Mein lieber Ernst! Konstanz, 9.2.41
Recht vielen Dank für Deine lieben Briefe
vom 2. und 3. Februar, die ich heute erhielt. Inzwischen habe ich ja auch die
meisten der fehlenden Briefe bekommen, so daß ich auf dem Laufenden bin.
Nach den vergangenen regnerischen Tagen
scheint heute zum ersten Mal wieder die Sonne. Die Kinder sind schon draußen.
Helga natürlich mit ihrer neuen Puppe.
Für die Grüße Deiner Kollegen und der
Familie Ganquie danke ich herzlich.
Nun zu dem Brief von der Stadt. Sie wollen
nun also evtl. doch den Lehrgang durchführen. Das ist doch sicher derselbe, bei
dem Du schon einmal angefangen hattest? Ich bin ja gespannt, wie es wird, ob Du
los kommst. Wenn Du bei der Stadt bleibst, wäre es ja gut für später, wenn Du
den Lehrgang mit machen könntest. Kämst Du dann heim, oder würdet Ihr in einer
Schule untergebracht? Aber das weißt Du sicher selber noch nicht. Gingst Du
gern von Deinen Kameraden fort und meinst Du, Du kämst später wieder mit ihnen
zusammen? Das sind so verschiedene Fragen, die einen dabei einfallen. Aber
jetzt wollen wir erst einmal abwarten, wie sich alles entwickelt. Sonst macht
man sich Hoffnungen, die dann doch nicht in Erfüllung gehen.
Nun zu Siegfrieds Bemerkung unter den
einen Brief, daß ich ihn nicht mitnehme, um mich seiner Aufsicht zu entziehen.
Ich dachte gleich, daß Du Dich darüber ärgern würdest, mir ist es nämlich auch
so gegangen. Aber weißt Du, das sind so seine Gedanken. Er rechnet immer nur
von sich aus. Das sollte natürlich Spaß sein, aber solche Späße liebe ich nun
nicht. Ich habe es aber aufgegeben, ihm das klar zu machen. Das versteht er nämlich einfach nicht. Du weißt ja, Papa
ist ja genau so. Wir passen eben einfach nicht zusammen. Unsere und Siegfrieds
Meinung ist zu grundverschieden. Das siehst du schon daran. Die meisten unserer
Bücher interessieren ihn nicht so, weil es entweder keine Liebesgeschichten mit
soundso viel Verirrungen oder keine Abenteuerbücher sind. Bei ernsteren Büchern
sagte er, die kann ich mal lesen, wenn ich 50 Jahre bin. Dabei sind die Bücher
nicht einmal besonders schwer, sondern sie verlangen nur ein wenig Selbstbesinnung.
Na, mir kann es ja gleich sein. Soll er bleiben, wie er ist. Wir haben ja wenig
miteinander zu tun. Ich muß aber sagen, daß ich ganz froh bin, wieder allein zu
sein. Es ist mir so wohler. Wenn Du natürlich da wärst, wär es am schönsten.
Wir wollen hoffen, daß diese Zeit auch wieder einmal kommt.
Nun schließe ich für heute und sende Dir
recht viel innige Grüße und Küsse .Deine Annie.
Viele
Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.
Mein liebster Ernst! Konstanz, 10.Febr.41
Heute bekam ich Deine beiden lieben Briefe
vom 30.1. und 4.2. Ich danke Dir sehr dafür.
Wegen dem Pfarrer brauchst Du Dir keine
Gedanken zu machen. Er war noch nicht da. Ich glaube, er denkt, man läßt sich
einschüchtern, wenn er sagt, er will kommen. Und wenn er käme, würde ich schon
mit ihm fertig.
Na, da habe ich ja was schönes angerichtet
mit meinem Lob für Dich. Jetzt willst Du mir evtl. eitel und selbstgefällig
werden, wie Du schreibst. Du, das gibt´s aber nicht! Zuerst will ich Dir sagen,
daß Du natürlich auch Fehler hast, mir fallen sie nur nicht gerade ein. Ich
verspreche Dir aber feierlich, daß ich mir Mühe geben werde, sie alle ausfindig
zu machen. Ich schreibe dann eine lange Liste auf und wenn Du auf Urlaub
kommst, lese ich sie Dir zuerst vor. Da bist Du dann für die ganze Urlaubszeit
geknickt. So wird es am besten sein, nicht wahr?
Nun zu dem Brief von den Eltern. Es ist
so, wie Du schreibst, wir haben uns sehr auseinander gelebt. Ich habe Dir ja in
letzter Zeit öfter darüber geschrieben. Auch wie Papa schreibt, daß Du Dich
später mal für Siegfried einsetzen sollst. Das ist typisch. Uns hat früher
niemand geholfen. Ich weiß nicht, ob Du Dich noch daran erinnerst, wie wir ganz
früher, als Du keine Arbeit finden konntest, einmal angefragt hatten, ob er
nicht mal sehen könnte, ob er was für Dich findet, daß wir evtl. wieder nach
Leipzig kämen. Die Antwort war doch derart, daß wir uns gesagt hatten, und wenn
wir verhungern, aber bitten tun wir nicht mehr. Und wir haben uns ja
durchgebissen. Wenn Siegfried was will, kann er ja mit uns selber reden. Aber
das ist nur immer die Sorge um seinen Sohn. Übrigens hat ja Siegfried gesagt,
als er hier war, unter 250.- bis 280,-Mk nimmt er gar keine Stellung an. Mal
sehen, was draus wird. Du mußt nun nicht denken, daß ich mich jetzt noch
ärgere, das haben wir ja früher genug tun müssen.
Gestern war ein richtiger Frühlingstag.
Ich habe den ganzen Tag in der Küche das Fenster offen lassen können. Heute war
es den ganzen Vormittag recht neblig. Jetzt will die Sonne wider durchkommen,
aber ich glaube nicht, daß es ihr lange gelingen wird. Helga ist jetzt gerade
aus der Schule gekommen. Sie sagt, daß es jetzt ziemlich warm sei. Es geht also
doch langsam dem Frühling entgegen, wenn es auch noch manche Rückschläge geben
wird. Im nächsten Monat fängt ja auch die Gartenarbeit wieder an.
Mein lieber Ernst, ich denke immer an Dich
und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Viele
Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.
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