Donnerstag, 11. Februar 2016

Brief 125 vom 3.2.1941


Mein liebster Ernst!                                                                            Konstanz, 3.2.41                             

Es wird heute wieder nur ein kurzer Brief, den ich Dir schreiben kann und zwar schreibe ich auf der Post. Wir haben Siegfried soeben zur Bahn gebracht. Eigentlich wollte ich am Vormittag schreiben, aber ich bin nicht dazu gekommen. Du weißt ja wie es ist, wenn jemand fort reist.
Wir wollen jetzt noch einkaufen gehen. Außerdem wollen wir noch die Möwen füttern gehen. Als Siegfried und Jörg mal fort waren und sie die Möwen gefüttert haben, war ja Helga nicht dabei und sie möchte es doch auch gern mal tun.
Heute Abend schreibe ich noch einen Brief an Dich und der wird ganz bestimmt länger. Du solltest nur nicht ohne Nachricht bleiben, darum schreibe ich diese wenigen Zeilen.
ei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Mein lieber, guter Ernst!                                                         Konstanz, 3.2.41, abends

Wie ich Dir heute schon kurz mitteilte, haben wir am Nachmittag Siegfried zur Bahn gebracht. Eigentlich wollte er schon gestern fahren, aber es gefiel ihm so gut und er fragte mich, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er heute erst fährt. Ich hatte natürlich nichts dagegen. So ist er erst heute gefahren.
Ich muß sagen, die Tage sind noch ganz friedlich verlaufen. Die ersten Tage hat er mir viel von seinen Abenteuern erzählt. Das war mir ja sehr zuwider und ich habe Dir davon ja auch geschrieben. Ich habe ihm auch gesagt, daß ich diese Sachen ekelhaft finde. Aber er ist da nicht so feinfühlig, er ist wie Papa, wie er überhaupt viel von ihm hat. Mit der Zeit hat sich aber Siegfried in den Geist unseres Hauses eingelebt. Ich stachele ja sowieso niemand zu solchen Gesprächen an, sonder bin froh, wenn ich nichts hören muß. So hat er immer weniger davon erzählt. Höchstens wenn wieder mal ein Brief kam, wie:
„Lieber Siegfried! Ihr kommt also nun von P. weg. Wir werden uns wohl nicht wiedersehen später. Ich habe aber noch den einen Wunsch, daß Du noch mal herkommst, damit wir uns noch einmal recht lieb haben“, usw.
Das war Wasser auf seine Mühle. Übrigens steht das Mädchen, die das geschrieben hat, kurz vor der Heirat. Ihr Bräutigam ist bei den Soldaten und sie hat ein Kind. Siegfried hat schon ein paar Mal mit ihr im Hotel übernachtet, wie er mir sagte. Eine andere schrieb, daß sie sich vorstellt, wie er mit unseren Kindern spielt und wie es sein wird, wenn erst die eigenen Vati rufen und sie seine Frau ist. Die würde er gleich heiraten, sagte Siegfried. Wie ich Dir schon schrieb, wird es wahrscheinlich zum Bruch zwischen Erna und Siegfried kommen. Die genauen Gründe von Siegfrieds Seite erzähle ich Dir lieber mal. Jedenfalls hat Erna und auch die Eltern keine Ahnung davon. Deshalb will Siegfried auch nicht heim fahren.
Heute kam nun ein Brief von den Eltern.  Den Durchschlag hast Du sicher erhalten. Sie schreiben, daß sich Erna beim Telegraphenamt bewerben will und daß sie bei ihnen wohnen könnte. Das hat Siegfried den Rest gegeben. Er sagte: „Ich werde verrückt. Ich will gleich an die Eltern schreiben, daß sie das ja nicht machen sollen. Ich schreibe, die Wohnung sei dazu zu klein und ich will auch einmal mit ihnen allein sein. Wenn sie Erna bei sich aufnehmen, ziehe ich aus. Hoffentlich muß ich noch eine Weile beim Militär bleiben, evtl. verpflichte ich mich auf 12 Jahre, da kann ich nicht gleich heiraten. Na das gibt noch ein Theater, um Himmelswillen. Ich fahre gar nicht erst nach hause, sondern trete gleich meinen Dienst wieder an.“
Nach diesem kleinen Auszug kannst du Dir ungefähr seine Stimmung vorstellen. Das Bild ist natürlich sehr unvollständig, weil ich Dir die eigentlichen Gründe und Nebenumstände nicht schreiben, sondern nur erzählen kann. Also, jedenfalls sind die Tage ganz friedlich verlaufen. Siegfried ist meist zwischen 10 und 11 Uhr aufgestanden, hat sich dann aufs Sofa gesetzt und hat Frühstück gegessen. Nachher hat er sich aufs Sofa gelegt und hat gelesen, 1 - 2 Bücher pro Tag und geraucht. Zwei Mal hat er sogar gleich auf dem Sofa geschlafen, ohne sich auszuziehen, nur mit der Steppdecke zugedeckt, die ganze Nacht.
„Das Sofa ist noch mein Tod,“ hat er gesagt „das nehme ich mit, wenn ich fortfahre. In  d e n  Ferien habe ich mich so richtig ausruhen können.“ Ein paar Mal haben wir „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt. An den letzten Abenden haben wir Kreuzworträtsel gelöst.
Nun bin ich wieder den ersten Abend allein. Ich habe mich aber schon wieder daran gewöhnt. Tränen hat`s keine gegeben.
Wenn Du nur erst wieder mal Urlaub hast. Du bist auch schon wieder über einen Monat von uns fort. Es ist ein so schönes Leben, wenn Du hier bist. Siegfried ist so wie Papa. Er macht Unsinn und es herrscht Betrieb, aber diese Fröhlichkeit, die  ich so an Dir liebe und die ich brauche, die fehlt vollkommen. Ich merke immer wieder, wie wir zwei doch zusammen gehören. Behalte uns auch weiterhin lieb, mein lieber Ernst.
Einen Brief habe ich heute von Dir nicht erhalten.
Morgen habe ich Wäsche. Ich habe sie diesmal um ein paar Tage verschieben müssen, da ich doch die Bettwäsche erst nach Siegfrieds Abreise abziehen konnte. Hoffentlich ist halbwegs günstiges Wetter. Die Kälte war die letzten Tage zum Aushalten. Sie lag so zwischen 1 - 5 Grad. Bei den Eltern war ja bis zu 18 Grad Kälte.
Wie mir Siegfried sagte, ist Papa übrigens Verwalter von dem Haus, wo sie wohnen und von vier weiteren Nachbarhäusern. Er zieht da die Miete ein usw. Aber sonst selber arbeiten im Haus, wie in der Juliusstraße, muß er nicht. Die Eltern bekommen dafür vierteljährig 24 M Mieterermäßigung.
Nun will ich bald schlafen gehen. Schlaf auch Du gut, mein lieber Schatz und wach gesund wieder auf.

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