Sonntag, 18. September 2016

Brief 221 vom 18./19./20.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 18.10.41                                   

Auch heute ist es wieder Abend geworden, ehe ich mich zum schreiben hinsetze. Am Vormittag bin ich einkaufen gegangen und habe hinterher Essen gekocht und Kuchen gebacken. Nach dem Essen bin ich in den Garten gegangen, habe die abgeschnittenen Brombeerranken rüber in den Garten geschafft, da ich sie dort besser verbrennen kann. Dann habe ich die Dahlien abgeschnitten und die restlichen Bohnenstangen raus gemacht. Als wir mit der Arbeit fast fertig waren (heute hat mir Jörg einmal mitgeholfen) kam Vater und wollte den Wagen holen. Er wollte sich beim Grießer seine 4 Ztr. Kartoffeln holen. Eigentlich sollten sie ja in der vergangenen Woche gebracht werden, aber Grießer erklärte heute, das könnten sie nicht. Ich bin mit den Kindern gleich mitgegangen, damit sich Vater nicht so abschleppen muß. Als wir hinkamen, waren keine Kartoffeln mehr da und Grießers versprachen Deinem Vater, daß sie ihm die Kartoffeln nun doch am Dienstag bringen. So sind wir also wieder heimgegangen. Vater hatte für uns zur Entschädigung noch 1 Pfund Trauben gekauft. Das wäre nicht nötig gewesen, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Als wir heim kamen, habe ich Abendessen gekocht und nun sitze ich beim schreiben.
Von zuhause erhielt ich eine Karte meines Bruders, daß sie erst am Dienstag, den 21. heiraten können, da ihnen noch verschiedene Papiere fehlen. Das Frl. Waibel uns gegenüber, hat heute auch geheiratet.
Vater sagte mir heute, daß sich der Herr Flaig vom Fürsorgeamt am Dienstag aufgehängt hat. Die Notiz in der Zeitung, die allerdings ohne Name ist, schicke ich Dir mit.
Du hattest vergangene Woche recht gehabt, als Du sagtest, wer weiß, ob wir nächste Woche noch so schönes Wetter zum Fortgehen hätten. Es ist wirklich nicht mehr schön. Gestern war es mild, aber etwas windig und regnerisch. Heute ist es direkt stürmisch. Du bist doch gerade zur richtigen Zeit auf Urlaub gekommen.
Heute Abend wollte Vater noch rauf kommen, aber ich glaube, der Sturm wird es ihm verleidet haben. Es ist jetzt bereits 1/2 9 Uhr. Ich schaffe nun noch den Brief weg, wasche noch ab und gehe dann bald schlafen. Da ist es mir am wohlsten, denn es ist mir doch immer noch sehr einsam ohne Dich.
Sei Du, mein liebster Schatz, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                    Konstanz, 19.10.41

Wir haben heute keinen schönen Sonntag. Die ganze Nacht hat es schon gestürmt und heute geht es weiter. Dabei regnet es auch noch. Ich bin froh, daß wir die Doppelfenster drin haben. Zwischen die Fenster habe ich heute noch Stroh gelegt, damit es nicht so durchzieht.
Vater sagte gestern, daß er, wenn er gestern nicht mehr heraufgekommen konnte, bestimmt heute käme. Wenn er sich doch nicht den ganzen Nachmittag in seine Wohnung setzen würde. D.h. sitzen ist nicht der richtige Ausdruck, denn er wirtschaftet doch immer herum. Ich meine, hier bei uns hätte er`s doch ein bißchen gemütlicher. Es ist nur immer der Weg bis hierher. Bei dem Wetter mag man nicht gern aus dem Haus.
Am Morgen haben wir Jörg die Haare geschnitten. Er wird mit der Zeit doch gescheiter, denn er hat auch vorher gar kein Theater gemacht. Hinterher ist er ja immer ganz begeistert, wenn er wieder ordentlich aussieht.
Heute Abend will ich noch an Siegfried und Erna schreiben. Davor graut mir ein wenig, denn ich weiß jetzt noch nicht, was ich eigentlich schreiben soll.
Nach dem Mittagessen habe ich mit den Kinder „Mensch hau` ab“ und „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt. Dann haben sie sich die Märchen im Radio angehört und ich habe inzwischen geschrieben.
Einen Brief habe ich noch nicht von Dir bekommen. Ich hoffe aber, daß nun recht bald einer eintrifft. Ich möchte doch gern wissen, wie Du angekommen bist und wie es Dir geht. Hoffentlich hast Du keine Rückenschmerzen mehr.
Laß mich nun für heute schließen, denn ich habe gar nichts mehr zu berichten.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                           Konstanz, 20.10.41

Heute Morgen erhielt ich Deine ersten lieben Briefe vom 15. und 16. Leider muß ich daraus ersehen, daß Du wohl soweit gut hingekommen bist, aber vieles nicht so vorgefunden hast, wie es zu wünschen gewesen wäre. Dieser Empfang dort hilft Dir ja wirklich nicht über den neuerlichen Abschied von daheim hinweg. Am nettesten war also eigentlich noch Euer Hund. Schön fände ich es ja wirklich nicht, daß man Dir einfach dort Deinen Platz weggenommen hat. Der andere hat sich nur ins fertige Nest setzen brauchen, während Du vorher alles aufbauen mußtest. Aber, bitte lieber Ernst, ärgere Dich nicht zu viel. Denke immer, daß es ja nicht für immer ist, daß Du dort sein bist.
Dein Rücken macht mir ja Sorge. Laß es nicht hängen, sondern gehe, wenn es möglich ist, zum Arzt. Damit Du nicht Dein Leben lang damit zu tun hast.
Das ist ja auch blöd, wenn Ihr nicht einmal Eure Wohnung heizen könnt. Das braucht man jetzt doch bestimmt schon notwendig. Man möchte sich doch auch einmal längere Zeit in der Wohnung aufhalten. Ich bin mit Dir gespannt, wie das alles noch wird.
Die Kinder sind über den Abschied soweit hinweg. Mir ist es ja immer sehr einsam und die Ruhe, die ich bei Deinem Hiersein hatte, ist auch weg. Es ist eben einfach kein richtiges Leben ohne Dich. Man kann sich nur immer wieder damit trösten, daß es noch vielen so geht.
Der Schulanfang ist ja, wie ich Dir, soviel ich weiß, schon schrieb, auf den 27. hinausgeschoben worden.
Die restlichen Brief und Päckchen hast Du also inzwischen erhalten. Da hast Du wenigstens noch etwas von zu hause.
Der Hauptmann wird sich gefreut haben, als er seine Sachen so hoch verzollen mußte. Das lohnt sich ja wirklich nicht.
Jetzt muß ich Dir noch etwas berichten. Ich denke nicht, daß es Dich sehr ärgern wird. Ich schrieb Dir ja, daß sich der Flaig erhängt hat. In einem hinterlassenen Brief soll er den Mayer vom Fürsorgeamt beschuldigt haben. Jedenfalls ist der Mayer beurlaubt und sitzt augenblicklich. Wahrscheinlich vorläufig in Untersuchungshaft. Sie sollen, soviel ich hörte, mit Möbeln, die doch immer aufs Fürsorgeamt kommen, hintenherum  gehandelt haben. Jedenfalls hätten Beide, Flaig und Mayer, ein schönes Stück Geld beiseite gebracht. Es herrscht in der Stadt ziemliche Aufregung, daß man solchen Leuten Ämter gebe, von denen sie nichts verstehen und die keinerlei Prüfungen abgelegt hätten. Wenn ich Weiteres hören sollte, schreibe ich Dir. Besonders peinlich ist es noch, daß er Ortsgruppenleiter ist. Aber es gönnen`s dem Mayer viele, er war zu hochnäsig. Ich schließe nun für heute, denn ich denke, daß Dich der Schluß des Briefes sicher nicht traurig gestimmt hat. Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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