Mittwoch, 1. Februar 2017

Brief 279 vom 29./30.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                Konstanz, 29.1.42                         

Einen Brief von Dir habe ich heute nicht bekommen. Da am Nachmittag kein Briefträger kommt, kann ich also auch da mit keinem rechnen. Aber gestern habe ich ja einen ganz langen Brief bekommen, damit kann ich wohl auch noch heute zufrieden sein. - Am Nachmittag gehe ich nun in den Film äMenschen im Sturmä Er spielt kurz vor dem Krieg in Jugoslavien. - Von Tante Agnes habe ich heute einen Brief bekommen. Bei ihnen sind 28 Grad Kälte. Man merkt, daß es nach Polen, dem Osten zugeht. Hubertus und Leop lassen mich grüßen. Leo ist in Polen, Hans hat auch der Gefangenschaft geschrieben, daß es ihm sehr einsam ist und daß das ewige WArten furchtbar sei. Nur wenn ein Brief kommt, freut er sich. - Bei uns hat die Kälte ziemlich nachgelassen. Sie liegt gerade bei der OGrenze. Dabei fällt jeden Morgen Neuschnee. Als ich gestern den Brief an Dich in den Kasten stecken wollte, dah ich, daß am Nachmittag garnicht mehr geleert wurde, sondern erst heute morgen. Da habe ich ihn lieber auf die Petershauser Post geschafft. Jörg wollte nicht mit, da ist Helga allein mitgegangen. Ich habe sie gefahren und absichtlich ein paar Mal mit dem Schlitten in Schneehaufen umgeschmissen. Das hat ihr viel Spaß gemacht. Beim Bettelgäßle habe ich sie ein paar Mal im Schnee gewälzt. Sie hat dann garnicht mehr aufhören wollen. Als es Helga dann unserem Jörg erzählte, wollte er die Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen lassen und hat sich auch nach Herzenslust im Schnee gekugelt. -Als ich gestern Abend die Schuhe nachsah, mußte ich feststellen, daß die Schuhe inwendig wieder naß waren. Ich fragte ihn, wieso das komme, nun hätte er doch dicke Sohlen drauf. Da sagte er: ä Draußen bei dem See hängen eben immer die Spitzen im Wasserä. Er hat den Schlitten ins WAsser geschoben und hat sich drauf gekniet. Dabei sind dann immer die Spitzen der Schuhe im Wasser gehängt. Was unser Bursche doch nicht alles mit den Schuhe anstellt. Da kommt man mit reparieren bald nicht mehr nach. Also, ein Muttersöhnchen wird Jörg nie, sondern ein richtiger Lausebengel. Manchmal muß man lachen, manchmal ärgert man sich. Wenn ich nicht das Leder zum Besohlen von Dir hätte, wöär Jörg schon manchmal aufgesessen. - Nun ist es Zeit, daß wir fortgehen. Sei deshalb wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                                Konstanz, 30.1.42

Auch heute habe ich keinen Brief von Dir erhalten. Ich hoffe aber, daß morgen wieder einer ankommt. - Gestern  war ich nun in dem Film äMenschen im Sturmä. Er hat mir sehr gut gefallen. Er handelt von der Verfolgung der Deutschen kurz vorm Krieg in Jugoslawien. Vorher lief ein Film äElsaßä, der wirklich sehr interessant war. Manchmal meinte man in Meersburg oder in Konstanz zu sein. Genau solche Häuser mit braunem Gebälk und solchen Holz-Laubengängen, wie wir sie von Meersburg her kennen. Dann war ein Tugm da, der sah auch wie der Schnetztorturm. Man merkt doch, daß es deutsches Land ist. Erst  sah man das Land an und für sich , dann sah man, wie alles verwildert war, als die Bevölkerung nach Frankreich evakuiert wurde. Dann wurde gezeigt, wie die deutschen Geschäfte alle französiche Ladenschilder hatten. Später kamen Bilder, wie die Felder in Gemeinschaftsarbeit wieder bestellt wurden. - Leider saß neben mir eine Nachrichtenhelferin mit ihrer Mutter, die furchtbar wichtig getan hat. Als Männer mit Baskenmützen gezeigt wurden, mußte sie natürlich bemerkten, daß das echt französisch sei und die franz. Ladenschilder mußte sie natürlich laut ins Deutsche übersetzen. _ šbrigens die Kutterer (so hieß sie doch ehe sie geheiratet hat, der VAter war doch bei Euch im Sturm) ist auch Nachrichtenhelferin. - Als ich gestern beim DHV Zahnscheine geholt habe, sagte mir das Fräulein, daß der Uhink seit dem 22.1. auch eingezogen worden ist. - Von der Krankenkasse hat auch jeder eine 64 Seiten starke Broschüre äDie Mutter und ihr krankes Kindä bekommen. Das hat mich gefreut. Da stehen alle Krankheiten drin und die ersten Maßnahmen dagegen. Das kann man gut brauchen. - Habe ich Dir eigentlich schon mal geschrieben, daß in der Petershauser Knabenschule eine Zweigstelle der Sparkasse eingerichtet worden ist? Ich glaube aber, zum Gehalt holen muß ich doch in die Stadt Die Zweigstellen wird wohl nur für den Sparverkehr da sein. - Du, den Christbaum habe ich vorgestern wegtun müssen. Der hat so genadelt, daß es überhaupt kein Baum mehr war, sondern nur ein braunes Gerippe. Ich hätte ihn so gern bis zu Deinem Urlaub aufgehoben, aber es  ging nicht mehr. Nun laß mich schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen