Dienstag, 29. September 2015

Brief 69 vom 28./30.9.1940


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 28.Sept. 40.

Kaum war es eine kleine Weile schön, schon ist es wieder vorbei.  Jetzt regnet es schon wieder den ganzen Nachmittag. Ich bin so froh, daß die Äpfel runter sind. Ich hatte Dir gestern geschrieben, daß ich noch 30 Pfund abgenommen habe und die anderen drauf lassen werde. Nun kam gestern ½ 6 Uhr noch der Bob von Leimenstolls, oder war es um 6 Uhr. Also, jedenfalls gerade als ich mit dem Rad fortfahren wollte. Er wollte nochmals auf den Baum. Er ist dann ganz außen rumgeklettert und später hat er die Leiter noch auf den Baum raufgezogen und hat sie auf den Stamm gestellt, wo die Zweige anfangen und hat sie ganz oben an der Spitze fast, aufgehängt. Das hat ganz gefährlich ausgesehen. Er hat mir aber dadurch noch 50 Pfund Äpfel abgenommen und 10 Pfund sind runtergefallen. Wir haben jetzt gerade 5 Ztr.  Äpfel (gepflückte) und 3 Ztr. Falläpfel geerntet.
Ich sage Dir, überall liegen jetzt Äpfel. Im Keller, auf den Schränken, auf den Nachttischchen, auf dem Speiseschränkchen, auf dem Nähtisch, in zwei Kartons unterm Bett, auf Tellern, im Korridor und noch die Zinkwanne voll mit solchen, die schadhaft sind. Außerdem liegt im Ausguß alles voll Falläpfeln und 1 Sack mit 20 Pfund Falläpfel steht auch noch da. Ich kann Dir sagen, das war eine Arbeit, das Auslesen und Versorgen. Ich bin jetzt abends immer schrecklich müde gewesen. Ich bin aber doch sehr froh, daß jetzt das meiste geschafft ist. Heute Abend muß ich noch backen, natürlich wieder Apfelkuchen. Morgen bleiben wir daheim, da mache ich wieder Apfelringe zum Trocknen fertig. 
Lieber Ernst!  Heute wird der Brief einmal kürzer und ich habe Dir eigentlich nur von Äpfeln erzählt.  Aber das wird Dir sicher einmal nichts ausmachen. Ich muß nämlich jetzt fortfahren, denn es ist schon 5 Uhr und wenn ich noch backen will, wird es heute doch spät.  Einen Brief habe ich heute nicht erhalten. 
Mein lieber Mann! Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                              Konstanz 30.Sept.40.

 Gestern, am Sonntag, habe ich gar nicht an Dich geschrieben. Ich habe auch gestern sehr viel zu tun gehabt, denn die Äpfel warten einfach nicht, bis man Lust hat, sondern werden gleich faulig. Später haben wir die Bohnen noch ausgekernt. Es war gut, daß ich sie abgemacht habe, denn von dem vielen Regen werden sie ganz matschig, und einzelne Bohnen hatten schon neue Keime. Vorige Woche ist mir die Arbeit bald über den Kopf gewachsen und hätte ich gestern nicht geschafft, so hätte ich heute mächtig viel zu tun gehabt und das wollte ich nicht, weil morgen Waschtag ist. Da wollte ich mich heute noch ein bißchen ausruhen.
Also weißt Du, die Gartenarbeit ist direkt ein Erholungsurlaub gegen eine Apfelernte. Vater will mir noch ein kleineres Gestell zusammenbauen, auf dem ich noch Äpfel unterbringen kann, damit nicht zu viel in der Wohnung herumliegt. Du bist mir doch sicher nicht böse, daß ich gestern nicht geschrieben habe, nachdem ich Dir die Gründe dafür dargelegt habe.
Von Dir habe ich seit Freitag keine Post mehr erhalten. Ob heute Nachmittag noch was kommt, kann ich noch nicht sagen. Es ist allerdings bereits ½ 4 Uhr.  Bei uns ist heute wieder stürmisches Wetter. Gestern Vormittag hat es auch geregnet, nachdem es schon am Samstag gegossen hat. An Regen fehlt es also nicht. Wir haben infolge dieses schönen Wetters alle drei Husten und Schnupfen. 
Soeben ist der Briefträger vorbei gefahren und hat wieder nichts für uns. Gedulden wir uns also bis morgen.  Vielleicht nehme ich mir heute Abend wieder einmal die Briefmarken vor. Die letzten Tage bin ich nicht dazu gekommen.
Evtl. gehe ich diese Woche einmal ins Kino. Es wird der Film „Achtung, der Feind hört mit“ gespielt. Genau weiß ich es aber noch nicht. Es wäre das erste Mal, daß ich abends allein fortgehe, der Weg ist eben ziemlich weit. Als ich sagte, daß ich einmal fortgehen wollte, hieß es: „Oooch, das ist so schön, wenn Du da bist.“ Sogar ein bißchen heulen wollten sie. 
Nachdem im Garten hinterm Haus der ganze Spinat von den Regenwürmern in die Erde gezogen worden ist, werde ich nochmals im großen Garten welchen säen, nachdem die ersten zwei Reihen bis jetzt ganz gut rausgekommen sind. Es regnet einfach zu viel. Die kleinen Salatsetzlinge, die ich ausgesät hatte, sind ganz an den Boden hingeklatscht.  Nun fängt morgen der Oktober an. Ob in diesem Monat der Urlaub einmal Wirklichkeit wird? Wir wollen es hoffen. Nun, lieber Ernst, sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Samstag, 26. September 2015

Brief 68 vom 25./26./27/9.1940


Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 25.Sept. 40. 

Heute regnet es nun schon den zweiten Tag und ich kann die Apfelernte nicht fortsetzen. Es sind die Nacht über wieder 15 Pfund runtergefallen.  Glücklicherweise sind davon nicht alle Äpfel fest aufgesprungen, da der Boden aufgeweicht ist, so daß ich sie noch einige Tage aufheben kann. Ich bin direkt froh, daß schon die 3 Ztr. abgenommen worden sind, vor allen Dingen auch die schönsten, die ganz oben gehangen haben. An manche, die ganz außen hängen, kommt man überhaupt nicht hin.  Ich will mal sehen, ob ich noch eine größere Stange an den Apfelpflücker machen kann. Es kommt drauf an, ob ich dann genug Kraft in den Armen habe, um die Stange zu stemmen.
Gestern Abend habe ich mich wieder hinter die Briefmarken gesetzt. Es macht mir immer große Freude, wenn ich wieder eine ins Album tun kann, die Du noch nicht hast, oder wie gestern, wo Du die eine Marke schon hattest, aber es fehlten zwei Zacken und die neue Marke ist einwandfrei. Aber weißt Du, was ich einfach nicht finde, Jugoslawien. Ist das nicht drin? Heute Abend werde ich wahrscheinlich weiter machen. 
Heute tagsüber habe ich mal mit dem nähen von Jörg‘s Hausschuhen angefangen. Dazu sind Regentage wieder gut, aber lieber wär mir‘s, es käme bald wieder die Sonne, schon wegen der Äpfel. Wie Du Dir denken kannst, essen wir jetzt ziemlich viele Äpfel, natürlich nur Falläpfel. Von den gepflückten Äpfeln sind sehr wenige madig und auch die in letzter Zeit gefallenen Äpfel haben fast nie Maden. Bei den früher gefallenen war das natürlich anders.
Ich schicke Dir heute die zweiten 5,-.  Morgen folgen die dritten. Solltest Du noch mehr Geld brauchen, so könnte ich Dir evtl. noch das Geld schicken, welches ich für die Äpfel bekommen habe. Es sind dies 8,-Mk für 50 Pfund. (Frau N. hat noch 10 Pfund genommen, die man nicht so lange aufheben kann). Weiteres verfügbares Geld habe ich diesen Monat nicht, weil ich M 35, für Kartoffeln weggelegt habe. Höchstens könnte ich von der Sparkasse was holen, das ginge auch. Du schreibst mir‘s bitte, ob Du noch was brauchst. Die 15,- habe ich aber gut übrig gehabt. 
Post habe ich heute keine von Dir bekommen, aber das ist auch gar nicht zu verlangen, denn ich habe ja gestern gleich zwei Briefe bekommen.  Nun schließe ich wieder für heute, mein lieber Ernst.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 26.Sept. 40. abends 9 Uhr

Denk Dir, ich habe heute nicht einmal an Dich geschrieben. Du wirst es aber sicher entschuldigen, denn ich habe den ganzen Nachmittag Äpfel gepflückt. Mir will die Hand beim schreiben scheinbar gar nicht parieren, denn sie ist mir ziemlich schwer, da ich den ganzen Nachmittag den Obstpflücker in der Hand gehabt habe. Ich habe oben auf der Leiter gestanden und habe mit dem Pflücker die Äpfel an  d e n  Zweigen gepflückt, die ziemlich weit außen sind. Anders kommt man an diese Äpfel nicht ran. Ich habe 120 Pfund gepflückt und 25 Pfund Falläpfel hat es gegeben. In der Nacht sind auch wieder 15 Pfund runtergefallen. Wenn es morgen wieder trocken sein sollte, werde ich weiter pflücken.
Heute früh sah es ganz trüb aus und der Baum war ganz patschnaß. Ich dachte schon, daß es gleich wieder regnen würde. Dann hat sich aber ein Wind aufgemacht und hat alles getrocknet. Da dachte ich, die Gelegenheit nehme ich gleich wahr, wer weiß, wie morgen das Wetter wieder ist. Wir haben nun über 4 Ztr. gepflückte und rund 3 Ztr. Falläpfel geerntet. 50 Pfund hat Vater haben wollen. Er will sie mir aber bezahlen. Es ist doch fein, daß wir einmal eine so reiche Ernte haben, nicht wahr? 
Du hast Dich also einmal daraufhin angesehen, ob Du dicker geworden bist. Das macht ja nichts aus, wenn Du zugenommen hast, das wirst Du Dir schon wieder abarbeiten, wenn Du wieder hier bist später. Ich habe sicher nicht zugenommen, höchstens etwas abgenommen, aber ich fühle mich sehr wohl dabei. Jetzt beantworte ich Dir schon Deinen Brief und derweil habe ich Dir noch gar nicht geschrieben, daß ich heute Deinen lieben Brief vom 21.September bekommen habe. Der hat mich wieder sehr gefreut. 
Daß Dir Deine Frau fehlt, die Dich immer so ärgert, das glaube ich Dir gleich. Also mußt Du einfach mal auf Urlaub kommen, da kannst Du den Ärger gleich haben, Du lieber Kerl.  Mich hat es gefreut, daß Du den Kuchen gerade am Samstag erhalten hast. Vielleicht hast Du Dir was für den Sonntag aufheben können. War er noch ziemlich ganz? 
Gestern habe ich wieder die Briefmarken vorgeholt und viele einsortiert. Ich hatte eigentlich vor, heute weiter zu machen.  Aber nun habe ich lieber an Dich, mein lieber Ernst, noch geschrieben. Die Briefmarken laufen mir ja nicht davon und ich bin einfach mit dem Tag nicht zufrieden, wenn ich Dir nicht geschrieben habe.
Nun will ich aber doch Schluß machen, es ist gerade um 10 Uhr. Ich schicke Dir im Brief die dritten 5,-M mit. Gute Nacht, mein lieber Ernst. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Lieber Ernst! Da ich heute Abend gerade hier bin, schreibe ich Dir einige Zeilen dazu, was schon lange meine Absicht war. Zuerst noch meinen besten Dank für Gratulation zum Geburtstag und Zigarren. Es war mir leider nicht möglich, Dir zu Deinem Geburtstage zu gratulieren, da wir nicht wußte, wie lange Du in C. noch verbleiben würdest.
Wir haben aber Deiner gedacht hier zusammen an dem Tage und wünsche noch nachträglich alles Gute und vor allen Dingen, daß wir alle gesund bleiben.  Hier in Konstanz sind auch verschiedentlich Gefangene gekommen, auch bei St. Meinen Urlaub habe ich auch noch zu gut und werde denselben in nächster Zeit noch machen. Im Allgemeinen ist alles das gleiche. Bei dem letzten Fliegerangriff hier, wo Kurt gerade hier war, ist ein Blindgänger am Gottlieberweg herunter, denselben weißt Du ja, es war eine zeitlang gesperrt. Hoffentlich kommst Du bald mal auf Urlaub. Herzliche Grüße von Deinem Vater.


 Mein lieber Ernst!                                                   Konstanz, 27.9.40

 Auch heute komme ich erst um 5 Uhr dazu, an Dich zu schreiben.  Früh war ich erst in der Stadt, heute Nachmittag habe ich erst 30 Pfund Äpfel abgenommen und dann noch ein Stück umgegraben, denn ich habe die restlichen Bohnenstangen raus nehmen können. Äpfel werde ich entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch ein paar abnehmen. Sie hängen nämlich so weit außen und so zwischen kleinen Ästen, daß man einfach nicht dazu kommt. Den Hals brechen möchte ich mir nun auch nicht gerade dabei. Schütteln will ich sie jetzt auch noch nicht, denn ich habe noch ziemlich Falläpfel da. Sonst werden mir nur zuviel schlecht. Wenn nach und nach welche runter fallen, ist es auch ganz recht. Ich lese sie ja immer sorgfältig auf. Umkommen tun sie auf keinen Fall. Ernst, das war eine feine Ernte, das hat mir gefallen. Glaubst Du das? 
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 23. September. Ich danke Dir recht sehr dafür. Ich sehe aus dem Brief, daß Du keine Angst hast, ich könnte Dir an den Briefmarken etwas verderben und daß Du es auch verstehst, wenn ich vielleicht nicht alles richtig einsortiere. Die größte Mühe gebe ich mir jedenfalls, daß ich es soweit als möglich richtig mache. Bei den belgischen Marken waren verschiedene, die dünne Stellen hatten, während das bei den anderen nur vereinzelt vorgekommen ist. 
Wenn Du Dich noch nicht so nach meinem Befinden erkundigt hast, so bist Du deswegen nicht selbstsüchtig. Ich habe Dir ja immer geschrieben, was ich so tue und schaffe und Du wirst Dir sicher auch gedacht haben, wenn ich nicht auf der Höhe wäre, könnte ich im Garten auch nicht so schaffen. Also, mir geht es gut. Augenblicklich bin ich mal stark heiser, aber das hat nichts zu sagen. Die Kinder haben auch Schnupfen. Das kommt vom Wetter. Heute erhielt ich von den Eltern die Mitteilung, daß Hans Krall aus Rosenberg von einem Feindflug nicht zurückgekehrt ist. Kralls haben gleich Nachforschungen anstellen lassen, aber sie haben nicht viel Hoffnung. Für meine Tante ist es auch schlimm. Vor ein paar Jahren Maria und jetzt evtl. Hans. Dem Vater wird es sicher nicht so nahe gehen, denn für ihn war ja Hans immer der Prügelknabe. 
Von Kurt habe ich gestern auch einen Brief erhalten. Er wird in nächster Zeit einen 10tägigen Urlaub bekommen. Er hat, soviel ich aus dem Brief lese, auch Dir davon geschrieben. 
Es ist jetzt ¾ 6 Uhr und ich will Schluß machen, sonst kommen die Kinder zu spät ins Bett, denn ich will den Brief noch wegschaffen. 
Nun, mein lieber, lieber Ernst, sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Mittwoch, 23. September 2015

Brief 67 vom 22./23./24.9.1940


Mein lieber Ernst!                                          Konstanz, 22.Sept. 1940   

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 18.9. in dem Du mir nun leider mitteilst, daß es mit Deinem Urlaub wieder nichts wird. Die Enttäuschung war doch wieder groß, wenn ich mir auch vorgenommen hatte, mich nicht vorher zu freuen. Aber auch bei Dir wird die Enttäuschung groß gewesen sein. Vorläufig werde ich also die Hoffnung auf Urlaub einmal begraben, denn wer weiß, was im Oktober ist.  Euer Chef wird schon solange zögern, bis einmal Urlaubssperre eintritt. Nach 19 Wochen hätten sie Dir schon Urlaub geben können, denn sogar der Pfluger, der doch nach Dir zum Militär gekommen ist, hat schon Urlaub bekommen. Wenn Du ja einmal Urlaub haben solltest, wie viele Tage bekämst Du da bestimmt? Schreib mir‘s doch bitte mal. 
Die Äpfel werde ich also jetzt runter nehmen müssen, denn heute Nacht sind ganze 25 Pfund runter gefallen und gestern 15 Pfund. Sie sind eben reif. Der größere Junge im Haus will auf den Baum rauf klettern. Es ist doch schade, wenn so viele Äpfel abfallen, denn man kann sie doch nicht lange aufheben.
5 Uhr nachmittags.   Da es sich noch aufgeklärt hat, habe ich gleich noch mit Äpfel abnehmen angefangen. Ich habe unten rum mit dem Apfelpflücker abgepflückt und zwar 83 Pfund. Meinst Du, man sieht, daß welche abgepflückt sind?  Keine Ahnung. Der Baum hängt noch dick voll. Wir haben bis jetzt 2 Ztr. Falläpfel gehabt und die 85 Pfund, die ich heute abgepflückt habe. Auf dem Baum hängen noch ein paar Zentner. Ich weiß gar nicht, wo ich die Äpfel alle hin tun soll. Aber Freude macht so eine Ernte doch.  Durch das Schaffen bin ich jetzt auch etwas über die Enttäuschung weggekommen.
Heute früh habe ich erst heulen müssen. Jetzt bin ich aber wieder tapfer und ich werde mit Geduld warten, bis Du einmal heimkommst. Jetzt war es doch gut, daß ich Dir noch den Kuchen geschickt habe. Erst dachte ich, er erreicht Dich dort vielleicht gar nicht mehr. Hat er geschmeckt?  Hoffentlich ist er nicht ganz zerbrochen angekommen. 
Es freut mich wirklich, daß Ihr dort so gut betreut werdet bzg. der Unterhaltung, denn wenn man fremd ist, wird es einem viel eher langweilig als daheim.  Die Brüsseler Zeitung mit dem Stück Frankfurter Zeitung habe ich heute auch erhalten. Der Artikel „So fiel die Maginot Linie“ hat mich sehr interessiert. Den Artikel von Gent habe ich auch gelesen. Da war es mir besonders interessant, daß ich noch ein Bild von Dir von der Burg Gravenstein da hatte. Das habe ich mir jetzt schon öfter angesehen. Zum Ansehen muß die Burg ja schön sein, nur für die armen Opfer von früher nicht. Ist der Eindruck der Burg gewaltig? Oder nur sehr düster? In Deutschland sind ja dank der Franzosen die Burgen nur noch Ruinen. 
Mein lieber, lieber Ernst! Wir wollen hoffen, daß es mit Deinem Urlaub doch noch einmal etwas wird. So lange wir noch gesund sind, wollen wir nicht unzufrieden sein. 
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 23.Sept.40. 

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 14.9., nachdem ich gestern schon den vom 18.9 erhalten habe. Recht vielen Dank dafür.  Seit Gestern ernte ich nun den Baum ab, d.h. ich mache es eigentlich nicht allein. Der Emil von Leimenstolls ist heute bis in die Spitze des Baumes geklettert und hat ganz oben abgepflückt und zwar etwas über 1 Ztr. Du kannst dir denken, wie es jetzt bei uns aussieht.  Äpfel, wohin Du auch guckst. Im Keller, auf Schränken, auf der Truhe und dem Regal im Korridor, in Kartons unterm Bett. 30 Pfund habe ich an Steinmehls verkauft und 10 Pfund an Frau Nußbaumer. Du wirst sicher nichts dagegen haben. Heute Abend will der Emil nochmals. Ich weiß nun gar nicht mehr wohin mit allen Äpfeln. Aber ich verstaue sie, wohin es geht. Ich habe sie natürlich alle gut sortiert. Im Winter werden wir um jeden Apfel froh sein. Fallobst hat es heute Nacht wieder 12 Pfund gegeben. Ich werde auch noch Apfelringe trocknen und evtl. noch Apfelmus einkochen. Aber augenblicklich kann ich nicht, denn ich bin vom sortieren, versorgen und gestern vom pflücken ziemlich müd.  Weißt Du übrigens, was jetzt manchmal meine Abenderholung ist? Deine Briefmarken abweichen und einsortieren. Wenn ich abends zu müd zum schaffen oder lesen bin, hole ich mir die Briefmarken vor. Da habe ich jetzt direkt Freude dran. Wenn ich auch vielleicht nicht alles richtig einsortiere, aber das Vergleichen und Suchen, wo die Marken hingehören, ist mir Erholung und das ist ja die Hauptsache, na, und dass ich Dir nichts verderbe, weißt Du ja. 
Übrigens habe ich mit der Jacke, die Du mir geschenkt hast, ungeahnte Erfolge. Im Haus werde ich bewundert, bei Tengelmanns auch und  sogar von Soldaten. Was sagst Du nun? Frau Nußbaumer sagt: Wunderschön ist die Jacke, die kleidet sie vortrefflich, ganz jung sehen sie darin aus. Bei Tengelmanns: Die Jacke ist aber schön und wie gut sie sie kleidet. Die Soldaten, ca. 34 Stück, als ich vorbeifuhr: „Oho, oho“ und schauen hinterher. Na, wenn ich nun nicht eitel werde. Und wem verdanke ich das? Dir lieben, lieben Kerl, Dir, mein lieber Ernst.
Mir selber gefällt die Jacke auch wunderschön und ganz schlank sehe ich darin aus. Du mußt nun keine Angst haben, daß ich wirklich eitel werde, aber schön ist es doch, wenn man mal was Nettes anzuziehen hat. Jetzt will ich mich beeilen, daß ich noch in die Stadt komme. Ich weiß nicht, wann der Emil aus der Schule kommt. Beim pflücken möchte ich doch dabei sein. Wie schon früher einmal gesagt, ich hätte Dir nur gewünscht, daß Du den vollen Baum einmal gesehen hättest, es war eine Pracht.  Nun, lieber Ernst, will ich wieder schließen. Ich habe Dich ja so lieb und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Die Hauptsache habe ich natürlich vergessen. Ich habe heute Dein liebes Päckchen mit der Wolle bekommen. Die blaue Wolle gefällt mir wieder sehr gut. Ich bin überhaupt schon lange zu der Überzeugung gekommen, daß man Deinem guten Geschmack jederzeit vertrauen darf.
Lieber Ernst, ich danke Dir auch für dieses Päckchen wieder ganz herzlich.


 Mein lieber Mann!                                             Konstanz, 24.Sept.40

 Heute bekam ich Deine beiden lieben Briefe vom 19. und 20. Sept., über die ich mich sehr gefreut habe. Bezüglich der Päckchensendungen bist Du doch ein böser, bitterböser Spötter. Wenn auch kein Geburtstag mehr ist, so mußt Du doch einsehen, daß ich auch ausnahmsweise einmal ein Päckchen senden kann, Ausnahmen müssen doch auch einmal gemacht werden. Das siehst Du doch hoffentlich ein, Du lieber Kerl?
Wegen der Luftschutzübung hat es sowieso Ärger gegeben, aber das erzähle ich Dir in Deinem Urlaub. Übrigens ist der feindliche Fliegerbesuch bei uns sehr selten. Seit ich es Dir geschrieben habe, haben wir keinen mehr gehabt. Inzwischen habe ich Dir ja mitgeteilt, daß ich den Apfelbaum schon abnehmen lasse. Dieses Jahr sind die Äpfel schon eher reif gewesen. Der Junge hat gestern Nachmittag nochmals über 1 Ztr. abgenommen. Heute wollte er wieder auf den Baum, aber heute Nacht hat es ein Gewitter gegeben und heute regnet es den ganzen Tag. Da geht es nicht. Über 10 Pfund Falläpfel haben auch heute früh wieder unten gelegen. Beim Pflücken sind auch ca.  6 Pfund runtergefallen, denn wenn man an manche Äste nur dran kommt, fallen die Äpfel schon. Schmecken tun die Äpfel wieder prima. Ich habe in der Küche schon zwei große Schnüre mit Apfelringen hängen. Es hat mir doch keine ruhe gelassen, denn es soll doch nichts umkommen. Im Ganzen haben wir bis jetzt geerntet: 3 Ztr. gepflückte Äpfel 230 Pfund Falläpfel. Es sind aber noch ziemlich Äpfel auf dem Baum. Wegen dem Garten brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Der große Garten ist schon fertig umgegraben, bis auf die Beete mit Kraut, das Gurkenbeet und 6 Reihen Stangenbohnen. Die übrigen Stangenbohnen, die schon dürr waren, habe ich abgemacht und auch entkernt, ebenso die Busch und halbhohen Bohnen. Neben dem Gurkenbeet hatten wir im Frühjahr Erbsen und dann haben sich die Gurken drüber gerankt. Die sind aber jetzt im Absterben, so daß das Beet wieder frei liegt. Da die Erde doch da noch nicht ausgesaugt ist, habe ich dort noch Spinat gesät und bei den Tomaten noch Ackersalat.  Die Erdbeerbeete sind auch ausgeputzt und umgegraben. Der Garten wäre also in Ordnung. Im kleinen Garten konnte ich die Kartoffeln noch nicht raus machen, da das Kraut noch grün ist. Acht Pfirsiche haben wir auch geerntet. Die waren auch schon überreif, so daß wir Dir gar keinen aufheben können. 
Unseren beiden Stromern geht es wieder soweit gut. An das Spielen im Zimmer hat sich Jörg schon wieder gewöhnt.  Da muß ich Dir auch noch was von Helga erzählen. Heute früh unterhielten sich die Kinder, ich weiß nicht, über was. Ich habe nur noch den Schluß gehört. Da sagt Jörg zu Helga: ....das machst Du dann so wie ich es Dir sage.“ „Nein“, sagt Helga, „das mache ich wie ich will, ich habe auch meinen Willen.“ Was sagst Du nun? Dann noch etwas. Helga setzt sich so gern bei mir auf den Schoß und hat es überhaupt gern, wenn ich ein bißchen lieb zu ihr bin. So auch heute wieder. Sie fing dann an zu heulen und sagte: “Jetzt muß ich nun in die Schule und ich habe Dich doch so lieb, daß ich gar nicht von Dir fort will. Ich will immer bei Dir bleiben.“ Ich sagte zu ihr: „Weißt Du, Du kannst doch nicht immer bei mir sein, warte nur, wenn Du mal heiratest, dann gehst Du auch fort.“ Weißt Du, was sie darauf sagt: „Weißt Du, Mutterle, ich warte einfach mit dem Heiraten bis ich dreißig bin.“ Da habe ich doch grad loslachen müssen. 
Die gewünschten M 15, lasse ich Dir wieder in drei Briefen zugehen.  Heute schicke ich die ersten 5.-Mk. Wie Du es mit dem 2.Anzug machen willst ist es ganz recht.  Ob meine Eltern über Deinen Brief beleidigt sind, wirst Du ja sehen. Wie Du schon schreibst, ändern könnte man es nicht. 
Du schreibst, es ist recht, daß ich mich nicht eher über Dein Kommen freue, bevor Du da bist. Du hast ja nun aus meinem anderen Brief ersehen, was aus diesem Vorsatz geworden ist. Ich habe Dich halt zu lieb, um mich nicht doch zu freuen, wenn ich höre, daß Du Urlaub bekommst. 
Die Briefmarken vom Elsaß hebe ich Dir auf. Auch die anderen Marken werde ich wieder versorgen. Jetzt bin ich ein paar Abende nicht dazu gekommen, aber ich habe Dir ja auch wegen den Briefmarken schon geschrieben.  Siegfried hat mir von Neustadt eine Karte geschrieben. Von einer Dienstfahrt ist er mit nach Neustadt gefahren. Sein Dienst ist ja jetzt schon auszuhalten.  Nun, lieber Ernst, bin ich am Schluß meines Briefes angelangt. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Sonntag, 20. September 2015

Brief 66 vom 19./20./21.9.1940


Mein lieber Ernst!                                         Konstanz, 19.Sept.40

 Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 13.9. Ich danke Dir vielmals dafür.  Ich beschäftige mich jetzt immer mit der Frage, ob Du auf Urlaub kommst. Ich würde Dir gern noch den Apfelbaum zeigen, wenn er so viele Äpfel hat.  Gegessen haben wir dieses Jahr wirklich schon viele Äpfel bzw. Apfelmus. Du weißt ja, für Äpfel bin ich immer zu haben und unsere schmecken dazu wirklich gut. 
Das kannst Du Dir denken, daß ich, wie Du schreibst, ziemlich verärgert war, als ich zwei Briefe an einem Tag von Dir erhielt. Ich glaube, ich könnte sechs Stück bekommen und ich würde mich nicht ärgern. Im Gegenteil, je mehr, je lieber. 
Bezüglich Wolle und allem anderen habe ich gar keine Wünsche. Nur den einen Wunsch habe ich, daß Du recht bald zu uns kommst. Es muß doch einmal Wahrheit werden.  Du schreibst, daß es Dir unerklärlich ist, wie Jörg am Auge wildes Fleisch bekommen konnte. Der Arzt sagt, das sei nichts Schlimmes. Das müßte man wahrscheinlich noch ein paar Mal wegschneiden. Es könnte aber auch sein, daß es einmal so schnell von selbst weggeht, wie es gekommen ist. Gefährlich ist es nicht. 
Wenn Du auf Urlaub kommst, wirst Du ja selbst sehen, wie es aussieht.  Mit dem parieren von Jörg hat es so manchmal seinen Haken. Ich muß öfter mal dazwischen fahren. Du weißt ja selbst, wie so Lausbuben sind. Oder warst Du ganz brav? Helga folgt ja eher, sie ist eben ein Mädchen und die sind immer brav, nicht wahr. 
Lieber Ernst, ich würde Dir im Garten auch gern einmal zeigen, wie schön unser Kraut wird. Es ist eben manches, woran ich auch eine noch mal so große Freude hätte, wenn ich es Dir zeigen könnte. 
Weißt Du, das Wort „Urlaub“ ist einfach ein Zauberwort, kaum hört man´s, so fängt man gleich an zu träumen und viele Wünsche werden laut. Wenn ich mir auch noch so viel Mühe gebe, nicht an den Urlaub zu denken, weil‘s ja noch gar nicht sicher ist, ob Du welchen bekommst, so stiehlt sich doch immer so eine leise Hoffnung durch, daß es doch wahr sein möge.
Gestern habe ich doch Deine Briefmarken fertig gemacht und sie, soweit ich es verstanden  habe, in die einzelnen Seiten reingelegt. Zwei oder drei Stück sind nicht einwandfrei. Eine, die aufgeklebt war, war ein ganzes Stück eingerissen. Es ist aber sicher keine wichtige. Ich lege sie bei. Übrigens hat es viel weniger Arbeit gemacht als ich dachte. Es hat mich sogar interessiert. Bei manchen bin ich ja nicht ganz zu recht gekommen, auf welche Seite sie gehören. Aber, das wirst Du dann schon machen.  Nun will ich wieder für heute schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 20.9.40

Post habe ich heute keine von Dir erhalten. Heute ist nun der 20zigste und es könnte der 1.Tag Deines Urlaubs sein. Ich weiß ja nun gar nicht, ob Du welchen bekommst. Ich denke immer, Du müßtest jede Minute kommen, andernteils kann ich es mir noch gar nicht vorstellen, daß Du wirklich Urlaub bekommst. Es ist halt so eigenartig, wenn man gar nicht weiß, woran man ist.
Lieber Ernst, wenn Du doch kämst, wir würden uns so freuen.  Heute ist wieder ein etwas stürmischer Tag. Da sind wieder ziemlich viele Äpfel runter gefallen. Die werden aber alle verdrückt, da kommt nichts um. Runter müssen die Äpfel aber bald, denn die Runtergefallenen waren meist gar nicht madig, sondern nur reif. 
Nachdem ich die letzten Tage im Garten geschafft habe, ist heute bei mir ein etwas fauler Tag. Aber das muß auch einmal sein. 
Gestern Abend habe ich noch die Briefmarken abgeweicht und einsortiert, die mit dem gestrigen Brief gekommen sind. Nur bei Herrn Kuster war ich noch nicht wegen den Briefmarken, die er evtl.  bei Dir bestellen soll. Ich werde es aber bald nachholen.  Ich weiß nicht, ob ich Dir‘s gestern schon geschrieben habe, daß ich die Halbhohen und die Buschbohnen gestern abgemacht habe. Sie sind dürr. Bei Gelegenheit werde ich sie auskernen. Eigentlich weiß ich gar nichts mehr zu schreiben. Ich habe immer die Hoffnung, daß ich vielleicht bald mit Dir reden kann. Das wär natürlich noch viel schöner als schreiben.  So mache ich einstweilen für heute Schluß. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie, die sich schon sehr auf Dein Kommen freut.


Mein lieber Ernst!                                             Konstanz,.21.Sept. 40

Heute erhielt ich gleich 2 Briefe von Dir, vom 16.  und 17. September. Ob Du nun wirklich Urlaub bekommst, steht ja noch nicht drin. Ich will aber die Hoffnung noch nicht verlieren, daß es doch etwas wird. Wenn Du auch ohne Anmeldung kommst, das ist doch gleich. Die Hauptsache, Du bist da.
Siehst Du, morgen haben wir gerade den von Dir gewünschten Pflaumenkuchen. Selbstverständlich backe ich Dir gern, sogar sehr gern, wieder einen Pflaumenkuchen, wenn Du kommst. Wenn Du nur schon da wärst. Ich freue mich ja schon so auf ein Wiedersehen. Jetzt bist Du ja schon 18 ½ Woche fort. Da dürften sie  Dir schon einmal Urlaub geben. 
Für die Bilder danke ich Dir recht sehr. Sie gefallen mir gut, vor allem die, auf denen Du mit drauf bist. Auf dem einen, wo Du so fest lachst, hätte ich Dich fast nicht erkannt. Es ist selten, daß Du auf einem Bild mal so lachst. . Die mitgesandten Briefmarken werde ich wieder versorgen. Den Durchschlag Deines Urlaubsgesuches hast Du beizulegen vergessen. Wahrscheinlich ist er im nächsten Brief drin. 
Jetzt müssen die Äpfel bald runter, sie sind gut reif. Heute sind ganze 15 Pfund runter gefallen und die wenigsten sind madig. Vielleicht kommst Du doch noch so in Urlaub, daß Du sie runter holen kannst. Sonst müßte ich eben doch die Hilfe der Hausbewohner in Anspruch nehmen. 
Lieber Ernst! Ich habe ganz gewaltige Sehnsucht nach Dir, vor allem deshalb, weil ich weiß, daß Du evtl. Urlaub bekommst. Sonst beschäftigt man sich gar nicht so intensiv mit dem Wiedersehen, denn man machte sich sonst nur das Leben schwer. Aber bei dem Wort „Urlaub“ wird die Wiedersehensfreude plötzlich munter. 
Wir hatten die letzten Tage auch ziemlich föhniges Wetter. Man merkt´s aber gleich, man hat Kopfweh und ist ziemlich müd´. Heute ist es wieder etwas besser.
Bei uns ist es hier noch ziemlich warm. Wenn es natürlich Regenwetter ist, da wird es gleich kühl. Es ist ja auch schon Ende September. Den alten Muselik hast Du doch auch dem Namen nach gekannt. Der ist am 15. September gestorben. Vielleicht  interessiert es Dich.  Dann schicke ich Dir heute noch einen Artikel vom Lämmel mit. Ich dachte,  daß es für Dich von Interesse ist.  Nun, lieber Ernst, will ich schließen. Komm recht bald auf Urlaub. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 65 vom 16./17./18.9.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 16.Sept. 40  

 Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 12. September. Du schreibst, daß Du unser Päckchen mit den Sachen vom Geburtstag erhalten hast. Du brauchst keine Angst zu haben, daß diese Sendungen eine Gewohnheit werden, denn wir haben ja nur vier Geburtstage im Jahr. 
Ich erinnere mich auch noch an das Baden im vorigen Jahr. Dieses Jahr wäre es schon zu kühl.  Ich habe wohl dieses Jahr den Garten ziemlich allein versorgt, aber glaube mir, es ist mir nicht zu viel geworden. Ich habe immer dran gedacht, wie Du Dich freuen wirst, wenn alles in Ordnung ist, da ist mir alles leicht geworden.
Heute bekommst Du einmal einen sehr kurzen Brief, denn die Zeit ist mir sehr knapp. Früh habe ich etwas gewaschen und habe Dein Päckchen weggeschickt und eingekauft. Da ich Kartoffeln brauche, habe ich nachmittags welche raus gemacht. Die muß ich nun nach dem Abtrocknen noch in den Keller tun. Außerdem ist vorhin für um 7 Uhr eine Luftschutzübung angesagt worden. Da muß ich mich ziemlich beeilen.
Du warst ja schon einmal so lieb und hast dich mit einer Karte zufrieden gegeben. Da nehme ich heute Deine Nachsicht nochmals in Anspruch und bitte Dich, mir wegen des kurzen Briefes nicht böse zu sein. 
Lieber Ernst! Ich schließe also für heute. Du sollst aber wenigstens wissen, daß ich immer an Dich denke, wenn ich auch nicht viel schreiben kann.  Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                             Konstanz, 17.Sept. 40

 Heute erhielt ich Deine lieben Briefe vom 10.  und 11. September. Ich danke Dir vielmals dafür.  Du schreibst nochmals, daß ich Dir keine Zeitungen schicken brauche. Inzwischen wirst Du ja nun doch noch die letzten Zeitungen von mir erhalten habe, denn Dein erster Brief kam ja einen Tag später an, als ich die Zeitungen schon weggeschickt hatte. 
Über die Bilder habe ich mich wieder sehr gefreut. Ich werde sie einstweilen mit ins Album legen. Da hast Du ja dort schon allerhand gesehen. Wie ich Dir schon schrieb, freue ich mich auf Dein Kommen  v o r h e r   noch nicht so sehr, damit ich dann nicht so enttäuscht bin, wenn es nicht klappt. Den Kindern habe ich noch gar nichts gesagt. Sonst habe ich vor lauter Fragen überhaupt keine Ruhe mehr und die Beiden wären sonst, wenn Du nicht kommen könntest, auch schrecklich enttäuscht. Du schreibst, ich hätte Dir gar nichts geschrieben, daß Jörg wegen wildem Fleisch geschnitten worden ist. Sollte ich das wirklich vergessen haben? 
Das war doch so. An dem Auge von Jörg sah es immer aus, als wenn er ein Gerstenkorn bekommen sollte. Im Augenlid drin hat es so eine Verdickung gegeben. Als nun Helga das entzündete Auge hatte, dachte ich, da lasse ich gleich beim Buben mal mit nachsehen. Da sagte dann eben der Arzt, daß sich da wildes Fleisch gebildet hätte, das man raus schneiden sollte, was ja dann auch geschehen ist. Es muß aber wahrscheinlich nochmals geschnitten werden. Wenn ich Dir das noch nicht mitgeteilt hatte, so darfst Du mir das nicht übel nehmen. Das habe ich dann glatt vergessen gehabt.
Ich glaube, Ihr werdet Eurer Wohnungen auch nicht froh. Wenn Ihr mal drin seid, kommen immer andere Interessenten. Diesen letzten Angriff habt Ihr ja nochmals abgeschlagen.
Daß die Bedienungen nicht besonders eifrig sind, glaube ich schon. Das sind doch sicher Französinnen, die haben an den Deutschen doch kein Interesse und außerdem sind sie doch sicher nicht so sehr von Ordnung besessen. Jedenfalls habe ich das aus verschiedenen Schilderungen entnommen.  Wie kommt es, daß die Badeöfen immer explodieren.  Sind die so lange nicht gesäubert worden. Sie Dich nur vor, daß Dir dabei mal nichts passiert. 
Heute haben wir mal wieder schönes Wetter. Man glaubt es noch gar nicht richtig. Aber den Säntis sieht man schon wieder ganz deutlich. Da wird es wahrscheinlich nicht sehr lang anhalten. 
Gestern brauchte Vater einen Brief von Kurt mit rauf. So hat er also endlich mal geschrieben. Es wurde Zeit. Eine Weile kann er jetzt aber auch warten.
Von Siegfried und den Eltern habe ich heute auch eine kurze Karte erhalten.  Deine Briefmarken habe ich noch nicht abgeweicht.
Ich möchte vorher wieder Filzschuhe für die Kinder nähen. Es kann schnell einmal kalt werden, da haben sie dann etwas Rechtes zum Anziehen. Ich werde für mich wahrscheinlich später welche kaufen.  Nun will ich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Die Karte von Siegfried ist vom 14.9. Auf der Karte vom 15.9. von den Eltern hat er dann mit drauf geschrieben, daß er in Leipzig ist und ein paar Tage Urlaub macht. Ich habe das erst jetzt entdeckt, weil es auf der Rückseite geschrieben ist.

Mein lieber Mann!                                       Konstanz, 18.9.40

Trotzdem ich mich noch nicht vorher freuen soll, bin ich doch sehr gespannt, ob Du Urlaub bekommst. Das wäre ja wunderschön. Ich kann es mir gar nicht ausdenken, wie schön das wär.  Einen Brief habe ich heute nicht bekommen, aber die Brüsseler Zeitung, die Du mir geschickt hast. Ich werde sie heute noch gründlich durchlesen. 
Ich habe heute früh wieder ein bißchen im Garten geschafft, mal wieder ein bißchen Ordnung gemacht. Es wollte erst regnen, aber nun hat es sich richtig aufgehellt. Regen haben wir jetzt wirklich genug, es dürfte richtig mal wieder eine Weile schön werden.  Ich habe mir nochmals Deinen lieben Brief durchgelesen, in dem Du vom Baden im vorigen Herbst schriebst. Ja, das war wirklich schön damals. Da man immer damit rechnete, daß Du bald fort müßtest, haben wir es doppelt schön empfunden. Dieses Jahr sind wir ja nicht viel zum baden gekommen. Zum laufen ist der Weg doch ziemlich weit. Aber das macht nichts. Du hast ja auch nicht oft im Freien baden können. Vielleicht geht es später wieder. Die Hauptsache ist, daß wir alle gesund sind. 
Jetzt werden unsere Äpfel schon gelb. Sie sind nicht mehr so grasgrün. Sie leuchten jetzt richtig. Unsere Stare sind auch schon längere Zeit wieder da. Ich habe nochmals Spinatsamen kaufen müssen, denn die Hälfte des gesäten und auch aufgegangenen ist wieder verschwunden. Ich glaube, das waren die Regenwürmer. Webers ist es auch so gegangen. Auch ein bißchen Ackersalat werde ich noch säen. Zu Kartoffelsalat schmeckt er ganz gut. Mit den Brombeeren geht es jetzt auch zu Ende. Die paar letzten, die noch dran sind, lasse ich die Kinder gleich vom Busch essen. Da ist bei ihnen auch die Freude groß. Auch mit den Tomaten ist nicht mehr viel. Drei Stöcke habe ich schon raus tun können. Man merkt eben doch, daß es Herbst wird. An unseren Beerensträuchern habe ich nichts gemacht, das kannst Du besser. Davon verstehe ich noch nicht viel. Du siehst also, daß ich immer wieder Arbeit für Dich  übrig habe.   
Lieber Ernst! Ich hoffe so sehr, daß Du wirklich Urlaub erhältst. Das wär so schön. Ich hoffe, daß ich Dir bald wirkliche Küsse geben kann. Inzwischen grüße und küsse ich Dich noch schriftlich recht herzlich Deine Annie.

Montag, 14. September 2015

Brief 64 vom 14./15.9.1940


Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 14.September 40.

Deinen lieben Brief vom 9.September habe ich heute erhalten, dagegen kam Dein Brief vom 7., den Du erwähnst, noch nicht an. Auch die restlichen zwei Päckchen habe ich noch nicht erhalten. Ich habe schon beim Briefträger danach gefragt, der sagte, die würden schon noch kommen, denn wenn sie auch zusammen aufgegeben wurden, brauchen sie doch nicht zusammen transportiert zu werden. Also warte ich noch. 
Nun zu Deinem lieben Brief. Es freut mich sehr, wenn ich wieder von Dir höre, daß man versucht, Euch das Leben dort so angenehm als möglich zu machen. Es ist auch recht, daß Du die Gelegenheiten zum Kino und Theaterbesuch ausnützt. Später werden wir doch sicher nicht viel dazu kommen. Auch, daß Du die Fahrten überall hin mit machst, ist recht, denn man kann nicht genug sehen. Wenn ich mir die Bilder von Paris ansehe, so kommt mir der Gedanke, als wenn Paris auf Kosten aller anderen Städte in Frankreich so schön gebaut worden sei. Es kommt mir so vor, als verkörperte das Land den Charakter der Franzosen. Oben viel Putz und drunter nix gescheites, ich meine also, Paris ist das Aushängschild und auf das übrige kommt es nicht so an. Indem man auf Paris weist, sagt man: Seht, sind wir nicht eine Kulturnation, haben wir hier nicht die Zivilisation für uns gepachtet? Auch im Benehmen sind die Franzosen doch so, gerade auch Euch gegenüber, ins Gesicht höflich und zuvorkommend, hinten herum voll finsterer Gedanken. Ich weiß ja nicht, ob es richtig ist, wie ich es mir so vorstelle, denn ich kenne ja das Land nicht persönlich. Ich würde mich aber freuen, wenn Du Dich einmal dazu äußern würdest. 
Ich muß feststellen, daß Du das Wecken durch Radio vortrefflich organisiert hattest. Ist denn Dein Kamerad, der im gleichen Hause wohnt, nicht mitgefahren? Über das Bild von Dir habe ich mich auch sehr gefreut. Gegen das Bild, welches von Dir in Köln gemacht wurde, bist Du im Gesicht voller geworden. Wenn ich wieder so ein Bild von Dir sehe, möchte ich Dich am liebsten gleich herholen. 
Für mein Geburtstagsgeld habe ich mir heute eine Gummischürze gekauft. Eine viel festere , als das erste Mal. Sie kostet aber natürlich auch entsprechend mehr, 5.10 M. Aber ich habe es gemerkt, man schont doch die guten Schürzen, wenn man eine Gummischürze hat. Dann habe ich mir noch ein paar Kniestrümpfe gekauft. Mit langen Strümpfen bin ich ja schon durch Dich versorgt worden. Die Kniestrümpfe gab es ohne Punkte, als eine Sonderzuteilung und meine Kniestrümpfe sind, bis auf 1 Paar, nichts mehr viel gewesen.  
Heute Nacht fing es an zu stürmen und zu regnen, heute Mittag hatte es ein Gewitter mit Sturm, etwas Hagel und viel Regen. Da sind heute 7 Pfund Äpfel runtergeplumpst. Da habe ich gleich einen Apfelkuchen für morgen gebacken. Schade, daß ich Dir davon keinen schicken kann. Es freut mich auch sehr, daß Dir das Gebäck schmeckt, das wir Dir geschickt haben. Das soll es ja auch, sonst wäre es ja kein Vergnügen für Dich, wenn Du welches bekommst.
Lieber Ernst, da ich keinen Apfelkuchen schicken kann, habe ich Dir einen anderen gebacken. Der wird Dir hoffentlich auch schmecken. Ich kann ihn aber erst am Montag wegschicken, denn jetzt ist er noch warm. Da würde er zusammenfallen.  Jetzt habe ich noch eine neue Seite angefangen, wenn ich auch nichts mehr zu schreiben habe, aber ich kann doch die Grüße an Dich nicht in eine Ecke quetschen, das siehst Du doch sicher ein.  Also, mein lieber Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 15.Sept. 1940

Das war heute wieder eine Überraschung. Es kamen Deine restlichen zwei Päckchen an, sowie Dein lieber Brief vom 7.September und die Zeitungen.  Ernst, Du bist ein großartiger Kerl, ein Prachtkerl, ein lieber Kerl. Ach, was soll ich noch schreiben, ich habe mich so riesig gefreut, als ich die Päckchen öffnete. Erstens mal der schöne Stoff und dann die schöne weiße Bluse und das Jäckchen. Also, das hat mir am allermeisten gefallen. So etwas habe ich noch nie gehabt. Und kleiden tut es mich einfach prima. Du wirst es ja selbst einmal sehen, wenn Du auf Urlaub kommst. Und dann noch der wirklich wunderschöne Unterrock und die schönen Höschen.  Alles ist einfach schön, wunderschön, prima. Ich freue mich riesig. Jetzt mußt Du aber bestimmt auf Urlaub kommen, damit ich Dir einmal richtig danken kann. Einstweilen danke ich Dir wieder schriftlich recht herzlich für all die schönen Sachen, die Du mir geschickt hast.  Nun schreibst Du auch noch, daß Du vielleicht auf Urlaub kommst. Da wäre ja mein Glück vollkommen. Aber ich getraue mich noch gar nicht zu freuen.  Wenn es dann wieder eine Enttäuschung gibt? Bloß ganz heimlich freue ich mich schon ein wenig.
Wo wirst Du heute am Sonntag sein? Wir sitzen zu hause, denn es gießt heute wieder wie mit Kannen. Wenn es etwas aufhört, bringe ich den Brief noch fort. 
¾ 4 Uhr. Es hat sich jetzt etwas aufgeklärt und sofort sind auch die Kinder runter gesprungen. Sie müssen sich erst langsam an das in der Stube sitzen gewöhnen. Bis jetzt gefällt es ihnen nicht so sehr. Unten ist es eben doch schöner.  Es ist schade, daß es jetzt so viel regnet. Die meisten Tomaten platzen. Wir haben ja nicht mehr so viel dran, aber es ist um jede schade.  Wenn Du ja so Urlaub bekämst, wie Du schreibst, dann könnten wir vielleicht die Äpfel abnehmen, wenn Du kommst. Da brauchte ich gar nicht fremde Leute zu bitten. Bei uns hier waren jetzt acht gefangene Franzosen abgerückt, die hatten bei einem Bauern geschafft und bei der Heimfahrt mit einem Erntewagen, bei dem sie hinterher liefen, waren sie auf einmal verschwunden. Drei Tage hat man sie im Wald gesucht, bis man sie gefunden hat. Die Gefangenen sind doch im „Schauinsland-Saal“ untergebracht.  Lieber Ernst! Nun möchte ich für heute schließen, denn sonst regnet es erst wieder fest. Ich danke Dir nochmals für alles und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.  Wunderst Du Dich nicht, daß ich aller paar Wochen andere Briefumschläge verwende? Ich bekomme immer auf einmal 25 Stück und wenn ich wieder welche kaufe, haben sie die anderen nicht mehr.

Sonntag, 13. September 2015

Brief 63 vom 12./13.9.1940


Mein liebster Ernst!                                              Konstanz, 12.Sept. 40

Nachdem ich gestern 2 Päckchen von Dir bekommen habe, dachte ich, ich würde heute die zwei anderen bekommen, da Du sie ja miteinander weggeschickt hast. Es war aber nicht der Fall. Einen Brief habe ich auch nicht bekommen, so daß ich also nichts beantworten kann. 
Ich bin augenblicklich am nähen und habe schon ziemlich schaffen können. Das Ausbessern ist das wichtigste dabei und natürlich die Puppenkleider, das ist das allerwichtigste. Diese Wünsche habe ich auch befriedigt. Morgen früh müssen wir ja wieder zum Augenarzt, da ist ja der Tag wieder futsch. Da komme ich nicht mehr viel zum nähen. Aber ein bißchen bin ich wieder vorwärts gekommen. 
Nun habe ich noch eine große Neuigkeit. Denke Dir, unser Keller wird jetzt abgestützt, damit es ein bißchen luftschutzmäßig ist. Es sind schon pro Haus 3 Pfähle bzw. Stämme angeliefert worden und eine neue Fensterfüllung, wahrscheinlich für den Vorraum. Wenn alles eingerichtet ist, werde ich Dir getreulich Bericht erstatten. Wir waren alle direkt sprachlos über diese Anstrengung der Stadt. 
Gestern erhielt ich von Elsa Legler einen Brief. Sie schreibt am 8.9., daß Gerhard 7 Tage Urlaub hatte. Am kommenden Sonntag, also am 15. bekäme er wieder Sonntagsurlaub. Sie wünscht uns, daß Du uns auch einmal längere Zeit besuchst. Gell. lieber Ernst, das wird auch noch werden. Da freuen wir uns ja alle schon drauf.  Heute hat sich bei uns das Wetter wieder etwas aufgeheitert. Nur kühl ist es noch.  Das ist doch auch eigenartig. Wenn es recht heiß ist, oder wenn es Nebel hat, fallen viele Äpfel vom Baum.  Wenn es aber regnet, ist es auffallend wenig, was runter fällt. 
Gestern hieß es im Radio, daß in Nordfrankreich Bomben geworfen worden sind. War das bei Euch auch? Man macht sich doch immer gleich Sorge. 
Lieber Ernst, Du mußt es nicht so auffassen, als wenn ich jammern wollte, aber glaubst Du, ich habe schon wieder große Sehnsucht nach einem Brief von Dir. Wenn ich auch nur zwei Tage keinen bekommen habe. Du siehst, ich bin eben auch in dieser Beziehung verwöhnt. Aber wenn ein Brief kommt, so ist es immer, als würdest Du gerade mit mir reden. 
Im Übrigen, lieber Ernst, das geht einfach nicht mehr so weiter. Du schickst mir immer so viele schöne Sachen. Und wie kann ich Dir danken? Ich kann nur immer schreiben, daß ich mich sehr freue. Das ist doch aber keine Art. Ich sollte Dich wenigstens einmal fest abdrücken können und Dir recht viele Küsse geben. Was ist da zu machen? Urlaub mußt Du einfach bekommen, das ist doch klar. Wenn ich was zu bestimmen hätte, da hättest Du schon lange welchen. Glaubst Du mir das?
Ich freue mich schon drauf, wenn Du mal schreibst, am soundsovielsten komme ich heim.  Nun ist der Nachmittag auch schon wieder rum.  Die Tage vergehen doch schnell. Ich habe heute früh gerade im Kalender festgestellt, daß Du gestern nun 17 Wochen fort bist.  Jetzt will ich eilen, daß ich noch in die Stadt komme, sonst kann Helga nicht mehr die Augen wärmen, da wird es zu spät.
Lieber Mann! Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Mann!                                     Konstanz, 13. Sept. 40

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief, vom 6.September , in dem Du dieses Tages vor 9 Jahren gedenkst. Du hast mir durch Deine Worte alles wieder recht vor Augen geführt. Ja, wir waren damals sehr glücklich über alles, was wir uns angeschafft hatten und glaubst Du, ich freue mich auch jetzt noch fest, wenn ich mir so alles ansehe. Genügsam waren wir ja die ganze Zeit und das war gut so. Dadurch haben wir eine schöne Zeit durchlebt auch ohne viel Luxus. Daß Du auch alles getan hast, was Du konntest, das ist wirklich wahr. Und wie genügsam warst Du immer. Lange Zeit hattest Du ja nicht einen Pfennig eigenes Geld. So mancher Mann wäre dadurch verärgert und mürrisch geworden, was bei Dir alles nicht der Fall war. Du hast nicht geraucht und bist in keine Wirtschaft gesessen und sonntags sind wir meist in den Wald, da brauchten wir kein Geld und hatten doch unser Vergnügen.
Die Kinder reden auch immer noch begeistert von unseren Waldspaziergängen, so hat es ihnen gefallen. Wenn es Dir in geldlicher Beziehung jetzt einmal ein wenig besser geht, so ist Dir das nur zu gönnen, denn eine kleine Belohnung mußt Du ja auch mal haben. Im Übrigen gibst Du ja das meiste wieder für uns und hauptsächlich für mich aus, so daß Dir auch nicht viel für Dich übrig bleiben wird. 
In letzter Zeit hatten wir keinen Fliegeralarm mehr. Aber das kann ja noch kommen. Daß ich vorsichtig bin, darauf kannst Du Dich verlassen. Wir sind meist die ersten im Keller. Die drei Pfähle sind jetzt im Vorraum aufgestellt worden. Sie sollen den Ausgang stützen, wenn mal was zusammenfällt. Viel ist ja nun auch nicht gemacht, aber man sieht den guten Willen. 
Wenn Du für die Kinder halblange Strümpfe besorgen kannst, sowie Umhänge, so ist es mir sehr recht. Helga‘s Fußlänge bzw. Strumpflänge (ich habe es an  Strümpfen abgemessen) ist 24cm. 1 cm länger macht natürlich nichts aus. Da kann sie sie noch nächstes Frühjahr tragen. Die Länge von Jörg ist 22/23 cm.
Die Länge eines Regenumhangs müßte sein bei Helga 90 cm, bei Jörg 80 cm. Sie gehen dann bis an die Wade. Man muß rechnen, daß die Kinder den Schulranzen drunter tun, da verliert der Umhang gleich an Länge. Für Helga hätte ich jetzt sowieso einen kaufen müssen, denn der, den ich ihr gemacht habe, ist ihr schon fast zu kurz. Jörg könnte ihn ja schon noch tragen.  Wenn die Umhänge nicht gar so teuer sind, kannst Du aber ruhig für jeden einen besorgen. Wie viel Geld soll ich Dir dazu schicken? Schreibe es mir ruhig, denn, wie gesagt, Du sollst es auch nicht zu knapp haben. 
Wir waren heute beim Augenarzt. Zwei Wochen lang muß ich noch Salbe einschmieren. Wenn es dann gut ist, brauche ich nicht mehr mit den Kindern hinkommen. Bei Jörg muß man evtl. im Dezember nochmal ein bißchen schneiden.
Du fragst mich wegen dem Anzug. Ob Du ihn hier machen lassen solltest? Ja, wo kommst Du billiger weg? Was kannst Du besser transportieren? Den Stoff oder den Anzug? Ändern tut sich ja die Herrenmode nicht so sehr, in der Beziehung wäre es gleich. Das eine wäre es nur: Du hättest jetzt wieder eine große Ausgabe und ich könnte Dir im Oktober, November und Dezember nicht viel Geld schicken, erstens wegen der Kohlen (ich bekomme wahrscheinlich doch noch welche) und dann wegen Weihnachten. Vielleicht läßt Du ihn besser später hier machen. Nur würde ich Dir raten, Dir noch Futterstoff zum Anzug zu besorgen, wenn es welchen gibt.
Zwar, die 20 Punkte würden wir auch noch aufbringen. Du siehst, eine klare Antwort habe ich Dir nun auch nicht gegeben. Es hat dabei viele wenn und aber. 
Die Eltern werden über Deinen Brief ja schon etwas verärgert sein, aber das kann man nicht ändern. Es wäre ja etwas anderes, wenn sie noch nie Kaffee bekommen hätten, aber Siegfried hat ihnen ja auch schon welchen gebracht. 
Da wird Vater froh sein, wenn ich ihm sage, daß Du schon Nachricht von Kurt hat. Er hat gestern erst wieder gefragt. Uns hat Kurt noch nicht geschrieben.  Das blau von der Wolle, von der Du mir ein Muster geschickt hast, gefällt mir wieder sehr gut. Die andere Wolle, die Du mir schon geschickt hast, reicht gut. Du machst schon immer alles richtig.  Denke Dir, soeben war ein Mann da, der macht hier oben an allen städtischen Häusern Verdunklungspapier an der Haustür und am Flurfenster.  Bei Tag wird es aufgerollt. Werden wir nicht nobel?
Es geht also doch  wenn man muß. Polizei war nämlich bei Herr Genahl und hat gesagt, daß die Hausgänge ungenügend verdunkelt sind. Herr Döbele hat es gestern gesagt, als er hier war und alles abgemessen hat. Du erkennst unser Haus sicher gar nicht wieder, wenn Du mal auf Urlaub kommst.  Nun bin ich am Schluß meiner Weisheit (dieser Ausspruch ist von Dir geborgt) und will aufhören mit schreiben.  Sei Du mein lieber Schatz (darf ich das schon schreiben?) recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 62 vom 10./11.9.1940


Mein lieber Ernst!                                             Konstanz,. 10.Sept.40

Heute kam Dein lieber Brief vom 5.September. Ich muß ja schon sagen, Du bist ein ganz, ganz böser Kerl, mich so wegen meiner Gewissensbisse bezüglich des Briefes zum Hochzeitstag aufzuziehen. Aber glücklich bin ich doch, daß Du mir´s nicht übel genommen hast.
Ich bin heute sehr spät zum schreiben gekommen, denn ich habe Marmelade gekocht und ein paar Tomaten eingelegt. Da geht die Zeit so herum. Nun kommt Helga bald aus der Schule, sie hat bis ½ 6 Uhr Unterricht. Da wollen wir dann gleich essen, hinterher muß sie die Augen wärmen und dann wird es Schlafenszeit sei.
Mal sehen, ob ich noch zum Brief wegschaffen komme. Evtl. nehme ich ihn morgen früh gleich mit in die Stadt. Es regnet heute wieder, was vom Himmel runter will. Heute früh kam Helga schon mit nassen Füßen aus der Schule. Ich habe sie am Nachmittag gleich mal mit dem Omnibus fahren lassen, damit sie nicht dreiStunden lang mit nassen Füßen in der Schule sitzen muß. Sie hat heute Handarbeiten. Zu hause hat sie das häkeln schon ein bißchen geübt, damit sie sich nicht so dumm anstellt. Daß es nun gleich tadellos geht, kann man ja schließlich nicht erwarten. Sie ist heute ganz stolz mit ihrem neuen Handarbeitskorb in die Schule gegangen. 
Von Kurt haben wir bisher immer noch nichts gehört. Hat er Dir schon mal geschrieben? Vater dachte, er würde vielleicht an meinem Geburtstag schreiben, aber es ist nichts gekommen.
Leider ist Dein Brief einen Tag zu spät angekommen, denn gerade gestern habe ich Zeitungen an Dich weggeschickt. Aber das ist ja nicht schlimm. 
Bezüglich der Engländer kann man nur sagen, daß sie ein ganz gemeines Volk sind. Bei uns bombardieren sie die Zivilbevölkerung, wenn es  i h n e n  aber mal an den Kragen geht, da gehen sie in der ganzen Welt um Mitleid hausieren.  Auf die Engländer haben wir alle einen großen Haß. Sie bekommen es ja jetzt zu spüren, daß wir nichts ungestraft lassen.
Vielleicht schreibe ich heute Abend noch an die Eltern, damit sie nicht beleidigt  sind. Auch an die Erna sollte ich mal schreiben, ich weiß bloß nicht was.  Ich hätte bald vergessen, Dir für die Bilder zu danken. Diese haben mich sehr interessiert. Man sieht darauf auch wieder, wie alles zerstört ist. Da ist man froh, wenn man nicht im Kriegsgebiet wohnt. Kannst Du nicht einmal ein Bild von dem Haus machen, in dem Du wohnst?

                                                                             11. September    

 Nun habe ich den Brief doch nicht weggeschafft. Du wirst mir deshalb nicht böse sein. Ich habe mich gestern Abend noch hingesetzt und verschiedene Briefe geschrieben. Die Durchschläge schicke ich Dir mit. Der Brief an Erna gefällt mir nicht so gut, aber was soll ich schon schreiben, ich kenne sie ja gar nicht.
Bei dem Brief an meine Eltern habe ich bei den Geburtstagsgeschenken von Dir nur Wolle für einen Pullover geschrieben. Ich möchte die anderen Geschenke von Dir nicht gern erwähnen, denn Du weißt, vor allen Dingen Papa wird gern ein bißchen neidisch und im übrigen, D u  weißt ja, wie sehr ich mich über alles gefreut habe. 
In dem Zeitungspaket von den Eltern waren Plaketten dabei, weißes und buntes Einfaßband bzw. Wäscheband, eine noch ziemlich gute dunkelblaue Bluse und eine Bluse von mir früher, wo aber die Motten drin waren; davon mache ich noch ein paar Puppenkleider. Ich hatte das in meinem Brief an Dich nicht erst erwähnt, weil es ja nichts Wichtiges war. Ich schreibe es heute nur, damit Du weißt, um was es sich handelt, wenn Du den Brief an die Eltern liest. 
½ 11 Uhr.     Soeben kam der Briefträger und brachte mir zwei Päckchen von Dir, eines mit Stoff und eins mit zwei Schürzen, Kaffee und Schokolade. Soll der Stoff für ein Kleid für mich sein? Er gefällt mir sehr gut. Ebenso die Schürzen. Die passen mir prima. Auch für den Kaffee und die Schokolade danke ich Dir.
Jörg ist gerade dabei, sich schon ein bißchen zu reiben, weil er so die bittere Schokolade nicht mag.  Eben sehe ich beim Durchlesen, daß ich mich ja noch gar nicht für die schönen Sachen bedankt habe.
Also, lieber Ernst, Du bist so ein lieber, lieber Kerl. Ich habe mich über alles sehr gefreut und möchte Dir recht, recht sehr danken.  Du siehst doch immer zu, daß Du mir viel Freude machst. Ich schaue mir die schönen Sachen immer wieder an. Ernst, Ernst, Du verwöhnst mich zu sehr. Du wirst es sehen, wenn Du einmal heimkommst, wie sehr ich verwöhnt bin. 
Heute regnet es immer noch sehr. Ich fahre nun gleich in die Stadt und schaffe auch den Brief gleich fort.  Sei mir bitte nicht böse, daß ich einen Tag nicht geschrieben habe. 
Nun, lieber Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mittwoch, 9. September 2015

Brief61 vom 9.9.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 9.Sept.40.

Heute kam Dein lieber Brief vom 3. September. Recht herzlichen Dank dafür. Nun bist Du also wieder umgezogen und nun wohnst Du ganz nobel. Ich glaube Dir gern, daß man sich in so großen Zimmern nicht recht heimisch fühlen kann.  Aber es ist so, wie Du schon schreibst, man nimmt es so mit hin, denn es ist ja schließlich Krieg.
Wenn Du Auto fahren lernen willst, so tue es nur. Es kann nie schaden, wenn Du es kannst. Später hast Du vielleicht nie mehr so gute Gelegenheit, das fahren zu lernen.
Dass Du Dich sehr ungeschickt anstellen wirst, glaube ich nicht. Es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen.  Ob Du nun gestern in  Paris warst?  Da werde ich ja bald Deinen Bericht erhalten. 
Heute schicke ich Zeitungen an Dich ab, zwei  1kg-Pakete und zwei gelbe Umschläge. Da hast Du ja auch wieder etwas zu lesen.  Gestern habe ich Dir ja nur einen ganz kurzen Brief geschrieben, aber ich hatte so einen schweren Kopf. Das muß von dem schwülen Wetter gekommen sein. Ich konnte gar keinen klaren Gedanken fassen. Aber schreiben wollte ich doch, damit Du nicht meinst, ich hätte nicht an Dich gedacht. Im Gegenteil, den ganzen Tag waren meine Gedanken bei Dir. Wenn meine Gedanken und Wünsche Dich herziehen könnten, da wärst Du gestern bestimmt gekommen, aber genau so auch heute.
Die Kinder beten abends auch schon immer „... und laß Vaterle bald mal auf Urlaub kommen.“ Du siehst, alle sehnen sich nach Dir. 
Heute früh hat es das erste Mal seit längerer Zeit geregnet. Nach der drückenden Hitze bisher tut das mal wieder ganz gut. Äpfel fallen jetzt immer ziemlich runter, heute wieder 5 Pfund. Es hängen aber noch viel oben. Das schöne ist jetzt, daß die Äpfel schon groß und süß sind. Da mache ich immer ein bis zwei Schüsseln Apfelmus und die übrigen essen wir roh oder ich backe Apfelkuchen. Ich habe Frau Nußbaumer auch schon welche gegeben und habe heute 1 ½ kg Holunderbeeren bekommen. Da habe ich ein gutes Rezept von einer Holunder-Apfel-Marmelade da, das versuche ich nun mal. Da gehören 1 kg Holunder, 2 kg Äpfel und 400 g Zucker dazu. Das ist praktisch. Mal sehen, wie‘s schmeckt.
Voriges Jahr hatten wir 20 Pfund Falläpfel und dieses Jahr bis jetzt 23 Pfund. Die Kinder essen auch viele Äpfel roh. Das ist ja gesund. Auch für die Zähne. Dadurch habe ich schon viel Geld für Obst gespart, denn bei unserer reichen Ernte kaufe ich nicht viel anderes. Du siehst also, hungern brauchen wir nicht.
Äpfel, Tomaten, Gurken, Kartoffeln haben wir selber. Jörg ißt am liebsten aufs Brot Tomaten oder Gurken. Da läßt er alles andere stehen. Durch unsere Ernte brauche ich nicht einmal alle Fleischmarken und kann Vater davon noch welche abgeben. Der freut sich jedes Mal sehr.
Ich suche ihm auch öfter mal ziemlich gute Äpfel raus, die er so essen kann, denn zum Apfelmus machen kommt er meist nicht. Auch Gurken habe ich ihm schon mitgegeben, nur von Tomaten will er nichts wissen. Die werden auch so bei uns alle.  Die Brombeerranken wachsen schrecklich, aber ich glaube, jetzt kann ich sie doch noch nicht verschneiden, denn es sind ja noch Beeren daran. Vielleicht kommst Du inzwischen doch noch einmal auf Urlaub und kannst mir noch einmal genau zeigen, was ich wegschneiden muß. 
Die Briefmarke, die Du in Deinem heutigen, das heißt, in Deinem Brief vom 3.9. mitgeschickt hast, hebe ich wieder mit auf.
Herr Kuster fragt auch, ob Du die 3 Sätze von Elsaß, Lothringen und „hab ich vergessen“ haben willst. Es sind je 16 Marken und kostet pro Satz 5,90 M. Ich habe gesagt, da frage ich Dich doch lieber erst.  Nun schließe ich wieder. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt.
Gerade wollte ich aufhören, da kam Dein lieber Brief vom 4.September. Du hast Besorgnis wegen der Fliegerangriffe. Inzwischen wirst Du ja meinen Brief mit Zeitungsausschnitten erhalten haben. In letzter Zeit haben wir wieder vollkommen Ruhe.
Du tust mir direkt leid, daß Du abends so viel mit Auto fahren, Reden hören, ins Theater und Kino gehen zu tun hast. Aber einesteils ist es ja gut so, da vergeht Dir die Zeit doch schneller. 
Wenn bei Euch die Hitze auch so groß war wie bei uns, kann ich mir gut vorstellen, daß Du in der Uniform nicht über Kälte zu klagen hattest. Wir haben ziemlich geschwitzt. 
Die Briefmarken werde ich Dir abweichen und, soweit ich es verstehe, in die betreffenden Länder reinlegen.  Auf die Päckchen, die Du mir wieder schicken willst, freue ich mich schon sehr, wenn ich auch immer wieder betonen will, daß es nicht nötig ist, daß Du mir immer was schickst. Du sollst auch keinen Mangel leiden, Du lieber, lieber Kerl.
Aber, wie gesagt, freuen tue ich mich doch schon fest auf die Päckchen.
Jetzt höre ich gerade im Radio das Wort Luxemburg und da fällt mir ein, daß der 3. Satz der Briefmarken von Luxemburg ist.  Lieber Ernst, ich danke Dir für den Brief vom 4.9. recht sehr und grüße und küsse Dich aber wirklich ganz herzlich Deine Annie.


Dienstag, 8. September 2015

Brief 60 vom 7./8.9.1940


Mein lieber Ernst!                                                Konstanz, 7.Sept. 40.

Nachdem ich gestern Deinen lieben Brief vom 2. September erhielt, kam heute der vom 31. August. Recht vielen Dank dafür. 
Du schreibst, ob ich, nachdem ich Dir die M 40.- geschickt habe, noch Geld habe, wenn Du einmal auf Urlaub kommst. Ich weiß ja nicht, wann Du kommst. Am 15. bekomme ich ja wieder Geld, außerdem habe ich doch für alle Fälle ein paar Mark auf der Sparkasse. Im Übrigen kämst Du ja, wie Du schreibst, auch nicht ganz mittellos. Wenn Du nur heute schon kämst, das wäre mir schon recht. 
Du schreibst von den französischen Kriegsgefangenen, daß sie so schlampig aussehen. Das ist bei den Gefangenen, die hier sind, genau so. Die Franzosen sind scheinbar überhaupt nicht sehr ordentlich. 
Ihr habt ja schöne Umstände mit dem Wasser in Eurer Wohnung gehabt. Das macht Freude, wenn einem schon das Wasser an der Haustür entgegen läuft. Es darf Euch eben nicht zu wohl werden. Recht hast Du gehabt, als Du schreibst, daß Du mich schon lachen siehst.  Lachen habe ich schon müssen, vor allen Dingen, wenn ich mir Deinen Sprung in die Küche vorgestellt habe und wie Ihr Euch an die Aufräumungsarbeiten gemacht habt. Das wird Euch ja besondere Freude gemacht haben. 
Das mit Eurem Wirt ist ja wieder interessant. Die Franzosen wollen uns doch immer wieder betrügen. Es wird ihnen nur nicht gelingen. 
Heute erhielt ich von den Eltern Zeitungen und einen Brief mit 8,-Mk., 5,- für mich und 3,-  für Helga.
Dann kam eine Karte von Alice und ein Brief von Irma Seifert. Der Alfred ist seit 24.6. auf der „Insel Borkum“ bei der Marine-Artillerie. In der Nacht von Sonntag auf Montag, als wir Alarm hatten, sind über Lindenberg auch englische Flieger gewesen. Irma schreibt, sie hätten immer so viel zu tun gehabt, sie hätten uns aber nicht vergessen, wenn sie auch nicht geschrieben haben.
Nun will ich Dir noch vom Geburtstag erzählen. Gestern Abend haben die Kinder noch was für mich gekauft, was sie mir aber nicht gesagt haben. Dann haben sie in der Stube den Geburtstagstisch aufgebaut und ich durfte nicht mehr ´nüber. Heute früh haben sie mir nun gratuliert. Helga sagte, sie gratuliert mir zum Geburtstag, daß ich immer gesund bleibe und daß ich immer an Dich schreibe und an Dich denke. Jörg hat mir auch Gesundheit gewünscht und daß ich mich über alles freue, was sie mir geschenkt haben.  Dann sind wir in die Stube. Da hatten sie alles geordnet. Die Bügel hatten sie hingelegt und die Wolle von Dir. In das geschenkte Netz hatten sie ein Pfund Äpfel getan und auf einen Teller Eierpflaumen. Ich hatte mir selbst eine Schachtel Pralinen gekauft. Die haben sie dazugestellt, auch die Datteln, die ich noch bekommen konnte bei Tengelmanns.  Ganz vorn hatten sie die kleinen Holzfiguren von WHW hingestellt, die Schornsteinfeger, Bergleute usw. Ich habe mich sehr gefreut.
Heute schicken wir Dir eine kleine Kostprobe von unseren Geburtstagen. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht freust Du Dich doch ein wenig. In den nächsten Tagen schicke ich Dir auch wieder Zeitungen mit. Ich lese die, die Dich am meisten interessieren, nur noch schnell durch.  Übrigens über die Zigarren, die Du für Vater gekauft hast, wird er sich sicher freuen. Er raucht jetzt öfter mal eine. 
Kurt hat immer noch nicht geschrieben. Ich bin gespannt, ob er an meinen Geburtstag gedacht hat und ob wenigstens eine Karte kommt. Wir wissen ja noch nicht einmal seine Adresse. 
Nun lieber Ernst, schließe ich für heute wieder.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Geburtstagskind Annie.

 Lieber Ernst! 7.September 40.                                                   
Das ist ein kleiner Gruß von unseren Geburtstagen.
Laß Dir alles gut schmecken. Viele Grüße und Küsse von Annie, Helga und Jörg.

Mein lieber, lieber Ernst!                                             Konstanz, 8.Sept. 40                                                                  
 Nun ist mein Geburtstag auch vorbei. Gefeiert haben wir ihn ja nicht, aber ich habe immer an Dich gedacht. Wenn Du nur bald einmal Urlaub bekämst.  Ich meine immer, in der nächsten Minute klingelt es und Du bist da. Du, mein lieber Mann. 
Gestern Abend kam Vater kurz rauf und schenkte mir 3,-Mk. zum Geburtstag.
Von Siegfried kam heute ein Brief. Er schickte acht solche Karten mit, wie ich Dir heute schreibe. Drei Stück mit dem Völkerschlachtdenkmal, drei mit dem Dresdner Zwinger , eine mit Burg Kriebstein und eine mit der Albrechtsburg und dem Dom in Meißen. Sie sehen ganz nett aus. Siegfried schrieb, ich könnte sie sicher für Dich verwenden.
Offene Karten schreibe ich an Dich ja nicht gern, denn es braucht ja nicht jeder zu lesen, was ich Dir schreibe. 
Heute sind wir einmal nicht fortgegangen, sondern ich habe mich einmal ausgeruht. Es war heute wieder ziemlich heiß und jetzt steht ein Gewitter am Himmel. 
Du wirst sicher wieder viel Flugzeuge gesehen haben, nachdem jetzt die großen Angriffe auf London stattfinden.
Wir haben jetzt die ganze Zeit Ruhe gehabt.  Wo wirst Du heute sein? Ob Ihr wieder fortgefahren seid? 
Die Augen von Helga und Jörg sind schon etwas besser geworden. Die Kinder springen heute auch wieder fest draußen herum. Sie sind bei Steinmehls drüben und spielen Mutterles. 
Nun mein lieber, guter Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie, die immer an Dich denkt.

Sonntag, 6. September 2015

Brief 59 vom 5./6.9.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 5.Sept. 40.

 Heute ist nun Helga‘s Geburtstag. Sie hat an ihren Geschenken große Freude. Von Siegfried ist eine Karte und RM 2,- gekommen, von Vater hat sie 2,50 erhalten und die Eltern haben geschrieben, daß sie am 3.9. ein Zeitungspaket weggeschickt haben und daß darin auch etwas für Helga ist.
Ganz glücklich ist der Tag nicht verlaufen, denn Helga hat heute früh ein mächtig entzündetes Auge gehabt, so daß ich sie nicht in die Schule gelassen habe. Auch Jörg‘s Auge ist wieder entzündet und beide müssen jetzt fest Kamillenumschläge machen. Ich glaube, das kommt daher, weil sie dauernd in dem zugigen Hausflur rein und raus rennen. Aber Du weißt ja, da kann man reden was man will, immer müssen sie mal das, mal jenes Spielzeug holen. Na, wir werden schon sehen, daß wir‘s so bald als möglich wieder weg bekommen. 
Die Geburtstagfreude selbst ist ja bei Helga nicht getrübt, im Gegenteil, da sie nun nicht in die Schule muß, kann sie den ganzen Tag bei ihren Sachen sein. 
Lieber Ernst! Heute ist Dein zweites Päckchen mit Wolle gekommen. Die ist aber schön, die gefällt mir auch ausgezeichnet. Recht vielen, vielen Dank. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Einen Brief habe ich heute nicht erhalten, aber am Sonntag, als Du in Gent warst, wirst Du ja keinen geschrieben haben und den Brief vom 31.8. habe ich ja gestern erhalten. 
Die Kinder haben mir auch schon etwas zum Geburtstag gekauft. Ich habe mir etwas wünschen dürfen. Sie haben mir nun von ihrem Geld ein Einkaufsnetz und vier Bügel gekauft. Das Netz habe ich gut brauchen können, nachdem ich ja das andere schon seit langer Zeit nur für Kartoffeln verwende und die Bügel habe ich benötigt, da ich ja jetzt ziemlich viele neue Sachen habe. Die Kinder wollen mir am Samstag selber einen Geburtstagstisch aufbauen. Ich freue mich sehr über ihren Eifer. 
Es ist heute wieder sehr heiß und nachdem ich gebügelt habe, ist in der Küche eine große Hitze, direkt ungemütlich.
Gestern habe ich noch die 6 oberen Reihen Erdbeeren umgegraben. Der gesäte Spinat und Salat kommt schon raus. Es ist ja auch noch warmes Wetter. 5 Pfund Äpfel haben wir wieder aufgelesen. 
Vater hat wieder jeden Tag nach Mottenmaden gesucht und hat schon ein paar Tausend hingemacht. Gestern hat er mal das eine Unterbettkissen im Bett von Kurt aufgemacht, (denn in dem Bett sind die Maden alle gewesen) da hat es direkt drin gewimmelt. Jetzt hat er das ganze Kissen genommen und hat‘s überbrüht. Vielleicht bekommt er jetzt Ruhe. 
Nachdem es schon wieder ¾ 5 Uhr ist will ich schließen.
Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Mann !                                              Konstanz, 6.Sept. 40. 

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 2.Sept. über den ich mich wieder sehr gefreut habe.
Daß Du Dir Deinen Ärger über Deine Kollegen von der Seele geschrieben hast, schadet gar nicht. Ich habe mich damals auch sehr geärgert z.B.  wenn der M. erzählt, die Soldaten hätten vielmals gar nicht kämpfen brauchen, die Franzosen wären mit erhobenen Händen  angesprungen gekommen, dadurch hätten viele Kompanien gar keine Verluste. Meines Erachtens rühren unsere verhältnismäßig geringen Verluste von unserer neuen Kampfesweise her und von unseren vorzüglichen Waffen.
Ach weißt Du, die haben noch viel so Blödsinn erzählt. Man ärgert sich ganz unnötig, solche Kaffern sind doch nicht zu belehren. Ja, weißt Du, wenn man noch die saudummen Gesichter dazu sieht. Jedenfalls haben unsere Soldaten Großartiges geleistet und die haben inzwischen zu hause gesessen. Das wäre ja nicht schlimm, wenn sie dann ihren Mund halten würden. Na, Schluß damit. Wegen mir brauchst Du Dir keine Sorge zu machen, ich lasse mich durch dummes Geschwätz nicht beeinflussen. Daß ich Dir Vertrauen entgegenbringe, ist doch selbstverständlich, denn Du bist doch mein Mann und ich habe Dich lieb. Was die Leute da reden ist mir gleich. Ich weiß ja, daß Du nie lügst und wenn Du uns nicht lieb hättest, würdest Du mir auch nicht so liebe Briefe schreiben.  Dein Bericht hat mich wieder sehr gefreut. Da hast Du doch unseren Hochzeitstag gut verbracht, denn Du schreibst ja, daß dies einer Deiner schönsten Nachmittage dort war. 
Gestern abend war Vater da. Ich habe ihm Deine Briefe vorgelesen. Da sind wir dann auch an die Stelle gekommen, wo mein Vater geschrieben hat, Du solltest ihm Kaffee schicken. Da haben wir uns dann von meinen Eltern unterhalten und wie wir hier her gekommen sind usw. Da hat Vater dann zu mir gesagt: “Nicht, das hättest Du früher auch mal nicht gedacht, daß wir uns noch so gut verstehen würden?“ Dann hat er sich gewissermaßen entschuldigt, daß er erst nicht ganz mit mir einverstanden war.
Ich muß sagen, Ernst, ich habe mich sehr darüber gefreut, daß ich jetzt doch sehe, daß er nichts mehr gegen mich hat und daß ich richtig zur Familie gerechnet werde. Ich muß übrigens sagen, daß Vater wirklich alles tut, was in seinen Kräften steht. Er kommt öfter mal rauf und unterhält sich mit mir, damit ich nicht ganz allein sein soll. Ich hatte jetzt oben am Rücken, wo die Schulterblätter anfangen, gerade am Rückgrat ein Geschwür. Das war sehr schmerzhaft und ich habe gar nichts machen können, weil ich es nur durch den Spiegel sehen konnte. Da hat er sich auch erboten, es aufzumachen, trotzdem das ja gerade nichts Schönes ist.
Vorgestern hat er mich ziemlich quälen müssen. Etwas Eiter war noch drin, da haben wir noch ein Zugpflaster drauf gemacht und gestern Abend hat er alles raus gebracht. Das war ein ziemliches Loch. Er hat die Wunde nie so mit den Händen berührt, sondern immer nur mit Mulläppchen. 
Heute war ich auch mit den Kindern bei Dr. Plocher wegen den Augen. Bei Helga gibt es wieder ein Gerstenkorn. Sie hat Salbe verschrieben bekommen und Abends muß sie eine Stunde warme Umschläge machen. Bei Jörg hat man das wilde Fleisch rausgeschnitten. Da muß ich abends auch Salbe mit einem Glasspachtel einschmieren. Der Doktor sagt, es kann sein, daß man´s nochmals wegschneiden muß, wenn es wieder nachwächst.
Nun muß ich Dir auch noch schreiben, wie wir gelobt worden sind. Dr. Plocher hat gesagt, er müßte mir zu meinen Kindern gratulieren, so verständig und brav seien sie, sie hätten nicht geschrien und der Bub hätte nicht einmal gezuckt, als er geschnitten wurde. (Das Auge war örtlich betäubt, aber trotzdem stellen sich Kinder manchmal schlimm an). Den Kindern wäre aber auch zu ihrer Mutter zu gratulieren, denn ich hätte überall zugesehen, es gäbe viele Frauen, wenn er zu denen sagte, sie sollten die Kinder auf den Schoß nehmen und zusehen, wenn sie geschnitten werden, so wehrten sie sich und sagte, so etwas können sie nicht sehen. (Gegen damals, als Helga genäht wurde, war es aber gar nicht schlimm anzusehen.)
Ich bin aber der Meinung, man soll auch Dingen, die nicht so ganz leicht sind, nicht feige aus dem Weg gehen, sondern sehen, ob man´s nicht schaffen kann. Eigentlich ist es ja nicht ganz recht, daß ich Dir das Lob über mich auch mitgeschrieben habe.
Heute haben Helga und ich zum Geburtstag eine Glückwunschkarte von Erna bekommen. Ich soll Dich auch grüßen.
Früh morgens haben wir schon öfter dicken Nebel. Tagsüber hellt es sich dann aber meist auf und es wird sehr warm. Ich muß jetzt jeden Tag auf Raupenjagd gehen, sonst fressen einen die Viecher kahl. Aber schöne Köpfe Weißkraut hat es schon.  Prima. Das gibt Sauerkraut.  Nun habe ich heute aber viel geschrieben, nicht wahr? Nun ist aber auch Schluß.
Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.