Montag, 15. Februar 2016

Brief 130 vom 13./14.2.1941


Mein lieber Mann!                                                                                Konstanz, 13.2.41                            

Ich danke Dir sehr für Deinen lieben Brief vom 7.2.
Bezüglich Siegfried hast du recht gehabt, er war wirklich ganz niedergeschmettert, als die Eltern Erna ins Haus nehmen wollten. Um eine Entscheidung drückt er sich aber immer wieder herum. Das lese ich wieder aus den kurzen Zeilen, die ich heute mit einem Zeitungspaket von den Eltern erhielt. Sie schreiben u.a.:
„Siegfried war vorgestern mit seinem Freund Fritzsche 1 1/2 Stunde hier, sonst haben wir ihn noch nicht sprechen können. Er habe Grüße an mich bestellt und den Eltern erzählt, daß es ihm sehr gut gefallen habe. Siegfried weicht also einer Aussprache aus. Nun kommt für mich das unangenehmste. Die Eltern ahnen scheinbar etwas und fragen nun: “Hat Siegfried mit Dir über sein Verhältnis mit Erna gesprochen?“
Nun möchte ich Dich fragen, Ernst, was soll ich da antworten? In den nächsten Tagen, wenn ich einen Brief an die Eltern schreibe, ist ja Deine Antwort noch nicht da. Ich werde diese Frage darin einfach überspringen, aber sie werden sicher noch mal anfragen, wenn Siegfried nicht inzwischen mit ihnen gesprochen hat. Ich habe schon die letzten Tage immer gefürchtet, daß die Eltern diese Frage an mich richten werden. Belügen kann ich sie ja nicht, denn ich glaube sicher, daß sich besonders Mama Sorge macht, andernteils hat Siegfried mir gesagt, die Eltern sollen noch nichts davon wissen. Ich habe in den letzten Tagen mal ein Lied gehört, darin heißt es:
„Es reden zu viele von Liebe, die nichts von Liebe verstehn.“
Das könnte man bei Siegfried auch anwenden, denn von richtiger Liebe hat er ja auch nicht einen blassen Schimmer. Das soll mir ja schließlich gleich sein, aber es wäre mir fast lieber, er hätte mir von allem nichts erzählt, da stände ich jetzt nicht in allem mit drin. Die Eltern tun mir in gewisser Beziehung auch leid, denn sie sind eigentlich auch in einer peinlichen Lage.
Das Stoffmuster des Mantels schicke in Dir wieder mit zurück. Der Stoff gefällt mir gut. Zu heikel ist er wohl nicht? Statt der 35,- habe ich Dir ja 50,- zugeschickt. Vielleicht kannst Du davon einen Teil des Mantels bezahlen. Für diesen Mantel durfte ich Dir ja nur noch 10.-schicken.
Von dem Gehalt, den ich übermorgen hole, könnte ich 20,- entbehren. Es ist wohl am besten, ich schicke die 20,- zusammen Ende Februar weg und nicht jetzt 10,- und Anfang März 10,-. Ist es so recht?
Von dem anderen Geld, das ich noch übrig habe, möchte ich Helga einen Lodenmantel kaufen. Schuhe brauchen beide auch wieder. Würden Dir die 20,- reichen?
Unseren beiden Stromern geht es gut. Mit dem brav sein hapert es ja manchmal, aber  ich werde schon mit ihnen fertig. Als Siegfried da war, hat er ein paar Mal mit ihnen schimpfen wollen, aber sie haben ihn gar nicht ernst genommen und haben gelacht. Da hat er es aufgegeben.
Von der rostbraunen Wolle, die Du mir geschenkt hast, stricke ich mir jetzt eine Jacke, ich habe jedenfalls mal angefangen. Das habe ich praktisch gefunden, daß die Wolle gleich so gewickelt ist, daß man sofort stricken kann, ohne daß man sie noch mal aufwickeln muß.
Heute haben wir wieder trübes Wetter. Aber kalt ist es nicht. Wir haben übrigens Besuch bekommen. Unsere Stare sind wieder da. Hoffentlich müssen sie nicht mehr so frieren wie das vergangene Jahr. Die Eltern haben mir in dem Paket das Kalkpräparat mitgeschickt, das Siegfried aus Frankreich mitgebracht hatte. Ich kann aber noch nicht viel damit anfangen, denn ich weiß nicht, wie es zu verwenden ist. Da muß ich warten, bis Du auf Urlaub kommst, damit Du mir mit Deinen französischen Kenntnissen hilfst.
Außer den Illustrierten Zeitungen haben mir die Eltern 13 Romane mitgeschickt. Das langt doch. Leider sind es meist so Romanhefte. Schlechte Sachen stehen ja nicht drin, aber viel Geist verlangen sie auch nicht. Ich schicke sie später wieder an Kurt. Aber diesmal sind auch ziemlich viel Illustrierte dabei. Die lese ich ja auch gern. Jörg hat ganz allein das kleine Tischle belegt und studiert die Zeitungen schon fest. Helga muß nur erst noch Schulaufgaben machen, aber sie hat sich auch schon welche rausgesucht. Ich schaffe dann erst den Brief noch fort. Hinterher oder heute Abend werde ich dann stricken und lesen. Sei nun recht oft und innig gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg

Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz, 14.2.41

Nachdem heute so schönes sonniges Wetter ist, gehe ich am Nachmittag mit den Kindern in die Stadt. Gestern Abend hat es den ganzen Nebel runtergeregnet.
Am Vormittag habe ich ziemlich geschafft und Jörg hat mir dabei geholfen. Ich habe in den Schlafzimmern alle Möbel von ihren Plätzen gerückt und dahinter geputzt und abgekehrt. Jörg hat Staub gewischt und Teppiche geklopft. Hinterher habe ich mit der Maschine verschiedene Sachen ausgebessert. Es sammelt sich gleich etwas an.
Helga hat vorhin gleich ihre Aufgaben gemacht. Jetzt sind alle beide hinterm Haus in der Sonne. Es ist bald 1 Uhr und wir wollen essen, damit wir nicht zu spät fortkommen.
In dem Paket, das ich gestern erhielt, haben die Eltern ungestempelt die Marke Hitler-Mussolini und vom Tag der Briefmarke mitgeschickt. Ich habe sie in Dein Album gelegt.
Gestern Abend habe ich gelesen und gestrickt. Heute werde ich es sicher genau so machen. Da geht die Arbeit gut voran. Ich freue mich schon darauf, wenn ich die Jacke mal fertig habe.
Gestern Nachmittag war ich mal drüben im Garten und habe mir alles angesehen. Die Erdbeeren  stehen gut da. Von den neuen Setzlingen ist bis jetzt keiner ausgefallen.
Wie ist das, Anfang März muß ich doch umgraben und Mist in die Erde tun? Denn der Mist soll doch nicht erst rein, wenn man schon mit säen anfängt? Schreib mir bitte darüber. Ich freue mich schon, wenn ich mich wieder richtig ausarbeiten kann. Das rum sitzen habe ich jetzt satt.
Heute wird der Brief mal ein bißchen kürzer. Nicht böse sein deshalb. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und tausend Millionen Küsse von Deiner Helga und Jörg. Wir möchten aber gern noch fortkommen, solange die Sonne scheint.

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