Freitag, 30. Oktober 2015

Brief 82 vom 30./31.10.1940


Mein lieber Mann!                                           Konstanz, 30.10.40 abends 

 Heute ist es erst ½ 9 Uhr und ich habe schon Feierabend. Die Kinder sind im Bett und jetzt kommt für mich die schönste Stunde des Tages, wo ich an Dich schreiben kann. 
Da ich Dir über den heutigen Tag berichten will, fange ich am besten am Morgen an. Als ich heute früh aufstand und die Verdunklung abnahm, kam gleich die erste Überraschung. Es hatte geschneit und alles sah weiß aus. Auf der Straße taute es ja, aber im Garten liegt der Schnee heute Abend noch. Da konnte ich natürlich die Erdbeersetzlinge für Vater nicht abmachen. Es war früh ½ Grad Wärme.
Am Vormittag wollten wir ja in die Stadt. Vorher habe ich die Kinder noch ausgeschickt, nach dem Briefträger zu sehen. Sie brachten mir dann auch Deinen lieben Brief vom 24.10. Ich habe ihn natürlich gleich noch gelesen und will ihn jetzt erst gleich beantworten. Mit der Gemäldegalerie hast du bald recht. Vier Bilder hängen von Dir jetzt in der Küche. Zwei große und zwei kleine. In der Stube hängt eins, im Schlafzimmer eins und bei den Kindern zwei. Aber es ist so, in jedem Zimmer möchte ich ein Bild von Dir haben und die Kinder in ihrem Zimmer natürlich auch. Und in der Küche, wo ich ja immer bin, habe ich die zwei Bilder vom Urlaub hängen, damit ich Dich immer so sehen kann, wie ich Dich zuletzt gesehen habe. 
Nun zu der Bemerkung von Deinen Kollegen, daß man sich wunder müßte, daß ich Dich überhaupt gewollt hätte. Ich glaube, Du weißt ja, wie lieb ich Dich habe. Für mich hast du das allerliebste Gesicht und bist der beste Mann. Du weißt ja, wie ich alles an Dir liebe und was wissen die anderen überhaupt, wie gut Du bist und wie wie lieb Du mich hast. Überhaupt sollen die reden, was sie wollen, wir wissen ja, was wir aneinander haben und wie wir uns verstehen. Schreib mir bitte, ob Du Dich über die Bemerkung sehr geärgert hast.  Jetzt tust Du‘s doch nicht mehr, nicht wahr?
Wenn ich Dich nur hier hätte, daß ich Deine lieben Augen lachen sähe und in Deinen Haaren zausen könnte, die mir doch so gut gefallen.  Das einzige, was mich gefreut hat ist, daß ich aus den Bemerkungen über mich gemerkt habe, daß Du Dich nicht mit mir zu schämen brauchst. Ich möchte doch gern, daß ich Dir gefalle und daß Du auf mich stolz sein kannst, so wie ich es auf Dich bin. Denn daß ich auf Dich stolz bin, das weißt Du ja. Das wirst Du in den neun Jahren, die wir verheiratet sind, ja gemerkt habe, Du lieber, lieber Kerl. 
Das Buch, welches Du mitgebracht hast, hat mich wirklich interessiert und ich werde es noch öfter durchlesen. Bezüglich des Mistes habe ich heute noch mal bei Steinmehls nachgefragt. Der Sohn war schon bei der NSV, hat aber Herrn Gaßner, der früher auf dem Hof war, nicht getroffen. Der hat die Ausgabe der Scheine jetzt scheinbar unter sich. Bei Gelegenheit geht er nochmals vorbei. Als Herr Steinmehl damals sagte, daß er einen Wagen voll nehmen will, hatte ich darauf entgegnet, daß ich das evtl. auch tun würde, aber ich wüßte nicht, ob ich das schaffen könnte, worauf er sagte, das sei doch ganz klar, daß sie mir helfen würden, wenn´s mir zu viel würde. Jetzt wollen wir mal sehen. Bis jetzt haben wir ihn ja noch nicht. 
Die warme Unterwäsche, die Du mir mitgebracht hast, leistet mir jetzt wirklich gute Dienste. Ich bin sehr froh darum. Mit dem Mantel für mich gibst Du Dir ja außerordentliche Mühe. Ich glaube, Du verläufst Dir Deine ganze freie Zeit. Es ist ja immer so, je größer die Auswahl ist, desto schwerer kann man sich zum Kauf entschließen. 
Den Kindern habe ich die Küsse von Dir gegeben. Sie haben sich sehr gefreut, daß Du auch immer mit Küssen an sie denkst. Helga hat gesagt, daß sie schon gern noch auf den Brief von Dir wartet.  Ich soll Dir von den Kindern auch noch das kleine Liederbuch zum angucken schicken. Jörg hat es heute auch auf der Sparkasse bekommen. 
Nun will ich Dir von unserem Tageslauf weiter berichten.  Mit Deinem Brief bekam ich heute früh auch den Bezugschein für Hausschuhe und zwar einen gelben, also für teurere Hausschuhe. Ich hatte mir schon 4,-Mk dafür zurückgelegt. Die habe ich nun gleich mit in die Stadt genommen.  Wir sind zuerst zur Sparkasse gegangen und wollten doch 1,75 einzahlen. Wie wir in die Sparbücher sahen, war doch noch je 1,- drin, die Du reingelegt hattest, als Du auf Urlaub da warst. Daran hatten wir gar nicht mehr gedacht, desto größer war heute die Freude, als nun jeder 2,75 einzahlen konnte. Jedes Kind hat von der Kasse einen Kalender, ein Heft, einen Federhalter und einen Bleistifthalter bekommen. Jörg außerdem noch das Liederheft. Für die Kinder war extra ein Sparschalter eingerichtet. Darüber war ein großes Schild angebracht mit der Aufschrift „Kindersparschalter“ in Sütterlinschrift.  Alles schön bunt, wie es Kindern doch gefällt. Im Übrigen war ja die ganze Sparkasse geschmückt. 
Als wir mit Einzahlen fertig waren, sind wir zu Küll und Co gegangen. Ich habe mir ein Paar Filzschuhe gekauft, die besten, die es gab, zu 2,75. Nun sind sie mir aber für den ganzen Tag zum Arbeiten zu schade. Ich habe dann nach bezugscheinfreien Hausschuhen gefragt. Da hatten sie welche aus schwarzem Segeltuch zu 1,20. Die Sohlen sind ja nicht viel. Meist Pappe und ganz, ganz dünn Leder. Nur wie ein Hauch. Ich habe sie dann aber noch mitgenommen. Das Fräulein sagte, daß das viele Leute machen, da es eben doch nur ein Paar gute Filzschuhe gibt. Ich habe mir eine gute Stroheinlegesohle zu 30 Pfennig gekauft, zu hause habe ich mir gleich überall, also auf Sohle und Absatz, Gummi draufgenagelt und ich glaube, die Schuhe halten mir gut über den Winter. Warme Füße habe ich heute auch drin gehabt. Die guten Filzschuhe ziehe ich mir an, wenn ich abends ruhig dasitze. Die Absätze an den Schuhen von Jörg habe ich heute auch fertig gemacht. Um nicht gleich zu viel Leder zu verbrauchen, habe ich den Gummiabsatz drauf gelassen und nur die abgetretenen Ecken abgeschnitten und durch Lederecken ersetzt. Darauf habe ich dann die runden Absatzeisen genagelt.  Sonst sind ja die Absätze gleich wieder schief. 
Heute Nachmittag kamen dann 2 Päckchen von Dir an. Ich dachte erst, es seien die, die Du zuerst weggeschickt hast. Es war aber nicht der Fall. Für die Seife danke ich Dir sehr. Da bin ich ja nicht mehr knapp dran. Du wirst doch sicher nicht dagegen haben, wenn ich Vater zwei Stück davon gebe?  Auch das Paket Lux kann ich sehr gut brauchen, gerade für so schöne Unterwäsche, wie Du sie mir heute wieder geschickt hast. Die ist wieder fein und es freut mich, daß die Höschen wieder diesen praktischen Gummizug hinten herum haben. Da haben sie so einen guten Sitz. Ich danke Dir auch für die Wäsche wieder ganz besonders. 
Ich habe übrigens Jörg an den Federhalter, den er heute bekommen hat, eine Feder machen müssen und der Federhalter ist jetzt nur dazu da, daß er an Dich schreiben kann. Er will mit dem Federhalter nur an Dich schreiben, sonst darf er nicht benutzt werden.  Beim Schuheinkauf haben Beide außer einem Heft noch eine Trillerpfeife bekommen. Da haben sie wenigstens etwas, womit sie Krach machen können, sie sind ja sonst immer so still. Meinst Du nicht auch? 
Ohne daß ich es gemerkt habe, ist es jetzt schon 10 Uhr geworden und beinahe hätte ich die Nachrichten verpaßt. Es ist doch schön, daß ich an Dich schreiben kann. Da bin ich doch nicht so einsam.  Nach den Nachrichten werde ich auch gleich schlafen gehen. Nur das Apfelmus muß ich noch durchstampfen. Schlaf auch Du gut, mein lieber Mann! Mein lieber Ernst!
Es ist jetzt 5 Uhr und ich bin gerade vom Garten gekommen. Nimm deshalb bitte mit einem kurzen Gruß vorlieb. Ich schreibe heute Abend wieder. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Post habe ich heute von Dir nicht bekommen.


Mein lieber Ernst!                                                 Konstanz, 31.10.40

Heute ist es spät geworden, ehe ich zum schreiben gekommen bin, bereits 11 Uhr. Vater war bis jetzt da und hat fast den ganzen Abend erzählt. Er ist eben auch froh, wenn er jemand hat, der zuhört. Meine Freude, Dir zu schreiben, will ich mir aber nicht nehmen lassen. 
Heute Nacht hatten wir den ersten Frost, 2 Grad Kälte. Da haben unsere Dahlien die Köpfe hängen lassen. Ich will sie morgen abschneiden. Am Vormittag war es noch ziemlich kalt. Da habe ich Helga‘s Mantel ausgebessert. Als es mittags aber wärmer wurde, da die Sonne schien, hielt es mich nicht länger und ich habe meinen Plan ausgeführt, endlich den Garten hinterm Haus umzugraben. Dabei haben mich ziemlich die Brombeeren gestört, die überall herumhingen. Als ich sie mir näher besah, bemerkte ich, daß da viele braune, verdorrte Zweige bzw. Ranken da waren. Da habe ich mich entschlossen, doch noch ein bißchen Ordnung in diese Wildnis zu bringen. Ich habe die braunen Ranken entfernt und die neuen Triebe richtig gelegt und einige festgebunden. Jetzt sieht es wieder ganz gut aus. Daß sich die Brombeeren aber an mir gerächt haben, könntest Du an meinen Händen und Armen sehen.
Froh bin ich aber doch, daß ich´s fertiggebracht und mich nicht so dumm angestellt habe. Nach dieser Arbeit habe ich den Garten fertig umgegraben. Als Arbeit für morgen, vorausgesetzt natürlich, daß es nicht wieder geschneit hat, habe ich mir vorgenommen, die Möhren raus zu machen und einzukellern. Ich kann das nur nachmittags machen, da ich vormittags Wäsche habe. Kraut ist ja nicht so empfindlich, da kann ich noch ein paar Tage warten, ehe ich es zusammen setze. Das Kraut und die roten Rüben setze ich aber hinter der Brombeerhecke ein, da ist es ziemlich geschützt. Man hatte gar nicht damit gerechnet, daß es so bald Winter werden würde.  Ich habe Vater heute noch ein paar Äpfel mitgegeben von solchem, die man bald essen muß. Im Gespräch hatte ich rausgehört, daß er sich seine Äpfel sehr einteilt, damit sie eine Weile reichen. Als ich ihm welche mitgeben wollte, hat er sich gar nicht dagegen gewehrt, sonder er hat sich sehr gefreut, ebenso über die zwei Stück Seife, die ich ihm mitgegeben habe. Da habe ich mich dann auch gefreut.
Du weißt ja, ich mag das gar nicht, wenn man vorher erst so ein Theater macht.  Wie froh bin ich jetzt, wo es so schnell kalt geworden ist, daß Du mir noch die Doppelfenster rein gemacht hast. Es zieht doch nicht so durch.  Ich habe jetzt schon ein paar Mal von unseren Hauspänen verbrannt. Da habe ich jedes Mal an unsere Spaziergänge denken müssen. Das waren auch schöne Tage, als wir die Hauspäne zusammen gesucht haben. Kannst Du Dich noch an das eine Mal erinnern, wo ich mir die Jacke ganz voll Harz geschmiert hatte? Jetzt tut uns das Holz gute Dienste, denn es gibt viel Wärme.
Was sagst Du eigentlich dazu, daß sich die Griechen noch in den Krieg haben hineinziehen lassen. Daß die nichts gelernt haben. Man kann es kaum glauben, daß es noch ein Volk gibt, das aus den vielen Niederlagen der Engländer bzw. deren Verrat an kleinen Völkern, nicht den Schluß zieht, sich allem fern zu halten. Aber an unserem lieben Nachbarn, der Schweiz, haben wir ja ein wahres Musterbeispiel davon, daß die Dummen nicht alle werden. Ich glaube, jetzt wird es aber Zeit für mich, daß ich schlafen gehe, es ist ¾ 12 Uhr.
Gute Nacht, mein lieber, lieber Schatz, mein lieber Ernst!

Brief 81 vom 29.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                            Konstanz, 29.Oktober 40.  

Heute ist es schon ½ 4 Uhr, ehe ich dazu gekommen bin, an Dich zu schreiben.
Ich habe den ganzen Vormittag Kraut eingehobelt. Nachdem ich im Garten noch einige Krautköpfe stehen gelassen habe, für Krautwickel usw., habe ich doch den ganzen Topf voll Kraut eingehobelt. Dabei habe ich noch abgeschnittenes Kraut übrig. Ich glaube, das Sauerkraut langt uns. 
Eben kam der Briefträger und brachte mir zwei Päckchen von Dir, aber keinen Brief. Der letzte Brief von Dir war vom 22.10. In den Päckchen, für die ich Dir herzlich danke, waren Handschuhe, Schokolade, Zucker, Leder, eine Batterie und Kaffee. Ich habe mich sehr über alles gefreut. Die Handschuhe passen fein und sie gefallen mir sehr gut.
Lieber Ernst, sind das die zweiten Päckchen? Denn die Bluse, das Jäckchen und Strümpfe waren nicht drin. Vielleicht kommen diese Päckchen später, wenn auch wieder ein Brief von Dir kommt. 
Ich bin sehr froh, daß ich jetzt wieder eine Batterie habe. Da brauche ich im Keller nicht immer so im Dunklen tappen.  Über das Leder freue ich mich auch sehr. Bei den Schuhen von Jörg tut‘s not, daß ein paar richtige Absätze drauf kommen. Die Gummiabsätze sind ja ganz abgetreten. Du bist halt ein ganz lieber Kerl, Du sogst für alles. Die Schokolade hebe ich noch auf. Ich danke Dir also nochmals für all die schönen Sachen, auch für die schönen Handschuhe. Sind Deine Handschuhe auch braun oder grau? Hast Du Dir eigentlich schon eine Schirmmütze gekauft, oder gibt es dort auch keine? Ich würde mich so freuen, wenn ich wieder einen Brief von Dir bekäme. Ich hoffe ganz fest auf morgen früh. Das kann doch die Post gar nicht verantworten, mich solange warten zu lassen, bist Du nicht auch der Meinung? Deine beiden lieben Päckchen habe ich ja heute erhalten und drum will ich nicht maulen. 
Ich soll Dir auch noch schreiben, daß Jörg mir brav geholfen hat beim Einhobeln. Er hat die Blätter auf den Komposthaufen geschafft, nachdem er mir früh schon das ganze Kraut raufgeholt hat. Auch gestampft hat er ein bißchen mit. War er nicht brav? Die Blätter habe ich vorhin noch richtig auf den Komposthaufen aufgeschichtet, damit alles ein bißchen ordentlich aussieht. 
Das Wetter hat sich heute ein klein wenig gebessert. Es ist zwar noch ganz bedeckt, aber wenigstens nicht naß. Wenn sich‘s  eine Weile hält, kann ich bald den Garten umgraben.  Ich habe jetzt schon manchmal gedacht, wie gut es doch war, daß Du Anfang Oktober hier warst und nicht erst jetzt. Erstens ist es jetzt schon ziemlich kalt und außerdem so unfreundlich.
Von Fahrten nach Immenstaad, Meersburg oder der Mainau hätten wir jetzt gar nichts mehr. Und gerade diese Fahrten und Spaziergänge waren doch so schön und man erinnert sich so gern daran. 
In Deinem Brief vom 22. schreibst Du, daß Ihr zu einer Brandstelle gerufen worden seid. Was müßt Ihr da tun?  Nun wird es wieder Zeit, daß ich den Brief fortbringe. Ich danke Dir noch vielmals für Deine lieben Päckchen und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

 Mein lieber Ernst!                                                     29.10. abends

 Ich bin jetzt gerade mit meinem Tagewerk fertig, es ist 10 Minuten vor 10 Uhr. Jetzt wird im Radio „Der Lügenlord“ gesungen. Das höre ich doch besonders gern. 
Bis ½ 10 Uhr war Vater da. Ich habe bis jetzt gebügelt, da wir morgen Vormittag zur Sparkasse gehen wollen, da komme ich nicht dazu. Vater hat den Kindern je 25 Pfennig gegeben, die sie noch mit sparen sollen. Da war die Freude groß.  Morgen Nachmittag soll ich Vater die Erdbeersetzlinge raus machen. Er holt sie morgen Abend.  Heute Abend habe ich den Kindern wieder vorgelesen. Da solltest Du sehen, wie sie nach dem Abendessen springen, damit noch Zeit zum Vorlesen bleibt.  Eins macht gleich die Fensterläden zu und deckt die Betten auf, das andere räumt die Butter, Brot usw. vom Tisch und holt den Verdunklungsvorhang. Inzwischen habe ich dann abgewaschen. Nun wird noch die Tischlampe geholt, die blendet nicht so, dann werden die Stühle zu mir an die Seite gerückt, damit auf jeder Seite einer sitzt und nun wird vorgelesen. Das Märchen gefällt den Kindern sehr. Immer betteln sie, daß ich noch ein paar Seiten mehr vorlesen soll, bis es dann höchste Zeit zum schlafen gehen ist.  Die letzten Tage hatte ich immer meine alten Handschuhe angezogen, weil mir die neuen von Dir zu schade waren. Da es mir aber immer so durch die Ärmel zog, habe ich heute doch die neuen Handschuhe, die dunkelgrünen, die auch so schöne hohe Stulpen haben, angezogen. Das war schön warm, einfach prima. 
Nun möchte ich Dich noch etwas fragen. Du hast doch eine Skimütze. Du hast sie ja in den letzten Jahren wenig aufgesetzt. Sie paßt nun Jörg gerade, Du weißt ja, er hat einen ziemlich dicken Kopf. Da wollte ich Dich fragen, ob er sie mit aufsetzen darf. 
Ich habe heute Vater nochmals gefragt, was Du ihm besorgen sollst. Vor allen Dingen Kaffee und evtl.  etwas zu rauchen. Aber vor allen Dingen solltest Du uns erst schicken, sagte er, das wäre am wichtigsten. Aber ich glaube, er freut sich auch, wenn Du mit an ihn denkst.  Heute hat er mir wieder 1,30 für‘s waschen gegeben, nachdem er mir vorige Woche schon ½ Pfund Margarine gebracht hat. 
Lieber Ernst, ich schreibe Dir gern abends noch ein paar Zeilen, denn da bin ich mit schaffen fertig und kann ausspannen.  Da kommt es auch auf ein paar Minuten mehr nicht an. Anders bei Tag. Da habe ich meist immer zu tun und bis 5 Uhr sollte ich fortfahren, da es sonst zum Abendbrot zu spät wird.
Denken tue ich ja den ganzen Tag an Dich und ich habe auch immer Dein liebes Bild vor mir, ich brauche nur den Kopf zur Seite zu wenden.  Ich schrieb Dir heute, daß ich gern an die Fahrten nach Meersburg, Immenstaad und Mainau denke. Als ich das schrieb, habe ich mir alles nochmals genau vorgestellt und dabei habe ich gemerkt, daß es besser ist, ich denke daran nur wie an einen schönen Traum. Wenn ich mir alles nochmals genau vorstelle, tritt der Unterschied zwischen den schönen Tagen, als Du hier warst und heute doch zu sehr zu Tage. Es ist besser, man denkt nicht zu viel nach, sondern tut seine tägliche Pflicht. Da vergehen die Tage auch und Dein nächster Urlaub kommt näher. Und darauf will ich mich immer freuen. 
Es ist nun ¾ 11 Uhr. Vielleicht bist Du auch schon im Bett. Ich gehe jetzt auch schlafen. Schlaf Du auch gut, mein lieber Mann.  Wenn es auch besser ist, wenn man nicht so viel nachdenkt, an eins denk ich doch immer, daß Du mich auch lieb hast, wie ich Dich lieb habe. Das ist meine tägliche Freude. 
30.10.     Mein lieber Ernst!
Da wir heute früh in der Stadt waren und spät zum essen gekommen sind, schreibe ich Dir jetzt nur ganz kurz. Heute Abend schreibe ich Dir wieder. Heute früh kam Dein lieber Brief vom 24.10. und heute Nachmittag zwei Päckchen mit Seife und Unterwäsche. Ich habe mich fest gefreut. Die ersten zwei Päckchen sind noch nicht angekommen. Wahrscheinlich sind sie irgendwo liegen geblieben, wie es ja früher schon einmal der Fall war. Ich danke Dir für die Päckchen einstweilen recht herzlich. Deinen lieben Brief beantworte ich heute Abend.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 80 vom 27./28.10.1940


Mein lieber Mann!                                              27.Oktober 40      

Nun ist schon bald der Sonntag wieder vorbei, das Wunschkonzert hat auch schon begonnen. Wetter zum fortgehen ist heute auch keins, also sind wir zuhause geblieben. Es wird jetzt schon ziemlich kalt, da die Sonne durch die Nebelschicht nicht durch kommt. Die Kinder trösten sich darüber, daß sie nicht mehr so raus können, indem sie sich gegenseitig immer wieder versichern, daß es drin doch viel schöner sei und man auch viel schöner spielen könne.
Wie mir Helga erzählte, geben die elsäßischen Lehrerinnen, die zum Umlernen hier sind, den Kindern nächste Woche Unterricht und die Lehrerin schaut zu. 
Ich habe heute ein bißchen gefaulenzt. Ich habe mir den Zeitungsroman „Sturm auf Zeebrügge“ vorgeholt und gelesen. Dieser ist gerade jetzt, wo wir die Küste besetzt haben, interessant. Was wirst Du heute tun? Ob Du auch wieder auf das Wunschkonzert hörst?
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen, dafür ja aber die vergangenen Tage immer. Aber freuen tue ich mich doch schon fest auf den nächsten Brief von Dir. Jetzt fängt es sogar an, einzelne Flocken zu schneien. Es ist eben doch schon bald Winter.  Sei Du, mein lieber, allerliebster Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

 Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 27.10. abends

Heute Abend will ich Dir nur noch erzählen, wie ich den Kindern heute mit so kleinen Mitteln eine große Freude machen konnte.  Als ich nachmittags den Brief an Dich geschlossen hatte, kam mir eine Idee. Ich weiß doch, daß die Kinder sehr gern Omnibus fahren. Da habe ich sie nun gefragt, ob sie den Brief an Dich wegschaffen wollen. Sie sollten bis zum Lutherplatz fahren, nach der Post laufen und wieder zurückfahren. Da ging ein Freudengeheul los. Sie sind dann auch gefahren und nach 1 Stunde waren sie wieder da. Den ganzen Abend haben sie sich noch gefreut, daß sie wirklich einmal allein fahren durften. Sie haben schon gesagt, am liebsten machten sie das am nächsten Sonntag wieder. Da habe ich aber gleich abgebremst. Das ganze Vergnügen hat 40 Pfennig gekostet und hat viel Freude ausgelöst. 
Als die Kinder wieder heimkamen, haben wir Abendbrot gegessen und dann mußte ich wieder vorlesen. Beide sind immer den ganzen Tag schon gespannt, wie das Märchen weitergeht.  Bei Jörg ist das Auge doch immer noch dick und der Arzt sagte damals, vielleicht geht es durch warme Umschläge wieder weg. Diese habe ich ihn während des Vorlesens machen lassen. Damit er nun nicht allein ist, habe ich Helga über beide Augen feuchte Umschläge machen lassen, da sie doch immer so blinzelt und sagt, daß ihr die Augen weh tun, darum müßte sie so blinzeln. Sie haben ihr gut getan und ich habe den Kindern angekündigt, daß wir das jeden Abend beim vorlesen machen werden. Beim Vorlesen brauchen sie ja nicht sehen, sondern nur hören. Im Übrigen muß man die Augen pflegen und nicht leichtsinnig damit umgehen. Das meinst du doch sicher auch? 
Nachdem es jetzt auf einmal so kalt geworden ist, bin ich froh, daß ich die schönen Tage zum Umgraben ausgenutzt habe. Da war es noch schön warm. Die Doppelfenster kann ich auch schon ganz gut gebrauchen. Vor ein paar Tagen schrieb ich Dir noch, daß ich den Ofen sauber gemacht habe, da man jetzt bald mit dem heizen rechnen muß und nun habe ich die beiden letzten Tage schon Feuer machen müssen. Es hat mich gefreut zu merken, wie gut der Ofen wieder brennt. Es ist ganz mollig in der Küche. Von jetzt an werde ich mir für den Abend wieder Strickzeug fertig machen.  Darauf freue ich mich schon ein bißchen, fast mehr als auf´s nähen. Letzteres mache ich ja bei Tag.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht, mein lieber Schatz. 

                                                                                             28.Oktober   
Lieber Ernst!
Wir haben jeden Tag das gleiche Wetter.  Es nieselt so runter und ist trüb und unfreundlich. Da ist man immer an die Stube gefesselt.  Heute habe ich auch keinen Brief von Dir bekommen, ich weiß zwar nicht genau, ob der Briefträger heute Nachmittag schon vorbei ist.  Ich nehme nachher das Päckchen mit den Honigbehältern mit zur Post. Es wird Dir sicher nichts ausmachen, daß ich sie nicht schon am Samstag geschickt habe.  Morgen hoble ich nun das Kraut ein. Mal sehen, wie viel es gibt. Sauerkraut ist doch immer was Gutes, vor allen Dingen im Winter, wenn das Gemüse knapp ist. 
Am Mittwoch ist Spartag. Da hat Helga schon in der Schule ein Spiel und ein kleines Liederbuch bekommen, die alle vom Sparen handeln. Nun hat die Lehrerin gesagt, wenn sie am Spartag Geld auf die Kasse bringen, bekommen sie evtl. noch was. Das hat sie beide, Helga und Jörg, nicht ruhen lassen. Wir haben gleich ihre Sparbüchsen geleert und am Mittwoch bringt jeder 1,50 fort. Helga singt jetzt nichts weiter als die Sparlieder wie z.B. Ich spar mir mein Geld, denn ich bin ja nicht dumm, nein, nein, ich schlepp auch kein Geld in der Tasch‘. Dann hab ich nur Angst, daß ich alles vernasch‘, nein , nein, nein, nein,  nein nein.“ Oder „Pfennig, Pfennig, bist nur so klein, aber in Scharen, will ich Dich sparen, Pfennig, Pfennig, bist nur so klein.“ In dem Büchlein sind nun sieben Lieder mit je 3 bis 4 Versen, alle auf bekannte Kinderlieder-Melodien. So bringt man die Kinder zu sparen. Das Büchlein ist außerdem mit bunten Bildern ausgestattet, da nehmen´s die Kinder noch mal so gern in die Hand.  Eben kam der Briefträger, aber für mich hatte er nichts. Vielleicht bekomme ich morgen dafür desto mehr.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                 Konstanz, 28.Okt.40

Heute schicke ich Dir die gewünschten Honigbehälter. Ich hätte sie ja schon am Samstag wegschicken können, aber da hatte ich keine Zeit zum backen. Ich hoffe, daß Dir die Gewürzkuchen schmecken. Da ist Schokolade von Dir mit drin.  Ich habe Dir zwei Kartons geschickt, da ich nicht weiß, ob Du dort so einfache welche bekommst, ich meine Kartons zum Fett schicken. Ich weiß ja nicht, wie viel es ist. Auf jeden Fall wiegt Fett schwer und mit einem großen Karton ist Dir da wenig genützt, da die Päckchen ja nur ein Pfund wiegen dürfen. Ich habe Dir mal alle Honigbehälter geschickt. Du mußt mich nicht auslachen, wenn es zu viele sind, wegschmeißen kannst Du sie ja immer noch. Sei recht herzlich gegrüßt und nimm viele Küsse von Deiner Annie.

Montag, 26. Oktober 2015

Brief 79 vom 26.10.1940


Mein lieber Ernst!                                               Konstanz, 26.Oktober 40 

Heute habe ich wieder die Freude gehabt, einen Brief von Dir zu bekommen vom 22.10. Deine Briefe sind immer so schön geschrieben, daß ich mich schon vorher jedes Mal freue. 
Es freut mich, daß Dir die Bilder auch gefallen haben. Sie sind doch eine Erinnerung an Deinen Urlaub.  Wenn Du Fett bekommen hast und es mir schicken willst, bin ich Dir sehr dankbar. Die fettdichten Honigbehälter sende ich am Montag weg, da mir heute die Zeit etwas zu knapp dazu ist. 
Gestern habe ich mich an das Auftrennen des Mantels von Kurt gemacht, denn ich will jetzt mit nähen anfangen. Die Maschine habe ich mir heute schon rausgeholt. Zuerst kommt nur noch das Kraut einhobeln dran. 
Gestern wollte doch die Spielschar zu den Verwundeten gehen. Nun wollen sie erst morgen gehen. Damit aber die Blumen nicht verwelken, es sind unsere letzten Dahlien, habe ich die Kinder mit den Äpfeln noch dazu, heute hingeschickt. Jörg ist ganz glücklich, daß er nun mit durfte. Die Frau Synkovis hatte die Blumen und Äpfel gestern mit heim genommen. Helga sollte sie am Sonntag wieder bekommen. Da mir das nicht recht war, habe ich sie wieder geholt. Ich habe gesagt, daß es um die Blumen schade ist. Wenn sie schon abgeschnitten sind, sollen sie auch Freude machen. Als ich hin kam, lagen sie noch ohne Wasser da und waren teilweise schon angewelkt. Ich habe auch die Äpfel geholt, da die Kinder ja schließlich nicht nur mit den Blumen losgehen können.
Die Frau Synkovis fragte, ob denn Helga am Sonntag dann nicht mit käme, Frl. Maibrunn käme von der Presse und photografiert würden sie für die Zeitung auch. Ich antwortete drauf, das wüßte ich noch nicht.  Das Photografieren wäre ja schließlich nicht die Hauptsache bei einem Besuch der Verwundeten, sondern muß man ihnen eine Freude macht. (Aus den Reden hatte ich gemerkt, daß ihr die Presse und das Photografieren die Hauptsache ist. Da hat sie sich ziemlich gefuchst und sie sagte, als ich wegging: „Auf die Blumen käme es ja schließlich nicht an, sie hätten so viel Blumen bestellt, daß jedes Kind welche bekäme und Äpfel hätten sie einen ganzen Wagen bestellt“. Darauf habe ich gesagt: „Na, sehen sie, da ist es ja besser, ich hole sie ab, so machen sie wenigstens eine kleine Freude.“ Ich habe mich ja heimlich gefreut. Mir ist die Frau nicht sympathisch. Kennst Du sie? 
Wir haben seit ein paar Tagen sehr regnerisches Wetter, so daß ich noch nicht zum Umgraben des Gartens hinterm Haus gekommen bin. Da ich ja nun im Haus sein muß, kann ich ja die Hausarbeiten bei Tag alle machen, da bin ich gegen Abend fertig und lese den Kindern von 6  bis 7 ungefähr etwas vor und zwar aus “Nils Holgerson´s Reise mit den Wildgänsen“ immer ein Stück. Was noch für die Kinder unverständlich geschrieben ist, erzähle ich einfach. Helga und Jörg sind ganz begeistert. 
Kurt hat an Vater und mich geschrieben, daß er das Notizbuch bekommen hat und daß er jetzt ganz erleichtert dadurch ist.  Heute habe ich mal alle Bohnen versorgt, die überall herumstanden. Die Äpfel, die Du noch abgenommen hast, sind auch ziemlich zusammengeschrumpft, so daß auf einmal wieder ziemlich Platz im Schlafzimmer ist.  Nun schließe ich. Es ist gleich 5 Uhr und ich muß noch einkaufen. 
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber, lieber Ernst!                                    Konstanz, 26.Oktober 40. 

Heute Abend will ich Dir nur noch ein paar Zeilen schreiben, ehe ich schlafen gehe. Ich freue mich immer, wenn ich noch mit Dir brieflich wenigstens reden kann. 
Nachmittags waren die Kinder doch bei den Verwundeten. Sie kamen ganz begeistert heim. Die Soldaten hätten sich so gefreut und hätten so Spaß mit ihnen gemacht. Einen haben sie auch wieder getroffen, den sie schon einmal besucht haben. Erst sind sie in ein kleines Zimmer gegangen und haben dem Soldaten die Blumen und etliche Äpfel gegeben. Dann sind sie in einen größeren Saal gekommen, da sind ungefähr 12 drin gelegen. Da haben sie jedem einen Apfel gegeben und haben sich unterhalten. Die Soldaten haben dann gesagt, sie soll mit ihrem Zeugnis nur mal hinkommen. Aber ich lasse sie nicht gehen. Gegen ¼ 6 Uhr sind sie dann dagewesen. Kurz danach bin ich vom Einkaufen auch heimgekommen. Wir haben dann gegessen und dann haben sie gleich ihre Stühle geholt und haben gewartet, daß ich vorlese. Da es schon ½ 7 Uhr war, wollte ich sie auf morgen vertrösten, aber sie haben so gebettelt, da konnte ich nicht hartherzig sein. Bis ¼ 8 Uhr habe ich dann gelesen, dann mußten sie sich aber ausziehen.  Ich habe sie noch fest abgeschrubbt, da ja heute Samstag ist und endlich ¼ 9 Uhr waren sie im Bett. Es ist jetzt um 9 Uhr und ich gehe auch gleich schlafen. Ich bin heute richtig müd.
Ich habe mich so gefreut, daß Du immer an uns denkst und sogar schon wieder Päckchen schickst, nachdem Du uns und besonders mich doch gerade erst so verwöhnt hast. Du bist ein ganz lieber Kerl, weißt Du das?  Ich habe es damals, als Du fort gefahren bist, doch gespürt, daß Du noch nicht um ½ 8 Uhr dort warst, denn erst gegen 1o Uhr ist es mir doch etwas leichter geworden, wie ich Dir schon schrieb.
Ich habe mich hinterher, als ich gelesen habe, daß Du wirklich ca. 2 Stunden später angekommen bist, gefreut, daß ich in Gedanken so mit Dir verbunden bin, daß ich das gefühlt habe. Ich denke ja auch den ganzen Tag an Dich und bis jetzt habe ich jede Nacht von Dir geträumt.  Nun will ich aber schlafen gehen, sonst wird es wieder so spät. Gute Nacht, mein lieber Schatz!

Brief 78 vom 24.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                      24.Okober          

Als Helga heute früh aufstand, sah sie den Brief an Dich auf dem Tisch liegen. Da hat sie sich schnell angezogen und dann gleich etwas dazugeschrieben. Ein Fehler hat sich ja mit reingeschmuggelt, aber ich habe nichts weiter gesagt, um ihr die Freude  nicht zu verderben.  Da man doch damit rechnet, daß man bald heizen muß, habe ich heute früh den Küchenofen und das Rohr sowie das Rohr im Stubenofen sauber gemacht. Hinterher habe ich dann an den Baum Gülle geleert. So habe ich gleich an einem Tage die unsaubersten Arbeiten erledigt. Nachmittags wollte ich noch umgraben, aber es hat inzwischen mit regnen angefangen. So eilig ist diese Arbeit ja nun nicht, daß ich sie im Regen machen muß. Als Ersatz habe ich dafür unsere Küche verschönert, indem ich neue Gardinen angemacht habe. 
Es ist jetzt ¾ 4 Uhr und eben brachte mir der Briefträger Deinen lieben Brief vom 20. Oktober. Da habe ich mich aber gefreut, ich habe schon sehnsüchtig darauf gewartet.  Vor allen Dingen hat es mir sehr leid getan, daß Du Dir einen Hexenschuß geholt hast. Das ist ja so schmerzhaft. Ist es inzwischen wieder ganz gut geworden? 
Wie ich Dir ja schon schrieb, habe ich mich am Sonntag daran erinnert, wie wir auf der Mainau und auf dem Tabor waren. Ich denke auch jetzt immer wieder gern daran. Es waren ja so schöne Tage, als Du da warst. Hoffentlich kommen sie bald einmal wieder. 
Meine Briefe hast Du also alle vorgefunden und die 5,-Mk. sind auch nicht verloren gegangen.  Inzwischen wirst Du ja auch die 5,-Mk bekommen haben, die ich Dir vor ein paar Tagen geschickt habe. Ich habe also recht gehabt, als ich annahm, daß Du einen ersten Brief jemand mitgegeben hast. Das war sehr lieb von Dir. So habe ich doch schnell Nachricht von Dir gehabt.
Du schreibst mir auch von Nanni. Ich glaube gern, daß sie nicht zu beneiden ist. Sie hat auch ziemlich spät geheiratet, da passen sich die Menschen meist nicht mehr an und außerdem ist es eben auch nicht der Mann danach. Wie ich Dir ja auch bezüglich Steinmehls schrieb: Es ist doch das schöne bei uns, daß wir alles miteinander besprechen können und dass wir nicht sagen brauchen, wir sind froh, wenn wir uns nicht sehen. Es läßt sich doch alles leichter ertragen, wenn man weiß, man hat jemand, dem man ganz vertrauen kann. Und dafür möchte ich Dir auch immer wieder danken. 
Du hast Dich ja in der kurzen Zeit, die Du dort bist, schon wieder nach vielerlei erkundigt und besorgt, trotzdem Du nicht ganz auf dem Posten warst. An mich hast Du vor allen Dingen wieder gedacht. Gefreut habe ich mich auch, daß Du Dir einen Mantel bestellt hast. Das Geld, das noch hier ist, lasse ich Dir gleich Anfang nächsten Monats per Postanweisung zugehen. Solltest Du trotz der Frontzulage noch Geld brauchen, so mußt Du mir schreiben. Du weißt ja, daß ich Dir gern etwas schicke. Du verwendest es ja doch meist für uns. 
Nun will ich schließen, denn es wird Zeit, daß ich in die Stadt fahre.  Sei für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie und denke immer an uns.


 Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 24.Oktober 40. 

Wenn es auch schon ½ 11 Uhr ist, so möchte ich doch gern noch einige Zeilen an Dich schreiben. Vater ist vor ein paar Minuten heimgegangen. Er war den Abend über da und hat mir vom Geschäft usw. erzählt. Da habe ich dabei die Sohle auf den Filzschuh von Jörg nähen können. Hinterher habe ich noch Strümpfe gestopft und so ist dieser Abend auch herum gegangen.  Ich war heute noch auf der Bezugscheinstelle und habe die Hausschuhe beantragt. Den Schein bekomme ich zugestellt.
Helga hat Dir heute auch noch einen Brief geschrieben und Jörg hat gemalt. Sie schicken Dir‘s extra. Wenn Helga von elsäßischen Lehrerinnen spricht, so meint sie, daß welche zur Besichtigung gekommen sind. 
Ich habe mich heute so gefreut, daß ich einen so lieben Brief von Dir bekommen habe. Hoffentlich bist Du wieder ganz gesund.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht mein lieber Mann! 

                                                                                 24. Oktober

 Mein lieber, guter Ernst! Heute früh erhielt ich so einen herzlichen Brief von Dir vom 21., daß ich den ganzen Tag froh bin, schon Deine liebe Anrede hat mich so gefreut.  Am vergangenen Sonntag hast Du also auch das Wunschkonzert gehört. Ich habe dabei ja auch immer an Dich gedacht. Wenn ich etwas aus dem Fliegenden Holländer höre, denke ich immer noch ganz besonders an Dich, weil ich weiß, daß Du das gern hörst.  Ich glaube, Du bist hier bei uns der Schnakenplage entwöhnt worden und mußt Dich erst wieder an deren Angriffe gewöhnen. 
Ich kann ja den Eltern evtl. ein Pfund Kaffee abgeben. Wahrscheinlich werde ich M 2,5o berechnen, denn der Kaffee, den wir jetzt hier bekommen, kostet 2,40 bis 3,20 pro Pfund. Die 50g, die ich bekommen habe, habe ich Vater gegeben.  20Pfg.-Briefmarken schicke ich Dir auch so mit, ehe ich das Geld von den Eltern bekomme. Die Päckchen sind ja doch für uns bestimmt und Du bemühst Dich so, uns eine Freude zu machen. 
Heute ist es mit dem Graben im Garten auch nichts geworden, da es wieder regnet, d.h.  eigentlich ist es mehr Nebel, der runter kommt. Ich habe da gleich die Gelegenheit wahrgenommen und die Filzschuhe von Jörg fertig gemacht. Sie sind nun gebrauchsfähig.
Nachmittags ist Helga mit der Spielschar zu den Verwundeten gegangen. Ich habe ihr Äpfel und zwei Blumensträuße mitgegeben. Sie ist noch nicht wieder da.
Bei uns am Bahnhof findet jetzt auch öfter der Austausch deutscher und französischer Verwundeter statt, die über die Schweiz transportiert werden. Da habe ich jetzt öfter Lazarettzüge gesehen. 
Jetzt muß ich Dir noch von einer Hochzeit erzählen.  Weißt Du, wer geheiratet hat? Das größere Mädchen von Sterks, die bei uns im Haus gewohnt haben, die Bertl. Für die hohen Geistesgaben des Bräutigams zeugt, daß er, als die Braut in einem mordsmäßigen Rausch bei der Hochzeitsfeier, (die sie übrigens in einem Lokal gefeiert haben) unter den Tisch gerutscht ist, aufstand und schrecklich geheult hat, weil er glaubte, sie sei tot. Bei Stromeyer, wo die neugebackene Frau Ochs ja schafft, hat man´s erzählt. Ist so eine Hochzeit nicht eine Lächerlichkeit? 
Bei unserem Baum sind jetzt jeden Tag zwei Äpfel runtergefallen, heute ausnahmsweise einmal 8 Stück.  Jetzt hängen, soviel ich sehe, noch ganze drei Stück oben. Ich habe schon oft jetzt gedacht, wie lieb es von Dir war, daß Du die Äpfel noch runter geholt hast. So können wir sie wenigstens nach und nach essen.  Nun will ich schließen. Ich denke immer an Dich und grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 77 vom 23.10.1940


                                                                               23.  Oktober                                                     

 Nun ist es schon Mittwoch. Vergangene Woche bist Du nachmittags weggefahren. Hoffentlich vergehen die kommenden Wochen schnell, damit Dein nächster Urlaub rascher heran kommt, denn dieser leuchtet als glückliche Verheißung über den kommenden Wochen.  Vielleicht kommt heute von Dir ein Brief. Ich werde es ja sehen, wenn ich vom Zahnarzt wiederkomme, ich muß um 10 Uhr dort sein. Da wird es Zeit, daß ich mich fertig mache.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber Mann, von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 23.Oktober 40. 

Nun ist der Mittwoch bald vorbei. Vor einer Woche habe ich gewartet, bis Du in Stuttgart warst. Inzwischen habe ich ja aus Deinem ersten Brief ersehen, daß Du dort gut angekommen bist. Weitere Nachricht habe ich von Dir noch nicht erhalten. Ich habe mir schon überlegt, ob Du wohl den ersten Brief jemand mitgegeben hast, da er mit einem so großen Vorsprung vor den anderen (denn Du wirst doch am nächsten Tag wieder geschrieben haben) angekommen und außerdem in Freiburg am 20. abgestempelt ist. 
Frau Nußbaumer  hatte mir gestern gesagt, daß Luftschutzvollübung sei. Es hat sich nun herausgestellt, daß diese nur für die Laienhelferinnen ist. So habe ich heute Abend Zeit, mich auszuruhen.
Ich habe heute Nachmittag das gestern begonnene Stück im Garten drüben umgegraben. Dann habe ich das Weißkraut raus gemacht, die Kinder haben mir dabei geholfen, und haben auch dieses Stück noch umgegraben. Jetzt habe ich mich schon wieder an die Arbeit gewöhnt, ich habe nicht ein bißchen Rückenweh und bin auch nicht kaputt. Das Kraut lasse ich bis Sonntag ablagern und hole es dann ein.  Im Großen und Ganzen bin ich jetzt drüben mit dem Garten fertig. Rotkraut und Wirsing lasse ich sowieso so lange als möglich draußen, wenn´s nicht zu kalt wird, evtl. ganz. Schwarzwurzel lasse ich auch noch eine Weile draußen, ebenso rote Rüben und Möhren. Ich muß erst im Keller ein bißchen Platz bekommen. Nun werde ich mich an den Garten hinterm Haus machen. Ich bin gerade so schön drin. 
Beim Zahnarzt war ich heute früh. Es hat wieder ziemlich weh getan, trotz der Einlage. Ich bin knapp um eine Nervbehandlung rum gekommen. Jetzt hat er den Zahn fertig gemacht. Es ist doch gut, wenn man gleich zum Zahnarzt geht. 
Den Kindern habe ich heute noch je eine Trainingshose gekauft, damit sie wechseln können. Die Jacken halten immer viel länger.  Ich habe sie jetzt schon gekauft, weil gerade einzelne vorrätig waren, was selten vorkommt, weil meist nur ganze Anzüge verkauft werden. Ich schenke sie den Kindern aber erst zu Weihnachten. Sonst kaufe ich ihnen hier ja nichts weiter zum anziehen. 
Mir besorge ich noch einen Bezugschein für Filzschuhe. Die Bezugscheinstelle ist aber nur nachmittags auf und liegt so abseits, daß ich es immer wieder hinausgeschoben habe. Ich den nächsten Tagen fahr ich aber doch mal hin, sonst überrascht mich erst noch die Kälte. 
Siegfried hat mir von einer Besichtigung der Feengrotte in Saalfeld eine Karte geschickt. Er bittet mich, ich soll ihm bald mal wieder schreiben. Da werde ich mich doch bald mal zu einem Brief aufraffen müssen, nachdem ich ihm gestern nur eine Karte geschrieben habe. Ich habe inzwischen drei Stück von ihm bekommen.
Heute Abend ist ein Volkskonzert im Radio. Da höre ich gern zu. Es werden u.a. Märsche und bekannte Lieder gespielt. Jetzt spielen sie gerade „An der Weser“. 
Jetzt muß man ja schon wieder zeitig Licht machen. Da haben mich die Kinder gebeten, ich möchte doch wieder öfter die Kerze anbrennen. Das wär so gemütlich. Da hast Du doch schon früher manchmal lachen müssen, wenn wir bei Kerzenlicht beieinander gesessen sind. 
Mein lieber Ernst! Ich gehe nun schlafen. Morgen muß Helga um 8 Uhr in die Schule, da kann ich nicht so faulenzen wie die letzten Tage, wo ich, und die Kinder natürlich auch, ersten gegen ½ 8 Uhr aufgestanden sind. Da haben wir früh immer kein Licht gebraucht. Gute Nacht, mein lieber Ernst.
Lieber, lieber, lieber Vater! Jetzt bin ich aufgestanden und habe mich fertig gemacht und jetzt schreibe ich Dir noch einen kleinen Brief. Weißt Du lieber, lieber, lieber Vater ich kann nicht so viel jetzt schreiben. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Jörg Rosche.

Brief 76 vom 22.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                           22.Oktober.

Es ist jetzt schon um 4 Uhr. Bis jetzt habe ich im Garten geschafft. Was ich geschafft habe, erzähle ich Dir heute Abend, wenn ich den nächsten Brief an Dich schreibe. Jetzt bin ich noch so abgespannt, und muß mich erst ein bißchen ausruhen. Ich fahre dann langsam in die Stadt und bringe den Brief noch fort. 
Ein Brief ist heute nicht von Dir gekommen, ich bin aber schon froh, daß ich wenigstens Be scheid habe, daß Du dort gut angekommen bist.  Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 22.Oktober 1940

Nun habe ich unsere zwei Banausen zu Bett gebracht und will jetzt an Dich schreiben. Vorher hat man doch keine Ruhe, wenn zwei solche Quecksilber rumhopsen.
Wenn ich Dir von meiner heutigen Arbeit erzählen will, fange ich am besten vom Morgen an.  Heute Nacht hatte es Nebel, so daß am Morgen die Sträucher feucht waren. Da habe ich gleich Kalk gestreut, d.h. teilweise habe ich ihn mit Kurt seiner alten Zahlbürste aufgestrichen. Die 2 Stachelbeer-Hochstämme konnte ich noch nicht kalken, da noch zuviel Blätter dran sind.  Nachdem ich diese Arbeit getan hatte, habe ich mit umgraben begonnen, wobei ich auch Kalk gestreut habe. Oberhalb der unteren Erdbeerbeete habe ich fertig umgegraben. Später habe ich weiter oben, wo die Bohnen standen, nochmals grob umgegraben. Ich bin da zur Hälfte fertig geworden, da ich gleich noch das Gurkenbeet mit umgegraben habe. Vielleicht grabe ich morgen noch das restliche Stück um.  Nachdem nun in dem kurzen Absatz fünf Mal von umgraben die Rede war, will ich erst mal damit aufhören. 
Bei Tag war heute wieder sonniges Wetter.  Da macht das Schaffen im Garten Freude. Als ich im Garten war, kam Frau Steinmehl.  Nachdem sie vom Essenkochen zu reden begonnen hatte, klagte sie mir dann ihr Leid. Sie hätte es jetzt so gut gehabt, als ihr Mann nicht da war. Da hätten ihr die Kinder gefolgt und hätten auch alles gegessen. Seit er wieder da sei, wär‘s aus. Wenn sie sagte, sie müßten den Teller leer essen, sagte er, wenn sie‘s nicht essen wollten, solle sie‘s wegschütten. Frau Steinmehl hat bald geheult. Sie sagte, sie möchte nie wieder Kinder aufziehen, denn sie hätte immer allein gegen alle Unarten ankämpfen müssen, während ihr Mann immer etwas anderes sagt als sie. Er hätte immer den Kindern geholfen. Da habe ich an Dich denken müssen, was für eine Stütze ich doch da an Dir habe.  Ich habe es auch gesagt, daß es so etwas bei Dir gar nicht gibt. Es ist doch nicht schön wenn man sagen muß, man hat es so gut, wenn der Mann nicht da ist. Das muß und kann ich ja nicht sagen. Ich freue mich ja schon so, wenn Du wieder da bist. Es ist doch viel wert, das gegenseitige Verstehen. Ich bin ja so glücklich, daß Du mein Mann bist.
Jetzt muß ich noch mal vom Garten anfangen. Ich weiß nicht mehr, muß ich auch den Apfelbaum kalken? Muß ich einen Leimring drum machen? Schreib mir das doch bitte noch mal.  Morgen Abend haben wir Luftschutz-Vollübung im Haus 87. Diesmal ist er von keiner untergeordneten Stelle angeordnet worden. An praktischer Betätigung fehlt es uns ja Gott sei Dank bis jetzt. Da müssen wir üben, damit wir nicht alles vergessen. 
½ 10 Uhr  Vorhin ist mir gerade noch eingefallen, daß ich auch einmal an zu hause schreiben sollte. Da habe ich mich gleich noch hingesetzt. Die Durchschläge sende ich Dir mit. Nun kann ich zum Abschluß noch an Dich schreiben.  Viel habe ich ja von Deinem Urlaub nicht an die Eltern geschrieben, aber wie soll ich da auch schreiben. Die wunderschönen Tage, die wir zusammen verbracht haben, kann man doch nicht schildern.  Jetzt werde ich noch einen Moment lesen und nach den Nachrichten geht´s ins Bett.  Nun gute Nacht, mein lieber Ernst.

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Brief 75 vom 21.10.1940


Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 21. Oktober 40 

Es ist jetzt ¾ 10 Uhr abends. Ich habe bis jetzt gestopft und will nun bald schlafen gehen. Vorher will ich aber noch an Dich schreiben. Gerade bei der ruhigen Arbeit, wie ich sie heute Abend hatte, komme ich mir recht einsam und verlassen vor und so will ich noch mir Dir reden. Dabei merke ich doch, daß ich nicht allein bin, sondern daß ich alles mit Dir besprechen kann, wenn jetzt auch nur durch den Brief. Ich weiß ja, daß Du mich auch lieb hast, genau wie ich Dich über alles lieb habe und ich bitte Dich, behalte mich und unsere Kinder auch ferner hin lieb. 
Vorhin habe ich nach dem großen Wagen am Himmel gesehen und habe an unseren Heimweg von der Fähre gedacht, bei dem wir davon sprachen, daß wir, wenn wir den großen Wagen sehen, immer an einander denken werden. Meine Gedanken sind ja sowieso den ganzen Tag bei Dir.
Wie ich Dir ja schon heute im Brief schrieb, wollte ich noch im Garten schaffen. Ich habe das obere Stück im großen Garten mit Kalk bestreut und nochmals grob umgegraben. Weiter unten, bei den Erdbeeren, habe ich auch noch ein Stück umgegraben, aber dann mußte ich aufhören, denn ich bekam so feste Rückenschmerzen. Man merkt eben doch, wenn man mal längere Zeit gefaulenzt hat. Aber ich sage mir, Eile mit Weile, es wird alles fertig werden, wenn ich jeden Tag etwas tue.  Jörg hat mir sogar mit geholfen. Er hat, nachdem er vom Briefwegtragen wieder da war, Kalk gestreut und zwar da, wo ich umgraben wollte und um den Spinat herum. Wenn er so mit helfen kann, ist er immer ganz stolz. Um den Salat habe ich auch Kalk gestreut. Wenn´s jetzt mal wieder feucht ist, werde ich die Sträucher bestreuen oder spritzen.
Heute war ein interessanter Vortrag im Radio: „Haben wir 1940 nach dem Schlieffen-Plan gehandelt“? Diese Frage wurde mit Nein beantwortet. Es ist diesmal wesentlich anders gehandelt worden. Vor allem, soviel ich verstanden habe, auch deshalb: Wir sind diesmal vor allem sofort nach dem Kanal vorgestoßen, auch in Belgien und Holland, was beim Schlieffen-Plan nicht vorgesehen war. Bei diesem Plan wäre auch die rechte Armee nach Paris vorgestoßen, während diesmal die Mitte vorgeschoben wurde. Ich habe mir gleich nochmals den Schulungsbrief mit der Karte rausgesucht und dabei verglichen. Es ist noch verschiedenes anderes erklärt worden, aber das kann ich nicht alles schreiben. Vielleicht hast Du‘s auch selber gehört. Der Vortrag hat mich auch deshalb ganz besonders interessiert, weil wir doch früher schon mal über den Schlieffen-Plan gesprochen haben, wie Du Dich vielleicht erinnern kannst. Ich will mir überhaupt jetzt die Schulungsbriefe ein bißchen vornehmen. Es steht viel Wissenswertes drin und dümmer wird man dabei bestimmt nicht. Wenn ich auch sonst nicht dumm bin, in geschichtlichen Sachen hapert´s noch manchmal und da habe ich ja bei den kommenden Winterabenden die beste Gelegenheit, etwas dazu zu lernen. 
Nun will ich aber wirklich schlafen gehen. Nachdem ich jetzt wieder mit Dir gesprochen habe, ist es mir bedeutend leichter ums Herz. Hoffentlich kann ich heute besser schlafen als in den vergangenen Nächten. Da hatte ich immer richtige Angstträume und war froh, wenn die Nacht vorbei war.
Also gute Nacht, mein lieber Ernst. 


Mein lieber, lieber Ernst!                                    Konstanz, 21. Oktober 1940

Vorher habe ich Deinen ersten Brief bekommen. Ich freue mich ja so. Wenn Du nun nicht mehr hier sein kannst, da ist solch Brief doch ein lieber Gruß.
Als ich den Brief bekam, heiterte sich zum ersten Mal wieder der Himmel auf.  Es war, als wollte sich alles mit mir freuen.  Du brauchst um mich keine Angst zu haben. Ich halte den Kopf schon hoch. Wenn es auch manchmal schwer fällt. Aber ich bin doch Deine Frau und will Dir doch nur Freude machen. 
Heute Nachmittag will ich noch im Garten schaffen, da gerade so gutes Wetter ist. 
Beim Zahnarzt war ich heute früh auch schon. Es ist eine Einlage gemacht worden. Die Plombe muß schon längere Zeit locker gewesen sein, da hat sich drunter und am Zahn daneben ein neuer Defekt gebildet. Am Mittwoch muß ich wieder hinkommen. 
Von mir wirst Du ja inzwischen auch schon Briefe erhalt en haben. An die Eltern muß ich auch bald mal schreiben, ebenso an Siegfried, von dem ich heute eine Karte aus Pößneck, ihrem neuen Abstellort, erhielt. Heute bringt Jörg ausnahmsweise einmal den Brief nach der Petershauser Post, damit ich noch schaffen kann. Er ist ganz stolz drauf, daß ich ihm den Brief anvertraue.
Es ist nicht viel, was ich Dir heute schreibe, aber Du wirst mir deshalb nicht böse sein. Der Tag ist jetzt doch so schnell vorbei, und da kann man im Garten gar nicht solange arbeiten.
Ich denke immer an Dich, lieber Ernst, und grüße und küsse Dich recht herzlich. Deine Annie.

Brief 74 vom 19./20.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                      19. Oktober

 Nun ist schon wieder Samstag und Du bist bald ½ Woche fort. Es ist gut, daß die Tage schnell herum gehen, dadurch kommt doch schon Dein nächster Urlaub näher, wenn der auch noch auf sich warten lassen wird. Aber dieser Urlaub war so schön, daß man bald den nächsten herbei wünscht.
Ich stürze mich jetzt wieder in die Arbeit, damit ich Dein Fernsein nicht so empfinde.  Wie hast Du Dich dort wieder eingelebt? Ich werde ja auch bald Nachricht von Dir erhalten. Darauf freue ich mich schon. 
Nächste Woche fange ich an im Garten zu schaffen. Diese Tage bin ich noch nicht dazu gekommen. Der Herr Gassner, wo ich den Kalk geholt habe, ist auch seit ½ Jahr eingezogen. Er ist auch in Frankreich.  Ich schicke Dir einen Zeitungsausschnitt mit, an dem mich vor allen Dingen interessiert hat, daß Päckchen mit Übergewicht der N.S.V. überwiesen werden. Wenn auch die N.S.V. eine gute Sache ist, so sehe ich doch nicht ein, warum man das, was Du dort kaufst, noch dieser Einrichtung schenken soll. Dafür geben wir ja hier schon. Also, paß auf auf‘s Gewicht.  Nun will ich für heute schließen. Diesen Brief schicke ich auch noch mal früh weg, da ich doch einkaufen fahren muß.  Mein lieber Mann, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                  Konstanz, den 19.Okt.40. 

Es ist bereits ¼ 10 Uhr abends und ich bin soeben mit schaffen fertig geworden. Heute vor 14 Tagen warst Du den ersten Abend da. Da war es schöner als heute.
Gegen Abend habe ich die zwei vergrößerten Bilder von Dir geholt. Ich habe sie in Rahmen getan und aufgehängt. So kann ich sie mir immer ansehen und das tue ich sehr gern. 
Nun will ich Dir noch von meinem Tagewerk berichten. Ich habe heute mit Herrn Steinmehl wegen der Bestellung von Mist gesprochen. Er will einen ganzen Wagen voll nehmen. Ich nehme nun auch einen Wagen voll, (wenn ich ihn bekomme) und Frau Nußbaumer nimmt ¼ oder ½ davon. Der Sohn von Steinmehl will nächste Woche die Zettel besorgen. 
Der Sack Falläpfel, der in der Küche stand, ist gleich alle. Nun habe ich noch die Wanne voll zum schnellen Verbrauch. Es ist doch schön, wenn man etwas vorrätig hat. 
An Kurt habe ich das Notizbuch schon am Donnerstag weggeschickt. Ich habe nur einen kurzen Zettel beigefügt.  Mit diesem Brief schicke ich Dir 5,-Mk mit, die ich bekommen konnte.  Bezüglich meines Rades habe ich mich nochmals nach einem Rückstrahler erkundigt. Ich soll in 3 Wochen wieder nachfragen. Inzwischen habe ich einen Zettel bekommen zum Ausweis gegenüber der Polizei, daß ich mich um den Rückstrahler bemüht habe.  Bei uns herrscht gar kein schönes Wetter mehr, seit Du fort bist. Immer lagert eine Hochnebeldecke am Himmel, die sich bei Tag gar nicht mehr auflöst, höchstens gegen Abend mal ein wenig, damit der Mond herunter sehen kann. Aber was nützt uns das schon? Ich glaube, das Wetter ist mit mir traurig, daß Du fort bist, darum zeigt es auch kein lachendes Gesicht. 
Je öfter ich mir die Bilder von Dir ansehe, desto größere Sehnsucht bekomme ich nach Dir und es will mir noch immer nicht in den Kopf, daß ich Dich jetzt wieder lange Zeit nicht sehen soll. Aber es muß eben sein und wir wollen uns tapfer durchbeißen.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht, lieber Ernst!



  Guten Morgen, lieber Ernst!                                          20. Oktober

Heute ist nun Sonntag.  Ich wollte eigentlich es wäre keiner, denn gerade am Sonntag merkt man besonders, daß man allein ist. Arbeit ist doch die bestes Medizin.  Vorigen Sonntag waren wir nachmittags auf der Mainau und heute werde ich mir das Wunschkonzert anhören. Wenn Du dort nicht fort fährst, willst Du Dir‘s ja auch anhören. Da werden sich unsere Gedanken also treffen. Die meinen sind ja sowieso immer unterwegs zu Dir.  Ich warte immer auf den ersten lieben Gruß von Dir, aber ich werde mich wohl noch etwas gedulden müssen, denn 5 Tage ist ja meist die Post unterwegs.  Die schönen Sachen von Dir habe ich alle versorgt, bis Du wieder kommst. Nur die Interlok-Wäsche ziehe ich an und ich muß feststellen, nach dem ich heute davon auch einen Unterrock angezogen habe, daß sie schön warm hält ohne aufzutragen. Ich möchte Dir auch für diese Wäsche nochmals recht sehr danken.  Nachdem Du vor Kurzem beim Zahnarzt warst, muß ich ihm morgen auch einen Besuch abstatten. Mir ist eine Plombe rausgegangen. 
Ich habe Dir doch vor ein paar Tagen von Stacheldraht geschrieben. Der ist dort wegen Kriegsgefangenen. Die Leute, die erst dort waren, sind nicht mehr dort. 
4 Uhr nachmittags.  Ich höre mir jetzt das Wunschkonzert an. Gerade wird der alte Dessauer gespielt. Die Worte der Begrüßung vorhin erhalten doch eine ganz andere Bedeutung, wenn man getrennt ist. Du bist ja auch begrüßt worden, als von den Soldaten im besetzten Gebiet gesprochen wurde.  Soeben wurde bekann gegeben, daß Kapitänleutnant Priem das Eichenlaub zum eisernen Kreuz, bzw. Ritterkreuz verliehen bekommen hat. Die U-Boote haben ja in den vergangenen Tagen ziemlich viel geleistet. Das wird England spüren. 

Ich habe mir heute Nachmittag das Buch geholt, das Du da gelassen hast. „Romantische Erzählungen“. Sie gefallen mir sehr, Sie erinnern an Hoffmanns Erzählungen, die wir ja da haben. Nur schildern sie nicht so gräßliche Begebenheiten, bzw. sie werden nicht so gräßlich ausgemalt und haben meist einen versöhnlichen Schluß. Mich freut es, daß ich wieder einmal ein schönes neues Buch zu lesen habe. Das bringt mich auch etwas über den Sonntag hinweg. 
Nun schließe ich für heute, denn ich will den Brief gegen 5 Uhr wegschaffen. Vielleicht begleiten mich Deine Gedanken dabei.  Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 73 vom 18.10.1940


Mein lieber Mann!                                             18.Oktober 1940

 Nun wirst Du also in Lille sein. Ich weiß nicht, ob Du wirklich ½ 8 Uhr angekommen bist. Etwas ruhiger bin ich gestern Abend eigentlich erst gegen 10 Uhr geworden. Vielleicht bist Du da endgültig in Deiner Wohnung gewesen oder bist schlafen gegangen. Ich freue mich schon jetzt auf Deine Nachricht, daß Du richtig angekommen bist, wenn ich Dich auch viel lieber bei uns hätte. 
Bei Jörg heilt der Finger jetzt endgültig. Der Eiter ist ganz weg. Jörg sagte heute früh: „Vielleicht kommt Vaterle bald wieder auf Urlaub. Drum will der Finger schnell ganz gut werden.“ Du siehst also, sogar der Finger richtet sich nach Dir. 
Gestern Nachmittag war ich nochmals im Amt und wollte den Brief abgeben, aber Frl. A. hat jeden Nachmittag Urlaub, da fahre ich nachher gleich hin, da wird sie hoffentlich da sein. Ich war gestern auch an der Wohnung von Frl. A., aber es war niemand daheim.  Ich fahre auch nachher noch zum Photografen und werde mir die zwei Bilder von Dir vergrößern lassen. Ich kann gar nicht genug Bilder von Dir haben. 
Das Geldstück, das Du mir zum Abschied gegeben hast, und welches Du Dir wieder holen wirst, wenn Du heim kommst, trage ich an einem silbernen Kettchen um den Hals, natürlich so, daß es niemand sieht. Für mich ist es ja kein Geldstück, sondern etwas, das Du Dir wieder holen willst. Darum muß ich auch gut darauf achten.
Als wir Helga mal abholten, haben wir doch gesehen, wie sie an dem einen Gebäude Pfähle eingeschlagen haben. Da ist jetzt Stacheldraht dran gemacht worden. Es sind zwei Reihen Pfähle, damit niemand mit den Leuten in Verbindung treten kann. Die Pfähle gehen um das ganze Gebäude. 
Nun will ich mit Jörg in die Stadt fahren und will deshalb schließen. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie.


Mein lieber Ernst!                                     Konstanz, 18.Oktober 40.

 Heute früh habe ich schon einen Brief an Dich abgeschickt, aber ich muß doch noch heute Abend ein bißchen mit Dir reden. Ich will Dir unseren Tageslauf berichten. Vorher möchte ich Dir sagen, daß sich die Briefangelegenheit nach der Schweiz erledigt hat. Wie, schreibe ich Dir weiter hinten im Brief.  
Also, heute früh bin ich mit Jörg in die Stadt gefahren und haben den Brief an Dich weggeschafft. Dann bin ich ins Amt gegangen und habe Frl. A. getroffen. Da stellte es sich heraus, daß Du ja nicht mit ihr gesprochen und ihr das Geld gegeben hast, sondern Frl.  Beurer. Ich habe ihr dann den Brief übergeben. Sie sagte, sie wollte sehen, ob Herr Kreßner ihn besorgen kann.  Ich bin dann mit Jörg wieder heim gefahren.
Da Elegast keinen Düngerkalk hatte, bin ich noch zu Gassner-Knöpfle gefahren. Da habe ich dann einen Sack zu M 1,50 gekauft. Die Kinder haben ihn dann mit dem Wagen geholt. Ich wollte ihnen entgegen gehen, aber sie waren schon vorher wieder da.  Nachmittags habe ich gebügelt. Dabei habe ich mir die Sache mit dem Schweizerbrief nochmals überlegt und bin zu der Meinung gekommen, vielleicht meinen sie im Geschäft, sie sollen den Brief heimlich über die Grenze bringen. Winkelzüge wollen wir ja nicht machen und so habe ich mich noch mal aufs Rad geschwungen und bin nochmals ins Amt gefahren. Da war gerade Frl. Weber bei Frl. B. und sie empfingen mich gleich mit dem Ruf, daß Herr K. den Brief nicht besorgen könne, da er nur Dienstsachen über die Grenze bringen kann. Ich erwiderte, daß ich gerade wegen des Briefes gekommen sei. Ich hätte mich erst nochmals genau beim Zoll erkundigen wollen, ob das Rübernehmen erlaubt sei, damit Herr K. keine Schwierigkeiten hat. Frl. W. sagte, sie hätte den Brief schon an mich zurückgeschickt, bzw. sie hätte ihn mit aufs Rathaus gegeben, damit er mir gebracht wird. Bei der Gelegenheit habe ich mich gleich nach dem Gehaltszettel erkundigt. Er lag noch bei Frl. W.  Ich bin dann also ohne Brief zum Zoll gefahren und habe dort die Sachlage geklärt. Man hat mir geantwortet, daß die Beförderung möglich wäre. Ich solle mit dem offenen Brief zur Post gehen, meinen Absender draufschreiben, ich müsse 25 Pfennig zahlen und dann wird der Brief befördert.  Zunächst bin ich mal aufs Rathaus gefahren und habe in der Registratur gefragt, wo die Briefe immer hingebracht werden. Ein älterer Mann ist dann mit mir zum Kreßner gegangen. Da lag der Brief noch. Nun hatte ich ihn endlich wieder. Da bin ich zur Post gefahren, der Brief ist vom Postbeamten geschlossen worden, ich habe 25 Pfennig bezahlt. Nun denke ich, daß er endlich sein Ziel erreicht. 
Gleich nach dem Mittagessen, nachdem sie ihre Aufgaben gemacht hatte, hat Helga einen Brief an Dich geschrieben. Sie hat ihn eigentlich zwei Mal geschrieben, denn zuerst war er nicht gut genug für Dich geworden. Als ich wieder von der Stadt kam, hat sie ihn mir ganz stolz gezeigt.  Nun liegen die Kinder schon eine Weile im Bett und ich will mich noch an den Berg Strümpfe machen, der vor mir liegt.
Es ist gleich 9 Uhr. Vater ist vorhin gekommen. Er liest die Zeitung. 
Du Lieber! Wie schön waren doch die Tage, als Du hier warst, jetzt, wo Du fort bist, ist es wieder sehr einsam. Aber Du wirst ja wieder kommen. Ich glaube es ganz fest.  Nun habe ich wieder einen ganzen Teil geschafft und es ist jetzt Zeit, daß ich schlafen gehe, es ist 11 Uhr. ¼ 11 Uhr ist Vater heim gegangen. Ob Du jetzt auch schon schlafen gegangen bist? Bei uns scheint heute hell der Mond, wenn es auch etwas wolkig ist. Ich habe vorhin gerade daran gedacht, daß auch bei Dir dort der Mond sicher scheint. Vielleicht hast Du auch an uns gedacht, als Du ihn gesehen hast.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht, mein lieber Schatz.

Brief 72 vom 16./17.10.1940


Mein lieber, lieber Ernst!                            Konstanz, 16. Oktober 1940 

Es ist jetzt ¾ 7 Uhr. Wir haben eben Abendbrot gegessen, nachdem wir um 6 Uhr nach hause gekommen sind. Ach Ernst, ich meine immer, es kann gar nicht möglich sein, daß Du fort bist. Du fehlst uns ja überall so sehr. Ich beiße fest die Zähne zusammen, denn ich will Deine tapfere Frau sein. Aber es ist so sehr schwer.
Ernst, mein Ernst! Meine Gedanken sind immer bei Dir, wie meine Seele, und mein Herz tut mir weh, weil es nicht so davon fliegen kann, trotzdem es allein Dir gehört. Mein lieber Ernst, wie ist es möglich, daß Du wieder von uns fort mußt. Trotz des schweren, schweren Abschieds bin ich doch so froh, daß Du bei uns warst. Es waren so wunderschöne Tage. Ich möchte sie nicht missen. Nie und nimmer.
Ich habe Deine lieben Bilder von Köln vor mir liegen und schaue sie mir immer wieder an. Dein liebes Gesicht, Dein liebes Lächeln. Wer ist so lieb wie Du, mein lieber, lieber Ernst? Ich denke immer an Dich, wo Du jetzt sein wirst. 
Lieber Lieber, lieber, lieber Vater! Ich bin heute sehr traurig, weilst Du der liebste  von der Welt bist. Du wirst auch traurig sein, weißt Du, wenn man fort ist. Und weißt Du noch, voriges Mal, waren wir noch zusammen, am Abend. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. 
Jörg: Ich habe Dir schönes Bild gemalt.
Helga wollte auch noch was schreiben, ehe sie schlafen ging. Sie ist wirklich sehr traurig. Jörg fing dann an zu weinen und sagte: „Ihr könnt alle beide etwas schreiben, bloß ich nicht, ich kann bloß malen.“
Ich habe ihm dann vorschreiben sollen, ich habe Dir ein schönes Bild gemalt. Er hat es dann mit vieler Mühe nachgeschrieben. Das „ein“ hat er vergessen, aber ich glaube, es wird Dich auch so freuen. 
Ich bleibe noch munter, bis Du von Stuttgart abfährst, dann gehe ich gleich schlafen, wie Du es mir gesagt hast, mein lieber, lieber Ernst. Ich habe mir eine Karte hervor geholt, auf der ich Deine Fahrt bis Lille verfolgen kann.  21,04 Uhr: Mein lieber Ernst! Nun bist Du in Stuttgart. Jetzt warte ich noch, bis Du abfährst. Wenn Du doch wieder zu uns zurück kämst. 
21,25 Uhr Jetzt fährst Du gleich von Stuttgart fort und ich gehe nun schlafen. Auf ½ 5 Uhr stelle ich mir den Wecker, da Du 4 ,32 in Köln bist. Bleib mir nur gesund Du mein lieber, lieber Ernst.

 17.10.     7,25  Uhr: Mein lieber Ernst!

Jetzt wirst du also in Maastricht sein. Heute Nacht bin ich aufgewacht, als Du in Köln warst. Auch vorher bin ich einige Male munter geworden und habe immer an Dich gedacht.  Nun ist es ¼ 1 Uhr und Du wirst nach Lille weiter fahren. Du bist sicher auch froh, wenn Du die Bahnfahrt hinter Dir hast.  Helga sagte heute früh, sie will ganz fleißig sein, weil Du ihr‘s gesagt hast. Nun soll ich Dir schreiben, daß sie heute einen Fleißstrich im Diktat bekommen hat. 
Als Du da warst, habe ich ja auch eigentlich Urlaub gehabt. Nun fange ich wieder an mit schaffen. Heute habe ich einen Teil gewaschen. Vor allen Dingen die schönen Sachen, die ich aufhebe, bis Du wieder kommst.  Nachmittags wollen wir noch zum Doktor gehen und den Brief ins Amt bringen.  Die Bilder, die wir aufgenommen haben, bekomme ich morgen. Ich schicke sie Dir dann gleich.  Hoffentlich sind sie gut geworden.  Die zwei Äpfel, die Du mir noch gepflückt hast, hebe ich mir solange als möglich auf, denn sie sind doch von Dir.  Bei Jörg ist am Finger die feste Haut von der Wunde weggegangen. Darunter ist aber noch Eiter. Jetzt habe ich noch ein Zugpflaster drauf gemacht. Er zieht den Eiter schon ein bißchen hoch. Mal sehen, wie es morgen aussieht. 
Es ist nun inzwischen ½ 3 Uhr geworden. Ich will mich jetzt fertig machen, damit wir fortkommen. Vorgestern sind wir noch mit Dir zusammen in der Stadt gewesen. Das war viel schöner als heute.  Nun will ich schließen. Vielleicht erhältst Du den Brief bald.  Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber, lieber Ernst!         Konstanz, 17.Okt. 40.  Es ist jetzt gleich ½ 8 Uhr abends.

Wahrscheinlich wirst Du nun bald in Lille sein. Schon wieder ist ein Tag vorbei, seit Du fort bist. Ich denke immer an Dich. Die Kinder haben den Abschied schon ein bißchen überwunden, deswegen denken sie natürlich auch viel an Dich. Mir tut es aber noch sehr weh, daß Du fort bist. Ich kann es immer noch nicht begreifen, daß es Wahrheit ist. Die ganze Wohnung kommt mir so leer vor. 
Ich habe heute Abend noch einmal nachgefragt, ob ich die Bilder nicht bekommen kann und habe sie tatsächlich um 7 Uhr noch bekommen. Sie sind alle ziemlich gut geworden, besonders Du bist fein getroffen. Ich bin so froh, daß ich die Bilder mir immer ansehen kann. Wie lieb Du wieder überall aussiehst. Jede Linie Deines Gesichtes ist mir lieb und vertraut.
Ernst, mein lieber Ernst!  Heute waren wir beim Arzt t. Es ist soweit wieder gut mit dem Ausschlag. Ein bißchen soll ich‘s noch einreiben. Wenn ich noch Salbe übrig hätte, sollte ich sie evtl. hinbringen, damit man sie jemand anders noch geben kann. Das tue ich aber nicht. Erstens habe ich ja schließlich auch etwas dafür gezahlt und überhaupt weiß man ja nicht, ob der Ausschlag nicht doch noch einmal kommt. Da müßte ich dann wieder neue Salbe bezahlen, nachdem ich sie erst verschenkt habe. 
Liebes, liebes Vaterle! Wir gehen jetzt ins Bett. Du bist der liebste von der Welt. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.  Jörg.
Unsere Kinder wollten Dir auch noch was schreiben.  Heute war ich auch im Verkehrsamt und habe zwei solche Hefte geholt, wie Du eins mitgenommen hast. Das Fräulein fragte mich, ob ich die Hefte wegschicken wollte. Als ich bejahte, gab sie mir noch Prospekte, für jedes Heft welche. Ich schicke sie Dir besonders. Ich habe nochmals dieselben Prospekte da, wenn Du dafür Interesse haben solltest. Es sind ganz schöne Bilder drin.  Nun ist es ¼ 9 Uhr. Ob Du jetzt schon in Deiner Wohnung bist? Hoffentlich hast Du die Reise gut überstanden. 

Dienstag, 6. Oktober 2015

Brief 71 vom 3./4.10.1940


Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 3.Okt.40 

Heute Vormittag habe ich wieder keine Post von Dir bekommen. Von den Eltern erhielt ich ein Zeitungspaket. Dir soll ich ja keine Zeitungen mehr schicken und so werde ich sie nach und nach durchlesen. Die Eltern schreiben, daß Siegfried rückwirkend per 1.9. zum Unteroffizier befördert worden ist. 
Heute früh habe ich Spinat gesät und Jörg hat die Bohnenstangen von den Ranken befreit und dann haben wir sie zusammen rüber geschafft. Wenn ich mit dabei bin, schafft er gern, aber wenn er etwas allein machen soll, drückt er sich wo er kann.
Wir gehen am Nachmittag zusammen, alle 3, in die Stadt. Ich will den Kindern einmal die Bomben zeigen.  Es ist da: Eine Petroleumbombe mit Lumpenfüllung, eine Leuchtbombe, eine Brandbombe mit Fallschirm, eine Stahlstabbrandbombe, mehrere Splitter einer Sprengbombe und Brandblättchen. Diese Bomben sind in Gailingen und Umgebung abgeworfen worden. Sie sind natürlich alle mehr oder weniger beschädigt.
Kurt war heute noch nicht da. Er sagte mir gestern, er hätte gern mit dem Urlaub noch gewartet, bis Du welchen hast, aber er hat ganz plötzlich fahren müssen. 
Helga hat doch den Ausschlag. Da hat mich die Lehrerin heute bitten lassen, ich möchte doch bitte mit Helga einmal zum Arzt gehen, damit man weiß, ob‘s ansteckend ist. Ich gehe da heute gleich mal mit, evtl. zu Dr. Nast, da Dr.  Bundschuh eingezogen ist. 
Heute ist das erste Mal wieder richtiger Sonnenschein. Das tut direkt gut. Da haben wir‘s mit dem spazieren gehen gerade gut getroffen. Ich bin doch jetzt längere Zeit nicht bei Kusters gewesen. Da habe ich gerade von Frau Weber gehört, daß Herr Kuster wieder im Krankenhaus war und zum zweiten Mal operiert worden ist. Er ist jetzt wieder daheim. 
Nun, lieber Ernst, schließe ich wieder. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 


Mein lieber Ernst!                                                 Konstanz, 4.Okt. 40

Heute erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 26. und 29.  Sept. Ich danke Dir sehr dafür.  Wegen der Zähne werde ich heute noch zu Herrn Beck gehen und sehen, ob er überhaupt noch da ist. Ich werde dann alles in Deinem Sinne erledigen und gebe Dir dann Bescheid. 
Wenn die Eltern über deinen Brief nicht verschnupft sind, ist es ja recht. Daß Siegfried Unteroffizier geworden ist, habe ich auch gestern erst erfahren.  Daß Du mir das Jäckchen gekauft hast, war schon recht. Ich kann auch mal bewundert werden. Du weißt ja, ich bin nicht so eitel, aber es freut mich doch, wenn ich sehe, ich bin noch nicht so alt und häßlich. Wünsche habe ich eigentlich keine mehr an Dich in Bezug auf Kleidung, denn Du hast mich ja schon so reich beschenkt. Aber ich will mal zusehen, ich ob das Geld dieses Jahr noch zusammen kriege, daß ich mir einen Wintermantel kaufen kann. Wenn dann bald die Hauptarbeit im Garten vorbei ist, will ich mir den Pullover stricken, d.h. fertig stricken. Den Kindern muß ich noch Handschuhe und Socken stricken und außerdem muß ich ihnen noch Mäntel nähen. Da gibt es auch wieder Arbeit. 
Heute haben wir die Kartoffeln im kleinen Garten raus gemacht. Es sind ca. 8o Pfund. Das sind nicht zuviel, aber der Baum hat auch viel Kraft gebraucht. Ich habe jetzt einen Ring um den Baum gegraben, in den ich Gülle füllen werde. Hinterher grabe ich noch den Garten um. Dann wäre eigentlich noch die größte Arbeit, das Sauerkraut einmachen. Die andere Arbeit werde ich Dir überlassen müssen, wie Brombeeren und Sträucher verschneiden und Komposthaufen umgraben. 
Also, ich muß schon sagen, verhungern tust Du bei dem Essen dort auf keinen Fall. Neidisch bin ich Dir aber nicht. Wer weiß, ob ich das alles hätte essen können. Ich esse verhältnismäßig sehr wenig. Wenn ich viel esse, habe ich mörderisches Leibweh. Als ich ein paar Mal so viel zu schaffen hatte während der Apfelernte, habe ich hinterher gerade ein Brot essen können, so abgespannt war ich, und das ist mir nicht ganz gut bekommen.
Als ich es beim 2. Mal doch durchsetzen wollte, mehr zu essen, habe ich alles wieder brechen müssen. Aber wenn ich normal zu schaffen habe, fühle ich mich wohl und munter und ess natürlich auch richtig, nur nicht zu viel, sonst ist mir‘s nicht mehr gemütlich. Äpfel verdrücke ich ja schon ziemlich am Tag. Das ist mal das feine bei den Äpfeln, man kann essen ohne nach dem Preis zu fragen und ob wieder ein Pfund alle ist. 
Gestern war ich mit den Kindern beim Arzt. Jörg hat es nämlich auch ein bißchen bekommen. Es ist ein harmloser aber sehr ansteckender Ausschlag. Helga muß ein paar Tage daheim bleiben.  Morgen müssen wir wieder zum Doktor. Er will sehen, ob wir alles  richtig machen mit dem Einreiben der Salbe. Wir haben erst den Grind abweichen  und abschaben müssen und dann die Salbe auftragen. Am besten sehen ja immer die Bettbezüge aus, vorigen Monat von der Augensalbe und jetzt von der Gesichtssalbe. Na, die Hauptsache, es wird bald gut. Wir sind bei Dr. Baumgartner, Vertretung Dr. Burkhard. Das ist ein Spezialarzt für Hautkrankheiten. Helga ist ganz fidel, daß sie nicht in die Schule muß. Schmerzen hat sie nicht und zum Spielen darf sie in den Hof. Was will sie auch noch mehr?
Wegen dem Autofahren staune ich schon, wie Du mit Fachausdrücken um Dich wirfst. Schaden kann Dir‘s auf jeden Fall nicht, wenn Du auch Auto fahren kannst.  Ich träume die letzten Nächte immer von Dir. Ich kann früh immer nicht mehr sagen was, aber ich bin immer ein bißchen unruhig. Ganz sorglose Träume sind es also nicht. Du kannst natürlich nichts dafür, aber es wäre eben doch schon, wenn ich Dich mal wieder richtig persönlich sehen könnte. So gehen eben nur nachts die Gedanken auf Suche nach Dir. 
Nun will ich wieder schließen. Lieber Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Lieber Ernst! Ich schreibe auf der Post. Ich war eben bei Herrn Beck. Du sollst versuchen, ob Du einen Überweisungsschein bekommst. Im Allgemeinen sind nur Zahnärzte, keine Dentisten beim Militär zugelassen. Außerdem wär es fraglich, ob sie eine Krone bewilligen. In den 10 Urlaubstagen könnte er die Krone gut fertig machen. Wenn Du keinen Schein bekämst, würde er Dir die Krone zum Selbstkostenpreis berechnen.  Gerade als ich zu hause wegfahren wollte, sind wieder 2 Briefe von Dir gekommen. Vom 27. und 30. Sept. Ich beantworte sie Dir morgen.  Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.
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Die nächsten Briefe wurden erst wieder am 16.10.1940 geschrieben, weil Ernst Rosche 14 Tage auf Heimaturlaub war.

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