Mittwoch, 27. Juli 2016

Brief 194 vom 27./28.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                 Konstanz, den 27.7.41(Leipzig)           
        
Als wir heute aus dem Zoo heimkamen, war Dein lieber Brief vom 24.7. da. Ich danke Dir vielmals dafür. Als ich Dir gestern von hier den ersten Brief geschrieben habe, habe ich ganz vergessen Dir zu sagen, daß ich Deine Briefe vom 21. und 22. hier vorfand als ich ankam und daß wir gestern Deinen Brief vom 23. mit den Bildern von Dir erhielten. Ich habe mich über alles sehr gefreut.
Es hat mich auch gefreut, daß Dein neuer Chef so eine gute Meinung von Dir hat und sich auch dem Tommy gegenüber lobend geäußert hat. Da hat es doch wenigstens einen Wert, wenn man sich bei der Arbeit anstrengt.
Schokolade habe ich noch 10 große und 2 kleinere Tafeln. Die reichen ja schon noch eine Weile, aber wenn Du noch welche kaufen kannst, ist es mir schon recht. Da kann ich ab und zu einmal etwas essen. Denn schaden kann es mir ja nicht. Nächsten Monat kann ich Dir ja auch wieder etwas Geld schicken.
Jetzt hast Du also auch noch ein Paar Schuhe für mich und Sandalen für Helga besorgen können. Das ist fein. Jetzt sind wir ja versorgt und brauche nicht gleich wieder welche zu kaufen. Wenn Du mir Stiefel machen lassen kannst, wo wäre das ganz fein. Aber sie müßten dann reichlich große sein, damit ich ein Paar dickere Strümpfe drunter ziehen könnte. Die Farbe braun würde mir zusagen.
Heute Morgen waren wir im Zoo. Das war wirklich fein. Er ist sehr groß ausgebaut worden. Ein ganzes Stück vom Rosental ist mit dazugenommen worden. Wir sind überall herumgelaufen, von morgens 1/2 9 bis mittags 1/4 1. Dann waren wir ganz müde. Wir sind dann mit der Straßenbahn nach hause gefahren, haben zu Mittag gegessen und nun habe ich mich zum schreiben hingesetzt. Gegen 4 Uhr werden Alice und Erna kommen.
Ich habe sie ja gestern Abend noch kennen gelernt. Es ist ein ganz nettes Mädel. Ich wäre schon fast am Anfang mit einem Kuß bedacht worden. Dieses Vorhaben ist aber an meinem Widerstand gescheitert. Ich glaube aber, daß ich ungeküßt nicht zum Abfahren komme. Am Donnerstag bin  ich mit den Kindern von ihr eingeladen worden. Da will sie gern mit uns ausgehen. An den vorhergehenden Tagen hat sie noch keine Zeit. Am nächsten Sonntag sind wir zu Alice eingeladen, alle zusammen, auch die Eltern. Wir gehen gleich am Morgen und bleiben den ganzen Tag dort. Alice kocht. Morgen will ich zu Elsa gehen. Als Siegfried gestern noch einmal unverhofft kam, sagte er mir, daß er Gerhard in Dresden einmal getroffen habe. Er kommt nach der Kanalküste. Er hat ihm gesagt, daß er heute noch einen Tag in Leipzig sei und wenn ich Zeit hätte, könnte ich vielleicht einmal nach dem Schrebergarten in Schönefeld kommen. Ich gehe aber heute nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wo sein Garten ist und renne vielleicht den ganzen Nachmittag herum. Ich hätte vielleicht so gleich mit Elsa reden können, aber das hat morgen auch noch Zeit.
Ich habe mir schon die letzten Tage überlegt, was wohl Vater machen mag. Aber ich hoffe, daß es ihm nicht schlechter geht. Schreiben will er mir ja nicht. Im Notfalle würde mir sicher der Doktor Bescheid geben, da Vater ja meine jetzige Adresse hat. Aber als wir wegfuhren, ging es ihm ja nicht mehr gar so schlimm. Er hatte schon angefangen, wieder ein paar Bratkartoffeln und Johannisbeeren zu essen. Auch Brot habe ich ihm besorgen müssen, weil er wieder etwas Appetit hatte. Hoffentlich macht er es nun auch so und schafft nicht zu viel. Vorgenommen hat er es sich ja. Vielleicht hat er doch etwas aus seiner Krankheit gelernt.
Heute Nachmittag ist Papa nun nach Neustadt gefahren. Morgen wird Onkel Richard begraben.
Wie ich Dir schon gestern schrieb, hat Papa eine neue Stelle angenommen. Er bekommt dort vorerst soviel Gehalt wie bisher. 250.- brutto. Wenn er sich gut einarbeitet, soll ihm evtl., in einem Vierteljahr 10% zugelegt werden. Der Vorteil bei seiner neuen Stelle ist der, daß er nur einen Weg von 10 Min. hat und auch das Straßenbahngeld einsparen kann. Außerdem ist die Arbeitszeit besser. Ich habe es Dir geschrieben, da ich denken, daß es Dich interessiert.
Wir erwarten nun bald den Besuch und wir wollen den Tisch decken. Heute gibt es einen Stachelbeerkuchen von unseren Stachelbeeren. Kompott davon haben wir heute Mittag auch gehabt.
Eben sind Alice und Erna eingetroffen. Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                        Konstanz, den 28. 7. 41

Heute kam Dein lieber Brief vom 25.7. an. Hab vielen Dank dafür.
Inzwischen hast Du ja sicher unseren Brief und die Karte erhalten und siehst, daß es mit der Fahrt geklappt hat und daß wir nun in Leipzig sind. Es geht uns hier gut und ich habe ziemlich freie Zeit, was mir im Gegensatz zu daheim wirklich  auffällt.
Wegen der Schokolade habe ich Dir ja gestern geschrieben. Es ist nun nicht so, daß alles die gleiche Schokolade ist. Die grüne Packung ist am sahnigsten. Auch die weiße Packung und die kleinere Tafel sind verschieden. Beide sind aber gleich gut.
Ich hatte Mutter 2 Tafeln von der weißen Packung mitgenommen. Sie hat sich sehr gefreut und bittere Schokolade darf sie auch eher essen. Jetzt habe ich mir gedacht, wenn Du Schokolade noch so gekommen solltest, das heißt, daß Du keine Lauferei und Ärger mit der Beschaffung hast, könntest Du vielleicht an die Eltern ein paar Tafeln schicken. Sie würden sie Dir sehr gern bezahlen. Ich habe Mama nicht gesagt, daß Du angefragt hast, ob Du für uns noch welche besorgen sollst. Ich habe sie nur gefragt, ob ich einmal bei Dir anfragen soll, ob Du einige Tafeln besorgen könntest. Sie sagte daraufhin, daß sie sich darüber sehr freuen würde. Du solltest aber schreiben, wie viel sie kostet, damit sie Dir das Geld gleich zuschicken können. Sie wären doch sehr froh, wenn sie überhaupt  welche bekommen. Du kannst mir ja Bescheid geben, ob Du welche besorgen kannst. Vielleicht wirst Du jetzt auch denken, na, Annie denkt, ich brauche sie bloß kaufen und schicken und überlegt gar nicht, daß das nicht so einfach ist. Aber weißt Du, darüber weiß ich nun nicht Bescheid und darum mußt Du mir nicht böse sein, wenn ich einfach so eine Anfrage an dich richte, nicht wahr?
In die Wochenschau bin ich in Konstanz wirklich nicht mehr gekommen. Auch wenn ich Zeit gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen. Denn allein gehe ich sowieso nicht fort und außerdem stand in der Zeitung, man soll Kinder in diese Wochenschauen nicht mitnehmen, da diese Bilder von den Morden nichts für sie sind. Ich bin aber nun für Donnerstag von Erna und Alice eingeladen worden. Ich dachte erst, die Kinder könnten mitgehen, aber die soll ich bei der Mutter lassen, ich meine also die Mama, und soll am Donnerstag um 3 mit der Straßenbahn zum Augustusplatz fahren. Ich treffe dort Erna und Alice und wie sie Mama gesagt haben, wollen sie mir dann eine kleine Erinnerung kaufen und evtl. noch etwas für Jörg zum Geburtstag.  Hinterher wollen wir ins Kino gehen und wieder hinterher wollen sie mich zum Eisessen ausführen. Am Abend werde ich dann wieder zuhause sein.
Gestern, als Alice und Erna kamen, haben wir Nachmittagskaffee getrunken. Wir haben uns dann unterhalten und haben später Abendbrot gegessen. Der Besuch hatte sein Abendbrot selber mitgebracht. Wir sind dann noch bis 1/2 11 zusammengesessen. Es war ein schöner Nachmittag. Erna habe ich bei dieser Gelegenheit auch ein bißchen näher kennen gelernt. Sie ist wirklich nett und es wäre von Siegfried gemein gewesen, wenn er sie sitzen gelassen hätte.
Mit  dem Wellensittich haben wir alle viel Spaß. Er setzt sich jetzt auch schon bei mir auf die Schulter und auf den Kopf. Wenn ich ihm ein Stück Brot hinhalte pickt er auch davon. Wir haben uns schon vorgenommen, Deine Zustimmung natürlich vorausgesetzt, daß wir uns später auch einmal so ein Tier kaufen wollen. Jetzt während dem Krieg, natürlich nicht, denn da hat man seine Not mit dem Futter. Aber so eilig ist das ja auch gar nicht. Jedenfalls haben die Kinder jetzt dadurch auch ihre Unterhaltung.
Wir waren heute Morgen im Milchgeschäft und haben gefragt, ob ich während der Zeit des Hierseins auch Magermilch bekomme. Es ist aber abgelehnt worden. Wir müßten eben zusehen, wie wir mit der Magermilch von der Mama auskommen. Heute Nachmittag gehen wir nun aufs Gut, das ca. 1/4 Stunde von hier entfernt ist und wollen sehen, ob wir von dort die Vollmilch für die Kinder bekommen können. Die geben nicht gar so knapp und die Milch ist auch gut. Es fragt sich nun, ob wir angenommen werden. Da müssen wir heute Mittag um 12 hin gehen.
Ich will nun Mama noch ein bißchen mit helfen und schließe meinen Brief ab. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Montag, 25. Juli 2016

Brief 193 vom 23./25.26.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz, den 23.7.41   

Unser Reisetag rückt immer näher. Die Kinder können es schon gar nicht mehr erwarten. Sie freuen sich schon sehr auf die Bahnfahrt. Da Du ihnen nun noch von den Tunneln geschrieben hast, ist die Erwartung und Freude noch größer.
Vater will morgen Vormittag wieder zu sich runter gehen. Ich bringe ihn natürlich runter. Am Nachmittag habe ich dann Zeit, alles herzurichten und außerdem hole ich noch die Fahrkarte. Da brauche ich mich Freitagmorgen nicht anzustellen.
Heute Vormittag habe ich noch einmal die Tomaten angebunden, und das Kraut gehackt. Das war das Notwendigste. Ich glaube, daß wir fast rote Tomaten haben, wenn wir wiederkommen. Auch Bohnen gibt es dann. Hoffentlich sind sie dann nicht schon störrisch. Aber die Stangenbohnen blühen ja erst noch, da denke ich, daß ich schon noch ernten kann.
Ich habe auch schon den Keller ausgeräumt, d.h. ich habe den Tisch rausgenommen, damit ich unsere Räder solange in den Keller stellen kann. Ich möchte es nicht riskieren, sie im Haus stehen zu lassen, wenn man nicht da ist.
Vater gebe ich einen Schlüssel, wenn er ja einmal raufsehen kann. Die Zeitung nimmt Frau Nußbaumer jeden Tag aus dem Kasten. Vater kann sie sich ja dann holen. Ich wollte es erst so machen, daß ich sie zu ihm umbestelle, aber er wollte es nicht haben. Das sei erst so eine Umbestellerei und dann würden sie sie bei ihm dort auf die Treppe legen und er müßte immer zeitig aufstehen, damit sie nicht weggenommen wird. Da habe ich es eben gelassen. Sollte es ja recht trocken sein, so hat sich Frau Leimenstoll erboten, im Garten etwas zu gießen. Ich hoffe ja, daß es nicht nötig sein wird. Man sieht aber doch, daß die Leute entgegenkommend  sind.
Ich weiß noch nicht, wie ich morgen Zeit habe. Vielleicht schreibe ich erst von Leipzig aus wieder. Eine Karte nehme ich mit, auf der ich schreibe, daß ich gut angekommen bin. Die stecke ich in Leipzig gleich in den Kasten, damit Du gleich Bescheid bekommst. An Vater soll ich auch eine schreiben.
Meine Eltern werden sicher auch schon alles für unsere Ankunft richten. Ich habe ihnen gestern auch noch eine Karte geschrieben, daß wir jetzt bestimmt am Freitag abfahren. Da wissen sie Bescheid. Ich hatte ihnen nämlich auf ihren letzten Brief noch gar nicht geantwortet, da inzwischen Jörg und Vater krank geworden waren und ich wenig Zeit hatte.
Ich möchte nun heute schon schließen und grüße und küsse Dich herzlich Deine Annie.

Lieber Ernst!                                                                                            25.7.41

Ich schreibe diese Karte auf der Bahn. Gerade waren wir in Erfurt. Nun hält der Zug bis Leipzig nicht mehr, wo ich diese Karte gleich einwerfen will, damit Du siehst, daß wir gut angekommen sind. Sei recht herzlich gegrüßt von Deiner Annie. Morgen schreibe ich einen Brief.

Mein lieber Ernst!                                                    Konstanz, den 26.7. 41   (Leipzig )

Heute will ich Dir von hier den ersten Brief schreiben. Wie ich Dir gestern auf der Karte schon kurz mitteilte, sind wir gesund in Leipzig angekommen. Die Fahrt war nicht langweilig. Doch ich will Dir von Anfang an berichten.
Ich bin die Nacht vorher schon um 3 Uhr munter gewesen. Bis um 4 bin ich liegen geblieben, aber dann habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin aufgestanden. Um 1/2 5 kamen die Kinder auch schon an und hatten keine Ruhe mehr. So haben wir uns also langsam fertig gemacht und alles noch aufgeräumt. Wir waren dann ganz gemütlich 1/2 7 Uhr fertig. 5 Minuten vor 7 Uhr fuhr ja der Omnibus, so daß wir also noch gut hingekommen sind. Wir sind bis zum Bahnhof gefahren und sind dort in das Abteil Mutter und Kind eingestiegen. Das war ein Blödsinn von mir, das heißt, erst ging alles noch gut, aber dann kam ein Ehepaar, die auch nach Leipzig fuhren mit 2 kleinen Kindern. Außerdem war dann noch eine Frau mit 2 etwas größeren Kindern da. Da wurden die Kinder dann aufs Töpfchen gesetzt, das beide mithatten. Das hätte mir ja nichts ausgemacht, wenn die eine Frau nicht das Fenster ganz geschlossen hätte, da die Kinder angeblich nicht ganz munter seien. Der einen Frau mit den größeren Kindern wurde es dann auch zuviel, wie die anderen sich ausbreiteten und ließ sich durch Verwandte, die in einem anderen Abteil saßen, einen anderen Platz suchen. Die hatten ihn dann auch gefunden und sie rückte ab. Ich fragte dann die Frau, ob es nicht möglich sei, wenn sie das Kind auf die andere Seite legt, daß das Fenster etwas geöffnet werden könnte. Ausgeschlossen, das ginge nicht, die Kinder könnten sich erkälten. Mir wurde es in der stickigen Luft ganz schlecht und ich ging auch auf Platzsuche. Dem Mann der Frau lief auch der Schweiß runter und er wollte auch das Fenster etwas öffnen, aber die Frau litt es auch bei ihm nicht. Ich wollte mich nicht erst rumärgern und habe uns dann auch einen schönen Platz gesucht. Bis zur nächsten Station hatten wir zwar keinen Fensterplatz, aber viel frische Luft und außerdem kann man ja in den Gang gehen. Später sah ich dann, daß die Frau mit den Kindern doch das Fenster offen hatte und das alles ein Manöver war, um die anderen Leute hinauszugraulen. Ich hätte ja was sagen können, aber da wir dann auch einen sehr schönen Fensterplatz bekamen und ihn auch bis Leipzig behalten haben, wollte ich mich nicht ärgern. Unterwegs bin ich ein paar Mal aus dem Zug gegangen und habe, nachdem der Kaffee ausgetrunken war, Wasser auf  den verschiedenen Bahnhöfen nachgefüllt. Die letzte Strecke fuhren wir dann mit einer Frau und einem Flieger zusammen im Abteil. Dieser Flieger kam aus Norwegen und hatte 5 Kinder zu hause, auf die er sich schon sehr freute. Er fragte Unsere immer, wie alt sie seien, wie sie heißen usw. Und dann kamen die Vergleiche, so alt ist unsere Christel auch usw. Er hatte seiner Frau ein Telegramm von Erfurt aus geschickt und hoffte nun, bei seiner Ankunft seine ganze Familie noch munter zu finden. Der hatte von Norwegen aus nicht so lange fahren müssen wie wir von Konstanz, da er von dort aus bis Erfurt gleich mit dem Flugzeug gefahren ist.
Als wir in Leipzig ankamen, war Papa schon auf dem Bahnhof und hat uns gleich im Empfang genommen. Wir sind dann zur Gepäcksstelle gegangen und wollten die Stachelbeeren holen. Da merkte ich, daß ich noch gar nicht die Karte an Dich abgeschickt hatte. Papa ging gleich noch einmal mit den Kindern hinauf und brachte die Karte fort. Als wir dann heimkamen sagte Helga zu mir „Papa hat uns gefragt, ob wir Durst hätten. Wir haben nein gesagt. Da hat uns Papa immer wieder gefragt und gequält, bis wir endlich ja gesagt haben und dann hat er uns gleich eine Limonade gekauft. Papa ist doch gut.“ Als Papa und die Kinder wieder kamen, waren immer noch so viel Leute da, die ihr Gepäck holen wollten, daß Papa sagte, er wollte den Korb Stachelbeeren lieber heute morgen holen, da ginge es schneller. Wir sind dann gleich mit der Straßenbahn nach hause gefahren, wo Mama schon am Fenster guckte. Die Kinder sind dann gleich losgestürmt und haben sie begrüßt. Wir sind dann raufgegangen, haben uns umgezogen und haben dann noch warmes Essen, Reis mit Blumenkohl, bekommen. Das tat nach der Fahrt gut. Gegen 11 Uhr sind wir ins Bett. Wir haben ganz gut geschlafen, bis gegen 2 Uhr auf einmal die Sirene losging und wir in den Keller mußten. Es war auch bei den Eltern nach längerer Zeit der erst Fliegeralarm. Es hat ziemlich geschossen und geballert. Im Keller haben wir dann eine Stunde gesessen. Ein Bub aus dem Hause hat Ziehharmonika gespielt. 1/2 3 Uhr sind wir wieder ins Bett und haben bis gegen 7 Uhr geschlafen. Beim Fliegeralarm bin ich dann gleich allen Hausgenossen vorgestellt worden, was ja auch sein gutes hat, da braucht es nicht einzeln zu geschehen.
Heute morgen habe wir uns fertig gemacht und haben Frühstück gegessen. Dabei bin ich so erschrocken, als mir der Wellensittich auf die Schuler fliegen wollte, weil ich auf dem Platz von Mama saß und er es gewöhnt ist, daß er da ein Stück Brot zu fressen bekommt. Die Kinder haben ja einen großen Spaß an dem Vogel. Der fliegt bei Tag frei herum, beguckt sich im Spiegel, schakelt usw. Das ist was für unsere Beiden. Am Vormittag bin ich mit Mama und den Kindern zur Bezugsscheinstelle gegangen. Ich habe auch alle Scheine bekommen. Das ist mir eine Beruhigung. Hinterher sind wir noch einkaufen gegangen und haben dann zu Mittag gegessen. Vorhin haben die Kinder Papa bei der Straßenbahn abgeholt und haben zur Belohnung dafür gleich Eis bekommen. Wir, Mama und ich, hatten ihnen heute Morgen keins gekauft, weil wir meinten, es sei nicht nötig. Auch Bonbons hat Papa besorgt. Die gibt es morgen Vormittag, wenn wir in den Zoo gehen. Die Karten hat Papa schon vor unserer Ankunft besorgt. Wir haben vor, zweimal zu gehen, damit die Kinder alles sehen. Morgen Nachmittag kommen Erna und Alice zu Besuch. Papa muß leider morgen wegfahren, da Onkel Richard in Neustadt gestorben ist, wahrscheinlich an Blasenkrebs. Papa fährt da zur Beerdigung.
Papa hat heute per Anfang September eine neue Stelle als Expedizient in einer Maschinenfabrik angenommen. Es ist ganz schnell gegangen. Papa ist froh, daß er die Stelle bekommen hat, da der Herr Wendt, wo er bis jetzt geschafft hat, ziemlich hochmütig und schlecht zu ihm  war. Er ist es wahrscheinlich auch, der Frau Lepper verboten hat, mit uns zu verkehren, da wir, bzw. die Eltern ihm nicht nobel genug sind. Da er nur Angestellter bei ihm war, durfte Frau Lepper, wenn sie dort bei Wendts war, ihn nie grüßen.
Heute Vormittag wollen wir alle zusammen noch ein Stück spazieren gehen. Vorhin haben wir gerade noch Kuchen für morgen gebacken. Nun hat Mama auch frei. Da Papa nun die Stelle wechselt, kann er seinen Urlaub nicht nehmen, oder doch nur einige freie Nachmittage, da er seinen Nachfolger noch anlernen muß und Herr Wendt seine Zustimmung zu dem Wechsel nur unter dieser Voraussetzung gegeben hat. Papa bekommt den Urlaub natürlich bezahlt.
Eins ist mir hier ganz neu gewesen. Bei uns bekommt man doch jeden Tag Magermilch und zwar mindestens einen Liter. Hier bekommen 3 Personen zusammen aller 2 Tage 1/2 ltr Magermilch. Den Kaffee trinkt man also schwarz. Die Kinder bekommen natürlich ihre Vollmilch.
Die Kinder haben Papa vorhin wieder gebettelt, er soll doch mit ihnen zum Wellensittich gehen. Ihm fliegt er nämlich auf den Finger und zwitschert dauernd. Das können unsere Beiden gar nicht satt bekommen. Ich werde gerade gefragt, ob ich mit schreiben fertig bin, damit wir dann gehen und den Brief mitnehmen können. So schließe ich für heute und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Nachdem wir vom Spaziergang kamen, trafen wir Siegfried an der Straßenbahn. Da er noch nicht fort mußte, ist er noch einmal bis morgen früh zurückgekommen. Er war nämlich gestern Morgen schon da und wurde telefonisch abberufen, da sie wegfahren. Nun hat sich`s doch noch um einen Tag verschoben. Heute Abend kommt nun auch noch kurz Erna.

Brief 192 vom 22.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, den 22.7.41       

Heute erhielt ich 2 Briefe von Dir. Heute Morgen den vom 19. und heute Nachmittag den vom 17./18.7. Ich danke Dir für beide recht sehr.
Nachdem Du in Deinem Brief vom 19.7. schreibst, dass der Gehaltszettel wahrscheinlich doch stimmt, brauche ich doch nicht noch einmal fragen? Wegen der Abzüge hatte ich schon bei Frl. Bucher nochmals angerufen. Es ist so, wie Du schreibst. Die Gehaltsaufbesserung hat nichts mit der Ernennung zum Beamten zu tun, sondern erfolgt auf Grund der Prüfung. Wahrscheinlich würde Dein Gehalt als Beamter etwas weniger ausmachen, wenigstens sagte das Frl. Bucher, aber Du bekommst den jetzigen Betrag solange, bis Du auch als Beamter diese Stufe erreichst hast. Wenn Du die Ernennung zum Beamten bekommst, müssen wir uns dann freiwillig bei der Krankenkasse versichern. Wir müßten dann sicher mehr zahlen, aber da dann die Abzüge wegfallen, wird es sich wahrscheinlich ausgleichen. Der Betrag für die Bücher ist noch nicht abgezogen worden, da sie die Anweisung dazu spät bekommen haben. Ich habe nun gesagt, sie sollen es gleich auf einmal abziehen. Es ist mir so lieber, da hat sie nicht so viel Arbeit.
Mit Jörg war ich heute beim Arzt. Es ist alles wieder in Ordnung. Der Eiter ist raus. Da bin ich froh. Bei mir ist in den letzten Tagen die Verschleimung und die Beklemmung wieder etwas schlimmer geworden. Da habe ich mir gleich noch etwas verschreiben lassen. Bei Tag ist es nicht so schlimm, aber bei Nacht kann ich jetzt gar nicht mehr auf der linken Seite schlafen. Da wird es mir ganz eng und ich bekomme Herzklopfen. Heute früh hat es mich dadurch auch schon um 5 Uhr aus dem Bett getrieben. Ich glaube, es macht etwas aus, dass ich die letzten Tage so viel zu tun hatte. Jetzt ist ja das meiste vorbei. Denn ich habe schon alles vorbereitet. Ich freue mich ja, wenn ich einmal ausspannen kann.
Sonst fühle ich mich ganz wohl Ich gehe aber noch zum Arzt, damit auch alles richtig ausheilt. Man weiß ja gar nicht, ob es sonst nicht im Winter schlimmer wird, wenn die nebligen Tage kommen.
Ich denke auch, daß ich mit meinem Geld in Leipzig auskommen werde. Aber ich habe mir soviel mitgenommen, damit ich auch Jörg noch etwas zum Geburtstag kaufen kann. Was, weiß ich ja noch nicht.
Außer dem kleineren Bäumchen habe ich jetzt alle Stachelbeeren abgenommen. Das große Bäumchen hatte 10 1/2 Pfund, die Sträucher zusammen 16 1/2, also etwas weniger als voriges Jahr. Am kleinen Bäumchen sind die Beeren noch nicht total reif. So essen können wir sie noch nicht, Vater hat bis jetzt auch noch keinen Appetit, ob er sie bald essen kann, weiß ich auch nicht. Ich mache es nun so, daß ich einen Korb voll bzw. soviel es eben gibt, mit nach Leipzig nehme. Ich nehme den Korb natürlich nicht mit in das Abteil, sondern gebe ihn auf. Wenn ich die Fahrkarte vorweisen kann, geht es ja im demselben Zug mit. So haben wir auch noch etwas davon.
Der Brief vom 19. ist ja nun der letzte Brief hierher gewesen. Da werde ich sicher in Leipzig gleich ein paar vorfinden, denn wenn es so schnell geht wie zu uns, erhalten die Eltern den nächsten Brief schon morgen.
Von Siegfried ist heute auch ein Brief gekommen. Er war mit seinem Zug bis Stuttgart gekommen. Jetzt ist er wieder in Dresden. Urlaub wird er wahrscheinlich nicht bekommen können, er hofft aber auf ein Wunder, dass er mich wenigstens einmal sprechen kann.
Vater liegt immer noch den ganzen Tag auf dem Sofa. Er schaut sich immer an, wie er zusammengefallen ist und will es gar nicht glauben. Du kennst ja seine Art, wie er es immer schon gemacht hat, wenn er einmal etwas am Finger gehabt hat. Er schaut es immer wieder an, wenn er denkt, es sieht jemand zu. Er möchte da gern ein bißchen bedauert sein. Aber ich sage meist, dass es doch gar nicht so schlimm sei. Vorgestern war ich schon unten in seiner Wohnung und habe das Schlafzimmer ein bißchen aufgeräumt, damit es anständig aussieht, wenn der Arzt kommt. Vater hatte mich darum gebeten. In der Stube habe ich ja nichts gemacht, sonst ist er nur beleidigt. Er sagte vor kurzem einmal, er will, sobald er wieder auf dem Posten ist, vieles wegschmeißen, damit wir uns auch zu Recht finden, wenn er einmal stirbt. Das soll ja nun nicht gleich sein, aber das wegwerfen schadet ja nichts.
Nun will ich wieder schließen. Es ist jetzt Zeit zum Abendbrot. Wenn es möglich ist, will ich auch noch an Kurt schreiben. Es ist nämlich nur ein Päckchen zurückgekommen. Jetzt weiß ich nicht, ist er vielleicht doch noch in Frankreich und ist das eine nur aus Versehen zurückgeschickt worden? Ich frage jedenfalls einmal kurz bei ihm an.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Ich habe ganz vergessen, Dir zu schreiben, daß der Brief an Helga gestern gekommen ist. Das war eine Freude. Du hast wieder so lieb geschrieben, daß ich mich selber gefreut habe. Der Brief hat ihnen viel Spaß gemacht, vor allen Dingen hat sich Jörg amüsiert, daß er sich fürchten soll, mit dem Zelt fortzufahren. Auch der „Oberstromer“ hat viel Begeisterung gefunden. Helga wollte gleich gestern wieder schreiben, ich habe ihr aber gesagt, sie soll Dir lieber gleich von Leipzig schreiben, was sie alles erlebt hat.

Vorhin habe ich auch noch an Kurt geschrieben. Leider habe ich vergessen, einen Durchschlag zu machen. Ich schreibe ihn Dir deshalb ab:

 Lieber Kurt!
Ich habe vor ein paar Tagen 3 Zeitungspakete an Dich abgeschickt. Jetzt  ist eins zurückgekommen mit dem Vermerk „Feldpostsperre, zur Zeit nicht zu befördern“. Nun werden doch Päckchen nur nach Frankreich angenommen, aber nicht nach Rußland. Bist Du nach Rußland gekommen? Wir sind uns aber nicht sicher, weil die anderen 2 Päckchen nicht zurückgekommen sind. Vielleicht gibst Du uns einmal Bescheid.
Vater ist augenblicklich krank. Am Samstag vor 8 Tagen ist er zusammengebrochen. Ich habe es erst durch Hermine Hagnauer erfahren und habe Vater mit zu uns genommen. Da wir doch am Freitag wegfahren wollen nach Leipzig, habe ich den Arzt gefragt, ob ich ihn allein lassen kann. Er sagte, daß ich ruhig fahren sollte, es würde jetzt besser. Bei Vater ist das Herz angegriffen. Er braucht vor allen Dingen Ruhe. Essen kann er bis jetzt auch noch nichts. Soweit es möglich ist, habe ich ihm alles besorgt, damit er, wenn er Appetit bekommt, etwas da hat. Am Donnerstag geht Vater wieder zu sich runter. Der Arzt besucht ihn gleich am Freitag wieder. Er wollte Vater erst so lange ins Krankenhaus tun, bis wir wiederkommen, aber beim letzten Besuch sagte er, daß es nicht mehr nötig sei. Vater hätte sich sowieso gesträubt, ins Krankenhaus zu gehen. Ich bin froh, daß ich mit ruhigem Gewissen abreisen kann. Jetzt hat Vater selbst eingesehen, daß es nicht gut war, daß er immer so lange munter geblieben ist. Er hat sich vorgenommen, daß es nicht mehr vorkommen soll. Aber es war eben so, bei Tag hat er schwer schaffen müssen und abends hat er noch im Garten und mit dem Essen zu tun gehabt, da ist es immer später geworden. Vorläufig kann Vater ja nicht mehr schaffen. Er soll nur auch nicht zu zeitig wieder anfangen. Es gibt ihm niemand etwas, wenn er ganz kaputt ist.
Gestern sind die 130,- von Dir angekommen. Der Briefträger hatte erfahren, daß Vater bei uns ist und hat es zu uns gebracht.
Gib uns also bitte Bescheid, wo Du bist. Am besten schreibst Du an Vater. Wenn Du an mich schreibst, ist meine Adresse bis ca. 9.8. Leipzig N 25, Mockauerstr. 116 bei Michel.
Sei nun herzlich gegrüßt von ...

Donnerstag, 21. Juli 2016

Brief 191 vom 19./20./21.7.1941


Mein liebster Ernst!                                                                              Konstanz, 19.7.41                

Ich komme tatsächlich kaum mehr dazu, an Dich zu schreiben. So häuft sich jetzt die Arbeit. Es ist schon wieder 8 Uhr.
Vater liegt drüben auf dem Sofa. Ich habe ihm gerade vorhin einen Wickel gemacht und Medizin gegeben. Heute hat er meist auf dem Stuhl gesessen und meist halb geschlafen. Interesse hat er für nicht, nur ausruhen. Essen kann er auch noch nichts. Es ist direkt ein körperlicher Zusammenbruch. Vater sagt ja selber, daß er mit daran schuld ist, weil er sich zu viel zugetraut hat und immer so spät schlafen gegangen ist. Aber das läßt sich nun nicht mehr ändern Die Hauptsache ist, daß es wieder besser wird. Heute Morgen wolle ich Vaters Krankengeld holen, konnte es aber nicht bekommen, da eine Lohnbescheinigung fehlte. Ich habe mich erst ziemlich geärgert. Das hätten sie mir bei Stromeyer doch gleich mitgeben können, denn ich habe doch erst am 3. Tag, wo Vater  nicht mehr schaffte, den Krankenschein geholt. Die müssen doch wissen, daß man die Bescheinigung braucht. So muß ich am Montag erst wieder rum fahren. 
Am Nachmittag habe ich heute wieder die Tomaten angebunden. Die sind fest gewachsen.
Auch etwas Marmelade habe ich eingekocht. Vom großen Bäumchen habe ich bisher 9 1/2 Pfund Stachelbeeren abgemacht. Es sind noch welche dran. Aber die Beeren sind bei diesem Bäumchen diesmal sehr klein. Vielleicht, weil es so viel sind. Das ganz kleine, neu gepflanzte Bäumchen hat auch einige Beeren und zwar von der großen Sorte des oberen Bäumchens. Das trägt übrigens auch wieder gut. Ich habe nur noch keine abgemacht. Wegen ihrer Größe sind die Beeren davon bei den Kindern „Bomber“ genannt worden. Morgen will ich noch 3 kleinere Flaschen mit Stachelbeeren füllen. Die anderen essen wir und die erst noch reif werden kann ja Vater haben. Jetzt gibt es auch bald Buschbohnen.
Die Kinder schlafen heute wieder in ihrem Zimmer, da Vater auf dem Sofa liegen will. Ich habe dadurch wenigstens schon das Schlafzimmer richtig einräumen könne, so daß ich nicht alles nächste Woche machen muß.
Ich glaube, ich habe dir heute nicht viel interessantes geschrieben. Sei mir darum nicht böse, aber ich bin etwas kaputt, dazu ist es noch so heiß. Da kommen einen gar keine richtigen Gedanken.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt  von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 20.7.41

Dieser Sonntag wäre wieder vorbei. Er war ziemlich arbeitsreich, aber ich tröste mich damit, daß ich wahrscheinlich nächsten Sonntag faul sein kann. Ich habe noch einmal etwas Marmelade eingekocht. Nun habe ich keinen Zucker mehr. Gebügelt habe ich auch, damit ich morgen nicht gar so viel zu tun habe.
Vaters Zustand ist immer noch der gleiche. Er hat heute den ganzen Tag auf dem Sofa gelegen. Eine Weile hat er sich heute mit mir unterhalten. Er hat auch versucht, 1/2 Brötchen zu essen, aber es liegt ihm noch schwer im Magen. Der Husten hat sich noch nicht gelöst. Mal sehen, wie der Arzt morgen zufrieden ist.
Bei Deiner Schokoladensendung hattest Du 2 Tafeln Kohler-Schokolade extrafein in grüner Umhüllung mitgeschickt. Da habe ich gestern eine probiert. Aber die schmeckt wunderbar. So sahnig. Die andere Tafel hebe ich mir bis zuletzt auf.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 16.7. Ich habe mich sehr gefreut, daß einer am Sonntag angekommen ist, das ist gleich ein Sonntagsgruß. Ich habe Helga vorgelesen, daß Du ihr einen Brief geschrieben hast, da hat sie ein wahres Indianergebrüll angestimmt. 
In einer Wochenschau wollten wir auch schon einmal gehen, aber erst hatte ich kein Geld übrig und jetzt ist Vater krank. Da hatte ich immer ziemlich zu tun und hin- und herzufahren. Vielleicht klappt es diese Woche noch, aber sicher ist es nicht.
Die gesandten Briefmarken hebe ich Dir wieder auf.
Ich will heute nicht so spät ins Bett gehen, gestern war es 1/4 12 geworden. Das ist mir zu spät. Jetzt ist es 3/4 10 und ich schaffe noch den Brief fort. Dann gehe ich schlafen.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                                                21.7.41 

Wie schnell doch die Tage vergehen. Der Montag ist auch schon wieder rum. Ich glaube, das bürgert sich langsam ein, daß ich Dir immer erst abends schreibe. Aber ich habe jetzt wirklich immer so viel zu tun, daß die Zeit bei Tag nicht dazu reichen will.
Heute Morgen habe ich, bis auf wenige Sachen, die Koffer soweit gepackt. Ich will nicht am letzten Tag alles machen. Dann habe ich die Schuhe soweit in Ordnung gebracht. Bei meinen guten Schuhen habe ich die Absätze wieder gerade gemacht. Nachdem ich meinen blauen Strohhut modernisiert hatte, habe ich mir heute Helga`s Hütchen vorgenommen. Ich meine das blaue, das ich aus einem Hut von Dir gemacht habe. Ich habe den Hutkopf kleiner gemacht, damit es besser sitzt. Am Nachmittag habe ich die Lohnbescheinigung für Vater geholt.
Wir bekommen die Lebensmittelkarten diesmal am Freitag, das heißt, vom Buchstaben S - Z. Ich bin nun heute, wo andere Straßen dran sind, dort gewesen um zu fragen, ob ich die Lebensmittelkarten bereits haben kann, damit ich einzelne davon noch in Urlaubsmarken umtauschen kann. Es geht aber nicht. Ich habe nach dem Verkehrsamt müssen, wo ich eine Bescheinigung erhalten habe. Damit muß ich am Samstag in Leipzig die Karten holen. Das ist auch umständlich. Aber wenn es nicht anders geht, müssen wir`s eben so machen.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 16.7. Ich habe mich wieder sehr gefreut.
Ja, nun bist Du schon den zweiten Sommer fort. Wir wollen nur nicht zu fest damit rechnen, daß Du nächsten Sommer zuhause bist. Es wäre ja wunderschön, wenn Du bald wieder bei uns wärst, aber die Enttäuschung ist desto größer, wenn man darauf hofft und es trifft dann nicht ein. Wenn man wieder beieinander ist, läßt sich ja alles leichter ertragen. Manchmal will man ja wirklich müde werden. Ich denke dann aber wieder, solange wir noch alle gesund sind, müssen wir nicht klagen. Es haben`s ja manche  noch viel schwerer.
Reisegedanken haben wir jetzt schon. Am meisten die Kinder. Die sind schon ganz zapplig. Ich bin aber nicht aufgeregt. Vorläufig habe ich nur ein bißchen aufgeatmet, als der Arzt heute sagte, ich könnte ruhig fahren und Vater brauchte nicht ins Krankenhaus. Es würde jetzt schon besser. Das ist doch eine Beruhigung.
Morgen gehe ich mit Jörg noch zum Arzt, damit das Ohr noch einmal untersucht und gereinigt wird.
Vater sagte heute, wenn Du Schuhe besorgen kannst, sollst Du sie doch einmal anprobieren. Vor allen Dingen sollen sie oben schön weit sein. Das Geld soll ich in den nächsten Tagen noch mit aufgeben, ich meine, die 15,-. Du wirst ja sehen, ob Du etwas Passendes bekommst. Ich habe Vater gesagt, daß Du nicht garantieren kannst, ob die Schuhe passen oder ihm gefallen.
Ich habe gerade mein Schreiben unterbrochen und Jörg zwischendurch die Haare geschnitten. Die Kinder müssen sowieso gleich ins Bett, da hat sich Jörg nicht erst noch einmal umziehen müssen, sondern konnte hinterher gleich das Nachthemd anziehen. Bei Tag muß er wegen den stachligen Haaren  doch immer ein frisches Hemd anziehen. Jetzt sieht Jörg wieder ordentlich aus.
Für Helga habe ich heute noch 2 Paar Haarschleifen gekauft, damit sie auch nett aussieht. Soweit sind wir alle für die Reise gerüstet. Am Donnerstagnachmittag hole ich die Fahrkarten, eine Zulassungskarte brauchen wir hier am Bahnhof nicht, wahrscheinlich nur in Großstädten. Ich habe mich schon beizeiten danach erkundigen wollen, damit ich dann nicht in Verlegenheit komme.
Ich nehme auch für alle Fälle die Quittungskarte von der Krankenkasse mit. Ebenso die Kleiderkarten, wenn ja jemand etwas für Jörg zum Geburtstag kaufen will. Ich hoffe, daß ich an alles Wichtige gedacht habe. Wenn Du hier wärst, hätte ich es ja leichter. Da würdest Du auch mit an das Nötige denken.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Sonntag, 17. Juli 2016

Brief 190 vom 17./18.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                 Konstanz, 17.7.41      

Heute habe ich gleich 2 Briefe, vom 12. und 14.7. und das Päckchen mit den Socken  erhalten. Probiert haben wir sie noch nicht, denn ich hatte einfach keine Zeit. Das siehst Du auch daran, daß ich erst heute Abend zum Schreiben komme. Der Tag war arbeitsreich. Morgens um 6 Uhr in Vaters Garten Rotkraut, Weißkraut, Wirsing gesetzt, 4 Pfund Erdbeeren gepflügt. 1/2 9 Uhr bin ich wieder heim, da haben wir gegessen, dann habe ich sauber gemacht und Essen gekocht. Außerdem habe ich etwas gewaschen. Nach dem Mittagessen bin ich mit den Kindern wieder in Vaters Garten gegangen und wir haben 7 Pfund Erdbeeren gepflückt. Fast alle Erdbeeren  haben wir heute gegessen. Vater hat keinen Appetit, aufheben kann man sie nicht und zum einkochen fehlt der Zucker. Am Nachmittag habe ich alle Setzlinge nochmals gegossen. 1/4 5 Uhr waren wir wieder daheim. Da bin ich noch einkaufen gefahren. Hinterher haben wir Abendbrot gegessen und jetzt ist es 3/4 8 Uhr.
Vater geht es nicht so sehr gut. Vor allem das Liegen tut ihm nicht gut. Er hat da ziemliche Schmerzen. Beim sitzen geht es besser. Er will heute Nacht auch auf dem Liegestuhl sitzend schlafen. Als er heute Mittag aus dem Bett aufgestanden war, war ich direkt erschrocken. Er sah ganz weiß aus, die Stellen im Gesicht, die sonst rot sind, waren blau. Auch unter den Fingernägeln sah er erst blau und dann gelb aus. Erst nachdem er längere Zeit gesessen hatte, bekam er wieder normale Farbe. An der linken Seite sticht es ihm immer sehr, so daß er fast nicht richtig atmen kann. D.h. immer sticht es nicht, nur ruckweise. Hoffentlich wird Vater bald wieder gesund. Er sagt schon, daß er nicht gleich wieder schafft. Wenn er wieder gesund geschrieben wird, nimmt er noch seinen Urlaub. Jetzt ist ihm jedenfalls noch gar nicht nach Arbeiten zu Mute.
Nun zu Deinen Briefen. Ich bin selber auch sehr froh, daß es mir wieder gut geht. Ganz weg ist das Asthma ja noch nicht. Ich habe deshalb auch mit dem Arzt anläßlich seines Besuches bei Jörg gesprochen. Er sagte, ja, so schnell geht das nicht weg, da werden sie wohl noch länger damit zu tun haben. Wenn es so bleibt wie jetzt, wäre es ja nicht schlimm. Es behindert mich nicht.
Ich gehe jetzt meist zeitig ins Bett. Das ist für mich die beste Medizin.
Wenn es möglich ist, kaufe ich wieder reichlich Kartoffeln. Leider kann Herr Weber wahrscheinlich keine besorgen, da er bis dahin, wo er sie immer gekauft hat, keine Fahrerlaubnis mit dem Auto mehr hat.
Johannisbeeren haben wir diesmal 21 1/2 Pfund gehabt. Das ist doch fein? Von Stachelbeeren habe ich bisher 12 Pfund abgemacht. In den nächsten Tagen hole ich noch welche für Marmelade und zum einmachen in Flaschen. 
Beim Apfelbaum hängt diesmal nicht so viel oben. Vielleicht bekommen wir etwas über 1 Ztr. Genau weiß ich es natürlich nicht, denn man kann sich ziemlich täuschen.
Das schwimmen war fein, aber mit Dir wäre es noch schöner gewesen. Vorläufig kommen wir ja nicht mehr dazu, höchstens nach der Reise. Da habe ich übrigens von Elsa beiliegenden Brief erhalten. Sie freut sich also. Hoffentlich ärgerst Du Dich nicht, daß ich sie zu uns eingeladen habe.
Die Bilder von Eurem Bergwerksbesuch sind fein geworden. Du gefällst mir gut drauf. Das wird Dir später eine lieber Erinnerung sein. Ihr seht wirklich aus, als ob Ihr zur Belegschaft gehört.
Du schriebst vor kurzem einmal, daß ich mir für meine Schuhe sicher eine andere Farbe gewünscht hätte, als Du sie geschickt hast. Das ist nicht der Fall. Die Farbe gefällt mir wirklich gut.
Ich will nun schließen. Da Vater auf dem Liegestuhl schlafen will, haben wir nicht genug Decken zum drunter legen und zudecken. Da will ich mit dem Rad noch schnell runter fahren, denn es ist 9 Uhr.
Sei recht, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Mein lieber Ernst!                                                                                          Konstanz, den 18.7.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 14./15. 7. Ich danke Dir sehr dafür. Ich schreibe Dir heute gleich mit der Schreibmaschine, da meine Zeit wieder sehr knapp ist. Ich habe heute früh gebacken, da ich morgen einkaufen fahren und das Krankengeld für Vater holen will. Am Nachmittag habe ich bei Strohmeyer den Lohn für Vater geholt. Außerdem habe ich noch die Setzlinge gegossen. Bei der Gelegenheit habe ich mir auch gleich den einen Koffer bei Vater unten geholt, denn 1 Koffer langt nicht ganz. Nun ist es schon wieder 5 Uhr.
Heute morgen war der Arzt da. Mit Vater ist es ja noch nicht besser. Er hat noch etwas Husten dazu bekommen. In der vergangenen Nacht hat er nicht schlafen können, aber er hat doch bei der erhöhten Lage im Liegestuhl nicht so viel Schmerzen gehabt. Heute liegt er auf dem Sofa. Da haben wir erst gar nicht daran gedacht, daß das auch praktisch für ihn wäre, da es doch hochzustellen geht. Da Vater so Stechen hat, müssen wir 2 mal täglich lauwarme Wickel machen. Ich habe nun den Arzt gefragt, ob ich Vater mit gutem Gewissen ab nächstem Freitag allein lassen könnte. Er sagte, er würde Anfang nächster Woche sehen, wie es ist. Ich sollte nur ruhig reisen, evtl. würde er Vater, wenn es die Pflege erfordert, solange ins Krankenhaus nehmen. Das will Vater aber wieder auf keinen Fall. Vater sagt aber, er könnte sich gut solange allein behelfen, da er doch keinen Hunger hat und sich nichts kochen muß. Aber er muß doch wenigstens jemand haben, der ihm etwas einkaufen kann.
Ich habe noch nicht abgeschrieben an zuhause, die wären sicher auch sehr enttäuscht. Aber andererseits habe ich auch gar keinen rechten Schneid wegzufahren. Vielleicht ist es bis Ende nächster Woche auch schon viel besser. Augenblicklich bin ich ja ziemlich abgespannt, das kannst Du Dir denken. Erst war das mit Jörg`s Ohr. Nun ist Vater krank. Ausspannen würde ich ja sehr gern einmal. Du mußt natürlich nicht denken, daß ich Vater nicht gern hätte, denn es ist wirklich nötig, daß er jemand hat, der ihn ein bißchen pflegen kann, die Wickel macht, Medizin gibt usw.
Wenn Elsa mit herkommen würde, ist es natürlich klar, daß ich nicht alle Arbeit allein mache. Das könnte ich auch gar nicht. Ich muß jetzt schon alle Kräfte anspannen, geschweige, wenn ich noch 3 Personen da habe.
Die nächste Woche ist ja auch noch sehr arbeitsreich. Da muß ich noch Marmelade kochen und Beeren in Flaschen einmachen. Außerdem muß ich noch packen und alles in Ordnung bringen. Ich werde froh sein, wenn ich erst mit den Kindern auf der Bahn sitze.
Ich hatte in den letzten Tagen Zeitungspäckchen an Kurt geschickt. Jetzt habe ich sie zurückerhalten, d.h. bisher eins, mit dem Vermerk „Zur Zeit nicht zu befördern“. Das heißt bisher doch, daß er nach Russland gekommen ist, nicht wahr. Denn nach Frankreich nehmen sie Päckchen an. Ich will ihm da in den nächsten Tagen extra einen Brief schreiben, denn Briefe werden ja befördert. Ich bin ja gespannt, wenn wir die erste Nachricht von ihm bekommen.
Heute habe ich mit Kesslers Josef gesprochen. Der war bis jetzt bei der Handelsmarine. Zuletzt ist er nach Narvik gefahren. Dabei ist sein Schiff torpediert worden. Er war dann noch auf einem anderen Schiff, mit dem er zuletzt in Kopenhagen war. Jetzt kommt er 12 Jahre zur Kriegmarine. Erst muß er eine Schule besuchen und kommt dann, wenn er bestanden hat, sofort auf ein Kriegsschiff. Er sagt ja, daß er noch nicht weiß, ob er bestehen wird, aber hoffen tut er es natürlich auch. Es war ganz interessant, sich mit ihm zu unterhalten. Er spricht ganz anders wie früher, ich weiß nicht, ob es Hamburger Dialekt ist. In Konstanz gefällt es ihm nicht mehr, aber er sagt, daß  er auch sonst nirgends Ruhe hat.
Ich weiß nicht, ob es Dich interessiert, daß die Frau Heinzelmann (so heißt sie doch?) deren Mann, glaub ich, vor dem Krieg Arbeitsdienstführer war, in Scheidung lebt. Wir hatten sie doch bei Deinem letzten Urlaub mit 2 Soldaten getroffen.
Helga war heute allein beim Zahnarzt. 1 Zahn wird plombiert. Einstweilen ist eine Einlage zum Nervabtöten  gemacht worden. Am Mittwoch muß sie wieder hinkommen. Beim anderen Arzt war sie auch wegen dem Fleck auf dem Kopf. Wir müssen jetzt einmal 10Tage nichts einreiben und sehen, ob die Schuppen wieder kommen. Sollte dies der Fall sein, müssen wir wieder die Salbe einreiben und sie soll, nachdem wir von der Reise zurückgekommen sind, wieder hinkommen. Anfang nächster Woche will ich mit Jörg auch noch einmal zu Arzt, damit das Ohr ausgespritzt wird.
Ich bin jetzt sehr froh um die Schokolade, die Du mir geschickt hast. Wo ich jetzt so viel zu schaffen habe, gibt es doch mehr Hunger als sonst. Da die Kinder auch augenblicklich richtig (fr)essen, habe ich nicht gerade zu reichlich Brot. Da esse ich öfter zwischendurch ein Stück Schokolade. Das nährt doch auch. Kartoffeln und Gemüse habe ich ja reichlich, aber Du weißt ja, Brot essen die Kinder abends doch am liebsten.
Nun will ich aber wieder schließen, denn es ist Zeit zum Abendbrot. Die Kinder meutern schon. Vater muß auch wieder einen Wickel bekommen. Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Donnerstag, 14. Juli 2016

Brief 189 vom 15./16.7.1941


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 15.7.41      

Gestern Nachmittag erhielt ich noch Deinen Brief vom 11.7., dafür bin ich natürlich heute ohne Post geblieben. Ihr habt also auch immer solche Hitze wie wir. Das ist direkt schlimm. Heute Nacht hat es ein klein wenig geregnet. Langen tut es ja noch lange nicht, aber es war doch wenigstens etwas. Heute bei Tag ist es ja wieder richtig heiß.
Über die Sockensendung freue ich mich. Ich  werde sie sicher noch vor der Abreise bekommen. Die nehmen wir mit. Hier brauchen die  Kinder ja meist keine, denn sie laufen barfuß. Aber sobald es etwas kühler wird, kann man sie brauchen,  denn Kniestrümpfe kommen erst wieder im Herbst dran.
Heute habe ich Geld geholt. Der Gehaltszettel lautet:
Nachzahlung                 29,31 Gehalt                    28o,34    = 309,65
Einkommensteuer   18.10                 Bürgersteuer       2,--                 Miete           37,70                 Angest.vers.       6,-     Arbeitsfront       3,80                 Zusatzversorg.    6,85        Abzüge        74,45  = 235,20
Nun stand doch in dem Brief von Bürgermeister Mager, daß Angestelltenversicherung und Zusatzversicherung in Wegfall kommen. Ich habe deshalb angerufen. Frl. Bucher ist aber im Urlaub und die Vertretung muß erst einmal nachsehen. Ich soll in 3-4 Tagen wieder anrufen.
Ich hatte mich doch nach dem Fahrpreis nach Leipzig erkundigt. Ich weiß nun nicht, ob in den 30,70 der Schnellzugzuschlag schon dabei ist. Zur Vorsicht habe ich mir für jede Fahrt 65,- zurückgelegt. 20,- habe ich zu meiner freien Verfügung noch mit und für jede Woche 20,- Kostgeld.
Meine Rechnung sieht diesmal so aus: Fahrt                130,-                   Gehalt  235,-                Vorrätig    38.- Freies Geld                   20,-               Wirtschaftsgeld                90,- (4 1/2 Wochen)            273.- Radio,
NSV, Ztg.                       4,50            Gasmarken                          3,90    Lichtrechnung            2,-
Ausgaben f.Zahnbürsten  256,40      Mottenpulver usw.               6,-             16,60                            256,40
Diese restlichen 17,- schicke ich Dir zu. Hoffentlich ist es Dir nicht zu wenig. Die 20,-, die ich so mitgenommen habe, brauche ich vielleicht nicht ganz, aber ich möchte sie doch vorrätig haben. Nächsten Monat brauche ich ja nur das Geld für die Kohlen, da kann ich Dir vielleicht noch etwas schicken. Gell, Du bist mir nicht böse, daß es diesmal weniger ist?
Von meinen Eltern erhielt ich heute einen Brief. Mein Vater schreibt darin, „vergiß aber die Lebensmittelkarten nicht, denn sonst gibt es hier nichts und wir von unsren Marken können es allein nicht schaffen.“ Als ob ich das nicht selber wüßte. Ich muß ja schließlich auch immer einkaufen. Das ist ihm wahrscheinlich dann auch eingefallen, denn dann schreibt er „doch das weißt Du ja selbst besser als ich“.
Nun höre ich für heute auf. Sonst kommt der Brief nicht mehr fort. Sei Du, mein liebster Mann, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                     Konstanz, 16.7.41

Einen Brief habe ich von Dir heute nicht bekommen. Ich kann also keinen beantworten. Aber sonst habe ich allerhand zu berichten.
Jörg hatte doch Mittelohrvereiterung. Vorgestern Nacht ist es durchgebrochen. Der Arzt war gestern sehr zufrieden, daß nun der Eiter herauskam. Sonst hätte geschnitten werden müssen. Jetzt hat Jörg fast keine Schmerzen mehr.
Heute Morgen kam Frau Hagenauer (Hermine) rauf und sagte, daß Vater krank sei. Er sähe ganz elend aus. Ich bin sofort runter gefahren. Da war Vater schon seit Samstagabend krank. Es hat ihm wieder der ganze Leib wehgetan. Als ich runter kam, sah er wirklich hinfällig aus, ganz zusammengefallen. Ich bin dann zu Stromeyer gefahren, habe einen Krankenschein bestellt, habe an Dr. Deeg telefoniert und bin dann wieder zurückgefahren. Da habe ich dann Vater veranlaßt, daß er mit zu uns kommt. Da hat er doch mehr Ruhe und braucht sich um nicht kümmern. Wir haben dann das notwendigste zusammengepackt und nun ist Vater vorläufig mal bei uns. Der Doktor war vorhin da. Er  hat nicht viel gesagt. Es kommt vom Alter und das Herz ist angegriffen. Vater sagt selber, daß es diesmal von zu wenig Schlaf und zu viel Arbeit kommt. Er brauche Ruhe, hat der Arzt gesagt. Jetzt, wo er bei uns ist, werde ich schon auf Vater aufpassen. Er schläft in dem Bett von Helga. Das Bett von Jörg steht ja sowieso noch in unserem Schlafzimmer. Du wirst nun nicht böse sein, wenn Helga einstweilen in Deinem Bett schläft. Ich könnte sie ja auf dem Sofa schlafen lassen, das sieht aber so aus, als wollte ich Jörg lieber als sie.
Heute Nachmittag hole ich nachher noch die Medizin für Vater  und kaufe noch ein.
Seit gestern Abend regnet es endlich einmal. Das ist für den Garten eine große Wohltat. Es hat auch gleich abgekühlt. Gießen brauche ich wenigstens in den nächsten Tagen nicht. Sobald wieder trockenes Wetter kommt, will ich bei Vaters Garten noch die restlichen Erdbeeren pflücken. Es sind nach seinen Angaben noch mehrere Pfund, die nicht einfach umkommen sollen.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 188 vom 14.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                       Konstanz, 14. Juli 1941     

Ich erhielt heute Deine beiden lieben Briefe vom 9. und 10.7. Sie haben mich sehr gefreut. Ich will sie nun beantworten und benutze heute gleich die Schreibmaschine dazu, da ich vom Schaffen gestern noch etwas müde bin und auch heute genug Arbeit auf mich wartet. Vor allen Dingen möchte ich mich entschuldigen, daß ich Dir gestern nicht geschrieben habe. Ich bin nicht dazu gekommen. Es ist ja jetzt nicht mehr viel Zeit bis wir verreisen und da drängt sich die Arbeit. Ich habe gestern mit Helga zusammen Stachelbeeren und Rhabarber und Johannisbeeren in Flaschen eingemacht und Stachelbeermarmelade eingekocht. Da ist der ganze Tag vergangen. Eigentlich wollte ich die Stachelbeeren von den Sträuchern noch gar nicht ernten, da diese zum Rohessen die besten sind, aber einen Teil mußte ich doch abmachen. Von der großen Hitze, die wir auch hier jetzt haben, fallen von den Zweigen, die am meisten der Sonne ausgesetzt sind, schon die Blätter ab und die Beeren werden schlecht. Erst dachte ich, das wäre nur bei uns so, aber ich habe es von Herrn Steinmehl gehört, daß es ihm nicht anders geht und daß er auch schon ernten mußte. Überall wird ja geklagt. Die Bohnen werden  schon ganz gelb, trotzdem sie noch gar nicht geblüht haben, ebenso geht es mit den anderen Sachen. Das Möhrenkraut ist bei uns auch schon ganz welk, trotzdem ich immer gieße. Das nützt alles gegen die große Hitze nichts. Bei den Kartoffeln ist es überall am schlimmsten. Das Kraut stirbt schon bald ab. Wenn doch nur bald einmal Regen käme. Gestern war ein Gewitter. Da hat es aber nicht einmal eine Minute geregnet, die Erde war kaum feucht. Dann hat der Wind alles wieder vertrieben. In Radolfzell soll es dagegen gestern eine Stunde wie mit Kannen gegossen haben. Heute scheint wieder die Sonne und es ist schon wieder schrecklich heiß.
Helga hat sich sehr gefreut, als ich ihr sagte, daß Du mit ihrem Zeugnis zufrieden bist und ihr und Jörg ein Paar Strümpfe kaufen willst. Sie freut sich auch schon auf den Brief von Dir.
Die Schlepperei bei unserer Fahrt nach Leipzig wird sicher nicht schlimm. Wir fahren mit dem Omnibus 6,55 Uhr ab. Am Sternenplatz werde ich wahrscheinlich etwas auf Anschluß warten müssen, denn am Bahnhof kommt ein Omnibus 7,35 Uhr an. Da habe ich ja dann keinen weiten Weg. Zum Anziehen haben wir alle etwas, das ist nicht wie früher. Da kann der Papa schon mit uns „Staat“ machen. Das ist doch eine Lieblingsbeschäftigung von ihm. Wenn Du für die Kinder Sandalen bekommen kannst, so wäre das ganz fein. Ich brauche ja nicht ganz notwendig Schuhe, aber böse bin ich natürlich nicht darum. Man weiß ja nicht, wie lange der Krieg noch dauert und ob man nicht noch lange Bezugscheine braucht. Sobald es geht, würde ich Dir das Geld dazu schicken.
Die Päckchen von uns hast Du also nun bekommen. Ich bin froh, daß Dir das Buch vom Bodensee Freude gemacht hat. Auch das Schlüsseltäschchen war also nichts Überflüssiges. Das hat die Kinder gefreut.
Weniger schön ist es, daß Du dich über den Brief von den Eltern ärgern mußtest. Der Ton, den sie da angeschlagen haben, ist nun nicht gerade schön. Wenn sie Dich  hätten bitten wollen, daß Du nichts gegen die Reise hast, hätten sie das auch ganz anders ausdrücken können. Schreibe aber Du nur nichts deswegen. Du weißt schon, daß ich nicht damit meine, daß Dir alles recht sein soll, was die Eltern schreiben, es kommt nur nicht viel beim schreiben heraus. Ich werde das Thema aber in Leipzig anschneiden. Das weiß ich ja schon heute, daß es bestimmt Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber es ist so, ich war dann wieder einmal zu hause, die Eltern haben die Kinder gesehen und nach 14 Tagen fahre ich wieder zu uns heim und kann tun und lassen wie es uns paßt. Hoffen wir, daß die Tage soweit harmonisch verlaufen.
Es würde mich sehr freuen, wenn Du wieder Urlaub bekommen würdest. Am schönsten wäre es natürlich bei uns zu hause Aber wenn es nicht anders ginge, wäre ich auch froh, wenn Du nach Leipzig kommen würdest. Die Hauptsache ist, ich würde Dich wieder sehen und wir hätten Dich ein paar Tage bei uns.
Jörg geht es wieder besser. Er hat heute früh kein Fieber mehr gehabt. Das Ohrenweh ist ja noch nicht ganz weg, aber das dauert immer eine Weile. Er ist schon wieder fidel und auch schon ein bißchen übermütig. Ich bin froh darum.
Heute morgen habe ich im Garten das Stück umgegraben, was von den Erbsen frei war. Ich will später, wenn die Setzlinge groß genug sind, Krauskohl darauf setzen. Jetzt bei der Hitze hätte es ja auch gar keinen Zweck. Die Erde ist ja bloß noch Staub. Seit vorgestern ist ein Tomatenstock ganz welk geworden, obwohl er nicht der Sonne ausgesetzt ist und die anderen Stöcke neben ihm frisch dastehen. Ich habe ihm erst reichlich Wasser gegeben und als das nichts nützte, habe ich ihn ausgegraben, um zu sehen, ob die Wurzel kaputt ist. Das ist  aber nicht der Fall. Ich weiß nun nicht, was ihm fehlt. Ich habe ihn wieder eingesetzt, gut angegossen und will nun sehen, ob er sich wieder erholt.
Als ich für Jörg einen Krankenschein  geholt habe, erkundigte ich mich gleich einmal wegen der Krankenkasse. Also auch als Beamter kann man weiter in der Krankenkasse bleiben. Soviel ich verstanden habe, kann man sich dann freiwillig versichern. Vorläufig bleibt einmal alles beim Alten. Erst wenn Du wieder heimkommst und wir die vollen Beträge bezahlen müssen, ist es notwendig, von der Stadt eine Bescheinigung über die Gehaltserhöhung und über die Ernennung zum Beamten zu bringen. Jetzt brauche ich mich um weiter nichts zu kümmern.
Heute will ich nun endlich auch an Kurt schreiben Der wird sicher schon lange warten. Ich schicke Dir den Durchschlag mit. Die Phototasche habe ich ihm ja noch nicht raussuchen können.
Nun will ich wieder Schluß machen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Montag, 11. Juli 2016

Brief 187 vom 11./12.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                        Konstanz, den 11.7.41    

Ich bin heute gerade beim Schreibmaschine schreiben, da schreibe ich auch gerade gleich an Dich so.
Zuerst möchte ich Dir für Deinen lieben Brief vom 7.7. danken. Die Nachricht von dem Krieg mit den Russen kam mir ja nicht ganz unerwartet, aber dass die so hinterhältig, gemein und niederträchtig sind, hätte ich doch nicht erwartet. Ich bin froh, daß Du Dich über meinen Entschluß zur Reise nach Leipzig freust. Da ist mir jetzt jede Last vom Herzen genommen.
In der Küche sieht es jetzt wieder schön aus und man schafft noch einmal so gern darin.
Wegen der Krankenkasse erkundige ich mich am 15., wenn ich Geld hole.
Das ist ja prima, daß Du dort auch ein bißchen sonnenbaden kannst. Das ist doch eine kleine Erholung vom Uniformtragen. Man muß eben sehen, daß man es sich den Umständen entsprechend angenehm macht.
Nun zu dem Brief von Gerhard. Ich habe dir die Abschrift mitgeschickt. Ebenso meine Antwort an Elsa. Das war eigentlich der Originalbrief. Ich habe erst hinterher gesehen, daß ich für die Abschrift nicht den Durchschlag genommen habe. Ich hoffe, daß es Dir recht ist, was ich geschrieben habe. Man kann Elsa, bzw. Gerhard nicht gut im Stich lassen, denn ich glaube schon, da er sich um seine Frau Sorge macht, wenn er jetzt weiter fortkommt und doch nicht mehr, wie bisher, die Möglichkeit hat, sie öfter zu sehen. Vielleicht ist man selber einmal froh, wenn einem ein bißchen geholfen wird.
Die Sehnsucht nach Ruhe kommt ja meines Erachtens nicht nur vom Herzen her. Du weißt ja, mir geht es auch vielmals so. Das macht das ganze Leben jetzt. Man hat vermehrte Arbeit, man sitzt mit den Kindern allein zu hause. Früher hatte man die Unterstützung des Mannes bei der Erziehung der Kinder. Jetzt ist man auch da allein. Dabei sind doch unsere Gedanken immer bei Euch und man sorgt sich um Euch, was weiter werden wird. Dann wollen die Körperkräfte und die Nerven nicht mehr so viel leisten, wie es nötig wäre. Das ist dann zum verzweifeln und man hat den einzigen Wunsch, Ruhe und nichts mehr sehen. Wenn ich es mir richtig überlege, ist es auch der Wunsch, einmal wieder richtig froh sein zu können. Man möchte einmal wieder unbeschwert leben können und das ist ja nicht möglich, solange der Krieg dauert. Die einzigen frohen Tage sind die Tage des Urlaubs und auch die sind immer so schnell vorbei.
Wenn Elsa mit den Kindern herkommt, werde ich sehen, daß ich es ihr so angenehm wie möglich mache.
Nun noch etwas vom Garten. Bis jetzt haben wir 16 Pfund Johannisbeeren geerntet. Jetzt hängen noch 2 Büsche voll. Die mache ich wahrscheinlich morgen leer. Heute koche ich erst einmal etwas Marmelade. Die anderen Beeren kommen in Flaschen. Den anderen Zucker hebe ich ja für Stachelbeeren auf. Die werden in ca. 1 Woche soweit sein. Es langt dann gerade noch so zur Reise.
Es ist heute wieder drückend heiß. Alle Leute haben nur den einen Wunsch, etwas Regen. Es ist alles strohtrocken. Es hat sich ja ein bißchen bewölkt, aber ob wirklich Regen kommt ist noch zweifelhaft.
Ich bin jetzt immer wieder sehr froh um das Gazefenster, das Du gemacht hast. Es hat überall so viele Fliegen. Durch das Fenster ist man aber doch vor dieser Plage geschützt. Wenn sich durch die anderen Türen einmal welche in die Küche verirren, die sind bald umgebracht.
Nun will ich schließen,  denn ich muß mich ans Marmelade umrühren machen. Dabei ist es wenigstens schön warm, denn wir haben ja nur 26 Grad Wärme in der Küche.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                               Konstanz, 12.7.41

Heute Morgen erhielt ich Deinen lieben Brief vom 8.7. Es freut mich, daß sie Dir ein so großes Arbeitsgebiet gegeben haben. Vor der Verantwortung hast Du Dich ja nie gescheut und so wirst Du Dich sicher über das Vertrauen freuen.
Ich habe jetzt schon oft gedacht, wenn vom Einfliegen an der Kanalküste die Rede war, ob das wohl bei Dir dort ist. Hoffentlich passiert Dir nichts. Sei bitte nicht leichtsinnig.
Ob ich Dir diesmal Geld schicken kann weiß ich noch nicht. Ich werde einmal zusehen, was ich ausgezahlt bekomme. Von dem Teil des Fahrgeldes, das ich zurechtgelegt hatte, mußte ich etwas anreißen, denn ich habe verschiedene Medizinen gekauft. Damit hatte ich nicht gerechnet. Jörg ist nämlich krank. Scheinbar Grippe. Er hat Fieber, Kopfweh und das eine Ohr tut ihm weh. Nachdem ich es gestern mit schwitzen versucht habe, ist das Fieber doch nicht wesentlich heruntergegangen. Auch nasse Socken habe ich gemacht. Dazu habe ich noch Silargetten gekauft, die zur Desinfektion vom Arzt für die Kinder einmal verschrieben worden sind. Nun habe ich aber doch lieber den Arzt bestellt, denn ich möchte genau wissen, was es ist. Er will heute Nachmittag noch kommen. Ich warte solange und schreibe Dir, was er gesagt hat.
Jetzt eben war der Arzt da. Was ich bisher gemacht habe, Öl ins Ohr tropfen, Leinensäckchen auflegen, Silargetten geben, war alles richtig und ich muß es weiter tun. Es ist eine Erkältung und eine leichte Mittelohrreizung. Der Doktor will Anfang nächster Woche noch einmal vorbeikommen. Er meint, es ginge sicher bald vorbei. Ich bin doch froh, daß ich jetzt weiß, was los ist. Zur Vorsicht hatte ich Jörg auch Hustensaft eingegeben, denn man möchte doch nicht gern etwas versäumen. Jörg liegt jetzt bei Tag auf dem Sofa und abends bei uns im Schlafzimmer.
An Kurt will  ich morgen vielleicht noch schreiben. Auf 2 Briefe habe ich ihm noch nicht geantwortet. Ich habe auch wieder eine Reihe Romane für ihn. Die schicke ich ihm dann gleich mit.
Nun will ich für heute Schluß machen. Jörg mag immer gern, daß ich bei ihm sitze. Da ist es ihm nicht so einsam.
Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.