Mittwoch, 25. Januar 2017

Brief 277 vom 23./24./25.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz , 23.1. 42                                   

Heute kam Dein lieber Brief vom 17. 1. Er ist also auch ziemlich lange unterwegs gewesen.
Ja, unsere Kinder haben nun die erste Woche wieder Schule. Bei Jörg geht es ziemlich vorwärts. Er lernt jetzt schon die großen Buchstaben. Bei Helga ist es so, daß sie alles noch einmal überholen müssen, da sie ja eine neue Lehrerin bekommen haben, die muß sich nun erst überzeugen, was sie schon können.
Mit dem Schreiben klappt es bei Helga immer noch nicht so. Das lateinische liegt ihr einfach gar nicht. Ich bin gespannt, ob es bei Jörg auch mal so wird.
Jetzt bei der großen Kälte ist es ja kein Vergnügen, den Schulweg zu gehen. In der Schule ist es auch nicht gerade so warm. Wenn sie wieder zuhause ankommen, sind sie ganz verfroren, vor allem die Füße sind eiskalt. Heute haben wir bereits 16 Grad Kälte.
Ich muß nachher auch noch fort zum einkaufen. Mir graust es schon. Da kann man sich vorstellen, wie es unseren Soldaten zu Mute ist, wenn sie bei noch größerer Kälte im Freien sein und oft auch kämpfen müssen.
Du hast recht, für uns alle wäre es nichts, längere Zeit ohne Betätigung zu sein. Wir sind das auch gar nicht gewöhnt. Mal so zwischen der Arbeit ein richtiges Ausruhen, das ist fein. Aber es darf kein Dauerzustand sein.
Wenn ich Vater mal einen Weg abnehmen kann, so freut es mich. Er ist eben doch auch schon älter. Mit dem Springen wie früher ist es ja nichts mehr. Trotzdem ist er für sein Alter immer noch ganz gut auf den Beinen.
Vater sollte nur einen richtigen Ofen in seiner Küche haben, denn Wärme kann er gut vertragen. Bei ihm ist es ja meist so kalt, daß man den Hauch sieht.
Die Maße von Jörgs Anzug sind: Hose  Schrittweite   35 cm, Seitennaht    42-43 cm, Bundweite    73 cm Jacke  Länge v. Schulter an  57 cm, innere Ärmelnaht     32 cm, Ärmelnaht über Ellbogen 41 cm. Wenn Du nun einen neuen Anzug machen läßt, muß er aber ein paar Zentimeter mindestens länger sein. Die neue Hose, die ich ihm gekauft habe, hat auch bereits eine 45 cm lange Seitennaht. Du weißt ja, der Anzug, den Du mitgebracht hattest und von dem ich jetzt die Maße genommen habe, war auch erst etwas zu groß. Jetzt ist bald das Gegenteil der Fall. Da er ja den neuen Anzug auch frühestens  im nächsten Herbst anziehen würde, muß er schon größer sein. Sonst wäre ja die ganze Ausgabe umsonst.
Jetzt wo es so kalt ist, halten es sogar die Kinder nicht lange draußen aus. Heute sind sie mal ganz drin geblieben. Jörg hat sich am vergangenen Sonntag Rindenstücke mitgebracht. Da hat er sich vorhin ein kleines Schiff geschnitten. Es sieht ganz nett aus. Jetzt sitzen Beide neben mir und machen Schulaufgaben. Ich will mich nun zum Fortgehen fertig machen, es wird sonst zu spät.
Es grüßt und küßt Dich recht herzlich Deine Anni.

Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz, 24.1.42

Als wir heute Morgen vors Haus kamen, waren wir doch erstaunt. Über 20 cm Neuschnee hatte es über Nacht gegeben. Es waren nur noch 11 Grad Kälte. Ich habe mich dann an´s Schneeschippen gemacht. Frau Leimenstoll kam auch gleich. So haben wir zusammen geschafft. Wo der Schnee nicht weggekommen ist, also auf Wiesen, lag fast 1/2 mtr. Schnee. Es hat auch bis zum Nachmittag geschneit. Da waren bald wieder alle Wege voll Schnee, so daß auch Nußbaumers noch zu schaffen hatten. Ich habe mit Frau Leimenstoll am Vormittag noch alle Wasserleitungsrohre mit Säcken und Papier umwickelt, denn im Nebenhaus ist das Wasser auch schon eingefroren. Am Nachmittag wurde es plötzlich windig, die Kälte ging auf 1 Grad herunter und es fing an mit regnen. Das tut es auch jetzt am Abend noch. Ich wollte mit den Kindern evtl. morgen Nachmittag wieder Schlittenfahren gehen, aber wenn das Wetter so weiter macht, haben wir vielleicht dann nur noch Matsch.
Für unseren Jörg war so viel Schnee eine große Freude. Wie ein Wilder hat er sich im Schnee herumgewälzt und ist in den höchsten Haufen herumgetanzt. Er wußte sich gar nicht zu lassen vor Freude. Er kam dann auch platschnaß herein. Helga muß sich noch mit ihrem Knie etwas in Acht nehmen. Es reißt immer wieder ein bißchen auf.
Kurt hatte doch nach Papiertaschentücher gefragt. Die kann ich ihm nun sicher auch nicht besorgen. Wo ich bis jetzt nachgefragt habe, sagten sie mir, daß diese für die Wehrmacht beschlagnahmt worden sind.
Gerade als ich schrieb, ging das Licht verschiedene Male halb aus und wieder an, um plötzlich ganz zu verlöschen. Wahrscheinlich kommt es von dem Wind. Nun sitze ich also bei Kerzenlicht hier. Die 2 Päckchen Deiner vorletzten Sendung mit Seife und Mandarinen sind noch nicht angekommen. Die letzteren werden wohl sicher kaputtgegangen sein, bis wir sie in die Hände bekommen.
Es ist doch allerhand, daß unsere U-Boote jetzt sogar vor der amerikanischen Küste Schiffe versenken. Ich hatte immer gemeint, sie könnten gar nicht bis dahin kommen. Das wird den Amerikanern einen Schrecken eingejagt haben.
Heute Nachmittag habe ich für morgen gebacken. Da habe ich auch eine kleine 62 mitgebacken. Die schicke ich Papa noch mit. Morgen werde ich ihm einstweilen einen Brief schreiben. Sonst meint er, ich habe gar nicht an ihn gedacht.
Ich warte immer auf Deinen Brief, in dem Du schreibst, wenn Du auf Urlaub kommst. Das sind aber böse Kerle, daß sie Dich gar nicht zu uns fahren lassen. Wir warten doch so sehr. Ich muß tatsächlich mal selber dorthin kommen und den Leute meine Meinung sagen, meinst Du nicht auch?
Jetzt brennt seit einer Weile wieder das Licht, aber ab und zu flackert`s doch mal wieder. Es ist eben ziemlich stürmisch draußen.
Nun will ich wieder Schluß machen, mein lieber Ernst. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Mann!                                                                  Konstanz, 25.1.42

 Einen Sonntagsbrief habe ich heute von Dir erhalten, vom 19.1. Ich danke Dir vielmals dafür.
Was ist denn das für eine Organisation, daß Ihr nicht mal Kohlen zum heizen habt? Gibt es dort im Allgemeinen so wenig? Arbeiten werdet Ihr im kalten Zimmer ja auch nicht gut können. Euch müssen ja die Finger klamm werden.
Über Deinen Bericht von dem Abflußrohr an Deinem Waschbecken habe ich direkt lachen müssen. Ja gibt es auch so was, das Abflußrohr an das Rohr der Dachrinne  anschließen. Das ist mir wie ein Schildbürgerstreich vorgekommen. Für Dich ist es ja nicht so lustig, aber für mich ist es direkt voller Komik. Vielleicht ist es dumm von mir, aber ich habe gelacht wie lange nicht.
Das Folgende in Deinem Brief, die Urlaubssache, ist ja nun nicht lustig. Aber ich weiß nun wenigstens, warum Du noch nicht auf Urlaub kommen konntest. Wir wollen gern warten, bis die Sperre aufgehoben wird, wenn Du nur gesund bist. Das ist das allerwichtigste. Ich will aber ganz fest den Daumen halten, daß wir uns doch recht bald gesund wiedersehen.
Die Kokosnuß hat den Kindern erst nicht geschmeckt, aber als Kokosflocken war sie bald alle. Du kannst ja vielleicht sehen, ob Du noch eine bekommst, aber wenn sie teuer sind, so kaufe bitte keine. Das essen die Kinder nicht ab. Sonst würdest Du ihnen aber eine Freude machen.
Der Wetterumschwung von gestern hat angehalten. Es regnet immer noch. Die Straße ist ganz glatt. Dabei weht ein starker Wind. Ein ganz unschönes Wetter. Vor unserem Haus steht wieder ein ganzer See.
Als der Briefträger heute den Brief bracht, sagte er auch zur Frau Ehret, auf der Post lägen einige Päckchen für sie, er hätte es zufällig gesehen. Sie möchte sie sich doch holen, da er jetzt keine mitbringen könnte, wegen des Wetters. Seit vorgestern lägen welche da und würden erst ausgetragen, wenn er wieder mit dem Rad fahren könnte. Ich fragte, ob auch welche für mich da seien. Er wußte es nicht, da er die Päckchen noch nicht durchgesehen hat. Ich sollte morgen Mittag um 2 Uhr auch auf die Hauptpost kommen.
Ich werde auch gehen, denn sonst kann ich ja ewig warten. Sicher sind schon welche angekommen. Ich möchte doch auch bald das Paket an Papa wegschicken.
Helga hat jetzt doch eine neue Lehrerin bekommen. Die ist scheinbar ganz vernünftig. Sie hat gesagt, daß die ganze Klasse die Normalschrift sehr schlecht schreibt. Das käme daher, daß sie gleich auf einfache Linien geschrieben hätten. Nun haben sie sich noch Mal 2.-klässler Hefte anschaffen müssen. Helga hat heute zum ersten Mal drin geschrieben. Ich muß sagen, ich war ganz erstaunt. Prima hat sie geschrieben. Genau so gut wie bei der deutschen Schrift. Jetzt lernen sie`s doch wenigstens richtig.
Der Sturm hat gestern beim Starenhäuschen die ganze Dachpappe herunter gerissen. Ob Du das wohl in Ordnung bringen kannst, wenn Du heimkommst?
Nachher hole ich mir noch die Schreibmaschine vor und schreibe an Papa, Kurt und evtl. an Elsa. Die Durchschläge schicke ich Dir morgen mit. Heute könnte ich sonst Deinen Brief nicht mehr rechtzeitig fortschaffen.
Wie hat das eigentlich nur kommen können, daß die Soldaten vom Soldatenheim Typhus bekommen konnten. Das muß doch durch Essen gekommen sein. Ob es nicht sauber zubereitet war oder ob sonst jemand seine Finger dazwischen hat? Flecktyphus ist wohl wieder was anderes? Das wird doch durch Läuse übertragen. Deshalb  ist doch auch Siegfried dagegen geimpft worden, da er immer noch nach Rußland fährt.
Nun laß mich wieder schließen. Bleib mir  recht gesund. Ich hoffe, daß wir uns recht bald wiedersehen.
Viele herzlich Grüße und Küsse sollst Du, lieber Ernst, Du bekommen von Deiner Anni.

Brief 276 vom 21./22.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                          Konstanz, 21.1.42                                           

Heute haben wir viele liebe Grüße von Dir erhalten. Den Brief vom 15.16. den Brief an die Kinder und das Päckchen Nr. 5 mit Seife. Von Deiner ersten Sendung fehlt nur noch 1 Seifenpäckchen und das mit den Mandarinen. Von der anderen Sendung sind noch die Tabakwaren unterwegs.
Ihr habt es also ziemlich kalt dort. Sind die Öfen nicht in Ordnung, daß sie nicht richtig heizen? Bei uns ist die Kälte wieder gestiegen, wir haben heute 10 Grad unter Null. Da muß man schon richtig feuern, damit es warm wird. In den Schlafzimmern habe ich die Fensterläden davor gemacht, denn davor gemacht, denn das Holz hält die Kälte auch etwas ab. Es wird bei Euch bestimmt viel ausmachen, daß Ihr keine Doppelfenster habt. Das schützt auch viel. Ich freue mich sehr, daß Du gern an mich schreibst. Ich bin ja immer froh, wenn ich einen Brief von Dir bekomme. Es ist dann stets so, als wenn Du nicht ganz weit fort wärst.
Ich glaube Dir gern, daß es eine schöne Abwechslung ist, wenn es mal Hasenbraten oder Fasan gibt. Und daß man da richtig zulangt und futtert, ist nur richtig. Das macht doch auch Appetit, so ein gutes Essen.
Wenn Du mir noch etwas Butter hast schicken können, so ist das wirklich fein. Da kann ich mir doch noch etwas auslassen und habe ein bißchen Vorrat. Aber spare es Dir nicht so ab, denn wie ich aus Deinen Briefen ersehe, habt Ihr es dort auch nicht so üppig.
Jedenfalls möchte ich Dir schon im Voraus danken.
Ich möchte nur wissen, warum Nanni nicht schreib. Du hast ihr doch nichts getan. Im Gegenteil, Du hast noch was geschickt. Ich würde mit dem Schreiben auch mal eine Weile warten. Vielleicht kannst Du durch Kurt erfahren, ob sie das Päckchen bekommen hat. An ihn schreibt sie ja öfter.
Die Kinder haben sich über Deinen Brief sehr gefreut. Jörg war zwar erst nicht ganz zufrieden. Er hätte gern einen Brief von Dir gehabt, den er schon mühelos lesen kann, also mit der Hand geschrieben, in deutschen Buchstaben. Vielleicht kannst Du ihm mal die Freude machen. Es brauchen ja nur 2 - 3 Zeilen sein. Oder ist es nicht recht, daß ich darum bitte? Du kannst es ja immer noch machen, wenn Du willst.
Sonst haben sich aber Beide über den Brief sehr gefreut. Der Helga hat besonders die Stelle gefallen, wo Du über die Puppen schreibst. Da hat sie lachen müssen.
Ein wichtiges Thema ist bei den Kindern jetzt immer die Schule. Sie haben Beide mancherlei an ihren Lehrerinnen auszusetzen. Jörg z.B. sagte heute „Also, wie unsere Lehrerin liest, das ist ganz schlimm. So langsam. Man kann es manchmal gar nicht mit anhören. Am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten. Wenn sie dann fragen würde, da könnte ich ihr gleich sagen, wie dumm sie liest.“ Auch eine Gewohnheit hat Jörg, die der Helga gar nicht eingefallen ist. Wenn ich nicht aufpasse, schleppt er lauter Spielsachen, Patronen, Bilder usw. mit in die Schule. Alles kommt in die Hosentasche. Er sagt zwar, er würde es während des Unterrichts nicht aus der Tasche holen, aber ich möchte es doch nicht gern. Habt Ihr das früher auch so gemacht?
Ich will nachher noch etwas nähen. Es geht eben immer wieder etwas entzwei. Mit der Maschine ist der Schaden ja schnell behoben.
Jörg ist draußen beim Schlittenfahren, während Helga neben mir sitzt und liest. Ihr tut das Knie immer noch weh, da kann sie noch nicht richtig rum rennen.
Für die gesandte Seife möchte ich Dir auch noch danken. Ich freue mich sehr darüber. Da habe ich ja schön Vorrat da und kann richtig waschen. Du bist eben ein lieber Kerl, daß Du auch dafür sorgst.
Nun wird es wieder Zeit, daß ich schließe, wenn der Brief noch rechtzeitig fort kommen soll.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 22.1.42

Bei uns hört der Winter doch nicht gleich auf. Es ist heute noch kälter geworden, denk mal 15 Grad Kälte. Das ist doch ziemlich viel. Wenn es bei Euch auch so kalt ist, wirst Du ja ziemlich frieren müssen. Wenn kein Krieg wäre, wäre es ja nicht so schlimm, wenn die Kälte anhält. Es könnten dann eher Kohlen ran geschafft werden. Aber jetzt wünschte man sich etwas wärmeres Wetter. Wir wollten heute eigentlich zum Zahnarzt gehen, um die Zähne nachsehen zu lassen. Aber jetzt schieben wir`s noch ein paar Tage  hinaus. Vielleicht kommen ein paar mildere Tage.
Jörg hat heute seinen endgültigen Stundenplan bekommen. Montag, Dienstag, Donnerstag, hat er von 11 - 1/2 1, an den anderen Tagen von 10 - 1/2 1 Uhr Schule. Helga hat ihren Stundenplan noch nicht erhalten. Es wird ihr von Tag zu Tag gesagt, wenn sie zur Schule kommen muß. Diese Woche war es meinst 8, 40 .
Unser Jörg ist doch ein Lauser. Heute kam er wieder später heim. Ich fragte ihn wo er denn wieder gewesen sei . Da kam es dann heraus, daß auf der Übungswiese der Soldaten ein Bunker ist. Unter der Erde, sicher auch zum üben. Der lockt natürlich die Buben an. Unserer muß natürlich immer dabei sein. Da klettern sie drin rum und spielen Soldaten. Heute brachte er eine 2-gablige Rute mit, das war ihr Scherenfernrohr. Außerdem mußte Jörg natürlich versuchen, auf dem Eis des Baches zu laufen, wobei er ein paar Mal eingebrochen ist. Einfach richtig von der Schule heimgehen, das bringt er gar nicht fertig.
Wir haben jetzt unser Vogelhäuschen wieder vorm Fenster.
Mal sehen, wie lange noch unser Futter reicht. Zu kaufen bekommt man ja jetzt keins.
Es wird immer viel besucht. Sogar eine Amsel war heute da und hielt das ganze Häuschen allein besetzt. Aber die haben wir weggejagt.
Vor kurzem kam übrigens Jörg einmal bitterlich weinend herein. Was war geschehen? Ein Hund hatte ihn in die Hose gebissen. Er war draußen mit dem Schlitten gerannt. Das hat den Hund scheinbar gereizt. Er ist hinterher und hat Jörg gepackt. Aber der war erschrocken. Im Fleisch war kein Biß, es war nur ein bißchen rot. Es dauerte aber doch eine ganze Weile, bis sich Jörg beruhigt hatte.
Nun ist ja der Januar bald wieder vorbei. Ich bin wirklich gespannt, ob Du noch diesen Monat auf Urlaub kommen kannst. Wir meinen immer, Du würdest plötzlich da sein. Aber bis jetzt war unsere Hoffnung umsonst.
Das Paket an Papa habe ich soweit gepackt. Es fehlen nur noch die Tabakwaren. Evtl. schreibe ich extra eine Karte zum Geburtstag, denn ich glaube nicht, daß das Paket noch rechtzeitig ankommt.
Heute ist für mich mal einruhiger Tag. Das tut ganz gut. Ich kann mir bei meinen Arbeiten richtig Zeit nehmen.
Nun ist es wieder Zeit geworden zum Briefwegschaffen. Sei deshalb für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 275 vom 18./19./20.1.1942


Mein lieber, lieber Ernst!                                            Konstanz, 18.1.42                                        

Gleich 2 Briefe habe ich heute von Dir bekommen, vom 12. und 13.1. Ich danke Dir sehr dafür. Das war ein lieber Sonntagsgruß. Außerdem erhielt ich ein Seifenpäckchen mit 2 Stück schöner Seife. Du mußt entschuldigen, daß ich Dir die Nummer nicht schreiben kann. Ich habe tatsächlich vergessen, nach dieser zu sehen, ehe ich die Pappverpackung verbrannt. Ich habe sie nicht aufgehoben, da man doch nichts anderes damit verpacken kann. - Nun zu den Bildern von der Hochzeit. Alice ist auch wirklich sehr stark. Kommt Dir Dora alt vor? Ich habe das garnicht so gemerkt. Das kleine Mädchen auf dem Bild schaut auch sonst immer so bös drein. Ich habe sie nie anders gesehen. - Also, Du weißt auch noch nicht genau, wie es mit dem Urlaub wird. Da werde ich mich schon noch gedulden müssen, wie Du es ja auch mußt. - An meinen Vater schreibe ich ja jetzt öfter, damit er sich nicht so verlassen vorkommt. Das Päckchen zu seinem Geburtstag kannst du ja nun leider nicht mehr wegschicken, nachdem auch bei Euch Päckchensperre besteht. - Geschneit hat es also bei Euch auch. Da habt Ihr also auch vom Winter gespürt. Bei uns hat es ja seit längerer Zeit nicht mehr geschneit und es liegt auch nicht mehr viel Schnee. Aber kalt ist es immer noch, 7 Grad Kälte. Meine Arbeit hier schaffe ich schon noch. Bei anderen Frauen, die noch in die Fabrik gehen, muß es ja auch gehen. Die täglichen Arbeiten sind schon zu bewältigen, aber ich muß jetzt eben manches nachholen, was ich im Sommer infolge der Gartenarbeit liegen lassen mußte. Aber es wäre ja gelacht, wenn ich das nicht fertig bringen sollte. Von Papa bekamen wir heute ein Briefpäckchen mit den Abzeichen von Leipzig zum heutigen Sonntag. Sie haben einen ganzen kleinen Holzzug, während wir Abzeichen zum Anstecken haben. Wir haben uns darüber gefreut. Beifolgender Brief lag bei. Ich binn gespannt, was Papa noch weiter von den Erlebnissen von Siegfried schreibt. So einfach war die letzte Fahrt scheinbar nicht. - Die Kinder haben mich gebeten, noch ein Stück mir ihnen in den Wald zu gehen. Viel Lust habe ich ja wirklich nicht, aber ich will ihnen doch den Gefallen tun. Wir brauchen ja nicht lange zu bleiben. - Laß mich deshalb jetzt schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 19.1.42

Wie ich Dir gestern schrieb, wollte ich am Nachmittag mit den Kindern in den Wald gehen. 1/4 4 sind wir gegangen. Wir haben den Schlitten mitgenommen und ich habe die Kinder streckenweise gezogen. 2 ml habe ich mich auch fahren lassen dürfen. Das hat ihnen Freude gemacht. Den Weg, kurz vorm Tabor, sind Beide einige Male runtergerodelt, aber man kam dann zuletzt auf einen Acker. Da stauchte es schlimm. Da haben wir uns einen abfallenden Weg gesucht und haben dort noch gerodelt. Zu lange konnten wir nicht bleiben, da es so kalt war. Heimzu habe ich dann die Kinder wieder gezogen. So waren wir im 6 Uhr wieder daheim. Da haben wir dann Kuchen und Pudding gegessen. Ab Abend kam Vater und brachte die Handschuhe für Kurt. Aber wir können sie nun doch nicht wegschicken, auch als einfaches Päckchen nicht. Ich habe mich heute noch deshalb erkundigt und will Kurt gleich kurz Bescheid geben. - Heute hat nun für die Kinder der Schulunterricht wieder begonnen. Helga bekommt eine neue Lehrerin, ein Frl. Fitz. Mal sehen, was das für eine ist. - Heute Nachmittag wollte ich mit den Kindern in die Stadt gehen. Als wir nun heute beim Mittagessen saßen, kam beim Stuttgarter Sender franz. Nachrichten. Helga springt auf, um etwas anderes zu stellen, rutscht aus und schlägt sich das Knie auf. Das hat ihr natürlich erst sehr weh getan. Darum hat sie sich ein bißchen hingelegt und ist nicht mitgegangen. So bin ich mit Jörg allein losmarschiert. Helga war zu hause sehr brav und hat Märchen gelesen. - Heute schneit es wieder den ganzen Tag. Die Kälte hat um ca. 2 Grad nachgelassen. Wenn noch die ganze Nacht Schnee fällt, haben die Kinder wieder eine schöne Schlittenbahn. - Für Jörg war heute das wichtigste Ereignis die Flaggenhießung. Davon erzählt er immer. Und auf seine Mütze ist er stolz, Er hat doch schon so lange die Ledermütze. Die haben heute seine Klassenkameraden bewundert. Jetzt setzt er sie nochmal so gern auf. - Ich bringe nun den Brief schnell fort, dann müssen unsere Laufer ins Bett, es ist gleich um 8. - Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 20.1.42

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 15.1. mit den Zeitungen und dem Heft. Ich danke Dir sehr dafür.- Ihr dürft also wieder Päckchen schicken. Vielleicht kommen die Sachen für Papa noch rechtzeitig an. Ich werde sie dann gleich zusammen mit etwas Gebäck an ihn abschicken. - Den ersten Brief vom 15. mit dem Durchschlag vom Brief an Siegfried habe ich noch nicht erhalten. Der kommt sicher auch bald. - Von Kurt kam ein Brief. Er fragt darin an, ob sein Feldstecher richtig angekommen ist. Außerdem teilt er mit, daß er 3 Päckchen abgeschickt hat, mit Sachen, die ihm im Wege sind. Wir und Vater könnten die Sachen mit verwenden. Um was für SAchen es sich handelt, weiß ich nicht. Er bittet mich noch, ihm, wenn möglich, Papiertaschentücher zu schicken. Ich will mal in der Stadt  nachfragen, ob es die noch gibt.  Jetzt kann ich sie ja sowieso noch nicht schicken, ebenso wie die Handschuhe. Vielleicht dauert die Sperre nicht mehr zu lange. - Heute Nacht hat es noch ziemlich geschneit, ca. 20 cm Neuschnee hatte es heute früh. Da Helga von gestern, wo sie hingefallen war, noch ziemlich humpelte, habe ich heute Morgen gleich alle Beide auf den Schlitten gepackt und in die Schule gefahren. Sie waren mir deshalb nicht böse. Als ich heim kam, habe ich den Schnee weggekehrt. Das hat mir direkt Freude gemacht, in der frischen Luft zu schaffen. Hinterher war`s mir direkt heiß. - Gestern Abend habe ich Jörg`s Schuhe genäht. Ein Stück der Naht war aufgegangen. Ich habe ja jetzt richtiges Schuh-Nähzeug. Ich hatte es mir doch auf der Messe gekauft. Auch Helga`s Schulranzen mußte ich nähen. Auch da war die Naht aufgegangen. Außerdem habe ich an meine Einkaufstasche Holzgriffe genäht, da die anderen Griffe so abgegriffen waren und so aufsgefranztes Zeug ja unordentlich aussieht. šber all dieser Arbeit ist der Abend schnell vergangen und es war fast 12 Uhr, als ich ins Bett kam. - Nachher will ich für Papa noch das Gebäck backen und heute Abend habe ich noch zu stopfen So geht ein Tag  nach dem anderen herum. - Helga hat es jetzt doch nicht in der Wohnung gelitten. Der Schnee lockt gar so sehr. Sie humpelt zwar noch, aber sie will doch sehen, ob sie nicht fahren kann. Es ist ja auch ganz gut, wenn das Knie bewegt wird. - Jörg, der kleine freche Kerl, hat sich auf dem kleinen Buckel vorm Haus, wo sie immer runterfahren, eine Schleiferbahn angelegt und schusselt immer runter. Sogar das äHäfeleä (schuffeln in Hockstellung) kann er schon und ist nicht wenig stolz darauf. Er sieht übrigens schon wieder schön aus, von oben bis unten voll Schnee. - Heute brachte Jörg den neuen Stundenplan mit. Er hat jeden Tag, auch Samstag, von 11 - 1/2 1 Uhr Schule. Wahrscheinlich bekommt er auch eine neue Lehrerin. Es wird sicher so sein, daß die elsäßischen Lehrerinnen wieder nach dem Elsaß kommen. - Ende Januar oder Anfang Februar, bekommen die Kinder auch ihre Zeugnisse. Zu Ostern gibt es ja keine mehr, erst wieder im Herbst. - Nun laß mich wieder schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Montag, 16. Januar 2017

Brief 274 vom 16./17.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                        Konstanz, 16.1.42                                            

Einen Brief habe ich heute von Dir nicht bekommen. Beantworten kann ich also nichts, aber ich habe Dir so verschiedenes zu erzählen.
Ich schrieb Dir ja schon gestern daß ich am Nachmittag mit den Kindern in die Stadt gehen wollte. Das haben wir auch getan und dabei etwas Interessantes erlebt. Unten an der Rheinbrücke beim Neptun stand ein Zelt. Dabei und oben auf der Brücke standen Leute. Wir sind auch an den Rhein runter gegangen und haben geschaut, was los war. Da war in dem Zelt eine Pumpe, an der immer 2 Soldaten pumpten. Wir wußten erst gar nicht, was das bedeuten sollte. Auf einmal kam aus dem Rhein ein Taucher herauf mit einem Schweißbrenner und einem großen Stück Eisen. Inzwischen hatte sich ein anderer fertig gemacht und ging nun runter. Man sah an den Blsen von dem Schweißbrenner, wo der Taucher arbeitet. Von 2 Booten im Rhein aus arbeiteten noch 2 Taucher. Das war wirklich einmal interessant. Wie mir Helga sagte, hat sie immer gemeint, Taucher gäbe es gar nicht richtig, sonder nur in Witzblättern. Natürlich waren nicht nur die 2 Soldaten im Zelt da, sondern einer stand immer unten an einem Steg und paßte auf und einige standen in einem Gummiboot zwischen dem Ufer und den Booten umher. Wir haben fast eine Stunde da gestanden. Am interessantesten war es immer, wenn der Taucher auftauchte oder wieder runter ging. Er kam nämlich öfter und ließ den Brenner wieder richten oder neu einstellen. Das weiß ich nun nicht genau. Jedenfalls haben wir mal was Neues gesehen.
Jörg hat beim Walter Leimenstoll so Papierhäuser, aus einem Modellierbogen gefertigt, gesehen. Da hat er mich immer um solch einen Bogen gebeten. Da sie ja sonst kein Geld zum Naschen bekommen, habe ich ihm diesen Wunsch erfüllt und wir haben das Haus des Führers in Berchtesgaden gekauft. Nun kann Jörg ja noch nicht alles ausschneiden und kleben. Da hat er nun heute so gebettelt, bis ich ihm mitgeholfen habe. Dabei ist der ganze Vormittag und ein Teil des Nachmittags drauf gegangen. Nun steht aber das Haus stolz da.
Helga war nun traurig, daß sie nichts bekam. Da habe ich ihr das gleiche Geld gegeben, damit sie sich kaufen kann, was sie mag. Da ist sie heute Nachmittag heimgekommen und hat ihre Herrlichkeiten ausgebreitet: Einen schönen Kreisel, 1 Puppenmützchen, 1 Topf für ihre Puppenküche und 1 Karte für Jörg. Es waren 40 Pfennig. Nun ist mal wieder Schluß.
Wie Helga gerade sagte, arbeiten heute sogar 4 Taucher. Sie hat eine Weile zugesehen.
Heute früh sind uns alle 4 Zeitungen von der Haustür gestohlen worden. Wir sind extra noch mal zu der Zeitungsfrau gegangen. Sie hatte sie gebracht und alle waren weg. Das ist doch allerhand, nicht wahr? Bei Büsings haben wir ja nicht gefragt, aber ich denken nicht, daß sie sie gestohlen haben.
Nun laß mich für heute schließen. Wie habe alle festen Hunger. Ich will das Abendbrot richten.
Das Holzdöschen für Erna habe ich gestern bekommen. Ich schrieb Dir ja davon.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                                         Konstanz, 17.1.42

Heute kam Dein lieber Brief vom 11.1. Ich danke Dir sehr dafür. Außerdem kamen die Päckchen 6 und 8 mit Seife, Mehl und Zucker. Über die haben wir uns auch sehr gefreut. Es ist alles gut angekommen. Von dem Zucker haben wir erst alle mal ein Stück probiert. Wir mußten doch feststellen, ob er schmeckt. Die Probe ist zu unserer Zufriedenheit ausgefallen. Das kannst Du glauben.
So windig wie bei Euch ist es bei uns nicht, nur kalt, heute auch wieder 8 Grad. Wenn ich mit dem Rad fahre, ziehe ich jetzt meist die hohen, schweren Schuhe an, damit ich nicht vollkommen Eisfüße bekomme. Ich bin immer wieder um diese Schuhe froh.
Na weißt Du, so nobel sind ja die Behelfsski nicht, die ich den Kindern gemacht habe. Prima würdest Du dich da machen, wenn Du damit fahren würdest. Ich würde mich halb tot lachen. Darauf wollen wir es lieber nicht ankommen lassen.
Auf den Radioapparat freue ich mich wirklich schon. Aber noch viel mehr freue ich mich auf Dich, wenn Du auf Urlaub kommst. Kommst Du bald?
Von Kurt erhielt ich heute eine Karte. Wir sollen ihm seine Fausthandschuhe mit Segeltuchüberhandschuhe zuschicken. Heute geht es ja nicht mehr, da Vater diese erst noch raussuchen muß. Ich weiß auch gar nicht, ob wir sie überhaupt schicken können, da doch Päckchensperre ist. Wahrscheinlich kommt Vater heute rauf, da will ich mal mit ihm reden.
Viel mehr habe ich heute nicht zu berichten, denn ich habe heute nur die übliche Samstagsarbeit getan, gebacken usw. Das ist nicht so interessant. Laß mich darum schon schließen und nimm mit dem kurzen Brief vorlieb.
Sei vielmals recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 273 vom 15.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                                         15.1.42            
                                         
Gerade vorhin erhielt ich Deinen lieben Brief vom 10.1. für den ich Dir recht herzlich danke.
Ihr bekommt jetzt also dort auch Winterwetter. Bei uns hält es auch noch an. Es ist nicht gerade angenehm, wenn man frieren muß, aber doch besser, als nasses Wetter.
Du hast nun Stoff für ein Kleid für Helga besorgt. Über den Preis bin ich aber doch erschrocken. Für 23.- habe ich ja die 2 Kleider zu Weihnachten gekauft. Der Stoff wird wahrscheinlich sehr gut sein, aber das ist bei Helga, die ja sehr wächst und das Kleid sowieso nicht ganz abtragen kann, nicht so nötig. Besorge also bitte für Helga nichts mehr. Die Preise sind ja dort mächtig gestiegen. Da bekommen wir es hier ja sogar billiger.
Die Schießerei hat Jörg ja jetzt eingestellt, aber, wie ich jetzt gesehen habe, aus eigenem Antrieb. Er hat sich in seinem Regal auch noch 4 Schachteln reserviert, damit er später noch was hat.
Ich glaube, dort wissen sie jetzt auch, was für Preise sie verlangen sollen, wenn die Schokolade so sehr teuer gewesen ist. Gefreut haben wir uns ja sehr darüber, darum sollst Du die Ausgabe nicht bereuen. Du brauchst ja keine mehr kaufen, wenn es so teuer ist. Aber ich glaube, das ist ein unnötiger Rat, denn es war ja sowieso noch eine Seltenheit, daß Du welche bekommen hast.
Über den Pudding freue ich mich immer wieder sehr. Wir essen ihn ja alle gern. Nun kann ich ja nicht zu jeder Mahlzeit Fleisch kaufen, da  würden die Marken gar nicht ausreichen. Gemüse gibt es aber jetzt im Winter nicht viel. Wenn es nun mal Kartoffelbrei und Soße gibt(übrigens ein Lieblingsessen der Kinder) mache ich noch einen Pudding dazu. Das ist ja auch nahrhaft.
Anstellen auf dem Markt fast eine 3/4 Stunde wegen einem Weißkraut, das brauche ich ja nun auch nicht. Wir haben ja noch etwas Grünkohl im Garten. Mohrrüben habe ich auch ein paar, sowie Rote Rüben. Rotkraut hängen noch ein paar im Keller und Sauerkraut habe ich auch eingemacht. Da freut man sich immer wieder darüber. Ein paar Beutel mit weißen Bohnen habe ich ja auch noch da hängen. Ich koche davon jetzt auch ab und zu und sie schmecken ganz gut.
Du hast recht, ich bin auch so froh, daß ich keinen Verkehr mit der Frau angefangen habe. Man lernt erst nach und nach die Leute kennen. Die Frau kann sehr rachgierig sein. Wir hatten ihr doch damals geraten, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber nein, zuerst hat sie jedem, bald bis zum Vetter hinten, von dem Krach erzählt. Da haben mich schon die Leute, die mich kennen, angehalten und gefragt, was denn bei uns da los sein. Da hätte ihnen eine Frau was erzählt, daß ihr jemand ein paar runtergehauen hätte. Nicht mal den Namen wußten die Leute. Da geht es ihnen doch gar nichts an. Da hat aber Frau Büsing immer gesagt „Alle Leute sollen es wissen, was die Frau für eine gemeine und ordinäre Person ist, wo die war, war ich noch lange nicht.“ Dabei hat sie sich die gespreizten Finger wie ein Gitter vor das Gesicht gehalten. Aber lassen wir sie toben. Ich bin froh, wenn ich für mich bin. Ich irre mich nicht, wenn ich geschrieben habe, ich will Erna was zum Geburtstag schenken. Ich habe doch an Siegfried geschrieben (den Durchschlag habe ich Dir geschickt), daß ich an Erna zu Papas Geburtstag nachträglich was mitschicke, da ich Erna`s Geburtstag (18.12.) erst nachträglich erfahren habe. Ich habe in der Stadt was gesehen, eine schöne kleine Holzschale mit Deckel, die man zu allerhand gebrauchen kann. Mal sehen, ob sie noch zu haben ist. Erna hat mir doch zu Weihnachten eine schöne Glasschale geschenkt. Ich möchte mir nichts schenken lassen, ohne daß ich auch meinerseits zusehe, eine Freude zu machen.
Wenn Du einige Sachen  für Papa hast, so bin ich Dir sehr dankbar. Denn ich weiß tatsächlich nicht, was ich ihm schenken soll. Eine Raucherkarte habe ich ja nicht und ohne die bekommt man ja nichts. Das einzige ist, daß ich noch etwas backe.
Es tut mir heute fast leid, daß ich Dir gestern geschrieben habe, daß die Kinder nicht immer brav sind. Aber Du hattest mich ja danach gefragt und anlügen kann ich Dich nicht. Aber wenn man sich auch öfter ärgern muß, so sind es doch auch wieder liebe Kerle, an denen man Freude hat. Und Kinder, die immer brav sind, gibt es ja nicht. Gerade, wo Du jetzt fort bist, bin ich doch auch froh, daß ich die Lauser da habe.
Gestern habe ich wieder mal genäht. Ich habe von Mama`s Unterwäsche verschiedenes für mich hergerichtet. Es ist doch immer schön, wenn man eine Maschine hat. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ich anfangen müßte, wenn ich keine da hätte. Das war ja auch mit unsere erste Anschaffung und die hat sich schon oft gelohnt. Meinst Du nicht auch?
Kann Dir Siegfried nicht das Geld direkt hinschicken. Er hat doch, soviel ich weiß, Wehrmachtsgeld wie Du. Dürfte er das nicht im Brief schicken?
Nun laß mich wieder schließen. Ich will nun das Mittagessen fertig machen und heute Nachmittag gehe ich mit den Kindern in die Stadt.
Sei nur wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.


Freitag, 13. Januar 2017

Brief 272 vom 12./14.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 12.1.42

Spät komme ich heute wieder zum schreiben, aber vorher hatte ich absolut keine Zeit, trotzdem wir schon zeitig aufgestanden sind. ½ 7 bin ich aufgestanden, habe dann die Kinder geweckt und mich noch ganz fertig gemacht. Als ich dann die Zeitung holte und reinschaute, stand drin, daß die Ferien um weitere 8 Tage bis zum 19. verlängert sind. Jetzt wird es schon bald den Kindern zuviel, denn Beide haben gemault. Sie hatten sich wirklich schon auf die Schule gefreut. Jörg auch besonders auf die Flaggenhissung, die ja immer nach den Ferien vorgenommen wird. Na, nach und nach haben sich die Kinder über die Ferien getröstet und sind den ganzen Tag beim Schlittenfahren gewesen. Ich habe am Vormittag die übliche Hausarbeit gemacht und bin dann einkaufen gefahren.  Am Nachmittag habe ich dann die Schuhe der Kinder in Ordnung gebracht. Außerdem habe ich noch etwas gewaschen. So ist der Tag schnell vergangen.
Gestern Abend kam Vater noch kurz herauf und brachte die Ölflasche herauf, damit ich ihm Öl von Tengelmann mitbringe. Das Klosett ist bei Vater auch wieder kaputt. Da er ja nicht zu dem Fischer hingehen kann, habe ich heute Morgen gleich angerufen, damit es bald repariert wird.
Gestern habe ich noch an Papa und Kurt geschrieben. Die Durchschläge schicke ich Dir anbei mit.
Da wir dachten, daß Jörg heute wieder zur Schule müßte, habe ich ihm gestern Abend noch die Haare geschnitten. Aber ein kleines Schaf ist Jörg doch. Jedes Mal macht er vorher ein Theater und sträubt sich wie wild, um hinterher dann einzusehen, daß es gar nicht schlimm war. Soviel ich mich erinnern kann, hat er sich die Haare nur ein einziges Mal freiwillig und ohne Sträuben schneiden lassen.
Während ich hier schreibe, halt Helga gleich abgewaschen, damit ich nachher noch ein bißchen stricken kann. Man sieht manchmal doch, daß man schon größere Kinder hat.
Kalt ist es bei uns immer noch. Eine ganz rot gefrorene Nase hat man jedes Mal, wenn man fort war. Man ist froh, wenn man richtig einheizen kann.
Vor einigen Tagen ist bei Jörg auch der 2. obere Zahn rausgegangen. Das sieht jetzt ganz lustig aus. Da habe ich jetzt öfter was zum lachen und Jörg lacht fest mit. Ich habe bei den Kindern auch einmal die Zähne wieder nachgesehen. Ich glaube, bei Jedem muß bald wieder ein Zahn plombiert werden. Ich werde in nächster Zeit mal mit ihnen zum Zahnarzt.
Ich will nun schließen und den Brief noch fortbringen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni. 

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 14.1.42

Gestern habe ich einen Tag mit dem schreiben ausgesetzt. Du wirst denken, „aha, sie wird schreibfaul“, dem ist aber nicht so, doch ich hatte gestern den ganzen Tag so festes Kopfweh, daß ich zu gar nichts Lust hatte. Arbeit ist auch nicht viel fertig geworden. Gestern Abend ließen dann die Kopfschmerzen etwas nach. Da habe ich mich erst einmal ans Flicken gesetzt, denn Jörg vor allen Dingen hatte, trotzdem er immer „soo aufpasst“ wieder Dreiangel und Löcher in seinem Trainingsanzug und in den Handschuhen. Natürlich waren auch die Schuhe und Strümpfe ganz durchgeweicht, so daß ich auch die Strümpfe noch durchwaschen mußte. Bis ich mit allem fertig war, war es bald 12 Uhr. Da bin ich dann gleich schlafen gegangen.
Post habe ich ja auch gestern nicht von Dir bekommen. Ich hoffe aber fest, daß der Briefträger nachher etwas bringt. Am schönster wäre es, wenn er die Nachricht brächte, Du kommst in den nächsten Tagen auf Urlaub.
Gerade kamen Deine beiden lieben Brief vom 8.  und 9.1. Ich danke Dir sehr dafür.
Als im Radio am 8. „´s ist Feierabend“ gespielt wurde, war ich auch noch munter. Ich bin da wieder so an das Begräbnis erinnert worden. Alles trat mir wieder vor Augen. Gleich nach dem Lied glitt der Sarg langsam in die Tiefe.  Ich werde  das alles ja nie vergessen.
Wenn ich den Kindern jetzt manchmal von früher erzählt habe, dachte ich auch oft daran, wie man früher immer gebangt hat, ob die Arbeit noch etwas länger geht und jedes Mal war man froh, wenn es noch um ein paar Wochen weiter ging und man mit einem Verdienst rechnen konnte. Und wenn es mal nichts mit Arbeit war, bist du in den Wald gegangen und hast Holz usw.  zusammengesucht. Das hat uns ja alles mit geholfen. Richtig froh warst Du aber doch nur, wenn Du schaffen gehen konntest, denn es hat Dich oft bedrückt, wenn ich ins Geschäft ging und Du mußtest zu hause sitzen. Und als dann Helga geboren wurde, sagtest Du, daß ich nun nicht mehr schaffen gehen sollte, denn eine Frau gehört heim zum Kind und es müßte gehen. Du wärst ja schließlich dazu da, die Familie zu ernähren.  Es ist ja dann auch gegangen und wir können ja stolz auf das Erreichte sein.
Auf der Kasse hat Vater  jetzt 600,- eingezahlt. Außerdem spart er ja eisern. Er freut sich immer darüber, daß er nicht mehr so ärmlich dasteht. Ich gönne es ihm auch gern, er soll doch auch ein bißchen Freude haben.
Leider können wir nur ein Mal im Monat richtig baden. Die anderen Wochen müssen wir uns mit abwaschen behelfen.  Du weißt es ja schließlich noch von früher, oder hast Du es schon vergessen? Du hast es natürlich schöner, wenn Du oft baden kannst. Das würde mir auch gefallen.  Aber sauber halten wir uns auch so, das darfst Du ganz bestimmt glauben.
Die Kinder freuen sich, wenn Du nochmals eine Kokosnuß kaufen kannst. Sind die dort eigentlich sehr teuer? Auf die Mandarinen freuen wir uns auch schon. Diese Sachen bekommen ja hier die meisten Leute nicht einmal zu Gesicht. Ich danke Dir für die viele Mühe, die Du Dir immer mit der Besorgung gibst.
Die Kinder nützen das Winterwetter richtig aus. Fast den ganzen Tag sind sie draußen. Aber das ist ja gesund und darum freue ich mich darüber.
Daß Jörg nun immer brav sei, kann ich nicht gerade sagen.  Der Dickkopf tritt nicht gerade so viel in Erscheinung wie vor kurzem, aber er stellt auch so noch genug an. Ich wäre manchmal froh, wenn Du mir etwas von der Erziehung abnehmen könntest. Er hat einen ziemlich großen Mund und dann fuchst er oft die Helga, die sich natürlich auch wehrt, so daß sie sich oft in den Haaren liegen. Bös ist er nicht, aber flegelig. Ich fahre natürlich schon oft dazwischen und ich habe auch schon ein paar Mal zugewichst, aber es macht einen doch ziemlich kaputt. Helga ist natürlich auch kein Engel. Sie ist auch ein wilder Kerl, aber sie folgt doch noch eher.  Einen guten Kern haben ja Beide, denn auch Jörg kann sehr lieb sein. Ich habe sie auch Beide gleich lieb. Es ist ja bei allen Kindern so, daß sie nicht immer brav sind, wir waren es ja schließlich auch nicht. Aber Du fehlst eben, daß Du mal ein Machtwort sprechen könntest. Aber solange der Krieg dauert, werde ich mich schon durchbeißen.  Ein kleines bißchen ist Helga auch jetzt noch manchmal ungeschickt. Aber ich glaube, daß sich das mit der Zeit geben wird. Man kann Kinder eben nicht umkrempeln. Das liegt eben in ihnen.
Von dem Ahnenpaß schrieb ich Dir ja vor kurzem, daß ich ihn hier gefunden habe. Meinst Du, daß Du während des Krieges weiterkommst? Versuchen kann man es ja einmal.
Der Gärtner Reiber ist gestern an einem Schlaganfall gestorben.  Wir haben heute wieder 5 - 6 Grad Kälte. Das Wetter hält also eine ganze Weile an. Schöner ist es ja auf alle Fälle als Nebel und Nässe, wie Ihr es dort vielmals habt.
Nun laß mich wieder schließen. Kannst Du bald auf Urlaub kommen? Schreib wieder mal ein Wort davon. Schon die Aussicht darauf macht froh. Viele herzliche Grüße und Küsse von Deiner Anni.

Brief 271 vom 10./11.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 10.1.42                                   

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 6.1.
Bei der Wollsammlung ist im Allgemeinen reichlich gegeben worden. Es wird natürlich auch da welche gegeben haben, die sich von nichts trennen konnten. In der Zeitung hat dieser Tage gestanden, daß sich die Wohlhabenden hier ruhig etwas mehr anstrengen könnten, nachdem die anderen viel gegeben haben. Aber das ist ja oft so.
Neue Fausthandschuhe habe  ich für Dich schon angefangen, damit Du im Urlaub, wenn wir doch sicher auch mal in den Wald gehen, welche hast. Bei uns ist es ja nicht warm, heute sind immerhin 8 ½ Grad Kälte.
O Du Kerl, daß nur die Buben brav sind, davon habe ich aber bestimmt nichts geschrieben. Ich glaube, Du verdrehst alles und willst mich verkohlen. Aber das werde ich Dir richtig in Deinem Urlaub auseinandersetzen.
Leider habe ich lesen müssen, daß der Verdruß dort bei Dir nicht aufhört. Hoffentlich sind es nicht Deine Kameraden, mit denen Du immer soweit ausgekommen bist, die Dich so enttäuscht haben, daß Du schreibst, man muß sich vor ihnen in acht nehmen. Es tut mir so leid, daß Du immer Ärger haben mußt. Hoffentlich können wir bald einmal darüber sprechen.
Wegen Urlaub hat es Siegfried ganz gut getroffen. Aber es hat eben jedes Ding seine Licht- und Schattenseiten.
Die Bilder von Leipzig werden uns immer eine Erinnerung sein. So gut wie früher hat Mama natürlich nicht ausgesehen, aber daß sie so bald stirbt, dachte man doch nicht. Aber wir wollen froh sein, daß sie sich nicht lange hat quälen müssen. Meiner Mutter wäre es doch nicht recht gewesen, wenn sie lange hätte liegen müssen.
Unser Weihnachtsbaum fängt schon fest an mit nadeln. Komm nur recht bald auf Urlaub, damit wir ihn noch einmal anzünden können. Wir möchten Dir doch noch ein klein wenig bescheren.
Du mußt nicht böse sein, daß ich das so schreibe, ich weiß ja, daß Du nicht kommen kannst, wenn Du gerade willst. Aber wir hoffen doch auf ein baldiges Wiedersehen, nicht wahr.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein lieber Ernst!                                                                Konstanz, den 11.1.42

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 7.1., für den ich Dir wieder herzlich danke. Du fragst mich darin, ob ich zu klagen hätte, daß ich mit Briefen von Dir zu kurz gekommen sei. Nein, das könnte ich nicht behaupten, denn Du schreibst ja meist auch täglich. Da wir aber gerade bei dem Thema sind, so möchte ich auch noch etwas dazu schreiben. Nicht wahr, lieber Ernst, das tägliche Briefeschreiben soll keine lästige Pflicht für Dich werden und wenn Du einmal keine Lust zum Schreiben hast, oder auch keine Zeit, so macht es dann nichts. Solltest Du überhaupt gern nicht so oft schreiben, so müßtest Du es mir mitteilen, damit ich nicht umsonst warte. Denn ich meine sonst, Du bist krank. Aber, wie gesagt, Du sollst nur mit Freude schreiben und nicht, weil Du mußt. Das  wäre mir dann gar nicht recht.
Die Stelle in Deinem Brief, wo Du von den Puppen schreibst, habe ich Helga vorgelesen. Sie hat lachen müssen.
Wenn Du nochmals Seife bekommen hast, so bin ich Dir gar nicht böse. Die kann man schon brauchen. Man weiß ja gar nicht, wie lange es dauert, bis man wieder gute bekommt. Nachdem ich jetzt immer von Dir welche verwendet hatte, nahm ich jetzt wieder mal zum Händewaschen von der Kriegsseife. Aber das ist schon ein Unterschied. Das merkt man erst beim Vergleichen.
Morgen wird ja nun sicher die Schule für die Kindern wieder anfangen, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt. Über das Lesen von Jörg wirst Du staunen wenn Du wieder einmal heimkommst. Trotzdem er es doch noch nicht gelernt hat, liest er schon aus der Zeitung,  die Firmenschilde auf der Straße und auch schon in Bücher schaut er hinein. Er fängt überall schon an mit buchstabieren. Ich muß manchmal staunen. Beim Lesen war ja Helga auch so gut.
Es war wirklich gut, daß Du voriges Jahr manches gekauft hast. Bei diesen Preisen, wie Du sie jetzt schreibst, wäre es wirklich fast Verschwendung. Ich brauche ja jetzt nichts mehr, denn ich habe jetzt Blusen, Röcke, Jacken. Ich bin Dir sehr dankbar, daß Du immer so lieb für mich gesorgt hast.
Von dem Anzug für Jörg und dem Mantel für mich hast Du gar nichts wieder geschrieben. Hast Du es anfertigen lassen? Ich freue mich schon auf den Radioapparat, den Du mitbringen willst. Hoffentlich übersteht er die Reise gut. Hat er einen schönen Klang? Nicht wahr, ich frage viel? Aber Du kannst ja alles nach und nach beantworten.
Gestern Abend war Vater wieder da. Ihm war es so gemütlich warm hier, daß er vor ½ 1 gar nicht fortgekommen ist. Vater wird immer großzügiger. Er gibt doch jedem der Kinder immer 15 Pfg., jeweils am Freitag. Gestern gab er mir auch 1 Mk. Ich wollte es erst gar nicht annehmen. Aber er sagte: „Das ist für die Wäsche und so.“ Aber eigentlich ist das gar nicht der Fall, denn dafür hat er mir ja schon Margarine und Reis gegeben. Ich sagte es ihm auch, aber da meinte er „Es ist schon recht, ich weiß auch wie das ist.“ Er strahlt immer ganz, wenn er wieder etwas verschenken kann. Er sagte gestern auch „Ich war früher gar nicht so, daß ich das Geld so festgehalten habe. Aber als ich gesehen habe, daß sie zuhause immer nur die Hand aufgehalten haben und alles als selbstverständlich angesehen haben, da bin ich auch anders geworden, denn da war doch nie was.“ Ich weiß ja nicht, wie es nun immer gewesen ist, aber ich kann es ja schon verstehen, denn da macht eben alles mehr Freude, wenn man sieht, der andere freut sich auch darüber.
Gestern hat Vater zur Sammlung auch 1,- Mk gespendet. Das ist doch sehr schön, nicht wahr?
Nachher will ich sicher noch an Papa und Kurt schreiben. Aber erst soll der Brief an Dich fertig sein, damit er noch rechtzeitig zum Briefkasten kommt, der ja nachher um ½ 5 gleich geleert wird.
Ehe ich aber die anderen Briefe schreibe, wollen wir erst einmal den Pudding essen, den ich heute gekocht habe. Die Kinder waren schon da und haben nachgefragt, ob es nicht bald soweit sei. Es ist wieder Pudding von Dir.
Morgen oder übermorgen muß ich wieder einmal Schuster spielen. An einem Paar Schuhe von Helga und einem Paar von Jörg müssen neune Absätze drauf. Die schönste Arbeit ist es ja gerade nicht, aber notwendig. Der Schuhmacher hat ja nur noch Mittwoch und Samstag auf und dann kann man auch noch lange warten, bis man die Schuhe wieder bekommt. Da mache ich es doch lieber selber. Erstens habe ich ja Leder und zweitens spare ich dadurch Geld.
Bei uns ist es heute auch wieder kalt, fast 7 Grad Kälte. Da ist man ganz gern im Zimmer. Die letzten Tage haben wir auch etwas schönes eingeführt. Da sind wir doch immer erst aufgestanden, wenn es so hell geworden ist, daß man kein Licht mehr brauchte. Da bin ich früh immer noch eine Stunde zu Helga mit ins Bett gekrochen und dann haben mir die Kinder die ganze Zeit erzählt. Ich mußte natürlich auch erzählen. Da ist die Zeit schnell vorbei gegangen. Morgen hört es ja sowieso wieder auf, da müssen wir wieder früh heraus. Aber solange die Kinder keine Schule hatten, haben es viele so gemacht, wie ich gehört habe, daß sie erst spät aufgestanden sind. Wir z.B. haben dadurch auch das 2. Frühstück gespart, da wir ja meist erst ½ 10 Uhr Frühstück gegessen haben. Auch Licht und Feuerung brauchte man nicht so viel.
Da Vater gestern da war und meist erzählt hat, habe ich gut dabei stricken können und bin fast mit dem 2. Handschuh für Dich fertig geworden. Die werden wieder schön warm.
Ich danke Dir auch nocht für die Briefumschläge, die Du mir mitgeschickt hast. Ich kann sie natürlich bald brauchen. Für die Zeitungen möchte ich natürlich auch danken. Ich habe schon vorhin ein wenig gelesen.
Nun, mein liebster Ernst, laß mich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 270 vom 8./9.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, den 8.1.42                     

Ich erhielt Deinen lieben Brief vom 3.1. und danke Dir vielmals dafür.
Wie ich aus ihm lese, habt Ihr dort kein Winterwetter wie wir. Bei uns ist dieses Jahr der Schnee beständig, denn auch heute liegt noch welcher und die Kinder sind wieder draußen.  Heute aber nicht mehr mit den Schlitten, sondern mit Ski aus Holz von einem Waschfaß, das wir immer im Vorraum liegen gehabt haben, das aber morsch war. Die oberen Stücke sind ja noch gut. Damit kamen die Kinder vorhin an, ich sollte ihnen doch Ski machen. Mit Fahrradgummi habe ich dann diese Dinger zustande gebracht. Schön ist ja anders, aber es macht ihnen doch Spaß. Was man doch nicht noch alles lernen muß.
Schule haben die Kinder ja noch nicht, wie ich Dir schon schrieb. Die haben wirklich ein faules Leben, nur lernen sie eben nicht viel dabei, das ist nicht gut. Später müssen sie es dann im Galopp nachholen.
Ich glaube auch, daß das Wohnen in freier Lage viel zu ihrer guten Entwicklung beigetragen hat. Sie haben ja immer frische Luft, viel Sonne und viel Platz zum Tummeln.
Ich habe mich wirklich gefreut, daß ich wieder ein paar Mark auf die Sparkasse schaffen konnte. Man hat doch immer das Gefühl, einen gewissen Rückhalt zu haben.
Wir können also bei Deinem Urlaub auch mit einem neuen Radioapparat rechnen. Das ist fein. Aber unseren alten geben wir doch nicht weg. Der ist so zuverlässig, denn er hat bisher noch nicht versagt.  Wenigstens während des Krieges möchte ich ihn noch behalten, da man Reparaturen immer so lange nicht gemacht bekommt, hat man ihn immer noch in Reserve. Hoffentlich haben wir mit dem neuen genau so Glück wie mit dem alten.
Ich hatte einmal an Dich geschrieben, Du hättest doch den Ahnenpaß noch dort. Das ist ja gar nicht der Fall. Du hast ihn scheinbar bei Deinem letzten Urlaub wieder mitgebracht, denn ich fand ihn gestern in der Tischschublade in der Stube. Er lag ganz hinten drin, drum hatte ich ihn nie gesehen. Ich glaube aber, ich werde ihn Dir wohl gar nicht erst noch hinschicken, vielleicht kannst du ihn nach Deinem Urlaub mitnehmen. Andernfalls schreibst Du mir bitte.
Ich schicke Dir heute einen Artikel vom Hödinger Tobel mit, der Dich sicher auch interessieren wird. Mir hat er gut gefallen.
Von Elsa erhielt ich heute einen Brief. Gerhard liegt seit 31.12. in einem Lazarett in Rouen. Er muß sich seine Krampfadern operieren lassen.
Die Kinder können die Ankunft der Kokosnuß gar nicht erwarten. Sie sind jedes Mal beleidigt, wenn der Briefträger das Päckchen nicht bringt.  Das wird ein schönes Theater geben, wenn sie wirklich ankommt.
Gerade war Jörg da. Es ist doch ein Bengel. Kaum hat er die Skier ausprobiert, da fährt er schon ein Stück den Weberbuckel runter. Hingefallen ist er zwar schon öfter, aber das macht ihm nichts aus.
Nun laß mich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                       Konstanz, den 9.1.42

Heute ist wieder einmal die Zeit so kurz, daß sie mir nirgends zureicht. Darum schreibe ich gleich mit der Maschine. Ich war heute Morgen schon unterwegs und habe die Lebensmittelkarten besorgt. Auch angemeldet habe ich sie gleich und dabei noch verschiedenes besorgt, damit ich morgen nicht noch einmal fort muß. Ich habe ziemlich bei der Fahrerei gefroren, denn wir hatten heute 7 Grad Kälte. Aber zum laufen dauert es zu lange und der Omnibus fährt nur noch ganz früh, wenn die Leute zur Arbeit fahren und dann von 11 ½ - 2 und von ½ 6 - ½ 8. Aber ich habe ja gleich wieder eine schöne warme Küche vorgefunden, so daß ich bald wieder aufgewärmt war.
Als ich heim kam, stand Helga schon beim Frieden und sagte mir, daß 2 Päckchen von Dir angekommen sind. Wir haben sie dann gleich ausgepackt. Als ich das eine Päckchen vom Tisch nahm, hatten die Kinder noch Deinen lieben Brief vom 5.1. darunter versteckt. Sie wollten mich damit überraschen. Es ist ihnen auch geglückt.
Nun kam beim Auspacken die Kokosnuß zum Vorschein. Über das Aussehen waren sie ganz verdutzt. Und bis wir das Ding auf hatten. Dann kam noch eine Enttäuschung. Sie hatte gedacht, die schmeckt süß. Damit war es ja nichts. Aber ich habe dem abgeholfen und habe eine Art Kokosflocken gemacht. Die essen sie nun gern.
Bist Du mir böse, wenn ich Dir schreibe, dass ich nichts davon essen kann? Ich weiß nicht, ob ich Dir schon einmal davon erzählt habe, daß ich sie mir so über gegessen habe. Bei uns in Leipzig gab es die Nuß doch immer streifenweise zu kaufen und wir haben meinen Vater immer damit gequält. Da hat er einmal eine Ganze mitgebracht und ich habe mich so darüber gestürzt, dass ich sie nachher überhaupt nicht mehr sehen konnte. Lange Zeit wurde es mir beim sehen direkt schlecht. Das ist ja jetzt nicht mehr der Fall und ich dachte auch, dass ich sie essen könnte, aber es geht nicht. Es tut mir so leid, da Du sie doch extra schickt hast.
Die Schale der Nuß hat sich Jörg ja gleich wieder angeeignet. Vorhin hat er sie einmal mit hinaus genommen, da haben alle Kinder gestaunt, keiner wußte, was das sei. Da kannst Du Dir den Stolz von Jörg vorstellen, daß er so ein Wunderding besitzt.
Über die Apfelsinen bzw. Mandarinen, die Äpfel und die Bonbons haben wir uns sehr gefreut. Leider sind 2 von den Mandarinen schlecht geworden bzw. zerquetscht, aber die anderen sind gut angekommen. Wir danken Dir für alles und Du sollst, wenn Du, hoffentlich recht bald, auf Urlaub kommst, viele Küsse dafür bekommen.
Nun zu Deinem lieben Brief vom 5.1.Wie Du aus meinen vorhergehenden Briefen ersehen hast, bekomme ich jetzt wieder etwas regelmäßiger Post von Dir. Der Briefträger hat heute schon zu den Kindern gesagt, wir bekämen ja fast immer Post.
Die Kinder sind absolut nicht böse, daß wir zusammen ins Kino gegangen sind. Aber ich muß doch immer bremsen, denn seit wir nun in letzter Zeit ein paar mal fort warten, guckt Helga schon jede Woche das Filmprogramm nach, ob filme gespielt werden, bei denen Kinder mit können. Jedes Mal fragt sie, ob wir nicht wieder einmal gehen. Sie meint fast, das muß einfach sein. Das wollen wir ihr aber gar nicht so angewöhnen.
Die Kinder wollten Dir auch schon wieder einmal schreiben. Sie nehmen es sich jeden Tag vor, aber wenn sie dann aufstehen und der Schnee lockt draußen so, da möchten sie doch gar zu gern raus und sie haben gar keine Ruhe zum schreiben. Du nimmst es ihnen doch sicher nicht übel, denn gezwungenermaßen sollen sie Dir nicht schreiben, da kommt gar nichts Richtiges dabei heraus.
So, mein lieber Ernst, jetzt will ich weiter schaffen. Ich muß noch bügeln und wenn es mir langt, will ich auch noch backen. Manchmal möchte man die Zeit direkt dehnen können. Aber lieber nicht, dann dauert es ja noch länger, bis zu wieder einmal heim kommst.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Samstag, 7. Januar 2017

Brief 269 vom 7.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz , 7.1.42        

Heute habe ich Deinen lieben Brief vom 2.1. erhalten. Du merkst es ja auch an dem Briefpapier, das mit „zwischen den Zeitungen“ langt und das werde ich heute gleich einmal ausprobiere.
Wir haben heute wieder winterliches Wetter. Gestern war ja noch großer Matsch, das ist aber dann gefroren und der neu gefallene Schnee, ca. 15 cm hoch, ist liegen geblieben.
Natürlich fahren unsere Beiden schon wieder Schlitten.
Ich freue mich, daß Dir der Kalender von mir gefällt. Der Kalender von Papa ist kein ausgesprochener Taschenkalender. Du wirst ihn ja sehen, wenn Du auf Urlaub kommst. Ja, Krach macht Jörg ganz gern und das schießen hat ihm besonders imponiert. Na, augenblicklich habe ich ein ja ein bißchen Ruhe, da er seine Munition verschossen hat und von den 6 Schachteln, die ich noch in Reserve habe, weiß er ja nichts.  Die gefüllte Schokolade, in der einfachen Packung, war sehr gut. Die hat auch Helga nicht verschmäht. Sie hat mich immer wieder um ein weiteres Stück gebettelt. Jörg war nur auf die Füllung versessen. Die Schokolade drum rum konnte ich essen. Tu Dich bitte nicht ärgern, daß sie so teuer war. Sie hat ja viel Freude gemacht, das ist auch was wert.
Mit Vater ist schon alles wieder im rechten Gleis. Ab und zu muß er eben mal brummen. Aber es freut mich, daß ich nun weiß, daß es Dir recht ist, wie ich es mit dem Ausziehen der Kinder mache.
Mit dem Pudding mache ich es so, daß ich ab und zu, wenn ich nichts Vollwertiges zu Mittag habe, einen dazu gebe. Das füllt dann auf. Dabei bin ich auch immer wieder über den Zucker von Dir froh. Sonst müßte ich ja vielmals Süßstoff nehmen.
Mit der Kokosnuß hast Du ja was angerichtet. Als ich den Kindern die Stelle Deines Briefes vorlas, daß Du eine Kokosnuß schickst, da stürmten sie gleich mit Fragen auf mich ein: „Was ist das“, „Wie sieht sie aus?“, „Wie schmeckt sie“, usw. Als ich die Fragen soweit beantwortet hatte, da stürmten sie wieder auf mich ein, aber diesmal mit Küssen, die eigentlich Dir gelten. Mit dem Ruf „Vaterle ist aber lieb“ in dauernder Wiederholung, bin ich halb tot gemacht worden. Das ist ja nun auszuhalten. Da solltest Du unbedingt hier sein und mir wenigstens die Hälfte abnehmen. Aber warte nur, wenn Du auf Urlaub kommst, da wird es Dir auch nicht anders gehen. Mit Küssen haben sich die Kinder viel vorgenommen, Du kannst mir schon heute leid tun.
Jörg war wieder ganz glücklich, daß Du Dich über seinen Brief gefreut hast.
Du, da muß ich noch was erzählen.  Heute Morgen klingelt es und diesmal stand zur Abwechslung Frau Schwehr draußen.  Oben am Rücken ganz zerkratzt, ein Ohrring rausgerissen, ein Büchel Haar ausgerissen und eine Beule am Kopf. Frau Bolz hat sie so zugerichtet. Die Leute haben doch Sorgen.  Also, ich halte von Beiden nicht viel. Gestern kam Frau Bolz angesaust „Denken sie, der Hermann hätte bald das Haus angezündet, er hat mit Streichhölzern gespielt und Glut aus dem Ofen geholt. Haben das ihre Kinder auch schon gemacht?“ „Nein“, habe ich gesagt, „ich habe sie auch nie allein gelassen.“ Dann hat sie mir geklagt, daß sie ihn durchgehauen habe, aber das könnte sie nicht mehr. Sie sei ganz kaputt gewesen.  Dann ist sie gleich zur Frau Leimenstoll und hat dasselbe erzählt und vorher war sie bei der Frau Oexle und hat erklärt, warum der Hermann so geschrien habe. Ich finde das einen Quatsch. Was geht uns das an und wenn man seinen Jungen durchhaut, braucht man sich doch nicht im ganzen Haus entschuldigen. Ich lasse sie doch nie in die Wohnung, sondern fertige sie immer durch das kleine Fenster ab. Aber sie kommt doch immer wieder. Abends hockt sie jetzt meist bis um 11 bei Büsings. Da soll sie doch auch bei Tag ihr Leid klagen. Das ganze hängt einem schon zum Hals heraus. 
Ich habe heute auch schon eine Freude erlebt. Ich habe heute Morgen Schnee weggekehrt.  Als ich herein kam, empfingen mich Helga und Jörg schon an der Türe. Sie waren ganz ungeduldig und zapplig. Als ich in die Küche kam hatten sie schon das Eingebrockte für uns alle gerichtet, schon Zucker und Süßstoff dran getan und auch den Kaffee schon heiß gemacht und die Milch dazu gestellt. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Ich war doch am Montag in der Stadt. Da habe ich schon überall hingesehen, was ich Papa und Erna zum Geburtstag schenken könnte. Ich weiß gar nicht, was ich kaufen soll. Ein Paar Strümpfe wollte ich ihr schenken, aber ich konnte keine bekommen und mit was kann ich Papa eine Freude machen? Kannst Du mir nicht raten?
Nun laß mich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 268 vom 6.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                  Konstanz, 6.1.42              

Seit gestern Vormittag habe ich nicht mehr an Dich geschrieben und heute ist es auch Abend geworden. Da wird es bald Zeit, daß ich mich zu einem Brief hinsetze.
Einen Brief habe ich gestern und heute nicht von Dir bekommen. Dagegen kamen die Päckchen 48, 49, 50 mit Seife. Das sind aber schöne Stücke, dafür möchte ich Dir sehr danken. Nun möchte ich Dir von unserem Tageslauf berichten. Gestern war ich mit den Kindern in der Stadt. Ich habe allerhand besorgt. Sogar Klopapier habe ich wieder mal erwischt, während Briefumschläge, die ich auch bald wieder brauche, nicht zu haben waren. Auch mit etlichen anderen Sachen bin ich auf später vertröstet worden. Man muß sich nur das Nachfragen nicht verdrießen lassen, einmal klappt´s doch.
Auf dem Heimweg kamen wir an der Rheingasse vorbei. Da war in dem großen Eckhaus gegenüber der Lesehalle ein Kellerbrand ausgebrochen. Die Feuerwehr war da, da haben wir eine Weile zugesehen. Wie heute in der Zeitung stand, ist ein Mädchen mit offenem Licht in den Keller gegangen und das Stroh  auf einer Apfelhorde hat Feuer gefangen.
Ich hatte gestern für Vater ein Brot mitgebracht. Das haben wir ihm ins Geschäft gebracht.  Es ist nämlich gestern ganz plötzlich ein Wetterwechsel eingetreten und es fing an mit regnen. Da wollten wir ihm den Weg zu uns herauf abnehmen. Es hat noch die ganze Nacht und heute Vormittag geregnet, während es heute Nachmittag und auch jetzt noch schneit. Du kannst Dir sicher den Matsch vorstellen. Dem halten keine Schuhe stand.
Heute sind nun die Kinder zum ersten und auch gleich wieder zum letzten Mal zur Schule gegangen. Wegen der Wollsammlung haben sie bis zum Montag noch Ferien. In der Schule liegen doch die ganzen Sachen. Da werden wir also auch in den kommenden Tagen solange im Bett bleiben, bis wir kein Licht mehr brauchen.  Wir sind doch Faulenzer, nicht wahr?
Heute Mittag kam Vater und brachte 2 kleine Stollen, die ich für Kurt einpacken und fortschaffen sollte. Das habe ich heute Nachmittag auch getan. Da war ich froh, daß ich mit dem Rad fahren konnte. Der Matsch ist nur so rumgespritzt und es ist dann ein schönes Gefühl, wenn man mit dem Rad gewissermaßen darüber schwebt.
Als ich heim kam, habe ich noch das Waschhaus und die Treppe geputzt. Dann habe ich mir mal den Klappstuhl, den Vater gemacht hat, vorgenommen. Ich habe ihn mit einem blau/weißen Stoff einstweilen bezogen.  Wenn wir später mal anderen haben, kann man ihn ja abmachen. Kaum hatte ich ihn fertig, also den Stuhl, da haben ihn schon die Kinder für ihre Puppen „organisiert“.  Das ist nun gleich ein Puppenbett.
Von Papa erhielt ich heute einen Brief mit Bildern von Siegfrieds Hochzeit und einem Gedicht, das ich Dir abschreibe.
Findest du Papa auch so schlecht aussehend. Als wir in den Ferien dort waren, sah er viel besser aus, aber Mamas Tod hat ihn doch sehr mitgenommen.
Von Alfred Seifert kam auch eine Karte. Ich schicke sie Dir auch mit. Ob der Name „Lilly“ ein Mädchen von ihnen ist?
Ich weiß nicht, ob Dich das Gedicht von Papa so berührt wie mich. Ich habe heulen müssen. Das kommt auch daher, daß der Schmerz noch so frisch ist. Du glaubst gar nicht, wie oft ich von Mama träume. Immer frage ich sie „ja, bist Du denn nicht gestorben“ und immer sagt sie „das ist ja gar nicht wahr“ oder „davon wollen wir nicht reden“, daß doch eine Mutter auch sterben kann. Wie oft habe ich schon an Euch denken müssen, wie schwer es Euch gewesen sein muß, als Eure Mutter starb. Das habe ich früher nicht so empfunden. So lernt man auch durch Schmerz.
Lieber Ernst, meinst Du, es wird wahr, daß Du noch diesen Monat auf Urlaub kommen kannst? Wir würden uns ja so freuen. Vielleicht dauert es doch nicht mehr so lange.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Ich habe gerade das Gedicht abgeschrieben. Vielleicht, meine ich, wirst Du manches eigenartig finden. Aber es war früher so, daß Papa dichtete, wenn er sehr froh war und jetzt tut er es vielleicht, wenn er traurig ist. Ich glaube, daß Papa die Mama doch sehr vermißt. Ich habe ja Dich und die Kinder, aber Papa ist doch eigentlich mehr allein. Siegfried ist ja nun glücklich, daß er jung verheiratet ist und Erna ist ja trotz aller Liebe nicht das eigene Kind. So tut mir Papa eigentlich immer leid.
Nochmals viele, viele Grüße und Küsse von Deiner Anni.

Donnerstag, 5. Januar 2017

Brief 267 vom 4./5.1.1942


Mein lieber, lieber Ernst!                                                           Konstanz, 4.1.42      
                                       
Als am Sonntagsgruß erhielt ich Deinen lieben Brief vom 31.12., für den ich Dir sehr danke. Du hast also genau so an uns am Jahresende gedacht, wie wir an dich. Ihr habt mit wenig Alkohol das nun neue Jahr begrüßt. Aber wir waren Euch doch noch über, wir haben ganz brav nur Tee getrunken.
Deine Gedanken zum Jahreswechsel habe ich gern gelesen. Mir sind auch so ähnliche Gedanken gekommen, aber Du weißt ja, daß ich sie schlecht in Worte kleiden kann. Desto froher war ich, daß Du mir davon geschrieben hast.
Deine Wünsche für Vater werde ich ihm ausrichten, wenn er wieder einmal herauf kommt.
Vater bekommt seine Rente jetzt regelmäßig, monatlich 44,30 Mk. Ich habe ihn darum nicht erst fragen müssen, denn ich hole ihm ja manchmal die Rente, weil er durch seine lange Arbeitszeit schlecht dazu kommt. Vater hat sich jetzt auch ein Postsparbuch angelegt. Das  ist für ihn praktischer als auf der Sparkasse, da die Post länger offen ist.
Wenn Du Dir in Deinem Urlaub einen festen  und herzhaften Kuß von mir wünschst, so erfülle ich Dir diesen Wunsch gern. Ich kann aber noch nicht garantieren, ob es bei dem einen bleibt.
Der Sonntag ist heute ziemlich ruhig verlaufen. Am Vormittag das übliche Aufräumen und Essen kochen, am Nachmittag baden. Die Kinder baden doch jetzt auch nacheinander und nicht mehr zu gleicher Zeit.  In der Holzwanne kann sich Jörg doch auch nicht mehr richtig bewegen, darum haben wir sie für´s baden ausrangiert.
Auch noch was anderes hat sich geändert. Ich habe den Morgenrock mit den roten Punkten in Gebrauch genommen und meinen blauen Morgenrock hat Helga bekommen, der er gerade richtig paßt. Ja, die Kinder werden groß. Der grau karierte Mantel war Helga zu kurz geworden und bei Jörg bedeckte sein brauner Mantel gerade noch den Bauch. Nun hat er Helga´s Mantel bekommen.  Ich kann doch nicht 2 Stück da haben und die Kinder frieren.
Ich bin erst heute Abend zum schreiben gekommen. Hoffentlich macht es Dir nichts aus, wenn ich den Brief erst morgen fortbringe. Ich habe nämlich noch nasse Haare und mir graust es ein bißchen, jetzt noch fortzugehen. Es ist gerade 10 Uhr. Ich gehe nachher bald schlafen.  Gute Nacht mein lieber Schatz.

Lieber Ernst!                                                                                        5.1.42
Nun will ich den Brief fertig schreiben, damit er wenigstens zu Mittag mit fortkommt.  Gerade ist Dein Päckchen 47 angekommen. Von dem Knäckebrot habe ich den Kindern gleich ein Stück geben müssen. Da sind sie doch wild darauf. Die anderen schönen Sachen hätten sie natürlich auch nicht verschmäht, aber das gibt es nicht, daß gleich alles gefuttert wird. Das wird richtig eingeteilt, sonst merken es die Kinder nämlich gar nicht, daß Du uns die Sachen extra schickst und sie meinen, das geht alles so nebenbei und ist selbstverständlich. Ich danke Dir für das Päckchen recht sehr.
Heute Nachmittag gehe ich mit den Kindern in die Stadt. Ich habe verschiedenes einzukaufen und mit dem Rad läßt es sich schlecht fahren. Da hat es am gestrigen Nachmittag etwas getaut und über Nacht hat es wieder gefroren. Da ist die Straße ganz uneben und wenn man mit dem Rad in Spuren rein fährt, kann´s einen leicht einmal runterschmeißen. Es ist heute auch wieder kälter als in den vergangenen Tagen.
Was sagst Du zu der Wollsammlung? Das ist doch ein großer Erfolg. Es waren auch alle mit Freude dabei. Jeder hat alles rum gewälzt, ob er noch was zum geben fand und überall ist geschafft worden. Am Freitag und Samstag haben sich die Leute sogar anstellen müssen, damit ihnen die Sachen abgenommen wurden. Trotzdem steht Konstanz in Baden und Elsaß erst an siebenter Stelle  mit den Spenden. Wie mag es da erst in den anderen Städten zugegangen sein. Das war eine Sammlung, die Freude gemacht hat. Ich danke Dir auch, daß Du es mir überlassen hast, was ich geben will. Ich wüßte nämlich erst gar nicht, ob es Dir recht ist, wenn ich dies und jenes weggebe.
Ich will mich nun noch ans bügeln setzen, damit ich bis zu Fortgehen fertig werde. Laß mich deshalb jetzt schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 266 vom 2./3.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz, 2.1.42                                 

Ich erhielt Deinen lieben Brief vom 29.12. und habe mich sehr darüber gefreut.
Die kleinen Puppen haben Helga wirklich sehr gefreut, aber konntest Du nicht eine bravere heraussuchen? Die größere, die die Augen zumachen kann, ist ja ein ganz schlimmer Kerl. Die tapst ins Essen rein, wirft alles um, sogar ins Klosett ist sie schon gefallen. Die Puppenmutter hat mir gerade heute ihr Leid geklagt.
Beim Zusammensetzen der Kanonen mußte ich schon noch mithelfen, denn da sind so kleine Schrauben dran, mit denen Jörg noch nicht ganz fertig wird.
In der einen Zeitungssendung war wirklich kein Brief. Ich habe alle anderen Schreiben und auch jede Seite der Zeitungen durchgesehen. Es ist wirklich manchmal so, daß man den Kindern zu wenig zutraut. Aber sie werden eben auch größer und selbständiger. Das ist ja kein Schade, sie wissen sich doch dann wenigstens auch zu helfen, wenn sie auf sich selber angewiesen sind. Das habe ich gerade beim Impfen gesehen. Jörg wollte mich nicht mit haben, da er sich selber aus- und anziehen kann. Aber es waren doch manche Mütter mit, die den Kindern geholfen haben. So sprach mich auch eine Frau an und fragte, ob ich nicht mit zum Impfen gegangen sei. Sie wäre dort gewesen, denn ihr Bub könnte sich doch noch nicht so anziehen. Jörg kann das ja alles. Auch die Schuhe kann er sich jetzt schon längere Zeit selber binden. Ich mag das nicht, wenn Kinder so unselbständig sind. Da habe ich direkt einmal lachen müssen, als mir Frau Leimenstoll erzählte, sie müßte dem Walter, der doch älter als Helga ist, beim waschen helfen, da er das noch nicht kann. Meine Mutter hat wirklich immer zugesehen, daß sie einem eine Freude machen konnte. Mit den Handtüchern, die ich jetzt habe, komme ich ja lange Zeit aus. Mit den weißen wahrscheinlich mein ganzes Leben, denn da habe ich außer dem Dutzend, das ich im Gebrauche habe und das noch gut erhalten ist, 24 neue. Wischtücher habe ich auch 6 Stück bekommen. Also Mangel habe ich nicht.
Der Schnee ist noch nicht getaut und die Kinder sind wieder beim Schlittenfahren. Vor allem Jörg tobt so im Schnee herum, daß er sich die letzten Tage immer noch mal umziehen mußte, weil Hose, Strümpfe und Schuhe ganz naß waren. Das Rumtoben ist für ihn direkt ein Fest. Helga ist ja ein bißchen vorsichtiger und hat es erst abends soweit gebracht, daß alles naß ist.
Der Maler Lotter von der Reichenau ist gestorben. Vor kurzem sind seine beiden Söhne gefallen und als er jetzt die Nachricht bekam, daß sein zukünftiger Schwiegersohn auch gefallen ist, hat er einen Herzschlag bekommen. Das ist doch traurig. Vergangene Woche ist auch eine Frau gestorben als sie die Nachricht erhielt, daß ihr Sohn gefallen ist.
Von Kurt kamen heute 2 Päckchen mit Sachen zum aufheben. 2 Bücher, die er zu Weihnachten erhielt und ein Fernglas, das er sich wieder gekauft hat. Er hatte auf das Päckchen „vorsichtig auspacken“ geschrieben. Das habe ich ja getan, aber auf dem Transport ist doch ein Stück von der Verschraubung der Gläser gebrochen. Viel macht es ja nicht aus, aber ich will es Kurt doch gleich mitteilen, damit er nicht meint, es ist bei uns passiert.
Als Vater zu Sylvester hier war, hat er einen schlimmen Schnupfen mitgebracht, den er mir gleich ererbt hat. Ich kann gar nicht genug Taschentücher haben. Aber  sonst geht es uns allen gut.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein lieber Ernst!                                                           Konstanz, den 3.1.42

Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 30.12. Ich bin auch sehr froh, daß die Feiertage vorbei sind. So ist man wieder bei seiner regelmäßigen Arbeit.
Das Apfelmus, welches Du eingekocht hast, hat ja, wie ich Dir schon schrieb, prima geschmeckt. Wir haben ja noch welches da und werden beim Essen immer wieder an Deinen Urlaub denken und an die Mühe, die Du Dir gegeben hast.
Es geht mir also nicht allein so, dass ich den Schnupfen habe, sondern Du bist auch so ein Patient. Bei mir ist es ja jetzt schon wieder ein bißchen besser.
Wenn Du wieder Seife schickst, so kann ich sie schon brauchen, wenn auch nicht gleich. Aber gute Seife wird ja durchs liegen nur besser.
Denk Dir, ich habe gestern das ganz verkehrte Puppenkind bei Dir verklagt. Es ist doch das Baby, das so schlimm ist, die andere ist ganz brav. Als ich es Helga gestern sagte, daß ich Dir geschrieben habe, warum Du keine bravere geschickt hast, sage sie gleich, daß ich Dir aber schreiben muß, daß es nicht die ist, die die Augen zumachen kann, sondern die kleine.
Wir haben immer noch etwas kaltes Wetter, aber viel Kältegrade hat es nicht. Für die Kinder ist es gerade richtig zum draußen rumtollen. Schnee liegt ja auch noch, so daß sie dieses Vergnügen also auch noch haben können. Ich habe nun inzwischen auch gewaschen und einen Teil schon trocken. Es war nicht so viel, weil Vater diesmal keine Bettwäsche gebracht hat und ich auch nicht alles abziehen brauchte. Im Winter ist man ja froh, wenn man nicht so viel in dem kalten Wasser rummatschen braucht. Morgen werden wir sicher baden. Eigentlich war es heute schon vorgesehen, aber ich habe so viel zu tun gehabt, daß er nicht geklappt hat.
Nun fängt ja die Schule bald wieder an. Jörg hat ja ab und zu geschrieben und gelesen, aber manchen Tag hat er mir doch abgebettelt, wo er nichts gemacht hat. Aber er hat öfter in dem kleinen Märchenbuch gelesen, das er zu Weihnachten bekommen hat und das ist genau so gut, als wenn er in seinem Lesebuch gelesen hätte und außerdem hat es ihm viel Freude gemacht. Helga hat sich ja um ihre Schulsachen nicht gekümmert, aber sie kann ja alles soweit und Aufgaben haben sie ja nicht auf gehabt.
Ich habe jetzt auch noch die Bücher „Lonny“ und „Der Mutterhof“ gelesen.  Sie haben mir beide sehr gut gefallen. Am meisten das letztere.
Übrigens, von der Munition für Jörg kannst Du ruhig noch welche besorgen. Wenn ich ihm die mal gebe, die ich noch aufgehoben habe, ist sie doch gleich alle. Wenn Du mal auf Urlaub kommst, will Dir Jörg doch sicher auch etwas vorschießen, damit Du siehst, was für ein großer Soldat er schon ist. Also kaufe noch ein paar Schachteln.
Nun laß mich wieder schließen. Ich will noch einen Brief an  Papa schreiben und mich für den Abreiskalender bedanken, der er mir mitgeschickt hat. Ich glaube, ich habe Dir davon überhaupt noch nichts geschrieben, oder doch? Er heißt „Deutsches Ahnenerbe“. Es sind ganz schöne Bilder drin. Du wirst es ja sehen, wenn Du wieder einmal heimkommst.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.