Mittwoch, 1. Februar 2017

Brief 280 vom 1.2.1942


Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, den 1.2.42                                         

Dafür, daß Du mir 2 Tage nicht geschrieben hattest, hast Du mich mit Deinen langen Briefen vom 25.1 entschädigt. Da hast Du Dir aber viel Mühe gegeben. Dazu bekam ich heute auch noch den Brief vom 26.1. mit den Zeitungen und Briefumschlägen und den Brief vom 27. 1. Sonntagsgrüße waren es also viele.
Nun will ich aber erst mal von gestern anfangen. Da habe ich Dir nämlich nicht schreiben können. Vorgestern Abend habe ich mir die Abzeichen besorgt, die ich gestern verkaufen sollte. Ich bin am Abend noch ein bißchen mit den Kindern herumgegangen und habe auch ca. 10 Stück verkauft. Dann war es uns aber zu kalt und auch zu spät und wir sind heim gegangen. Eigentlich wollte ich nun erst gestern Nachmittag verkaufen. Aber dann habe ich mir überlegt, daß da ja ziemlich viele verkaufen werden. Als nun die Kinder gegen 10 Uhr zur Schule gingen, bin ich gleich mit fortgegangen. Ich wollte auch gleich den Gehalt mit holen. Auf dem Wege zur Stadt konnte ich auch schon einige Abzeichen verkaufen. Dann habe ich mich vor der Sparkasse aufgestellt und hatte innerhalb einer halben Stunde alle Abzeichen los. Ich habe dann mein Geld abgehoben und bin dann zur Post gegangen. Da habe ich mich zur Pfennigsammlung aufgestellt. Es ist auch mancher Pfennig in meine Büchse gekommen. Als die Post um 12 Uhr zugemacht wurde, habe ich die Kinder von der Schule abgeholt. Wir sind nach hause gegangen und habe etwas gegessen. 1/2 3 Uhr sind wir wieder in die Stadt gegangen. Da war die Situation aber schon anders als am Vormittag. Viele, viele Sammler bevölkerten die Straße. Da war nicht mehr viel zu holen. Die Kinder habe ja ihre Freude noch gehabt, denn sie konnten gegen eine Spende auf einem Pferdeschlitten etwas durch die Stadt fahren. Das war für sie schon ein Vergnügen. Dann kamen verschiedene Kinder, die die verschiedenen, gestern verkauften Figuren darstellten. Sie sagten ihre Sprüche auf und sammelten natürlich auch.
Die ganze vorhergehende Nacht hatte es schon geschneit, gestern Nachmittag fing es auf einmal wieder an. Und wie sehr. Kein Mensch hatte mehr Lust, seine Tasche und seinen Geldbeutel aufzumachen, denn sogleich war alles voll Schnee. Da haben wir es auch aufgegeben und sind heim gegangen. Wir haben Abendbrot gegessen und hinterher habe ich noch Kuchen gebacken. Als ich noch beim backen war, kam Vater. Als die Kinder im Bett waren, haben wir gelesen, Vater die Tageszeitung und ich die von Dir. Aber während des Lesens bin ich schon eingeschlafen. Vater ist dann auch bald heimgegangen und ich bin ins Bett gegangen.
Heute ist mir der Tag  wieder viel zu kurz. Am Morgen habe ich die Betten abgezogen und die Wäsche eingeweicht, da ich ja morgen wasche. Nachher habe ich zu Mittag gekocht, nun bin ich beim schreiben, nachher muß ich meine WHW-Büchse abliefern und hinterher gehe ich noch zu Vater und hole seine Wäsche. Wir haben es gestern so ausgemacht. Ich bin sowieso unterwegs und Vater braucht sich nicht erst anziehen. Für ihn ist es ja auch kein Spaß, jetzt fortzugehen. Seit gestern Nachmittag bis heute Vormittag hat es geschneit. Da kannst du Dir denken, wie hoch der Schnee wieder liegt. Ganze Berge türmen sich vor dem Haus. Man kommt auf der Straße schlecht vorwärts.
Nun will ich aber auch Deine lieben Briefe beantworten. Zuerst möchte ich noch sagen, daß gestern noch Dein Päckchen Nr. 11 angekommen ist. Alles war noch gut, auch nichts erfroren. Von der Spezialität haben wir gestern zusammen eins probiert und es hat uns geschmeckt. Da hatten wir noch 3 Stück. Die hat es heute als Kompott gegeben. Wir möchten Dir recht sehr darüber danken. Du hast uns eine Freude damit gemacht.
Kalt ist es jetzt nicht mehr viel bei uns, nur, daß eben viel Schnee fällt. Wechselndes Wetter war ja in der letzten Zeit bei uns auch. Ich habe Dir ja davon geschrieben. Der Westwind der uns den Regen brachte, kam ja von Euch her.
Es ist aber wirklich bei Euch so, daß immer etwas im Haus kaputt ist. Sind denn nur die Franzosen so liederliche Arbeiter. Wenn sie so schaffen, wie Du manchmal schreibst, dann glaube ich schon, daß sie mit unserem Arbeitstempo nicht einverstanden sind. Das wär nichts für mich.
Der Spaziergang in den Wald und das Rodeln hat mir schon Freude gemacht. Leider ging es am vergangenen Sonntag wegen des Tauwetters und diesen Sonntag wegen dem WHW nicht. Aber vielleicht klappt es doch wieder mal.
Die angekündigten Päckchen sind ja alle angekommen, bis auf die 2, von denen ich Dir schon schrieb. Aber ich glaube, die können wir als verloren ansehen. Es kommt eben immer wieder mal vor, daß auf der Post was gestohlen wird. Bei der Nanni dort ist es ja aber ganz schlimm. Da traut man sich wirklich nichts mehr zu schicken. Als die eine Cognacflasche aus Deinem Päckchen entfernt worden war, war die äußere Packung scheinbar ganz unverletzt. Man liest ja immer wieder mal in der Zeitung, daß welche zu schweren Zuchthausstrafen verurteilt wurden, weil sie sich Feldpostpäckchen angeeignet haben, aber manche können es eben doch nicht lassen und meinen, man wird sie schon nicht erwischen.
Das Vergnügen des Schneeschippens habe ich jetzt schon öfter gehabt und ich muß sagen, ich mache es sehr gern. Aber immer tue ich es doch nicht, sonst meint man, ich bin nur dazu da. Frau Leimenstoll und Frau Nußbaumer haben ja auch schon mitgeholfen, nur Frau Büsing hatte sich noch nicht geregt. Nun hatten wir aber gestern gesagt, daß wir uns heute alle nicht um den Schnee kümmern wollen und so hat es heute Frau Büsing machen müssen. An das Schneeschippen in der Juliusstraße kann ich mich schon noch erinnern. Wie lange das doch schon alles her ist.
Oft habe ich in letzter Zeit den Schuster nicht gebraucht, da ich ja noch Leder von Dir da habe. Mit dem nähen ist es nicht so schlimm. Ich kann da nur die festen Schuhe nähen. Dazu habe ich es mir auch eigentlich nicht nur gekauft, sondern vor allen Dingen für die Schulranzen, Taschen usw. Du mußt keine Angst haben, daß ich meine Schustertätigkeit unbedingt nach dem Krieg fortsetzen will. So ein großes Vergnügen ist das ja nicht und es strengt ziemlich an, denn ich bin ja schließlich kein Mann. Aber in der jetzigen Zeit bin ich doch froh, daß ich mir ein bißchen helfen kann, sonst müßte ich ja oft zum Schuster laufen, denn Jörg hat alle Minuten was kaputt. Für Helga habe ich nicht halb so viel mit den Schuhen zu tun. Ich weiß manchmal wirklich nicht, wie er die Schuhe kaputt kriegt. Helgas feste Schuhe hat er nun erst kurze Zeit, aber schon ist an der Spitze das Oberleder ganz zerkratzt. Naß sind die Schuhe auch jeden Tag, und wenn ich nicht so hinterher wäre und die Schuhe immer pflegte, da hätte er bald nichts mehr zum anziehen. Bei den anderen hohen Schuhen hat er es ja auch schon so weit, daß die Sohlen an der Spitze bald bis ans Oberleder hin abgeschabt sind. Dabei ist das Oberleder an der Spitze auch bald durch. Mir sind wegen den Schuhen schon manchmal die Tränen vor Verzweiflung gekommen. Ja, wenn Friede wär und man brauchte nur in den Laden zu gehen und Schuhe kaufen. Aber er darf doch nur ein Paar gute haben, wenn er ein Paar neue haben will. Nun hat er aber doch noch 2 Paar halbe Schuhe, da bekäme er gar keine. Was will er aber mit halben Schuhen, bei dem Wetter jetzt. Die hohen Schuhe müssen einfach über den ganzen Winter halten.
Ich bin ja auch froh, daß Jörg kein Feigling ist und überall mitmacht. Aber es hat eben alles seine 2 Seiten. Da schreiben sie immer in der Zeitung, die Eltern müßten ihre Kinder immer wieder ermahnen, mit den Schuhen vorsichtiger umzugehen. Das ist alles leicht gesagt. Aber Du schreibst ja selber, bei Euch hat man auch wegen den Schuhen geklagt und ihr habt es nicht verstanden. Da kann man es ja bei unseren Kindern auch nicht verlangen.
Auf das Zeugnis von Jörg bin ich auch gespannt, aber auch auf das von Helga. Vor allen Dingen beim Schreiben. Jörg kam jetzt mal heim und sagte, er hätte gesehen, wie die Lehrerin bei ihm im Rechnen eine 2 hingeschrieben hätte. Das wäre ja gut. Na, wie werden ja sehen.
Das Paket von Papa ist noch nicht da. In diesem liegt ja der Brief von Papa. Sobald es ankommt, werden wir es uns von der Post holen.
Nanni hat also doch wieder was von sich hören lassen. Soll ich Dir ein paar von den neuen Bildern der Kinder schicken, damit Du sie ihr senden kannst? Sie sagte doch mal, dass sie sich immer drüber freuen würde.
Das ist recht, daß Du auch einmal ein paar Mandarinen selber gegessen hast. Es ist ja wirklich nicht sicher, daß sie jetzt jedes Mal so gut ankommen wie die letzten. Es ist darum vielleicht schon besser, Du läßt es erst einmal sein. Es wird ja nicht immer so kalt bleiben.
Von Kurt erhielt ich heute auch einen Brief. Er schickte seine Geburtsurkunde, die er aus Versehen mitgenommen hatte, zurück. Er teilte mir dann mit, daß er noch ein Päckchen mit verschiedenen Kleinigkeiten abgeschickt hat und daß er auch sein restliches Geld noch senden will. Es würde auf alle Fälle so am besten sein. Vielleicht kommt er jetzt doch nach Rußland? Krank ist Kurt auch wieder einige Tage gewesen, aber jetzt ist er wieder soweit hergestellt, daß er schon wieder Wache gehabt hat.
So, nun will ich wieder schließen. Ich muß mich gleich zum Abliefern der WHW Büchse machen. Es wird doch eine ganze Weile dauern, bis abgerechnet ist.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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