Mittwoch, 12. August 2015

Brief 50 vom 18./19.8.1940


Mein lieber Ernst!                                                                      Konstanz, 18.8.40.

 Nun vergeht auch der Sonntag, ohne daß ein Gruß von Dir eingetroffen ist. Nachdem Du mir nun befohlen hast, daß ich nicht ungeduldig werden und mir auch keine Sorgen machen soll, muß ich ja wohl gehorchen? Meinst Du nicht auch?  Heute früh habe ich die Briefmarken von Herrn Kuster geholt, die ich doch bestellt hatte. In ein paar Tagen kommt noch die von Helgoland mit Sonderstempel. Jetzt soll ich Dich fragen, ob Du die Marke mit dem Stempel „Begegnung Hitler-Mussolini“ willst und die Rote-Kreuz-Marke Böhmen-Mähren. Herr Kuster hat mir die Umschläge in einen Umschlag getan, auf dem ein Zusammendruck einer 8 + 12 Pfennig Marke ist und er hat mich beschworen, den Umschlag ja nicht wegzuwerfen, denn die Marken würdest Du sicher sammeln.
Heute früh erhielten wir ganz überraschend Besuch von Kurt. Er hat bis morgen Nachmittag Sonderurlaub. Er ist jetzt nur ein paar Stunden von hier. Also nicht in seinem früheren Ort. Er war nur ein paar Minuten bei uns und ist dann runter zu Vater.  Gestern habe ich noch an die Eltern und an Elsa Legler geschrieben. Die Durchschläge schicke ich Dir heute mit. 
Du wirst Dich sicher wundern, daß heute der Umschlag mit der Maschine geschrieben ist. Eigentlich sollte der Umschlag für meine Eltern sein, aber ehe ich mich‘s versah, stand Deine Adresse auf dem Umschlag. Das kommt davon, weil ich immer an Dich denke. 
Es ist jetzt 12 Uhr. Eben war Kurt wieder einen Moment da. Die Kinder geben ihm eben das Geleit bis zur Paula runter, wo er zum essen geht. Helga hat ihn schon gefragt, ob er nicht mit baden gehen würde. Wenn er keine Badehose hätte, sollte er halt Unterhosen anziehen, das ginge auch. Ich weiß noch gar nicht, ob wir zum baden gehen, denn ich kann leider nicht baden. 
Das muß ich Dir auch noch erzählen. Heute früh beim Frühstück sagt Helga auf einmal: Weißt Du Mutterle, ich möchte jetzt nicht sterben, weiß Du warum? Dann schreibt Vaterle ganz umsonst einen Brief an uns und das tut mir leid.“ Ist sie nicht sehr besorgt um Dich? Auf das sterben ist sie deswegen gekommen, weil durch Bomben mehrere Zivilpersonen getötet worden sind, wie es im Heeresbericht heißt. 
Ich freue mich schon auf den nächsten Brief von Dir.  Die Tage sind einfach noch mal so schön, wenn ein Gruß von Dir kommt. 
Die Hauptsache habe ich doch noch vergessen, jedenfalls würde Herr Kuster entsetzt sein, daß man sowas vergessen kann. Es kommen jetzt Marken heraus (oder sind es Stempel) „Deutsche Post Belgien“, auch von Holland und Lothringen. Wenn Du nun wenigstens von Belgien die Marken bekommen könntest, wäre Dir Herr Kuster sehr dankbar. Als ich heute früh 5 Minuten drüben war, hat er mir alle seine Marken erklären wollen. Mir schwirrt jetzt noch der Kopf. Das war auch noch lustig. Ich bin ziemlich leise ins Haus bei Kusters gegangen, damit die alte Frau Kuster nicht weiß, wer kommt. Und siehe da, ich war kaum ein paar Minuten oben, schon kam sie rauf und guckte, wer da war. Aber so was von Neugierde. Ich hätte bald losgelacht. 
Nun will ich schließen, lieber Ernst, denn es ist Essenszeit. Sei nun recht  herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Mann!                                                                  Konstanz, 19.8.40.

Hab ich Dir‘s nicht gestern geschrieben, wenn man 3 Tage so brav, ohne ungeduldig zu werden, auf Post wartet, muß man doch belohnt werden. Und siehe da, heute kam ein Brief von Dir, und zwar vom 13.8., nachdem der letzte, den ich erhielt, vom 9.8. war. Also fehlen sicher inzwischen noch welche. Das geht auch daraus hervor, daß Du schreibst „....trotz der wesentlichen Herabsetzung unserer Einkünfte ...“ usw. Davon weiß ich noch gar nichts. Das wird sicher in den anderen Briefen stehen.
Gefreut habe ich mich, daß ich wieder einen Gruß von Dir erhalten habe. Du fragst, wo wir den französischen Rotwein her hatten. Ja, da staunst Du, den hat Siegfried aus Frankreich mitgebracht, eine 1 Ltr.-Flasche. Wir wollten Dir natürlich nicht den Verbrauch damit  schmälern, aber was hilft das jetzt, getrunken ist er nun schon.  Du ziehst ja in Deinen Arbeitsräumen vielmals umher. Wenn Ihr nun ein Haus für Euch mit Beschlag belegt, werdet Ihr ja ganz vornehm. 
Vorhin 13.20 haben wir Kurt an den Petershauser Bahnhof gebracht. Er mußte mit dem Personenzug fahren, wenigstens eine Teilstrecke und dann Schnellzug bis Karlsruhe, wo er jetzt ist. Er hat nun heute Vater gleich noch gratulieren können. Wir drei gehen gegen ½ 6 Uhr runter. Deine Päckchen sind leider noch nicht angekommen, so daß ich die Zigarren ihm nicht geben kann. Ich habe ihm eine Flasche Weinbrand gekauft. Dann nehmen wir noch Blumen mit. 
Ich habe heute im Garten 7 Pfund Kartoffeln, 2 ½ Pfund Tomaten und Falläpfel geholt. Jetzt merkt man aber, daß Herbst wird. Überall wird es schon gelb, die Bohnenblätter, Gurkenblätter und auch die Kartoffeln werden welk. Heute ist es noch dazu windig und trüb. Es sieht schon richtig herbstlich aus. 
Gestern Nacht hatte es Alarm. Wir runter in den Keller.  Dann hat sich‘s rausgestellt, daß bei uns gar kein Alarm war, sondern daß man die Schweizer Sirenen so deutlich gehört hat. So im Halbschlaf hat man das gar nicht unterscheiden können, beim Entwarnen haben wir´s dann gehört. Da sind wir wegen den Schweizern aus den Betten geholt worden. Die Flugzeuge hat man aber ganz deutlich gehört.  Von Siegfried habe ich von einer Dienstreise eine Karte aus Berlin erhalten. 
Es ist jetzt ¼ 5 Uhr. Ich hatte noch gewartet, ob die Päckchen vielleicht doch noch kommen.  Es war aber nichts. Eben habe ich wieder 3 Pfund Brombeeren geholt. 
Lieber Ernst!  Wenn wir immer wieder Besuch bekommen, wie jetzt von Kurt, bekomme ich immer größere Sehnsucht nach Dir. Ich stelle mir dann immer vor, wie wunderschön es wäre, wenn Du da wärst. Ich habe Dich ja so lieb, mein lieber, lieber Ernst.  Für heute will ich schließen, denn, nachdem ich den Brief weggeschafft habe, wollen wir zum Vater runter gehen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen