Mittwoch, 12. August 2015

Brief 47 vom 12./13.8.1940


Lieber Ernst!                                                                            12.Aug,40.

Heute früh erhielt ich Deinen lieben Brief vom 6.8. und die Zeitung. Es tut mir sehr leid, daß ich Dich mit meinem Schreiben vom 31.7. so verärgert habe, daß Du mir den Standpunkt so klar machen mußtest. Ich glaube zwar, daß Du das, was ich geschrieben habe, falsch aufgefaßt hast, denn Du mußt nicht glauben, daß ich mich über die Päckchen nicht gefreut habe. Im Gegenteil, meine Freude ist darüber immer sehr groß. Mein Fehler ist nur, daß ich immer gleich so Sorge um Dich habe und dadurch war meine Freude etwas gedämpft. Vielleicht habe ich mich nun wieder falsch ausgedrückt, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst schreiben soll. Ich werde nun versuchen, mir meine übergroße Sorge um Dich etwas abzugewöhnen. Den Kopf hast Du mir wirklich gründlich gewaschen und ich fühle mich ziemlich zusammengestaucht. Ich werde mir Mühe geben, daß ich Dir in Zukunft nicht mehr mit Klagen das Leben schwer mache.  Ich schicke Dir heute wieder einige Zeitungen zu.  Laß mich nun für heute schließen und sei bitte nicht mehr über mich verärgert. Es war wirklich nicht meine Absicht, Dich zu ärgern und Du kannst mir wirklich glauben, daß ich mich über Deine Päckchen immer sehr freue. Beweisen kann ich es Dir ja jetzt nicht, Du mußt es mir eben so glauben.  Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

 Mein lieber, lieber Ernst!                                                         Konstanz, 13.8.40. 

Heute traf Dein lieber Brief vom 5.8. ein. Dieser Brief ist so lieb geschrieben. Ich kann nun erst richtig ermessen, wie Du Dich über meinen Brief vom 31.7. geärgert haben mußt, daß Du mir am nächsten Tag so den Kopf gewaschen hast. Du hast mir in Deinem Brief vom 5.8. so viel Lob ausgesprochen. Hättest Du das am nächsten Tag nicht gern rückgängig gemacht, nachdem ich Dich so geärgert habe? Ich schicke Dir heute noch einen Brief mit, der mein Verhalten vielleicht etwas erklärt. Als ich den Brief vom 5.8. vorhin gelesen habe, war ich schon ganz glücklich, daß Du mir nicht mehr böse bist, bis ich dann gesehen habe, daß der andere Brief ja vom 6.8.  ist, also von einem Tag später. Ich hoffe aber, daß Du mir, bis Du diesen Brief erhältst, nicht mehr böse bist, denn das macht mich ganz unglücklich. 
Nun will ich Deinen Brief noch beantworten.  Die Kakteen haben mich nicht so zerstochen. Ich sehe immer viel zerkratzter aus, wenn ich mit den Brombeeren zu tun habe. Ich bin froh, daß Du Dich über meine Arbeit an den Kakteen gefreut hast. In der Wohnung haben wir noch nicht viele Schnaken. Nur, wenn ich Äpfel suche, kommen sie aus den Kartoffelstauden scharweise herausgestürzt. 
Es hat mich gefreut, daß Du mir schreibst, daß Dich die Bilder in der Wochenschau so weich gestimmt haben. Sehe ich doch auch hieraus wieder, daß Du an uns hängst.  Es ist schön von Dir, daß Du die Pralinen so ohne Widerrede gegessen hast. Du sollst doch auch Deinen Anteil haben, denn wenn Du auch nicht hier bist, so gehörst Du doch noch genau so zu uns. 
Im Garten habe ich gestern auch wieder geschafft. Unkraut habe ich von den Erdbeeren entfernt und einen Teil der Ausläufer abgeschnitten. Dann habe ich das Erbsenreisig neben den Gurken entfernt. Da haben jetzt die Gurken mehr Platz. Raupen habe ich auch wieder ein paar abgelesen. Das Kraut macht sich fein heraus. 7 Pfund Rhabarber habe ich nochmals geerntet, den mache ich in Flaschen ein. Auch 15 große Gurken habe ich rübergeholt, da mache ich Senfgurken. Gestern hat es auch wieder 3 Pfund Falläpfel und 3 ½ Pfund Tomaten gehabt. Bei Tag essen die Kinder jetzt öfter Tomaten ohne Brot. Bohnen will ich auch noch einmachen. Ich würde mich ganz gern einmal ausruhen, aber ich habe es vorige Woche gesehen, als Siegfried da war. Wenn man ein paar Tage alles liegen läßt, muß man hinterher doppelt so viel schaffen. Die Gurken werden gelb und die Bohnen hart, wenn man sie nicht rechtzeitig erntet und verwertet. Im Winter ist man wieder um alles froh.
Das Strickzeug habe ich, solange jetzt Hochdruck ist, weggelegt. Mit Mutwillen will ich mich nicht kaputt machen. Am Sonntag hätte ich mich ausruhen sollen, da hat aber das baden so gelockt. 
Inzwischen wirst Du ja den Brief von Helga erhalten haben. Ich habe ihr ja nicht mit geholfen. Als ich den Brief durchgelesen habe, habe ich mich freuen müssen. Er ist doch lieb geschrieben. Die Ferien bekommen Helga gut. Sie fürchtet sich vor der Schule wegen ihrer Handarbeitslehrerin. Die ist scheinbar ziemlich grob. Helga und Jörg sind den ganzen Tag im Freien, nur zum essen sehe ich sie obern. Das ist ja auch richtig so, in der Stube können sie den ganzen Winter sitzen. 
Wolle gibt es ja hier auch noch. Ob es reine Wolle ist, kann ich ja nicht sagen. Wenn Du aber welche kaufen kannst, bin ich natürlich nicht böse. Vielleicht ein schönes blau, nicht zu dunkel. Ich würde sie evtl.  zu einer Strickjacke oder Pullover verwenden. 
Gestern erhielt ich von Erna einen Brief. Ich hatte bei einem Brief, den Siegfried geschrieben hat, etwas mit drunter geschrieben, darauf antwortet sie mir. Ich schicke Dir den Brief später mit.  Ich muß Dir leider mitteilen, daß meine Ersparnisse an Wirtschaftsgeld durch den Garten nicht sehr groß sind. Nicht, daß ich an und für sich keine Ersparnisse dadurch hätte, aber ich gebe das Geld für andere Sachen wieder aus und zwar für Obst. Ich trinke ja nun keinen Wein, dafür bin ich aber ganz wild auf Obst, jetzt vor allen Dingen Pflaumen.  Wahrscheinlich werde ich auch noch ein paar sterilisieren. Du siehst also, von Einsparen ist da bei mir keine Rede. Nun lieber Ernst, will ich schließen.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt und denke in Liebe und ohne Ärger an Deine Annie.

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