Mein
liebster Ernst! Konstanz, 29.1.42
Einen
Brief von Dir habe ich heute nicht bekommen. Da am Nachmittag kein Briefträger
kommt, kann ich also auch da mit keinem rechnen. Aber gestern habe ich ja einen
ganz langen Brief bekommen, damit kann ich wohl auch noch heute zufrieden sein.
- Am Nachmittag gehe ich nun in den Film äMenschen im Sturmä Er spielt kurz vor
dem Krieg in Jugoslavien. - Von Tante Agnes habe ich heute einen Brief
bekommen. Bei ihnen sind 28 Grad Kälte. Man merkt, daß es nach Polen, dem Osten
zugeht. Hubertus und Leop lassen mich grüßen. Leo ist in Polen, Hans hat auch
der Gefangenschaft geschrieben, daß es ihm sehr einsam ist und daß das ewige
WArten furchtbar sei. Nur wenn ein Brief kommt, freut er sich. - Bei uns hat die
Kälte ziemlich nachgelassen. Sie liegt gerade bei der OGrenze. Dabei fällt
jeden Morgen Neuschnee. Als ich gestern den Brief an Dich in den Kasten stecken
wollte, dah ich, daß am Nachmittag garnicht mehr geleert wurde, sondern erst
heute morgen. Da habe ich ihn lieber auf die Petershauser Post geschafft. Jörg
wollte nicht mit, da ist Helga allein mitgegangen. Ich habe sie gefahren und
absichtlich ein paar Mal mit dem Schlitten in Schneehaufen umgeschmissen. Das
hat ihr viel Spaß gemacht. Beim Bettelgäßle habe ich sie ein paar Mal im Schnee
gewälzt. Sie hat dann garnicht mehr aufhören wollen. Als es Helga dann unserem
Jörg erzählte, wollte er die Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen lassen
und hat sich auch nach Herzenslust im Schnee gekugelt. -Als ich gestern Abend
die Schuhe nachsah, mußte ich feststellen, daß die Schuhe inwendig wieder naß
waren. Ich fragte ihn, wieso das komme, nun hätte er doch dicke Sohlen drauf.
Da sagte er: ä Draußen bei dem See hängen eben immer die Spitzen im Wasserä. Er
hat den Schlitten ins WAsser geschoben und hat sich drauf gekniet. Dabei sind
dann immer die Spitzen der Schuhe im Wasser gehängt. Was unser Bursche doch
nicht alles mit den Schuhe anstellt. Da kommt man mit reparieren bald nicht
mehr nach. Also, ein Muttersöhnchen wird Jörg nie, sondern ein richtiger
Lausebengel. Manchmal muß man lachen, manchmal ärgert man sich. Wenn ich nicht
das Leder zum Besohlen von Dir hätte, wöär Jörg schon manchmal aufgesessen. -
Nun ist es Zeit, daß wir fortgehen. Sei deshalb wieder recht herzlich gegrüßt
und geküßt von Deiner Anni.
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 30.1.42
Auch
heute habe ich keinen Brief von Dir erhalten. Ich hoffe aber, daß morgen wieder
einer ankommt. - Gestern war ich nun in
dem Film äMenschen im Sturmä. Er hat mir sehr gut gefallen. Er handelt von der
Verfolgung der Deutschen kurz vorm Krieg in Jugoslawien. Vorher lief ein Film
äElsaßä, der wirklich sehr interessant war. Manchmal meinte man in Meersburg
oder in Konstanz zu sein. Genau solche Häuser mit braunem Gebälk und solchen
Holz-Laubengängen, wie wir sie von Meersburg her kennen. Dann war ein Tugm da,
der sah auch wie der Schnetztorturm. Man merkt doch, daß es deutsches Land ist.
Erst sah man das Land an und für sich ,
dann sah man, wie alles verwildert war, als die Bevölkerung nach Frankreich
evakuiert wurde. Dann wurde gezeigt, wie die deutschen Geschäfte alle
französiche Ladenschilder hatten. Später kamen Bilder, wie die Felder in
Gemeinschaftsarbeit wieder bestellt wurden. - Leider saß neben mir eine Nachrichtenhelferin
mit ihrer Mutter, die furchtbar wichtig getan hat. Als Männer mit Baskenmützen
gezeigt wurden, mußte sie natürlich bemerkten, daß das echt französisch sei und
die franz. Ladenschilder mußte sie natürlich laut ins Deutsche übersetzen. _
šbrigens die Kutterer (so hieß sie doch ehe sie geheiratet hat, der VAter war
doch bei Euch im Sturm) ist auch Nachrichtenhelferin. - Als ich gestern beim
DHV Zahnscheine geholt habe, sagte mir das Fräulein, daß der Uhink seit dem
22.1. auch eingezogen worden ist. - Von der Krankenkasse hat auch jeder eine 64
Seiten starke Broschüre äDie Mutter und ihr krankes Kindä bekommen. Das hat
mich gefreut. Da stehen alle Krankheiten drin und die ersten Maßnahmen dagegen.
Das kann man gut brauchen. - Habe ich Dir eigentlich schon mal geschrieben, daß
in der Petershauser Knabenschule eine Zweigstelle der Sparkasse eingerichtet
worden ist? Ich glaube aber, zum Gehalt holen muß ich doch in die Stadt Die
Zweigstellen wird wohl nur für den Sparverkehr da sein. - Du, den Christbaum
habe ich vorgestern wegtun müssen. Der hat so genadelt, daß es überhaupt kein
Baum mehr war, sondern nur ein braunes Gerippe. Ich hätte ihn so gern bis zu
Deinem Urlaub aufgehoben, aber es ging
nicht mehr. Nun laß mich schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt
von Deiner Anni.
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