Donnerstag, 11. Februar 2016

Brief 127 vom 7./8.2.1941


Mein liebster Ernst!                                                                         Konstanz, 7.Februar 1941              

Heute komme ich spät zum schreiben, es ist bereits 4 Uhr. Das liegt daran, daß ich in der Küche mal wieder gründlich aufgeräumt habe. Ich hatte heute ein bißchen Feuer draußen, da habe ich die Gelegenheit wahrgenommen. Sonst, wenn es so kalt draußen ist, bleibt doch mal dies und jenes liegen, da man froh ist, wieder in die warme Stube zu kommen. Nun ist mal wieder alles in Ordnung.
Bei uns hat es wieder geschneit. Bereits gestern Nachtmittag, als wir heim gingen, fing es an. Heute früh lag er noch da, aber jetzt ist bereits wieder alles Matsch.
Vater kam gestern Abend. Trotz des Ärgers, den er immer hat, brachte er mir wieder drei Schildbrötchen. Ich habe ihm schon  ein paar Mal gesagt, er soll es lassen, aber er tut es nicht.
Nun ist meine ganze Wäsche trocken. Da bin ich froh. Im Winter ist waschen einfach kein reines Vergnügen.
Als ich mit Siegfried im Kino war, habe ich auch einen Kulturfilm gesehen. „Tragödien im Tierreich.“ Da war auch von Schlupfwespen die Rede. Da habe ich gesehen, daß Du wieder mal recht hattest. Du hast doch immer gesagt, wenn an Raupen an der Wand oder im Garten so gelbe Dinger sind, die wie Eier aussehen, sollen wir das nicht zerdrücken, das sei von Schlupfwespen. Es ist auch so, das sind die verpuppten Maden der Wespe. Diese legt mit dem Legestachel ein Ei in die Raupe, daraus kommen dann an die Hundert Maden. Die fressen die Raupe aus und verpuppen sich dann. Daraus kommen dann wieder Schlupfwespen. Im Film haben sie auch gesagt, daß diese gelben Puppen meist fälschlich als Raupeneier bezeichnet werden. Man soll sie ja nicht vernichten, da sie für uns große Helfer seien. Es waren dann auch noch Schlupfwespen zu sehen. Eine Art hat einen ganz langen Bohrer, mit dem sie durch ganz dicke Rinde am Baum bohrt, bis sie auf die Maden des Holzkäfers trifft. Wie sie auch in dem Film sagten, ist es ein Wunder, wie die Wespe immer weiß bzw. merkt, wo so eine Made sitzt. Sie läuft erst an dem ganzen Stamm entlang und pocht mit den Fühlern. Es gab dann noch zwei verschiedene Arten, die sich ihre Wohnungen im Sand graben. Sie holen sich da Spinnen, die manchmal größer sind wie sie selber. Die betäuben sie mit ihrem Giftstachel, dadurch kann sich das Opfer nicht mehr bewegen. Bis zu 70 Tage hält diese Lähmung an. Bis dahin sind diese Tiere natürlich schon von den Maden wieder aufgefressen worden. Die zweite Art der Wespen, die im Sande wohnt, heißt Bienentöter. Die holt sich Honigbienen, tut sich erst einmal an dem Honig gütlich, den die Biene gesucht hat, nachdem sie sie vorher auch gelähmt hat. Die Wespe versteht es ausgezeichnet, dem Giftstachel der Biene auszuweichen. Dann schleppt sie die Biene in ihre Behausung und später wird sie von den Maden gefressen. Die letzte Art finde ich ja nun nicht nützlich.
Vielleicht weißt Du das alles schon selber, was ich Dir geschrieben habe. Dann nimm er mir nicht übel, daß ich Dir so eine lange Geschichte erzählt habe. Wenn Du es noch nicht gewußt hast, wird es Dich aber sicher interessieren. Oder lachst du mich aus? Nun Schluß mit meinem Vortrag.
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Das war ja schließlich auch nicht zu erwarten, nachdem ich gestern fünf Stück erhalten habe. Der  Brief vom 19.1. übrigens, den ich gestern erhielt, war ganze 18 Tage unterwegs. Das langt doch?
Nun muß ich aber fortfahren. Sonst wird es zu spät zum Abendbrot.
Sei Du, mein lieber Schatz, recht herzlich gegrüßt und eküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und tausend Küsse von Deiner Helga und Jörg.

                                                                                                          Konstanz, 8.Februar 41

1. Komm und lach und laß es regnen     
3. Schlechtes Wetter, das ist mieslich  
komm und lach und laß es schneien,      
auf die Dauer und verstimmt  
komm und lach und laß es regnen       
doch verdrießlich wird es schließlich  
alles Ding währt seine Zeit.            
wenn man es verdrießlich nimmt.

2. s`wär zwar schöner, schien die Sonne   
4. Darum  lach und laß es wettern, 
s`wär zwar schöner, hätte man
darum lach und laß es schnein  
dies und jenes, wie so vieles             
Sag` , je toller desto besser   was man möchte und nicht kann.         
desto eher wird es fein-                                                    
Ch. Flaischlen 

Mein liebster Ernst! Nachdem ich Dir gestern einen ganzen Vortag über Schlupfwespen gehalten habe, ist es heute sogar ein ganzes Lied, das ich Dir aufgeschrieben habe. Gefällt es Dir? Wir haben es so schön gefunden, daß wir es gelernt haben. Ich habe es mit der Mandoline vorgespielt, und dann haben wir`s gesungen. Die Noten habe ich Dir nicht aufgeschrieben, da Du dafür wohl kaum Verwendung haben dürftest. Du wirst vielleicht denken, daß ich wohl sehr viel Zeit habe und lieber stricken sollte. Aber weißt Du, mir fehlt doch jetzt so die Unterhaltung mit Dir. Irgendetwas brauche ich aber und so habe ich mich ein bißchen auf die Musik gestürzt. Meine andere Arbeit kommt nicht zu kurz dabei. Ich glaube auch, daß Du gegen meine musikalische Betätigung nichts hast. Die Kinder lernen ja dabei auch verschiedene Lieder. Und sie sind fest bei der Sache, das kannst Du glauben.
Gestern Abend haben wir gebadet und hinterher bin ich bald schlafen gegangen. Eigentlich hatten wir heute baden wollen, aber Vater sagte, daß er rauf kommen wollte. Da paßt es dann nicht so gut. Es ist ja nun zwar fraglich, ob er kommt, denn es regnet heute sehr fest. Vom Schnee ist keine Spur mehr zu sehen.
Heute habe ich auch einen sehr schönen und lieben Brief von Dir bekommen vom 31.1.
Ich freue mich sehr, daß Dein Arm wieder soweit geheilt ist. Ich dachte schon, Du würdest damit solche Schwierigkeit en bekommen, wie mit dem Fuß. Das würde mir so leid tun.
Du hast also auch die Rätselsendung gehört. Gelöst habe ich das Rätsel wirklich allein, denn Siegfried hat selber gesagt, daß er nur Tanzmusik kenne. Darin bin ich ja nicht bewandert. Aber ich finde das auch nicht so wichtig.
Bist Du Deinen Katarrh wieder los? Hoffentlich war es nicht so sehr schlimm. Ich wünsche Dir jedenfalls gute Besserung.
Gestern habe ich einen Brief an mich abgeschickt mit der Marke Hitler-Mussolini. Sie ist sauber gestempelt heute früh wieder angekommen.
Nun will ich schließen. Mein liebster Schatz, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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