Mittwoch, 12. August 2015

Brief 49 vom 16./17.8.1940


Mein lieber, lieber Ernst!                                                     Konstanz, 16.8.40.

Ich habe es ja gestern gleich geschrieben, man soll nichts beschreien. Gestern schrieb ich, daß mich die Post pünktlich mit Deinen Briefen versorgt und heute ist es schon aus. Na, das ist ja nicht weiter schlimm, denn Du hast ja auch schon öfter warten müssen. Ich weiß ja, daß Du an mich denkst, bzw. an uns denkst. Denn unsere zwei Burzels gehören ja schließlich dazu.  Wenn es Dich nicht langweilt, will ich Dir heute wieder schreiben, wie der Tag bisher verlaufen ist.
Erst einmal von gestern. Wir sind in die Stadt gegangen und haben für die Kinder je 1 Paar Schuhe gekauft. Erst wollte ich Holzschuhe kaufen, wie ich sie ungefähr habe, aber dann haben wir die anderen gesehen , die es auch ohne Bezugschein gibt und haben die genommen. Ich lege eine Abbildung bei. Das Oberteil ist Leder, die Sohle Gummi. Die Holzklepperle, die ich ihnen schon früher gekauft hatte, waren nicht so gut. Sie sind aller zwei Minuten auseinander gegangen. Holzschuhe sind da schon bedeutend besser.  Aber die wir jetzt haben, die halten, glaub ich, auch sehr gut. Der Preis ist Mk.  3,90 pro Paar. Dann haben wir für den Winter für beide Trainingsanzüge gekauft. Da habe ich wieder einmal die Kinder ein bißchen versorgt, bei mir besorgst Du das ja, indem Du mir so schöne Sachen schenkst. 
Heute Vormittag habe ich Pflaumen und 2 Gläser Brombeeren sterilisiert. Den Garten habe ich nun eben ein paar Tagen hängen lassen müssen, aber sterilisieren ist für den Winter auch wichtig. Morgen will ich wieder nach den Bohnen sehen und werde wahrscheinlich noch einen Topf Salzbohnen einmachen. Es hat doch noch ziemlich Bohnen dieses Jahr gegeben. Bis jetzt habe ich von Stangen, Busch  und halbhohen Bohnen zusammen 41 Pfund geerntet  Tomaten hat es bisher 18 Pfund gehabt und 39 Pfund Falläpfel. Gestern habe ich noch das Bohnenkraut geerntet und Pfefferminzblätter habe ich zu Tee abgemacht. Himbeerblätter will ich auch noch abmachen.  Jörg fragt schon immer, ob Du schon sein Päckchen hast und ob Du Dich gefreut haben wirst.
Nun will ich Dir noch was erzählen, zum Beweis, daß Helga nicht gerade schüchtern ist. Wir wollten in die Stadt gehen, sie fragt mich, ob sie schön aussieht. Ich sage, nein. Drauf Helga, „da hast Du mich nicht schön angezogen“. Ich sage, das liegt nicht am anziehen, wenn Du nicht schön bist, kannst Du nicht schön aussehen. Da sagt Helga: „Ha wohl, ich habe halt ein bißchen ein freches Gesicht, aber schön bin ich deswegen doch“. Dabei hat sie mich so von der Seite angesehen, daß ich direkt habe loslachen müssen.
Was sagst Du nun? So eine Einbildung. Jörg gibt ja weniger auf Schönheit, der sieht immer lieblich verschmiert und dreckig aus, wenn Feierabend ist. Das ist aber auch ein richtiger Raudi geworden. das eine schöne ist nur, daß er mir‘s sagt, wenn er was angestellt hat. Helga sagt auch immer, weißt, da kann ich Dich gar nicht mehr angucken, wenn ich Dir nicht gesagt habe, daß ich bös war. Das  freut mich immer wieder.  Nun will ich für heute schließen. Es interessiert Dich doch sicher, wenn ich Dir von unseren Kindern erzähle?  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Lieber Ernst! Ich schicke Dir heute noch 3 Bilder mit, ich habe sie gerade geholt. Die übrigen Bilder sind meist von Siegfried und da ist etwas Licht reingekommen, da habe ich gar keine Abzüge machen lassen.


 Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz. 17.8.40. 

Nun habe ich den zweiten Tag keinen Brief von Dir. Ich will aber den Tag nicht vorüber gehen lassen, ohne Dir wieder einen Gruß zu senden. Viel weiß ich ja heute nicht zu schreiben, denn Du weißt ja, der Samstag ist so ein Schafftag, der geht immer rum mit putzen, backen, kochen und einkaufen. So ist es auch heute wieder. Vorgestern habe ich wieder einmal unsere Räder vorgenommen und habe sie geputzt und geölt. Das gehört auch wieder mal dazu. Deinen Fahrradschlüssel habe ich übrigens wiedergefunden. Er war in der Tischlade verkramt. Wo allerdings der zweite Schlüssel ist, das weiß ich nicht.  Heute ist wieder sonniges Wetter. Wenn es morgen noch so ist, gehen wir wieder baden.
Heute Abend werde ich noch Bohnen zu Salzbohnen abnehmen. Langweilig wird es mir nicht, ich habe immer zu tun und das ist mir gerade recht. Du wirst ja jetzt um diese Zeit, es ist ½ 4 Uhr, auch noch schaffen.  Was sagst Du zu den großen Erfolgen unserer Luftwaffe? Es ist gut, daß die Engländer auch mal den Krieg zu spüren bekommen, nur tut einem jedes eigene Flugzeug, das abgeschossen wird, leid.
Lieber Ernst! Dieses Jahr ist es eigentlich seit längerer Zeit das erste Mal, daß wir den Sommer nicht mit den Rädern fortgefahren sind.  Wir haben doch immer schöne Fahrten gemacht. Nach dem Mindelsee, um den Überlinger See, oder mit dem Zelt nach Wangen. Davon reden die Kinder noch oft. Und wo wir nach Bregenz gefahren sind. Abends die Eiltour nach Meersburg. Weißt Du noch?  Die Erinnerung bleibt uns doch. Wann werden wir alle zusammen nach dem Haldenhof fahren können?
Wir wollen fest glauben, daß es wieder einmal so schön wird, wie die vergangenen Jahre.  Wir merken hier fast nichts vom Krieg. Es ist ein Sommer wie im Frieden und hungern haben wir noch nie müssen. Nur die Trennung von Dir ist das Schwere, aber wir hoffen ja alle, daß wir uns gesund wieder sehen. 
Als ich mich übrigens mit Siegfried unterhalten habe, habe ich davon gesprochen, daß wir uns nach Polen gemeldet hätten, da war Siegfried ganz entsetzt und hat gesagt, um Himmelswillen, nicht nach der Dreckpolakei, da wird man verrückt, so was trostloses und dreckiges. Der hat so genug von Polen.
Ich sagte ihm, daß wir ja nun nicht mitten nach Polen wollten, aber es war nicht mit ihm zu reden, er sagte dauernd: Hör mir auf mit Polen, wenn ich schon Polen höre.
Jetzt denken wir ja auch nicht an Polen, sondern denken erst einmal an unser späteres Wiedersehen, nicht wahr, mein lieber, lieber Mann?  Nun schließe ich für heute und hoffe, daß morgen ein lieber Gruß von Dir eintrifft. Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen