Dienstag, 13. September 2016

Brief 219 vom 13./14./15.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz, 13.9.41                                                      

Ich will heute einmal versuchen, lateinisch oder, wie es jetzt heißt, Deutsche Normalschrift, zu schreiben. Ich muß sagen, es fällt mir direkt schwer. Du liest ja dort auch Zeitung und da wird auch drin gestanden haben, daß die Kinder nur noch diese Normalschrift lernen und nicht mehr die deutsche Langschrift. Da muß sich Helga nun sicher auch umstellen und kann, wie Jörg, Buchstaben lernen. Dir fällt es sicher nicht so schwer, denn Du hast ja meist lateinisch geschrieben. Es weichen ja nur wenige Buchstaben davon ab, wie z.B. das r, ß und das große S. Es kommt mir direkt komisch vor, daß Jörg später einmal unsere frühere deutsche Schrift gar nicht mehr schreiben kann. Doch nun Schluß davon.
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 10.9. Ja, es wird jetzt schnell Herbst. Man kann abends schon ein bißchen Heizung vertragen. Auch Licht braucht man schon wieder mehr.
Früchte gibt es bei uns nicht so viel. Weintrauben habe ich dieses Jahr noch keine gesehen. Birnen habe ich heute einmal 2 Pfund bekommen. Pflaumen hat es etwas mehr. Da habe ich heute sogar 10 Pfund zum sterilisieren und 5 Pfund zum essen gekauft. Ich dachte erst, daß sie etwas billiger werden würden, aber  daran ist nicht zu denken. Sie kosten 31 Pfennig das Pfund. Die Birnen kosten pro Pfund 28 Pfennig. Wir haben ja immerhin noch unsere Äpfel, so daß wir doch nicht ganz ohne Obst sind.
Ich staune schon, an was für Essen Du Dich gewöhnst, aber warum solltest Du nicht auch einmal Austern essen, wenn sie Dir zusagen,. Teuer sind sie ja nicht so sehr.
Ich freue mich, wenn der Zucker kommt. Die Hauptsache ist, daß er gut hier ankommt. Für den Käse bin ich Dir auch dankbar. Da kann ich schon Butter einsapren und sie zu Butterschmalz einschmelzen. Wenn es später nicht mehr so viel Gemüse gibt, kann ich etwas mehr Fett ans Essen tun.
Du hast recht, wenn Du schreibst, daß sich Helga und Jörg ziemlich selbständig machen. Sie wollten diesmal auch schon allein auf die Messe gehen. Ich war nur nicht damit einverstanden. Ich glaube, wenn Du später wieder für immer heimkommst, wirst Du auch bei den Kindern über manche Veränderung erstaunt sein. Sie werden groß und nicht nur körperlich. Im Leben eines Kindes machen 1 1/2 - 2 Jahre viel aus.
Vater werde ich es wegen den Schuhen ausrichten. Er muß eben warten, bis Du sie schicken kannst. Am einfachsten wäre es gewesen, wenn Du sie im Urlaub hättest mitbringen können. Aber daran ist ja nun nicht zu denken. Ich schließe nun für heute, denn ich will noch die Pflaumen sterilisieren und der Tag ist schnell vorbei.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, 14.9.41

Nun ist der Sonntagnachmittag schon gleich vorbei. Ich bin heute mit den Kindern fort gewesen. Wir sind unseren bekannten Weg auf den Tabor gegangen. Unterwegs haben wir wieder Tee gesammelt, Spitzwegerich. Es ist eine ganze Portion zusammen gekommen. Auf dem Tabor sind wir auf den Turm gestiegen. Die Kinder waren ja zum ersten Mal oben. Beim aufsteigen waren sie doch erst etwas ängstlich, aber gefallen hat es ihnen oben doch. Von der Aussicht senden wir Dir eine Karte mit. Du warst doch auch immer gern dort. Auf dem Rückweg haben wir zum essen noch ein paar Äpfel aufgelesen. Dann mußte ich für Jörg für seine Schützengraben mehrere Baumrinden und 2 Heidelbeerpflanzen samt Wurzel einpacken. Später fanden wir noch ein paar Pilze, so daß ich ganz beladen heimkam. Jetzt sieht man im Wald schon wieder wenig Leute. 1/2 5 waren wir wieder zu hause und haben gegen 5 Uhr gegessen. Jetzt spielen die Kinder und ich habe mich ans schreiben gesetzt.
Heute Morgen hat Jörg eine wichtige Arbeit gehabt. Er hat seine Soldaten, die nicht mehr ganz in Ordnung waren, mit Wasserfarbe aufgefrischt. Alle haben eine neue Uniform bekommen. Auch die Pferde sind verjüngt worden, aus einem Fuchs hat er sogar einen Rappen gemacht. Es sieht alles neu aus. Ich glaube nur, daß die Wasserfarbe nicht lange halten wird.
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 10.9., den Du am Abend geschrieben hast. Ich danke Dir vielmals dafür. Ich glaube Dir, daß Du zu meinem Geburtstag gekommen wärst, wenn es irgend gegangen wär. Aber jetzt fragt man eben nicht nach unseren Wünschen. Du bist ja jetzt auf ruhigere Zeit vertröstet worden und man weiß ja nicht, wann das sein wird. Aber wir wollen nicht unzufrieden werden, denn dann erträgt sich alles noch schwerer. Wir wollen uns mit den Soldaten in Rußland trösten, die ja jetzt auch gar keine Möglichkeit haben, heim zu kommen. Leicht ist es ja nicht, aber manche haben es ja noch schwerer als wir.
Ich werde einmal mit Webers wegen eines evtl. Telefonanrufs reden. Immer sind sie abends ja auch nicht da und wie ich einmal aus einem Gespräch heraushörte, gehen sie sonst so um 9 Uhr herum schlafen. Ich schreibe es Dir deshalb, damit Du ungefähr weißt, bis zu welcher Zeit sie mich rufen könnten. Die Nummer 309 stimmt.
Es hat Jörg auch sehr gefreut, als ich ihm vorgelesen habe, daß Du Dir früher in den Blumenkästen Schützengräben gebaut hast. Es ist ja so, daß man bei den Spielen der Kinder oft an die eigene Kinderzeit erinnert wird.
Ich denke nicht, daß Jörg in der Schule schläft. Bis jetzt hat er jedenfalls immer alles gewußt , was die Lehrerin gesagt hat. Evtl. gehe ich später auch einmal in die Schule und erkundige mich, wie er seine Sache macht, damit ich nachhelfen kann, wo es fehlt.
Gestern habe ich noch das Stück umgegraben, wo ich Spinat säen und Wirsing setzen will. Der Mist, den ich rein getan habe, ist gut verrottet.
Meinst Du, daß Du noch auf Urlaub kommst, ehe umgegraben wird, damit wir besprechen können, was wir für Dünger kaufen. Oder soll ich vielleicht diesen Herbst einmal güllen?
Andere tun es ja auch und bis zum Frühjahr ist es ja ausgefroren. Gib mir darüber bitte mal Bescheid.
Nun grüße und küsse ich Dich wieder recht herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                      Konstanz, 15.9. 41

Ich bekam heute Deinen lieben Brief vom 11/12.9. mit dem Bild von dem Grubenbesuch. Nobel seht Ihr ja alle aus. Es ist eine schöne Erinnerung.
Ich habe heute bei Webers gefragt, ob sie mich rufen könnten, wenn Du telefonieren würdest. Sie sagten mir,
daß sie abends bestimmt nur bis 3/4 8 da wären, später wäre es unbestimmt. Ich glaube, daß das für Dich zu zeitig sein wird.
Die Rasierklingen schicke ich Dir anbei mit. Die werden wohl einstweilen reichen, nicht wahr?
Mit der Butter komme ich soweit aus. Wenn Du mir mal ein Stück schicken kannst, bin ich Dir natürlich nicht
böse. Ich würde sie mir dann auslassen und aufheben. Eier habe ich nicht viel, wir haben diesen Monat pro Person 2 Stück bekommen.
Ich verwende aber jetzt viel Eiaustauschmittel, so daß ich keinen Mangel empfinde. Zum schicken werden Eier auch kaum gehen. Du, ich denke gerade dran, wenn Du mal etwas Butter an meine Mutter schicken würdest, die würde sich riesig freuen. Butter entbehrt sie jetzt sehr und sie ist doch immer nicht ganz gesund, sie hat manchmal so Schwächeanfälle, die sie nur meinem Vater nicht merken läßt. Also, Du kannst es natürlich machen, wie Du willst.
Den Zucker wirst Du ja sicher nicht gleich hintereinander schicken, sonst würde es ja direkt Aufsehen erregen, wenn so oft Päckchen ankommen. Vielleicht bekommst Du doch einmal Urlaub, daß Du einen Teil so mitbringen kannst. Freuen tue ich mich darauf.
Heute Vormittag habe ich aus alten Unterhosen von Dir, die zwischen den Beinen durchgeschabt waren, 4 Unterhosen für Jörg genäht. Da habe ich gerade die schlechtesten Stellen wegschneiden können, da für Jörg ja nicht die ganze Breite erforderlich war. Jörg hatte keine einzige Unterhose mehr, alle waren kaputt. Ich habe mich jetzt einmal interessehalber erkundigt, wie viel welche kosten. So 2,- das Stück. Wenn ich sie auch nicht ganz so teuer rechne, habe ich doch mindestens 6,- durch das selber nähen erspart. Es lohnt sich also schon. Ich will mich jetzt überhaupt mal wieder ein bißchen ans nähen setzen. Es ist notwendig. Im Sommer, wenn man mehr im Garten zu tun hat, bleibt doch manches liegen.
Jetzt wird es doch schon ziemlich kühl. Ohne Jacke kann man schon nicht mehr gehen. Dazu regnet es noch öfter, das kühlt natürlich ab.
Für die Kartoffeln wäre trockeneres Wetter jetzt besser. Auch die Bohnen faulen ehr, als dass sie trocknen. Na, wir können es doch nicht ändern. Sei Du, mein liebster Schatz, nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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