Mein
liebster Ernst! Konstanz, 25.11.41
Heute
erhielt ich Deinen lieben Brief vom 22.11. mit den Zeitungen. Ich danke Dir
dafür. Du hast also doch Urlaub nach Lille bekommen. Hoffentlich hat es Dir
gefallen.
Von
uns ist heute nicht viel zu berichten. Gerade vorhin habe ich Helga erlaubt,
ein bißchen aufzustehen. Es geht ihr mit jedem Tag besser. Der Husten ist ja
noch nicht ganz weg, aber heiser ist sie fast gar nicht mehr.
Jörg
hat die ganze Stube belegt. Da hat er seine ganze Eisenbahn aufgebaut, dazu den
Bahnhof mit Garten und seinen ganzen Hof mit allen Tieren. Es ist gut, daß es
noch nicht so kalt ist, da kann man die Stube noch mit erheizen. In einer
Beziehung ist es mir lieber, wenn er in der Stube spielt, da kann man nicht
immer über seine Sachen fallen. Er braucht doch immer den ganzen Platz.
Nachher
muß ich noch in die Stadt fahren und die Päckchen von Vater für Kurt
wegschaffen. Im Allgemeinen habe ich heute nicht viel getan, sondern einen
etwas ruhigeren Tag eingelegt, nachdem es am Sonntag mit dem Ausruhen nichts
geworden ist.
Das
Wetter ist bei uns jetzt fast immer das gleiche, neblig oder trüb, naßkalt.
Jedenfalls sehr ungesund. Ich habe nun auch wieder Husten und Schnupfen
bekommen. Jetzt hat ihn wenigstens die ganze Familie.
Auch
ich muß Dich heute bitten, mit diesem kurzen Brief vorlieb zu nehmen. Ich weiß
gar nichts mehr zu schreiben.
Sei
recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Viele Grüße und
1000000000 Küsse von Deiner Helga und Jörg.
Mein
liebster Ernst! Konstanz,
26.11.41
Nachdem gestern Dein Brief vom 22. mit den
Zeitungen kam, erhielt ich heute Deinen lieben Brief vom 20.11. Das ist wieder
ein langer Brief, für den ich Dir herzlich danke.
Ich
würde mich freuen, wenn es klappte, daß Du für die Kinder ein paar Filzschuhe
bekommst. Ihre jetzigen können sie nicht mehr so sehr lange tragen.
Ich
glaube, den Cognac wirst Du noch unangebrochen vorfinden, wenn Du wieder mal
auf Urlaub kommst. Da brauche ich schon Deine Gesellschaft dazu.
Beim
Kauf der Hosen für Jörg habe ich nur die Länge der Seitennaht angeben brauchen.
Die Schrittweite ist bei Jörg`s Hosen 34 - 36 cm. Wenn die neuen Hosen etwas
größer sein sollen, muß eben evtl. 1 - 2 cm zugegeben werden.
Ich
bin froh, daß Du Dich nicht mehr so über den Brief von meinem Vater ärgerst.
Ich weiß, daß Du nicht unversöhnlich bist und das macht mir alles ein bißchen
leichter. Du weißt ja, daß ich meinen Vater nicht im Stich lassen kann, vor
allem jetzt, wo meine Mutter gestorben ist. Du weißt ja auch, daß er schon
früher ein Hitzkopf war, früher noch mehr als jetzt, und daß ich ziemlich
darunter gelitten habe. Es läßt sich ja jetzt alles nicht mehr ändern oder ungeschehen
machen. Das Beste ist, daß man so wenig als möglich daran denkt. Papa ist ja
nun auch älter geworden und ich denke, daß es ihm ein Trost ist, wenn ich ihm
öfter schreibe. Erna ist ihm eben doch noch fremd, wenn er sie auch gern hat.
Es wird sicher noch eine Weile dauern, bis sie sich richtig aneinander gewöhnt
haben. Vielleicht ist das öftere Schreiben später nicht mehr so nötig, aber
vorläufig will ich`s mal beibehalten. Sonst war es bei Papa ja immer so, daß
der Schmerz ihm heftig zum Ausdruck kam, daß er aber auch schnell überwunden
hat. Ich weiß ja nicht, wie es nun bei Mama`s Tod ist. Ob auch sein Ausspruch,
daß wir die Vertrauten sind, von langer Dauer ist, weiß ich nicht. Es kann auch
sein, daß er das aus dem ersten Schmerz heraus gesagt hat. Du weißt ja, ich bin
da immer etwas mißtrauisch. Ganz richtig nahe werden wir uns ja mit Papa nicht
kommen, wir sind zu verschieden. Das ist ja auch nicht so wichtig, wenn wir uns
nur verstehen, nicht wahr?
Wegen
der Sache, was Erna in die Ehe mitbringt ist es so, daß ich mich da nicht gern
hineine mischen will. Ich möchte ihn da nicht etwa, auch ohne meine Absicht,
aufhetzten. Gut wäre es natürlich, wenn sie etwas mitbringen würde. Schon
deshalb, damit ihr Siegfried nie Vorwürfe machen könnte. Siegfried ist in
vieler Beziehung wie Papa und von Papa weiß ich, in wie vielen Sachen er Mama
Vorwürfe gemacht hat, wenn es da auch nicht wegen Möbeln war, die ja Mama fast
alle mitgebracht hatte. Wenn er es hinterher auch immer wieder bereut hat, so
ist doch immer ein Stachel zurückgeblieben, wie Du weißt ja auch leider bei
mir.
Papa
redet ja immer voller Stolz davon, daß wir uns allein hoch geschafft haben, da
müßte er auch bei Siegfried damit zufrieden sein. Freilich, Siegfried ist nicht
wie Du und ob es dann, wenn sie sich einschränken müssen, so friedlich zugeht
wie bei uns, möchte ich fast bezweifeln. Aber wie gesagt, das hätten sie sich
vorher überlegen müssen und ich will mit der Sache nichts zu tun haben. Ich
wollte es Papa erst auch mitschreiben, daß Du ja auch nicht gefragt hast, was
ich mitbringe. Aber siehst Du, ich bin ein komischer Kerl, ich möchte ihm jetzt
nicht noch weh tun. So habe ich es eben gelassen.
Von
den Tabletten hast Du ja wohl einstweilen genug, wenn Du erst eine Schachtel
verbraucht hast und ich Dir vor ein paar Tagen nochmals 3 Schachteln geschickt.
Wenn Du sie mal bald aufgebraucht hast, schreibst Du mir rechtzeitig, denn
immer bekommt man keine.
Der
Entenbraten war also gut. Das freut mich. So etwas Gutes tut dem Magen auch mal
ganz gut. Wenn Du dazu noch eine Flasche
geerbt hast, so war das ja ein ganz guter Tag.
Helga
ist heute den ganzen Nachmittag auf. Auch das Essen geht schon wieder etwas
besser. Schmerzen hat sie keine mehr. Ich denke, daß sie nächste Woche wieder
in die Schule kann.
Laß
mich nun wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.