Donnerstag, 11. Februar 2016

Brief 128 vom 9./10.2.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 9.2.41                 

Recht vielen Dank für Deine lieben Briefe vom 2. und 3. Februar, die ich heute erhielt. Inzwischen habe ich ja auch die meisten der fehlenden Briefe bekommen, so daß ich auf dem Laufenden bin.
Nach den vergangenen regnerischen Tagen scheint heute zum ersten Mal wieder die Sonne. Die Kinder sind schon draußen. Helga natürlich mit ihrer neuen Puppe.
Für die Grüße Deiner Kollegen und der Familie Ganquie danke ich herzlich.
Nun zu dem Brief von der Stadt. Sie wollen nun also evtl. doch den Lehrgang durchführen. Das ist doch sicher derselbe, bei dem Du schon einmal angefangen hattest? Ich bin ja gespannt, wie es wird, ob Du los kommst. Wenn Du bei der Stadt bleibst, wäre es ja gut für später, wenn Du den Lehrgang mit machen könntest. Kämst Du dann heim, oder würdet Ihr in einer Schule untergebracht? Aber das weißt Du sicher selber noch nicht. Gingst Du gern von Deinen Kameraden fort und meinst Du, Du kämst später wieder mit ihnen zusammen? Das sind so verschiedene Fragen, die einen dabei einfallen. Aber jetzt wollen wir erst einmal abwarten, wie sich alles entwickelt. Sonst macht man sich Hoffnungen, die dann doch nicht in Erfüllung gehen.
Nun zu Siegfrieds Bemerkung unter den einen Brief, daß ich ihn nicht mitnehme, um mich seiner Aufsicht zu entziehen. Ich dachte gleich, daß Du Dich darüber ärgern würdest, mir ist es nämlich auch so gegangen. Aber weißt Du, das sind so seine Gedanken. Er rechnet immer nur von sich aus. Das sollte natürlich Spaß sein, aber solche Späße liebe ich nun nicht. Ich habe es aber aufgegeben, ihm das klar zu machen. Das versteht  er nämlich einfach nicht. Du weißt ja, Papa ist ja genau so. Wir passen eben einfach nicht zusammen. Unsere und Siegfrieds Meinung ist zu grundverschieden. Das siehst du schon daran. Die meisten unserer Bücher interessieren ihn nicht so, weil es entweder keine Liebesgeschichten mit soundso viel Verirrungen oder keine Abenteuerbücher sind. Bei ernsteren Büchern sagte er, die kann ich mal lesen, wenn ich 50 Jahre bin. Dabei sind die Bücher nicht einmal besonders schwer, sondern sie verlangen nur ein wenig Selbstbesinnung. Na, mir kann es ja gleich sein. Soll er bleiben, wie er ist. Wir haben ja wenig miteinander zu tun. Ich muß aber sagen, daß ich ganz froh bin, wieder allein zu sein. Es ist mir so wohler. Wenn Du natürlich da wärst, wär es am schönsten. Wir wollen hoffen, daß diese Zeit auch wieder einmal kommt.
Nun schließe ich für heute und sende Dir recht viel innige Grüße und Küsse .Deine Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.

Mein liebster Ernst!                                                                          Konstanz, 10.Febr.41

Heute bekam ich Deine beiden lieben Briefe vom 30.1. und 4.2. Ich danke Dir sehr dafür.
Wegen dem Pfarrer brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen. Er war noch nicht da. Ich glaube, er denkt, man läßt sich einschüchtern, wenn er sagt, er will kommen. Und wenn er käme, würde ich schon mit ihm fertig.
Na, da habe ich ja was schönes angerichtet mit meinem Lob für Dich. Jetzt willst Du mir evtl. eitel und selbstgefällig werden, wie Du schreibst. Du, das gibt´s aber nicht! Zuerst will ich Dir sagen, daß Du natürlich auch Fehler hast, mir fallen sie nur nicht gerade ein. Ich verspreche Dir aber feierlich, daß ich mir Mühe geben werde, sie alle ausfindig zu machen. Ich schreibe dann eine lange Liste auf und wenn Du auf Urlaub kommst, lese ich sie Dir zuerst vor. Da bist Du dann für die ganze Urlaubszeit geknickt. So wird es am besten sein, nicht wahr?
Nun zu dem Brief von den Eltern. Es ist so, wie Du schreibst, wir haben uns sehr auseinander gelebt. Ich habe Dir ja in letzter Zeit öfter darüber geschrieben. Auch wie Papa schreibt, daß Du Dich später mal für Siegfried einsetzen sollst. Das ist typisch. Uns hat früher niemand geholfen. Ich weiß nicht, ob Du Dich noch daran erinnerst, wie wir ganz früher, als Du keine Arbeit finden konntest, einmal angefragt hatten, ob er nicht mal sehen könnte, ob er was für Dich findet, daß wir evtl. wieder nach Leipzig kämen. Die Antwort war doch derart, daß wir uns gesagt hatten, und wenn wir verhungern, aber bitten tun wir nicht mehr. Und wir haben uns ja durchgebissen. Wenn Siegfried was will, kann er ja mit uns selber reden. Aber das ist nur immer die Sorge um seinen Sohn. Übrigens hat ja Siegfried gesagt, als er hier war, unter 250.- bis 280,-Mk nimmt er gar keine Stellung an. Mal sehen, was draus wird. Du mußt nun nicht denken, daß ich mich jetzt noch ärgere, das haben wir ja früher genug tun müssen.
Gestern war ein richtiger Frühlingstag. Ich habe den ganzen Tag in der Küche das Fenster offen lassen können. Heute war es den ganzen Vormittag recht neblig. Jetzt will die Sonne wider durchkommen, aber ich glaube nicht, daß es ihr lange gelingen wird. Helga ist jetzt gerade aus der Schule gekommen. Sie sagt, daß es jetzt ziemlich warm sei. Es geht also doch langsam dem Frühling entgegen, wenn es auch noch manche Rückschläge geben wird. Im nächsten Monat fängt ja auch die Gartenarbeit wieder an.
Mein lieber Ernst, ich denke immer an Dich und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.

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