzt während dem Krieg, natürlich nicht, denn da hat man seine Not mit
dem Futter. Aber so eilig ist das ja auch gar nicht. Jedenfalls haben die
Kinder jetzt dadurch auch ihre Unterhaltung.
Wir waren heute Morgen im Milchgeschäft
und haben gefragt, ob ich während der Zeit des Hierseins auch Magermilch
bekomme. Es ist aber abgelehnt worden. Wir müßten eben zusehen, wie wir mit der
Magermilch von der Mama auskommen. Heute Nachmittag gehen wir nun aufs Gut, das
ca. 1/4 Stunde von hier entfernt ist und wollen sehen, ob wir von dort die
Vollmilch für die Kinder bekommen können. Die geben nicht gar so knapp und die
Milch ist auch gut. Es fragt sich nun, ob wir angenommen werden. Da müssen wir
heute Mittag um 12 hin gehen.
Ich will nun Mama noch ein bißchen mit
helfen und schließe meinen Brief ab. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von
Deiner Annie.