Mein
liebster Ernst! Konstanz,
18.10.41
Auch
heute ist es wieder Abend geworden, ehe ich mich zum schreiben hinsetze. Am
Vormittag bin ich einkaufen gegangen und habe hinterher Essen gekocht und
Kuchen gebacken. Nach dem Essen bin ich in den Garten gegangen, habe die abgeschnittenen
Brombeerranken rüber in den Garten geschafft, da ich sie dort besser verbrennen
kann. Dann habe ich die Dahlien abgeschnitten und die restlichen Bohnenstangen
raus gemacht. Als wir mit der Arbeit fast fertig waren (heute hat mir Jörg
einmal mitgeholfen) kam Vater und wollte den Wagen holen. Er wollte sich beim
Grießer seine 4 Ztr. Kartoffeln holen. Eigentlich sollten sie ja in der
vergangenen Woche gebracht werden, aber Grießer erklärte heute, das könnten sie
nicht. Ich bin mit den Kindern gleich mitgegangen, damit sich Vater nicht so
abschleppen muß. Als wir hinkamen, waren keine Kartoffeln mehr da und Grießers
versprachen Deinem Vater, daß sie ihm die Kartoffeln nun doch am Dienstag
bringen. So sind wir also wieder heimgegangen. Vater hatte für uns zur
Entschädigung noch 1 Pfund Trauben gekauft. Das wäre nicht nötig gewesen, aber er
ließ sich nicht davon abbringen. Als wir heim kamen, habe ich Abendessen
gekocht und nun sitze ich beim schreiben.
Von
zuhause erhielt ich eine Karte meines Bruders, daß sie erst am Dienstag, den
21. heiraten können, da ihnen noch verschiedene Papiere fehlen. Das Frl. Waibel
uns gegenüber, hat heute auch geheiratet.
Vater
sagte mir heute, daß sich der Herr Flaig vom Fürsorgeamt am Dienstag aufgehängt
hat. Die Notiz in der Zeitung, die allerdings ohne Name ist, schicke ich Dir
mit.
Du
hattest vergangene Woche recht gehabt, als Du sagtest, wer weiß, ob wir nächste
Woche noch so schönes Wetter zum Fortgehen hätten. Es ist wirklich nicht mehr
schön. Gestern war es mild, aber etwas windig und regnerisch. Heute ist es
direkt stürmisch. Du bist doch gerade zur richtigen Zeit auf Urlaub gekommen.
Heute
Abend wollte Vater noch rauf kommen, aber ich glaube, der Sturm wird es ihm
verleidet haben. Es ist jetzt bereits 1/2 9 Uhr. Ich schaffe nun noch den Brief
weg, wasche noch ab und gehe dann bald schlafen. Da ist es mir am wohlsten,
denn es ist mir doch immer noch sehr einsam ohne Dich.
Sei
Du, mein liebster Schatz, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie.
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 19.10.41
Wir
haben heute keinen schönen Sonntag. Die ganze Nacht hat es schon gestürmt und
heute geht es weiter. Dabei regnet es auch noch. Ich bin froh, daß wir die
Doppelfenster drin haben. Zwischen die Fenster habe ich heute noch Stroh
gelegt, damit es nicht so durchzieht.
Vater
sagte gestern, daß er, wenn er gestern nicht mehr heraufgekommen konnte,
bestimmt heute käme. Wenn er sich doch nicht den ganzen Nachmittag in seine
Wohnung setzen würde. D.h. sitzen ist nicht der richtige Ausdruck, denn er
wirtschaftet doch immer herum. Ich meine, hier bei uns hätte er`s doch ein bißchen
gemütlicher. Es ist nur immer der Weg bis hierher. Bei dem Wetter mag man nicht
gern aus dem Haus.
Am
Morgen haben wir Jörg die Haare geschnitten. Er wird mit der Zeit doch gescheiter,
denn er hat auch vorher gar kein Theater gemacht. Hinterher ist er ja immer
ganz begeistert, wenn er wieder ordentlich aussieht.
Heute
Abend will ich noch an Siegfried und Erna schreiben. Davor graut mir ein wenig,
denn ich weiß jetzt noch nicht, was ich eigentlich schreiben soll.
Nach
dem Mittagessen habe ich mit den Kinder „Mensch hau` ab“ und „Mensch ärgere
Dich nicht“ gespielt. Dann haben sie sich die Märchen im Radio angehört und ich
habe inzwischen geschrieben.
Einen
Brief habe ich noch nicht von Dir bekommen. Ich hoffe aber, daß nun recht bald
einer eintrifft. Ich möchte doch gern wissen, wie Du angekommen bist und wie es
Dir geht. Hoffentlich hast Du keine Rückenschmerzen mehr.
Laß
mich nun für heute schließen, denn ich habe gar nichts mehr zu berichten.
Sei
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein
liebster Ernst! Konstanz,
20.10.41
Heute
Morgen erhielt ich Deine ersten lieben Briefe vom 15. und 16. Leider muß ich
daraus ersehen, daß Du wohl soweit gut hingekommen bist, aber vieles nicht so
vorgefunden hast, wie es zu wünschen gewesen wäre. Dieser Empfang dort hilft
Dir ja wirklich nicht über den neuerlichen Abschied von daheim hinweg. Am nettesten
war also eigentlich noch Euer Hund. Schön fände ich es ja wirklich nicht, daß
man Dir einfach dort Deinen Platz weggenommen hat. Der andere hat sich nur ins
fertige Nest setzen brauchen, während Du vorher alles aufbauen mußtest. Aber,
bitte lieber Ernst, ärgere Dich nicht zu viel. Denke immer, daß es ja nicht für
immer ist, daß Du dort sein bist.
Dein
Rücken macht mir ja Sorge. Laß es nicht hängen, sondern gehe, wenn es möglich
ist, zum Arzt. Damit Du nicht Dein Leben lang damit zu tun hast.
Das
ist ja auch blöd, wenn Ihr nicht einmal Eure Wohnung heizen könnt. Das braucht
man jetzt doch bestimmt schon notwendig. Man möchte sich doch auch einmal
längere Zeit in der Wohnung aufhalten. Ich bin mit Dir gespannt, wie das alles
noch wird.
Die
Kinder sind über den Abschied soweit hinweg. Mir ist es ja immer sehr einsam
und die Ruhe, die ich bei Deinem Hiersein hatte, ist auch weg. Es ist eben
einfach kein richtiges Leben ohne Dich. Man kann sich nur immer wieder damit
trösten, daß es noch vielen so geht.
Der
Schulanfang ist ja, wie ich Dir, soviel ich weiß, schon schrieb, auf den 27.
hinausgeschoben worden.
Die
restlichen Brief und Päckchen hast Du also inzwischen erhalten. Da hast Du
wenigstens noch etwas von zu hause.
Der
Hauptmann wird sich gefreut haben, als er seine Sachen so hoch verzollen mußte.
Das lohnt sich ja wirklich nicht.
Jetzt
muß ich Dir noch etwas berichten. Ich denke nicht, daß es Dich sehr ärgern
wird. Ich schrieb Dir ja, daß sich der Flaig erhängt hat. In einem
hinterlassenen Brief soll er den Mayer vom Fürsorgeamt beschuldigt haben.
Jedenfalls ist der Mayer beurlaubt und sitzt augenblicklich. Wahrscheinlich
vorläufig in Untersuchungshaft. Sie sollen, soviel ich hörte, mit Möbeln, die
doch immer aufs Fürsorgeamt kommen, hintenherum gehandelt haben. Jedenfalls hätten Beide, Flaig und Mayer, ein
schönes Stück Geld beiseite gebracht. Es herrscht in der Stadt ziemliche Aufregung,
daß man solchen Leuten Ämter gebe, von denen sie nichts verstehen und die
keinerlei Prüfungen abgelegt hätten. Wenn ich Weiteres hören sollte, schreibe
ich Dir. Besonders peinlich ist es noch, daß er Ortsgruppenleiter ist. Aber es
gönnen`s dem Mayer viele, er war zu hochnäsig. Ich schließe nun für heute, denn
ich denke, daß Dich der Schluß des Briefes sicher nicht traurig gestimmt hat.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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